L 9 R 3079/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 7 R 3913/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 3079/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 31. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Zahlung einer Witwerrente auch für die Zeit ab 1.3.2010.

Der 1928 geborene Kläger, ein Rechtsanwalt, war mit der am 30.5.1945 geborenen und am 17.11.2009 verstorbenen Versicherten (V.) seit dem 26.10.1979 verheiratet. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor, ein am 13.10.1980 geborener Sohn und eine am 27.7.1983 geborene Tochter. V. hatte von April 1960 bis März 1963 eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau absolviert und war anschließend bis November 1968 versicherungspflichtig beschäftigt. Von Juni 1969 bis zu ihrem Tod stand sie im Beamtenverhältnis. Für die Zeit von Januar 1970 bis Juni 1976 hatte V. freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet.

Auf den Antrag der Tochter vom 19.2.2010 gewährte die Beklagte dieser vom 17.11.2009 bis 31.7.2010 (Vollendung des 27. Lebensjahres) Halbwaisenrente.

Auf den Antrag des Klägers vom 13.1.2010 gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 4.3.2010 ab 17.11.2009 eine große Witwerrente. Für die Zeit vom 17.11.2009 bis 28.2.2010 ergab sich ein Nachzahlungsbetrag von 652,39 EUR. Ferner entschied die Beklagte, ab 1.3.2010 sei die Rente – wegen der Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens des Klägers – nicht zu zahlen.

Hiergegen erhob der Kläger am 6.4.2010 Widerspruch, begehrte die Zahlung einer Witwerrente ab 1.3.2010, hilfsweise die Erstattung der von V. gezahlten freiwilligen Beiträge. Er führte aus, seine Frau habe, beginnend mit ihrem 25. Lebensjahr, also als junger Mensch, freiwillige Beiträge geleistet, in der Erwartung und im Vertrauen darauf, dass sie damit für ihre spätere Altersversorgung – nach Übertritt in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit – noch einen kleinen Rentenbetrag zusätzlich erwerben würde. Mit absoluter Gewissheit sei anzunehmen, dass weder seine Frau noch sonst jemand freiwillige Beiträge gezahlt hätte, wenn sie gewusst hätten, dass die Rente wegen Verrechnung mit der höheren Rente des Ehemannes oder Witwers auf Dauer einbehalten würde. Die Nichtzahlung der errechneten Rente komme – bei Einbehaltung der freiwilligen Beitragsleistung – einer Enteignung gleich.

Mit Schreiben vom 24.6.2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, eine Erstattung von wirksam entrichteten Beiträgen gemäß § 210 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) finde auf Antrag an Witwer nur statt, wenn wegen nicht erfüllter Wartezeit (60 Monate) ein Anspruch auf die Rente wegen Todes (Witwer- und Halbwaisenrente) nicht bestehe. Vorliegend sei die Wartezeit jedoch erfüllt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4.10.2007 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 4.11.2010 Klage zum Sozialgericht (SG) Mannheim erhoben, auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren Bezug genommen und ergänzend vorgetragen, die Nichtzahlung des von der Beklagten ermittelten und festgesetzten Witwerrentenbetrages sei unzulässig. Freiwillige Beiträge dürften nicht wie gesetzliche Abzüge aus dem Arbeitseinkommen behandelt werden. Ihnen komme eine andere Qualität zu als Beiträgen, die kraft Gesetzes zwangsweise als Versichertenbeiträge abgezogen würden. Dass eine Gleichbehandlung nicht statthaft sei, ergebe sich aus der Mitteilung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 19.3.1998 – 27/98 (Lexetius.com/1998 1193).

Die Beklagte hat auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen und erklärt, die Vorschrift des § 97 SGB VI halte sie nicht für verfassungswidrig. So habe das BVerfG im Jahr 1998 (BVerfGE 97, 271) festgestellt, dass Ansprüche von Versicherten in der gesetzlichen Rentenversicherung auf Versorgung ihrer Hinterbliebenen nicht dem Eigentumsschutz des Art. 14 Grundgesetz (GG) unterlägen.

