L 12 KA 150/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 22 KA 1144/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 150/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 10. Mai 2001 wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat der Beklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

In diesem Rechtsstreit geht es um eine Disziplinarmaßnahme (Geldbuße in Höhe von 20.000,00 DM).

Der Kläger, ein Arzt mit der Zusatzbezeichnung "Medizinische Genetik", wurde mit Beschluss des Zulassungsausschusses vom 2. Mai 1994 zur Teilnahme an der ambulanten vertragsärztli- chen Versorgung in P. ermächtigt. Der Ermächtigungsumfang erstreckte sich ausschließlich auf Leistungen der medizinischen Genetik. Die befristete Ermächtigung wurde zuletzt mit Beschluss des Zulassungsausschusses vom 14. Mai 1997 bis 30. April 1999 verlängert. In seiner Sitzung vom 9. Dezember 1998 (Bescheid vom 28. Dezember 1998) widerrief der Zulassungsausschuss auf Antrag der Beklagten die Ermächtigung gemäß § 95 Abs.4, Abs.6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i.V.m. § 27 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV), weil der Kläger bei der Erbringung ärztlicher Leistungen nicht persönlich zur Verfügung stehe. Seit Ende des Jahres 1997 sei er tagsüber nicht in der Praxis anwesend gewesen, der Praxisbetrieb sei durch nichtärztliches Personal aufrecht erhalten worden. Die Abwesenheit stelle einen gröblichen Verstoß gegen die vertragsärztlichen Pflichten dar. Der Kläger sei zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit ungeeignet. Gegen diesen Beschluss hat der Kläger Widerspruch eingelegt, der vom Berufungsausschuss mit Beschluss vom 1. März 2001 zurückgewiesen wurde.

Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 29. Dezember 1998 beim Disziplinarausschuss (DA) die Durchführung eines Disziplinarverfahrens gegen den Kläger, weil dieser bereits seit Mitte des Jahres während der normalen Arbeitszeit in seiner Praxis nicht mehr persönlich zur Verfügung stehe und den Praxisbetrieb durch nichtärztliches Personal aufrecht erhalte. Den Mitarbeitern sei es zudem auch fast unmöglich, organisatorische Fragen oder auch problematische Untersuchungsergebnisse mit dem Kläger persönlich abzuklären. Eine Verständigung sei selbst per Telefon oder per Telefax nur erschwert bzw. mit erheblicher zeitlicher Verzögerung möglich. Der Kläger sei allenfalls nach Ende des Praxisbetriebs persönlich anwesend, um die Befunde zu unterzeichnen. Die tatsächliche Leitung der Praxis erfolge durch nichtärztliche Mitarbeiter. Der Kläger sei mit Schreiben der Beklagten vom 20. Juli 1998 auf seine Verpflichtung zur persönlichen Leistungserbringung hingewiesen und zur Stellungnahme aufgefordert worden. Mit Telefax vom 23. Juli 1998 habe er mitgeteilt, dass er aus gesundheitlichen Gründen die genetische Beratung und daher auch den Arzt-Patientenkontakt ausgesetzt habe, der Laborbetrieb jedoch ohne Veränderungen weiterlaufe. Alle Befunde würden von ihm persönlich geprüft und unterzeichnet. Zudem stehe seine Lebensgefährtin als Ärztin für Rückfragen jederzeit zur Verfügung. Zu einem Gespräch mit der Beklagten sei der Kläger nicht bereit gewesen. Mit Schreiben vom 27. Oktober 1998 hätten zwei leitende Mitarbeiter der Praxis, die Dipl. Biologen S. und H. der Beklagten bestätigt, dass der Kläger seit Ende des Jahres 1997 seine Praxis während der normalen täglichen Arbeitszeit nicht mehr aufgesucht habe und jegliche Kommunikation zwischen ihm und seinen Mitarbeitern unmöglich geworden sei. Das Verhalten des Klägers verstoße gegen § 15 Abs.1 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) und § 14 Abs.1 Arzt/Ersatzkassenvertrag (AEV) i.V.m. § 32a Ärzte-ZV wegen fehlender persönlicher Präsenz während des Praxisbetriebs. Der Kläger habe seine Überwachungspflicht infolge seiner ständigen Abwesenheit während des Praxisbetriebs nicht mehr wahrgenommen. Diese verlange, dass der aufsichtsführende Vertragsarzt jederzeit steuernd in den Arbeitsablauf eingreifen könne und seinen Mitarbeitern während der Arbeitszeit beratend zur Verfügung stehe. Wegen der Schwere des Verstoßes wäre ein Ruhen der Zulassung angezeigt, doch komme dies wegen des bereits erfolgten Widerspruchs gegen den Widerruf der Ermächtigung nicht mehr in Betracht. Deshalb werde eine Geldbuße in Höhe von 20.000,00 DM beantragt. Der Kläger hat sich dazu nicht geäußert.

