L 2 U 192/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 168/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 192/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 15.03.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Feststellung von Folgen eines Arbeitsunfalles und um Verletztenrente.

Der Kläger verunglückte am 23.02.1995 als Beifahrer eines Freundes auf einer Fahrt in Jugoslawien. Der Freund fand dabei den Tod, die Verletzungen des Klägers wurden in der polizeilichen Unfallaufnahme als geringfügig bezeichnet. Der Kläger begab sich am 25.02.1995 in das Kreiskrankenhaus Lindau. Nach dem Bericht des Chefarztes der chirurgischen Abteilung Dr.St ... vom 20.05.1996 fand sich beim Kläger ein Muskelhartspann im Bereich der oberen Brustwirbelsäule paravertebral mit schmerzhafter endgradiger Einschränkung der Beweglichkeit, ferner ein Druckschmerz über der rechten Spina scapulae. Von Seiten des Schädels habe sich eine versorgte Platzwunde rechts-temporo-parietal gezeigt. Die Wunde sei reizlos gewesen. Die Röntgenaufnahme des Schädels in 3 Ebenen und des rechten Schulterblattes hätten keinen Anhalt für eine Fraktur ergeben. Ein fachärztliches Gutachten des Dr.St ... für den Bevollmächtigten des Klägers vom 24.08.1995 gibt die selben Befunde wieder, ferner, dass eine weitere Abklärung der Schädelverletzung durch den Neurologen angeregt worden sei. Nach allgemein ärztlicher Erfahrung sei mit Unfallfolgen rentenfähigen Ausmaßes oder Dauerschäden nicht zu rechnen. Die anschließende apparative Diagnostik durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.K ..., Veitshöchheim, und die Nervenärztin Dr.R ..., Lindau, einschließlich Schädel-CT-Untersuchung und cranielles Kernspintomographie vom 29.11.1996 ergaben Befunde in Normalbereich.

Der HNO-Arzt Prof.Dr.M ..., Lindau, attestierte dem Kläger wiederholt, eine Gleichgewichtsstörung, eine Schallempfindungsschwerhörigkeit sowie ein Tinnitus seien als Folgen des Verkehrsunfalls anzusehen. Dr.R ... diagnostizierte beim Kläger

Neben Berichten der behandelnden Ärzte holte die Beklagte eine Reihe von Gutachten ein. Dr.St ... kam in seinem Gutachten vom 24.07.1996 zu dem Ergebnis, aus chirurgischer Sicht bestünden als Folgen des Unfalls noch gelegentlich Beschwerden im Bereich der rechten Halsmuskulatur und eine Wetterfühligkeit bezüglich des Kopfes. Die MdE hierfür betrage 0 v.H.

In seinem HNO-ärztlichen Gutachten vom 09.10.1996 führte Prof.Dr.M ... aus, nach dem durch den Unfall bedingten Schädeltrauma sei es zu einer vorübergehenden Innenohrstörung, zu Tinnitus und Schwankschwindel mit Gangunsicherheit gekommen. Diese Symptomatik sei für eine Commotio labyrinthi typisch. Im weiteren Verlauf sei es zu einem Rückgang der Innenohrstörung und zu einer Besserung des Tinnitus gekommen. Die Vestibularisprüfung zeige ebenfalls keine Abweichungen mehr. Verblieben sei eine ausgeprägte Höhenangst. Die MdE betrage 100 % für Arbeiten in der Höhe bzw. auf Gerüsten, jeder anderen Arbeit könne der Versicherte in vollem Umfang nachgehen.

In ihrem Gutachten vom 19.12.1996 führte Dr.R ... aus, bei der Erstuntersuchung am 07.03.1995 habe der Kläger noch an rechtsseitigen Hinterkopfschmerzen, Kopfdruck und Schwindelzuständen sowie an einer posttraumatischen Schocksymptomatik gelitten, die sich im Laufe der folgenden drei Monate langsam zurückgebildet habe. Weitgehend unbeeinflussbar geblieben seien die seit dem Unfall bestehenden Schwindelzustände, die die Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit als Dachspengler unmöglich machten. Diese Beschwerden hätten nach Angaben des Versicherten vor dem Unfall nicht bestanden. Die mehrfachen neurologischen Untersuchungen hätten keine Hinweise für einen fokalen Befund im Sinne einer Spätfolge nach dem Unfall finden können. Auffällig sei die in der Kernspintomographie nachweisbare, möglicherweise involutionsbedingte Hirn- und Kleinhirnatrophie. Sie würde die seit dem Unfall bestehende Schwindelsymptomatik erklären, wobei der Unfall nicht die Ursache, wohl aber das auslösende Ereignis darstelle.