Mit Urteil vom 31.5.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf (weitere) Zahlung einer Rente noch auf die Erstattung von Beiträgen. Auf die Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden werde Bezug genommen. Soweit der Kläger eine Enteignung bzw. eine Verletzung des Art. 14 GG rüge und sich auf Vertrauensschutz berufe, verweise das SG auf den Beschluss des BVerfG vom 18.2.1998 (BVerfGE 97, 271). Dieser überzeugenden Rechtsprechung schließe sich das SG aufgrund eigener Urteilsbildung an. Sie gelte im Wege des Erst-Recht-Schlusses auch für den vorliegenden Fall einer freiwilligen Beitragszahlung. Denn ein freiwillig Versicherter könne etwaigen nachteiligen Wirkungen dadurch begegnen, dass er die Versicherung nicht abschließe oder nicht fortführe. Ein schutzwürdiges Vertrauen in Person der verstorbenen Ehefrau des Klägers liege nicht vor. Einen Beratungsfehler der Beklagten habe das SG nicht feststellen können. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 25.6.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21.7.2011 Berufung eingelegt und vorgetragen, die vom SG genannte Rechtsprechung des BVerfG sei auf seinen Fall, soweit es um die von seiner verstorbenen Frau geleisteten freiwilligen Beiträge gehe, nicht anwendbar. Wie sich aus der zitierten Mitteilung des BVerfG ergebe, hätten freiwillige Beiträge, die aus dem privaten Vermögen geleistet würden, eine andere Qualität als Beiträge, die kraft Gesetzes zwangsweise als Versichertenbeiträge abgezogen würden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 31. Mai 2001 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. März 2010 Witwerrente in Höhe von monatlich 124,09 EUR auszuzahlen, hilfsweise die von seiner verstorbenen Ehefrau in der Zeit vom 1. Januar 1970 bis 30. Juli 1976 (gemeint wohl: 30. Juni 1976) geleisteten freiwilligen Beiträge für 78 Monate mit jeweils DM 100 monatlich = 7800 DM im heutigen Gegenwert in Euro zzgl. 5 % Zinsen über dem jeweiligen Bundesbankdiskontsatz seit Klageerhebung zu erstatten bzw. zurückzuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, das SG habe die Klage zu Recht abgewiesen. Sie nehme Bezug auf Ihr Vorbringen im ersten Rechtszug sowie die überzeugende Urteilsbegründung.

Mit Verfügung vom 5.2.2013 hat der Senat auf die Möglichkeit einer Entscheidung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Zahlung der zuerkannten großen Witwerrente ab 1.3.2010 und auch keinen Anspruch auf Erstattung bzw. Zurückzahlung der von seiner verstorbenen Ehefrau geleisteten freiwilligen Beiträge für die Zeit vom 1.1.1970 bis 30.6.1976 hat.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 5.2.2013 hat der Senat die Beteiligten auch auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung einer Witwerrente gemäß § 46 Abs. 2 SGB VI erfüllt. Der Kläger bestreitet auch nicht, dass die Beklagte § 97 SGB VI korrekt angewandt hat und behauptet ebenfalls nicht, dass die Beklagte Fehler bei der Berechnung der Rente bzw. der Einkommensanrechnung begangen hat. Fehler bei der Berechnung hat der Senat ebenfalls nicht festgestellt. Die Einkommensanrechnung gemäß § 97 SGB VI führt dazu, dass dem Kläger – wegen des zu berücksichtigenden Einkommens – ab 1.3.2010 eine Witwerrente nicht zu zahlen ist.

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Anrechnung von Einkommen des Klägers verfassungswidrig ist, weil die Hinterbliebenenrente auch auf freiwilligen Beiträgen von V. für die Zeit von Januar 1970 bis Juni 1976 beruht.

Einen Verstoß gegen Art. 14 GG vermag der Senat ebenso wenig wie das SG zu erkennen. Er schließt sich den Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil nach eigener Prüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren an, sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück.

Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass das BVerfG in der oben genannten Entscheidung vom 18.2.1998 entschieden hat, dass Ansprüche auf Versorgung der Hinterbliebenen dem Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG nicht unterfallen. Dabei hat es nicht zwischen einer Hinterbliebenenversorgung unterschieden, die nur auf Pflichtbeiträgen beruht, und solchen, die auch auf freiwilligen Beiträgen beruhen. Gründe, eine Hinterbliebenenversorgung, die auch auf freiwilligen Beiträgen beruht, anders – insbesondere besser – zu behandeln, sind nicht ersichtlich. Denn dem Versicherten/der Versicherten steht es frei, freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu leisten oder sich anderweitig zu versichern. Darüber hinaus hat er/sie auch die Möglichkeit zu wählen, in welcher Höhe und für welche Dauer er/sie solche freiwilligen Beiträge leistet, während dies bei Pflichtbeiträgen nicht der Fall ist. Darüber hinaus dient die Entrichtung von freiwilligen Beiträgen primär dem Versicherten/der Versicherten selbst. Der Umstand, dass die Ehefrau des Klägers – wegen ihres frühen Todes – nicht mehr in den Genuss von Rentenleistungen kam, führt nicht dazu, die von ihr geleisteten freiwilligen Beiträge dem Kläger privatnützig zuzuordnen. Vielmehr bleibt die Witwerrente hinsichtlich des Klägers eine vorwiegend fürsorgerisch motivierte Leistung (BVerGE 97, 271), weil sie ohne eigene Beitragsleistung des Klägers gewährt wird. Unabhängig davon ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger für die Zeit vom 17.11.2009 bis 28.2.2010 in den Genuss einer Witwerrente gekommen ist und seine Tochter in der Zeit vom 17.11.2009 bis 30.4.2010 in den Genuss einer Halbwaisenrente.

Unerheblich ist auch, dass die Beklagte V. nicht darüber aufgeklärt hat, dass unter bestimmten Bedingungen eine Witwerrente nicht zur Auszahlung kommt. Denn die Anrechnung von Einkommen ist erst durch das Hinterbliebenen- und Erziehungszeitengesetz (HEZG) vom 11.7.1985 zum 1.1.1986 eingeführt worden, während V. – nach Angaben des Klägers – schon vor diesem Zeitpunkt die freiwilligen Beiträge geleistet hat. Unabhängig davon war weder zum Zeitpunkt der Entrichtung der freiwilligen Beiträge noch im Jahr 1986 ersichtlich, dass V. im Jahr 2009 vor dem Kläger versterben würde. Die Voraussetzungen, unter denen sich Eheleute bis zum 31.12.1988 für die Anwendung des bis zum 31.12.1985 geltenden Rechts entschließen konnten, wonach die Witwerrente ohne Anrechnung gewährt wurde, andererseits aber Voraussetzung war, dass die Verstorbene den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hatte, lagen beim Kläger und seiner Ehefrau (Art. 2 § 17a Abs. 2 AnVNG bzw. Art. 2 § 18 Abs. 3 ArVNG) schon deswegen nicht vor, weil nicht beide Eheleute vor dem 1.1.1936 geboren waren.

Die Voraussetzungen für eine Beitragserstattung gemäß § 210 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift werden Beiträge Witwen, Witwern, überlebenden Lebenspartnern oder Waisen erstattet, wenn wegen nicht erfüllter allgemeiner Wartezeit ein Anspruch auf Rente wegen Todes nicht besteht, Halbwaisen aber nur, wenn eine Witwe, ein Witwer oder ein überlebender Lebenspartner nicht vorhanden ist. Vorliegend hat V. die allgemeine Wartezeit (fünf Jahre) erfüllt. Dem Kläger steht grundsätzlich ein Anspruch auf Witwerrente – wie auch seiner Tochter eine Halbwaisenrente zustand – zu, es kommt lediglich wegen der Anrechnung des eigenen Einkommens des Klägers ab 1.3.2010 nicht zur Auszahlung der Rente.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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