Mit Beschluss vom 24. Februar 1999, mitgeteilt mit Bescheid der Beklagten vom 12. April 1999, setzte der DA antragsgemäß gegen den Kläger eine Geldbuße in Höhe von 20.000,00 DM fest. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger sei auf Grund seiner Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt und verpflichtet gewesen und unterliege auch der Disziplinargewalt der Beklagten. Durch den Widerruf der Ermächtigung habe sich daran nichts geändert, weil Anknüpfungstatsache für die Disziplinargewalt in diesem Fall nicht ein persönlicher Status, sondern allein die Tätigkeit aufgrund der Ermächtigung sei. Der Kläger habe gegen die sich in seinem Fall aus § 32a Satz 1 Ärzte-ZV ergebende Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung gröblich verstoßen. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) habe einen solchen Verstoß in einem Fall angenommen, in dem ein Arzt durch nichtärztliches Personal zwei Drittel seiner Röntgenleistungen in einem Krankenhaus durchführen ließ, während er sich selbst in seinen ca. 200 m entfernten Praxisräumen aufhielt (NZS 1997, 195). Der Kläger sei noch weit weniger erreichbar gewesen. Nach seinem eigenen Vortrag habe er die Praxis manchmal erst nach Arbeits- ende des Personals aufgesucht. Zwei seiner Mitarbeiter hätten gemäß Erklärungen vom 20. November 1998 zum 31. Dezember 1998 gekündigt, da der Kläger in letzter Zeit "niemals zu normalen Arbeitszeiten seine Praxis betreten habe". Damit stehe die Pflichtverletzung außer Zweifel. Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände sei eine Geldbuße von 20.000,00 DM angemessen.

Der Kläger hat gegen diesen Bescheid Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben, diese jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 10. Mai 2001 abgewiesen. Zur Begründung führt es aus, zu Recht habe die Beklagte gegen den Kläger eine Geldbuße in Höhe von 20.000,00 DM festgesetzt. Aufgrund der Schwere der Verstöße gegen die vertragsärztlichen Pflichten und deren Dauer halte auch das Gericht eine Verwarnung oder einen Verweis für nicht ausreichend und die Ausschöpfung des Rahmens der Geldbuße für angebracht. Im Übrigen folge das Gericht der zutreffenden Begründung des angefochtenen Bescheids und nehme hierauf ausdrücklich gemäß § 136 Abs.3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug. Ergänzend sei auszuführen, dass der Disziplinarmaßnahme das Verbot der Doppelbestrafung nicht entgegenstehe, da der Widerruf der Ermächtigung keine Strafe oder eine vergleichbare Ahndung schuldhafter Rechtsverstöße sei, sondern ausschließlich eine Verwaltungsmaßnahme zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung (BSGE 61, 1 ff.). Die Disziplinarmaßnahme sei auch nicht deswegen unzulässig, weil die Ermächtigung bereits mit Bescheid vom 28. Dezember 1998 widerrufen worden sei, denn der dagegen eingelegte Widerspruch habe gemäß § 96 Abs.4 Satz 2 SGB V aufschiebende Wirkung, wobei es gleichgültig sei, ob dieser zulässig oder unzulässig, begründet oder unbegründet sei. Damit habe der Kläger zum Zeitpunkt der Festsetzung der Disziplinarmaßnahme noch eine gültige Ermächtigung zur Teilnahme an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung besessen, die erst mit Ablauf der Befristung zum 30. April 1999 ausgelaufen sei. Die Voraussetzung für die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme sei damit bei Erlass des Disziplinarbescheides noch gegeben gewesen (BSG vom 8. März 2000, Az.: B 6 KA 62/98 R).