In einem für eine private Versicherung erstatteten Gutachten kam der HNO-Arzt Prof.Dr.K ..., Klinikum G ..., zu dem Ergebnis, die Schallleitungsschwerhörigkeit, wie sie sich beim Kläger jetzt darstelle, könne nicht auf das Unfallereignis zurückgeführt werden. Das Trauma habe zu keiner bleibenden Innenohrschädigung geführt. Eine Störung der Gleichgewichtsfunktion habe bei allen Untersuchungen nicht nachgewiesen werden können. Ferner bestünden charakteristische Begleit- oder Risikoerkrankungen für eine gestörte Mittelohrfunktion. Als solche seien die ehemalige Nasenscheidewanddeviation anzusehen, die nach dem Unfall operativ korrigiert worden sei, und die noch bestehende Nasenscheidewandleiste sowie die Subluxatio septi und ausgeprägte Hyperplasie der Nasenmuscheln, die zu einer sichtbaren Nasenquerschnittreduktion führe. Zusammenfassend ergebe sich auf hals-nasen-ohrenärztlichem Gebiet kein Hinweis für unfallbedingte Residuen bezüglich des Gehörs oder des Gleichgewichtes oder sonstige Organerkrankungen.

Der von der Beklagten als Sachverständige gehörte HNO-Arzt Dr.G ..., München, kam in seinem Gutachten vom 27.03.1997 zu dem Ergebnis, beim Kläger bestünden ein uneingeschränktes Hörvermögen rechts und eine linksseitige simulierte Schwerhörigkeit von unterschiedlichem Ausmaß, die tonaudiometrisch als Schallleitungsschwerhörigkeit imponiere und in Wirklichkeit nicht nachvollziehbar sei. Bei der Prüfung der Gleichgewichtsfunktion hätten otogene Schwindelerscheinungen ausgeschlossen werden können. Auch ohne Rücksicht auf die Ursache bestehe keine Minderung der Erwerbsfähigkeit.

Der Neurologe und Psychiater Dr.B ..., München, kam in seinem Gutachten vom 08.04.1997 zu dem Ergebnis, bei dem Unfall sei es zu einer Commotio cerebri, einer Platzwunde rechts und einer posttraumatischen Belastungsreaktion gekommen. Mittelbar habe sich eine phobische Symptomatik entwickelt, die nur teilweise als Unfallfolge anzusehen sei. Vermutlich spielten auch Persönlichkeitsfaktoren eine Rolle bei der Entwicklung der Höhenangst und des phobischen Schwankschwindels, außerdem bestünden zusätzliche psychosoziale Belastungsfaktoren unfallabhängig, die das Beschwerdebild als bedeutsamer unfallfremder Faktor bestärkt hätten. Eine Befundkonstellation, die etwa eine Kleinhirnatrophie als zweifelsfreie Ursache der Schwindelbeschwerden erscheinen ließen, liege nicht vor. Die Schwindelsymptomatik habe sich nach dem Unfall entwickelt. Es sei möglich, dass das Trauma, insbesondere aber das psychische Trauma, zur Entwicklung der Angststörung vom Typ einer Phobie geführt habe. Es bestünden jedoch Hinweise auf bedeutende unfallfremde Faktoren, deren Einfluss in zeitlichem Abstand vom Unfall zunehme, so dass der für die Anerkennung als Unfallfolge geforderte hohe Grad der Wahrscheinlichkeit jetzt über zwei Jahre nach dem Unfall nicht mehr als gegeben anzusehen sei. Die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit für die nervenärztlichen Teilaspekte schätze er mit einer Größenordnung von ca. sechs bis acht Monaten.

Der Neurologe Prof.Dr.P ..., München, kam in seinem Gutachten vom 28.05.1997 zu dem Ergebnis, dass der Kläger bei dem Unfall eine Schädelprellung mit Platzwunde und Commotio cerebri erlitten habe. Die Folgen einer derartigen Commotio klängen erfahrungs- und definitionsgemäß innerhalb weniger Wochen, fast immer innerhalb eines halben Jahres und stets innerhalb eines Jahre vollständig ab. Unbestreitbar sei, dass der Kläger auch einen seelischen Schock im Sinne eines Psychotraumas erlitten habe. Die jetzt vorgebrachten Beschwerden seien nicht mehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit in Zusammenhang zu bringen. Vielmehr dürften die jetzt vorgebrachten Beschwerden, insbesondere der Höhenschwindel und die phobischen Störungen Ausdruck auch und in erster Linie der Primärpersönlichkeit und somit nicht mehr als direkte Unfallfolge anzusehen sein. Aufgrund des glaubhaft vorgetragenen Schwindels sei der Kläger gegenwärtig nicht in der Lage, auf Gerüsten oder einem Dach zu arbeiten. Aufgrund einer gewissen Disposition bei gegebener Primärpersönlichkeitsstruktur sei es zur Ausprägung eines phobischen Schwindels gekommen, wobei dem Unfall allenfalls eine einmalige abgrenzbare Verschlimmerung im Bilde einer erstmals zutage tretenden Manifestation zuzumessen sei. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit habe für die ersten 14 Tage 100 % betragen, bis zum Ende des ersten Vierteljahres allenfalls 50 % und bis zum Ende des ersten Halbjahres etwa 25 %. Seither sei eine unfallbedingte MdE - selbst bei Würdigung einer Teilursache im Sinne einer einmalig abgrenzbaren Verschlimmerung einer gegebenen Disposition - nicht mehr anzunehmen.

