L 9 AL 171/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 12 (17) AL 86/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 171/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 31. Juli 2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Insolvenzgeld (InsG).

Der Kläger war vom 06. bis 21.09.1999 bei der Firma I GmbH in N beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete nach der Durchführung eines Klageverfahrens durch Vergleich vom 07.10.1999 vor dem Arbeitsgericht P (3 Ca 2236/99). Die Arbeitgeberin verpflichtete sich in diesem ferner, das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß mit Wirkung zum 21.09.1999 abzurechnen. Nachdem dieses nicht geschah, erhob der Kläger erneut am 10.12.1999 Klage vor dem Arbeitsgericht (Az.: 4 Ca 2908/99) und begehrte die Zahlung seines rückständigen Lohnes in Höhe von 3.437,55 DM brutto für September 1999. Der Bevollmächtigte der Arbeitgeberin teilte anlässlich des Kammertermins am 05.04.2000 mit, dass ein Insolvenzverfahren beantragt und vorläufig angeordnet sowie ein vorläufiger Insolvenzverwalter ernannt worden sei. Die Bevollmächtigte des Klägers rief daraufhin nach einer Sitzungsunterbrechung beim Insolvenzgericht an und bestätigte den Anwesenden anschließend, dass dies zutreffe. Im Juli 2000 wurde dem Arbeitsgericht schließlich mitgeteilt, dass der Rechtsstreit nicht weiter verfolgt werde.

Die Bevollmächtigte des Klägers im Arbeitsgerichtsverfahren wandte sich mit Schreiben vom 17.05.2000 an den vorläufigen Insolvenzverwalter und meldete die Forderung des Klägers zur Insolvenztabelle an. Sie bat außerdem um Mitteilung des Verfahrensstandes. Nachdem dessen Antwort ausblieb, erinnerte sie den Insolvenzverwalter mit Schreiben vom 13.07.2000 an die Beantwortung ihrer Anfrage. Er teilte ihr durch Schreiben vom 17.07.2000 - bei ihr eingegangen am 20.07.2000 - mit, dass das Insolvenzverfahren durch Beschluss des Amtsgerichts E - Insolvenzgericht - vom 03.05.2000 eröffnet und er zum Insolvenzverwalter bestellt worden sei.

Der Kläger beantragte daraufhin am 25.07.2000 die Zahlung von InsG für den im September 1999 ausgefallenen Lohn. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 11.08.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2000 (abgesandt am 16.10.2000) ab. Sie führte zur Begründung aus, der Kläger habe die Antragsfrist nach § 324 Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) nicht eingehalten, weil er nicht innerhalb der Ausschlussfrist von zwei Monaten den Antrag gestellt habe. Denn diese sei im Hinblick auf den Beschluss des Amtsgerichts vom 03.05.2000 bereits am 03.07.2000 abgelaufen. Der Kläger habe die Frist versäumt, weil er sich um die Durchsetzung seiner Ansprüche nicht mit der erforderlichen Sorgfalt bemüht habe. Nachdem er in der Sitzung des Arbeitsgerichts am 05.04.2000 vom vorläufigen Insolvenzverfahren und der Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters erfahren habe, habe ausreichend Zeit bestanden, den Eintritt des Insolvenzereignisses innerhalb der Ausschlussfrist in Erfahrung zu bringen und den erforderlichen Antrag zu stellen. Er habe zudem mit seiner Rechtsvertreterin regelmäßig Kontakt halten müssen.