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt, diese aber nicht begründet.

Er beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts München vom 18. Mai 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 12. April 1999 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Entscheidungsgründe des klageabweisenden Urteils.

Dem Senat liegen die Verwaltungsakte der Beklagten, die Akte des SG München mit dem Az.: S 22 KA 1144/99 sowie die Berufungsakte mit dem Az.: L 12 KA 150/01 vor, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden, und auf deren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 143 SGG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs.1 SGG) Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage gegen den Disziplinarbescheid der Beklagten vom 12. April 1999 abgewiesen.

Nach § 81 Abs.5 SGB V müssen die Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen die Voraussetzungen und das Verfahren zur Verhängung von Maßnahmen gegen Mitglieder bestimmen, die ihre vertragsärztlichen Pflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllen. Maßnahmen im Sinne dieser Bestimmung sind je nach Schwere der Verfehlung Verwarnung, Verweis, Geldbuße oder die Anordnung des Ruhens der Zulassung oder der vertragsärztlichen Beteiligung bis zu zwei Jahren. Das Höchstmaß der Geldbuße konnte nach § 81 Abs.5 Satz 3 SGB V in der damals geltenden Fassung bis zu 20.000,00 DM betragen. Der Disziplinargewalt der Kassenärztlichen Vereinigung unterliegen gemäß § 95 Abs.4 Satz 3 i.V.m. § 75 Abs.2 Satz 2, § 81 Abs.5 auch ermächtigte Ärzte (vgl. Hess in KassKomm, SGB V, § 81 Rdnr.24). Die Beklagte hat diese gesetzlichen Vorgaben in § 5 ihrer Satzung umgesetzt und insbesondere in § 5 Abs.1 Satz 1 2. Halbsatz ausdrücklich festgestellt, dass auch ermächtigte Ärzte ihrer Disziplinargewalt unterliegen. Die Tatsache, dass der Zulassungsausschuss bereits mit Beschluss vom 9. Dezember 1998, also deutlich vor Erlass des streitgegenständlichen Disziplinarbescheides, die Ermächtigung des Klägers widerrufen hatte, steht der Verhängung der Geldbuße nicht entgegen, denn der Kläger hatte gegen den Widerrufsbescheid Widerspruch eingelegt, der gemäß § 96 Abs.4 Satz 2 SGB V aufschiebende Wirkung hatte, so dass der Widerruf durch den Zulassungsausschuss die Ermächtigung zum damaligen Zeitpunkt nicht zum Erlöschen gebracht hatte. Diese endete vielmehr erst mit Ablauf der im Bescheid vom 14. Mai 1997 ausgesprochenen Befristung zum 30. April 1999. Die zu diesem Zeitpunkt bereits verhängte Geldbuße wurde durch den Ablauf der Ermächtigung nicht obsolet. Vielmehr bleibt eine Geldbuße als disziplinarrechtliche Sanktion anders als etwa eine Verwarnung, wenn sie einmal festgesetzt ist, auch nach Wegfall der Zulassung, hier der Ermächtigung weiter aufrecht erhalten (vgl. BSG in SozR 3-2500 § 81 Nr.6, S.21).