Mit Bescheid vom 10.10.1997 gewährte die Beklagte dem Kläger Rente nach einer MdE um 25 v.H. vom 23.05. bis 22.08.1995. Für die Zeit vom 23.02. bis 22.05.1995 wurde ihm Verletztengeld gewährt. Die Beklagte erkannte als Folgen des Arbeitsunfalles ausdrücklich nicht an: Schallleitungsschwerhörigkeit beidseits, links mit mittelgradiger Minderung des Sprachgehörs, Kopfschmerzen, Höhenschwindel und phobische Störungen. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger die nicht anerkannten Gesundheitsstörungen als Unfallfolge geltend und begehrte Verletztenrente nach einer höheren MdE und für längere Dauer.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.04.1998 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Mit seiner Klage hat der Kläger sein Widerspruchsbegehren weiter verfolgt.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 15.03.1999 als unbegründet abgewiesen und sich in der Begründung auf die Gutachten des Dr.G ... und des Prof.Dr.P ... gestützt.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er stützt sich auf alle ärztlichen Äußerungen, soweit sie ihm attestieren, dass er seine bisherige Tätigkeit als Spenglermeister, bedingt durch die nicht als Unfallfolgen anerkannten Gesundheitsstörungen, nicht mehr ausüben könne.

Er beantragt, den Gerichtbescheid vom 15.03.1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, in Abänderung des Bescheids vom 10.10.1997 als Folgen des Arbeitsunfalls anzuerkennen: Schallleitungsschwerhörigkeit beidseits, links mit mittelgradiger Minderung des Sprachgehörs, Kopfschmerzen, Höhenschwindel und phobische Stimmungen, und höhere Verletztenrente ab dem 23.05.1995 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung sind die Akten der Beklagten und die Akte des Sozialgericht Augsburg in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet, denn weder sind die strittigen Gesundheitsstörungen als Folgen des Unfalls festzustellen noch hat der Kläger einen Anspruch auf Verletztenrente nach einer höheren MdE oder für eine längere Zeit.

Die Entscheidung des Rechtsstreits richtet sich auch im Berufungsverfahren nach den Vorschriften der RVO, da der streitige Unfall vor dem 01.01.1997 eingetreten ist und eine Entscheidung über Leistungen vor diesem Zeitraum angefochten ist (§§ 212, 214 SGB VII).

Der Senat hält die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheids für unbegründet und sieht entsprechend § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Neue Gesichtspunkte haben sich im Berufungsverfahren nicht ergeben.

Der Sachverhalt ist durch die von der Beklagten eingeholten Gutachten hinreichend geklärt. Bezüglich der Schwerhörigkeit bestehen bereits Zweifel, ob sie beim Kläger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegt. Soweit sie vorliegend durch das Gutachten des Prof.Dr.M ... bestätigt wird, fehlt es jedoch an einer Begründung für den ursächlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall. Bezüglich der übrigen streitigen Gesundheitsstörungen folgt auch der Senat dem Gutachten des Dr.B ..., insbesondere aber des Prof.Dr.P ... Auch wenn das Vorliegen von Schwindel und phobischen Störungen als bewiesen angenommen werden könnte, besteht nach diesen Gutachten doch kein Ursachenzusammenhang mit dem Arbeitsunfall. Auch bezüglich der Bildung der MdE durch die Beklagte bestehen keine rechtlichen Bedenken. Die Beklagte ist insoweit dem Gutachten des Prof.Dr.P ... gefolgt. Eine nachvollziehbare MdE-Bildung nach den Grundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung ist keinem anderen Sachverständigengutachten zu entnehmen. In diesen Punkten besteht auch keine dem Kläger günstige, von der Einschätzung durch die Beklagte abweichende gutachterliche Aussage. Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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