Hiergegen richtet sich die am 16.11.2000 erhobene Klage. Der Kläger hat zu deren Begründung vorgetragen, er habe die Versäumung der Ausschlussfrist nicht zu vertreten. Seine damalige Bevollmächtigte habe sich mit Schreiben vom 17.05.2000 ausgehend von ihrem Kenntnisstand des Insolvenzverfahrens an den vorläufigen Insolvenzverwalter gewandt und um Unterrichtung über den Verfahrensstand gebeten. Der Insolvenzverwalter habe aber erst auf die Mahnung vom 17.07.2000 reagiert und die Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 03.05.2000 mitgeteilt. Er - der Kläger - habe sodann umgehend beim Arbeitsamt den Antrag auf Zahlung von Insolvenzgeld gestellt. Es könne ihm nicht vorgehalten werden, dass der Insolvenzverwalter seinen gesetzlichen Verpflichtungen zur Mitteilung des Eröffnungsbeschlusses an die Gläubiger nicht zeitnah nachgekommen sei.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.08.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2000 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 06. bis 21.09.1999 Insolvenzgeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die angefochtenen Bescheide für Rechtens gehalten und erneut vorgetragen, dass der Kläger sowie seine damalige Bevollmächtigte auf Grund der Sitzung beim Arbeitsgericht am 05.04.2000 Kenntnis vom vorläufigen Insolvenzverfahren erhalten hätten. Die Bevollmächtigte habe deswegen der Frage intensiver nachgehen müssen, ob das Insolvenzereignis zwischenzeitlich eingetreten sei, und den Insolvenzverwalter zeitnäher erinnern müssen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 31.07.2001 abgewiesen. Es hat sich zur Begründung der Auffassung des Sozialgerichts angeschlossen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das am 07.08.2001 zugestellte Urteil richtet sich die am 06.09.2001 eingelegte Berufung des Klägers. Er trägt zu deren Begründung weiterhin vor, er habe auf eine umgehende Mitteilung des Insolvenzverwalters vertrauen können und daher alles Notwendige zur Wahrung der Antragsfrist veranlasst. Es habe kein Anhaltspunkt dafür bestanden, dass der Insolvenzverwalter seinen gesetzlichen Pflichten nicht rechtzeitig nachkommen würde und zusätzliche Maßnahmen erforderlich gewesen wären.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 31.07.2001 zu ändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze sowie der Verwaltungsakten der Beklagten - Az.: InsG 4190 - und der Akten des Arbeitsgerichts P - Az.: 3 Ca 2236/99 und 4 Ca 2908/99 - Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Der Senat sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe im Einzelnen ab, weil er die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass dem Kläger persönlich keine schuldhafte Versäumung der Antragsfrist durch einfache Fahrlässigkeit (vgl. BSG SozR 4100 § 141 e Nr. 5) vorzuhalten ist. Ihm ist zwar auch die Zahlungsverweigerung des Arbeitslohnes vom September 1999 seitens des Arbeitgebers sowie aus dem Arbeitsgerichtstermin am 05.04.2000 die Einleitung eines vorläufigen Insolvenzverfahrens bekannt gewesen - also die Möglichkeit, dass sein Lohnanspruch äußerst gefährdet gewesen ist. Zu seinen Gunsten ist aber zu berücksichtigen, dass er als Laie zur Durchsetzung seines Anspruchs bereits rechtskundigen Rat in Anspruch genommen hatte. Er hat zusammen mit seiner damaligen Bevollmächtigten den Arbeitsgerichtstermin wahrgenommen, in dem ausweislich des Sitzungsprotokolls über die Einleitung eines vorläufigen Insolvenzverfahrens gesprochen und dies von der Bevollmächtigten durch ein Telefonat beim Insolvenzgericht bestätigt worden ist. Der Senat hält daher die Angabe des Klägers für glauhaft, dass der Bevollmächtigte der Arbeitgeberin in diesem Zusammenhang darauf verwiesen hat, der Kläger werde nunmehr beim Arbeitsamt einen Antrag auf InsG stellen müssen. Er bzw. auch seine Bevollmächtigte würden deswegen vom Insolvenzverwalter einen entsprechenden Bescheid erhalten. Damit haben sich zwei rechtskundige Vertreter - eigene Bevollmächtigte und der der Arbeitgeberin -, aber mit dem allgemeinen Hinweis auf eine InsG-Beantragung zufrieden gegeben und haben eine abwartende Haltung unter Berücksichtigung der Informationspflicht des Insolvenzverwalters eingenommen, obwohl zumindest die Bevollmächtigte des Klägers als Rechtskundige hinsichtlich der Wahrung der mit dem InsG verbundenen Antragsfrist von zwei Monaten klarstellend hätte tätig werden müssen - sei es selbst oder durch Anleitung des Klägers zum weiteren Handeln. Seine persönliche Unkenntnis vom Erfordernis der Feststellung des genauen Eintritts des Insolvenzereignisses und von der dann zu wahrenden Ausschlussfrist kann ihm unter diesen Umständen nicht vorgehalten und von ihm ein weitergehendes Tätigwerden aus eigenem Anlass nicht erwartet werden - zumal er im Juli auf Grund eines Hinweises der damaligen Bevollmächtigten nach deren Kenntniserlangung von dem Insolvenzereignis umgehend tätig geworden ist und sein Bemühen, seinen tatsächlichen Beitrag zur Durchsetzung seines Lohnanspruchs zu leisten, gezeigt hat. Er hat in seiner Person selbst die Antragsfrist daher nicht fahrlässig versäumt.