Die ausgesprochene Disziplinarmaßnahme ist auch von der Sache her gerechtfertigt, denn der Kläger hat seine vertragsärztlichen Pflichten verletzt, insbesondere das Gebot der persönlichen Leistungserbringung, das gemäß § 32a Abs.1 Satz 1 Ärzte ZV ausdrücklich auch für ermächtigte Ärzte gilt. Nach den glaubwürdigen Angaben der ehemaligen Laborleiter des Klägers im Verwaltungsverfahren hat dieser mindestens seit Juni 1998 die Praxis tagsüber, während der dort üblichen Arbeitszeiten nicht mehr aufgesucht. Dies wurde vom Kläger selber in seiner Stellungnahme vom 23. Juli 1998 im Wesentlichen bestätigt, wo er ausführt, dass er genetische Beratungen, für die er ausdrücklich ermächtigt war, schon seit längerem nicht mehr ausführe, dass er die Praxis an manchen Tagen erst nach dem Ende der dortigen Arbeitszeit aufgesucht habe und bedingt durch widrige Umstände mehr mit anwaltlichen Dingen belastet gewesen sei. Von der Beklagten auf seine Verpflichtung zur persönlichen Leis- tungserbringung hingewiesen, hat er jegliche Mitarbeit vermissen lassen und sich insbesondere einer persönlichen Aussprache entzogen. Damit steht fest, dass der Kläger die sich aus der Ermächtigung ergebende Verpflichtung zur Erbringung der dort genannten Leis- tungen nicht mehr (im vollem Umfang) erfüllt hat. Lediglich Laborleistungen wurden von der Praxis weiterhin gefertigt, allerdings nicht im Beisein des Klägers. Zwar können Laborleistungen ungeachtet des im Vertragsarztrecht und speziell bei ermächtigten Ärzten (vgl. § 32a Abs.1 Satz 1 Ärzte-ZV) geltenden Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung auf fachlich qualifiziertes Personal delegiert werden. Der Arzt ist jedoch verpflichtet, dieses Personal zu überwachen und für Anfragen zur Verfügung zu stehen (§ 15 Abs.1 Satz 3 BMV-Ä). Diese Überwachungstätigkeit hat der Kläger nach seinen eigenen Angaben nicht persönlich wahrgenommen, sondern auf zwei angestellte Laborleiter (Dipl. Biologen) delegiert. Nach deren Angaben war er für diese während der üblichen Arbeitszeit nicht erreichbar. Allenfalls ein Verkehr per Faxgerät war möglich. Ansonsten beschränkte sich die Tätigkeit des Klägers nach seinen eigenen Angaben auf die Überprüfung und Unterzeichnung der Befunde. Dies wiederum geschah erst abends, nachdem das Personal die Praxis verlassen hatte. Für etwaige Rückfragen oder aktuell zu treffende eilige Entscheidungen stand er nicht zur Verfügung. In diesem Verhalten des Klägers sieht der DA und ihm folgend die Beklagte zu Recht einen Verstoß gegen die prinzipiell auch bei Laborleistungen oder sonstigen technischen Verrichtungen geltende Pflicht der persönlichen Leistungserbringung in der Form der Überwachung und Aufsicht der die Leistungen ausführenden Angestellten. Das LSG NRW hat in seinem vom DA zitierten Urteil (NZS 1997, 195) einen Verstoß gegen den Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung bereits in einem Fall angenommen, wo Röntgenleistungen durch nichtärztliches Personal erbracht wurden und der Arzt sich in seinen ca. 200 m entfernten Praxisräumen aufgehalten hatte, aber fernmündlich jederzeit erreichbar war. Im vorliegenden Fall ist nicht sicher, wo sich der Kläger aufgehalten hat. Nach seinem eigenen Vorbringen ist davon auszugehen, dass er eventuell zu Hause war. Jedenfalls war er nicht einmal fernmündlich erreichbar. Darin ist eine noch schwerwiegendere Verletzung vertragsärztlicher Pflichten zu erblicken, als in dem vom LSG NRW entschiedenen Fall (a.a.O.).

Der DA hat demnach zu Recht ein pflichtwidriges Verhalten des Klägers erkannt, das durch eine Disziplinarmaßnahme geahndet werden kann. Die von ihm gewählte Geldbuße von 20.000,00 DM hält sich im gesetzlich und satzungsgemäß vorgebenen Rahmen. Dem DA steht insoweit ein Ermessen zu, das nicht in erkennbarer Weise überschritten wurde. Zu Recht wertet er es zu Lasten des Klägers, dass dieser sein Verhalten trotz entsprechender Abmahnung durch die Beklagte nicht geändert hat und auch nicht zu einem Gespräch oder zur Zusammenarbeit mit der Beklagten bereit war.

Zusammenfassend kommt der Senat, wie bereits das SG zu dem Ergebnis, dass die von der Beklagten verhängte Geldbuße nicht zu beanstanden ist. Die Berufung war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs.4 SGG in der vor dem 2. Januar 2002 geltenden Fassung.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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