Dieses ist jedoch der damaligen Bevollmächtigten des Klägers vorzuhalten, ihm aber gleichwohl zuzurechnen. Denn im Rahmen des ihr als Rechtsanwältin erteilten Auftrages ist sie verpflichtet, den Kläger als ihren Auftraggeber umfassend zu belehren und seine Belange in jeder Richtung wahrzunehmen. Sie hat ihm diejenigen Schritte anzuraten, die geeignet sind, den angestrebten Erfolg herbeizuführen, und Nachteile zu verhindern, soweit sie vorhersehbar und vermeidbar sind. Dazu hat eine Anwältin ihrem Mandanten den sichersten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant eine sachgerechte Entscheidung treffen kann; Zweifel und Bedenken, zu denen die Sachlage Anlass gibt, muss die Anwältin darlegen und mit ihrem Auftraggeber erörtern (vgl. Urteil des BGH vom 17.09.1998 - IX ZR 291/97 in VersR 99, 442 ff). Die damalige Bevollmächtigte hat dies unterlassen und damit die Durchsetzung des klägerischen Lohnanspruchs fahrlässig behindert. Dass der Auftrag des Klägers gezielt auf die Verwirklichung seines Anspruchs erteilt worden ist, ergibt sich aus dem Verlauf der Arbeitsgerichtsverfahren. Sie ist nämlich für den Kläger bereits im ersten Prozess gegen den Arbeitgeber verantwortlich aufgetreten und hatte am 07.10.1999 u.a. den Vergleich auf eine ordnungsgemäße Lohnabrechnung bis 29.09.1999 erwirkt (Arbeitsgericht E 3 Ca 2236/99). Nachdem der Arbeitgeber diese Verpflichtung nicht erfüllt hatte, hat sie den zweiten Prozess zur Durchsetzung des Anspruchs - auch mit Bezifferung - angestrengt (Arbeitsgericht E 4 Ca 2908/99). Sie ist mithin beauftragt gewesen, den klägerischen Lohnanspruch zu verwirklichen. Es ist zwar nicht zu beanstanden, dass sie hierfür zunächst den Weg zu den Arbeitsgerichten eingeschlagen hat. Nachdem aber dort im Kammertermin am 05.04.2000 ausdrücklich auf die Einleitung eines vorläufigen Insolvenzverfahrens hingewiesen worden ist und sie die Richtigkeit telefonisch bestätigt erhalten hatte, hätte sie ihrer Beratungspflicht im oben dargelegten Sinn umgehend nachkommen müssen. Denn nach der Kenntnisnahme vom eingeleiteten vorläufigen Insolvenzverfahren am 05.04.2000 und der Sachkenntnis, dass der Arbeitgeber trotz des zunächst abgeschlossenen gerichtlichen Abrechnungsvergleichs für September 1999 nicht zahlungswillig und dafür die Einleitung eines weiteren Prozesses erforderlich gewesen ist, hat es offen auf der Hand gelegen, dass die Verwirklichung des klägerischen Lohnanspruchs in hohem Maße gefährdet gewesen ist. Da zudem im Kammertermin des Arbeitgerichts die nunmehr zusätzliche Beantragung von InsG angesprochen worden ist, hätte es ihr klar sein müssen, dass in diesem Zusammenhang eine Antragsfrist zu wahren gewesen wäre. Selbst wenn sie sich nicht zu einer eigenen Antragstellung als Bevollmächtigte als beauftragt angesehen haben sollte, hätte sie den Kläger sofort unabhängig von einer endgültigen Auskunft des Insolvenzverwalters zur eigenständigen Antragstellung veranlassen müssen, damit durch dessen Tätigwerden im Rahmen der Verwirklichung eines ausstehenden Lohnanspruchs mögliche Nachteile abgewendet werden. Einer solchen - unter Umständen auch vorzeitigen - Beantragung haben keine Hindernisse entgegen gestanden, da sie rechtlich formlos und zeitlich nicht festgelegt zulässig ist, und dem Umstand, dass erst ein vorläufiges Insolvenzverfahren eingeleitet worden ist, im Verwaltungsverfahren durch einen Hinweis Rechnung getragen werden kann. Darüber hinaus entstehen auch keine Kosten, so dass mit dieser Vorgehensweise keine wirtschaftlichen Risiken eingegangen werden. Angesichts einer solchen einfachen weiteren Sicherungsmöglichkeit des Lohnanspruchs im Rahmen des bisherigen Durchsetzungsverlaufes hätte sich die Bevollmächtigte nicht allein auf ein korrektes Verhalten des Insolvenzverwalters hinsichtlich der - zutreffend als gesetzlich vorgesehenen - Mitteilungspflicht verlassen dürfen. Spätestens nach ihrem Schreiben vom 17.05.2000 an den Insolvenzverwalter mit der Bitte um eine Sachstandsmitteilung und der Forderungsanmeldung an die Tabelle und dem zeitnahen Ausbleiben einer Reaktion von diesem - es hätte ein Antwortschreiben von ihm auch auf dem Postweg verloren gegangen sein können -, hätte sie alsbald nochmals diesem gegenüber tätig werden müssen, zumindest aber im Hinblick auf eine möglicherweise laufende Frist zur - bereits ins Auge gefassten - Beantragung des InsG den Kläger zur sofortigen vorsorglichen Antragstellung veranlassen müssen. Das Unterlassen dieser naheliegenden umfassenden Beratung des Klägers zur Vermeidung von Nachteilen bei der angestrebten Lohnverwirklichung verstößt daher gegen ihre geforderte Sorgfaltspflicht und hat fahrlässigerweise zur Versäumung der Antragsfrist auf InsG geführt. Da dem Kläger das Verhalten seiner Bevollmächtigten zuzurechnen ist, muss er sich dieses unabhängig von seinem eigenen entgegenhalten lassen. Er hat daher keinen Anspruch auf Zahlung des InsG für den Lohnausfall im September 1999.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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