L 11 KA 139/98

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 2 Ka 247/96
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 139/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 12/00 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 18.06.1998 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten auch für das Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung der Nichtigkeit einer Vereinbarung, die er am 14.11.1995 mit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, der AOK Westfalen-Lippe, der Bundesknappschaft, der BKK Hoesch, der IKK Westfalen-Mitte und dem VDAK/AEV geschlossen hat.

Der Kläger ist als Zahnarzt in D ... zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Die am 14.11.1995 geschlossene Vereinbarung hat folgenden Wortlaut:

"1. Herr Zahnarzt H ... und die vorgenannten beteiligten Krankenkassen erkennen alle derzeit noch nicht bestandskräftig gewordenen Honorarkürzungen wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise (Quartale IV/88 bis II/90, IV/91 bis IV/92, II/93 bis IV/93, I/94 bis IV/94) an.

2. Zur Erledigung der noch nicht vorhandenen Prüfverfahren betreffend die Quartale I/95 und II/95 erstattet Herr Zahnarzt H ... einen Betrag in Höhe von 13.000,-- DM.

3. Zur Erledigung des Schlichtungsverfahrens zahlt Herr Zahnarzt H ... einen Betrag in Höhe von 20.000,-- DM.

4. Damit sind alle anhängigen Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren und das Schlichtungsverfahren erledigt. Herr Zahnarzt H ... und die beteiligten Krankenkassen werden etwaig eingelegte Rechtsbehelfe (Klagen und Beschwerden) zurücknehmen."

Mit seiner am 19.12.1996 erhobenen Klage hat der Kläger die Feststellung der Nichtigkeit dieser Vereinbarung verlangt, weil die Beklagten seine finanzielle Notsituation ausgenutzt hätten. Die Beklagte zu 1) habe eine Summe von insgesamt 161.698,52 DM nicht ausbezahlt, obwohl die entsprechenden Honorarkürzungsbescheide zwischenzeitlich aufgehoben gewesen seien. Er habe sich in einer existentiell gefährdenden finanziellen Notlage befunden, zumal seine Zulassung aufgrund einer Disziplinarmaßnahme in der Zeit vom 01.07. bis 31.12.1995 geruht habe. Er sei dringend auf die Auszahlung der sich nach der Verrechnung entsprechend den Nrn. 1 bis 3 der Vereinbarung ergebenden Beträge angewiesen gewesen. Der Vereinbarung hätte es nicht bedurft, wenn die Beklagte zu 1) zumindest den Einbehaltungsbetrag wegen Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren für die Quartale IV/1988 bis II/1990 von 41.698,52 DM ausbezahlt hätte. Die Beklagten hätten sittenwidrig gehandelt, indem sie eine ihnen bekannte und von ihnen herbeigeführte Notlage ausgenutzt und sich übermäßige Vermögensvorteile verschafft hätten, die in keinem Verhältnis zur Sach- und Rechtslage stünden. Der in seiner Praxis beschäftigte Assistent habe keine wesentlichen wirtschaftlichen Leistungen erbracht, so daß die Zahlung eines Betrages von 20.000,-- DM zur Erledigung des Schlichtungsverfahrens grob unangemessen sei. Die Beklagte zu 1) habe im Zulassungsentziehungsverfahren eingeräumt, daß nicht festgestellt worden sei, welche Leistungen an Versicherten der Assistent erbracht habe. Die geltend gemachten Honorarkürzungsbeträge aufgrund Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren hätten nicht bestanden, weil die Prüfverfahren zum Teil erst nach mehr als vier Jahren nach Abrechnung der Leistungen abgeschlossen gewesen seien. Durch die Vereinbarung habe er die Möglichkeit verloren, die Honorarkürzungen gerichtlich überprüfen zu lassen. Die Beklagten hätten aber die Möglichkeit erhalten, ihm in dem Zulassungsverfahren fortgesetzte wirtschaftliche und unwirtschaftliche Behandlungsweise vorzuwerfen.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, daß die Vereinbarung vom 14.11.1995 nichtig ist.

Die Beklagten zu 1 bis 5) haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben die Auffassung vertreten, daß die Vereinbarung wirksam ist und sich dabei auf das Urteil des Senates vom 12.03.1997 bezogen (L 11 KA 162/96).

Mit Urteil vom 18.06.1998 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es liege ein wirksamer Vergleichsvertrag vor. Ein gegenseitiges Nachgeben sei darin zu sehen, daß für das Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren eine pauschale Festsetzung in Höhe von 13.000,- DM erfolgt sei und für das Schlichtungsverfahren eine Festsetzung in Höhe von 20.000,-- DM. Es habe insofern eine erhebliche Unsicherheit bestanden, weil die Ermittlungen zur Tätigkeit des Praxisassistenten nicht abgeschlossen gewesen seien. Die Einbehalte der Beklagten zu 1) seien rechtmäßig und damit auch nicht sittenwidrig gewesen. Ein Anfechtungsgrund bestehe nicht. Da die Aufrechterhaltung der Klage trotz der Entscheidung des LSG vom 12.03.1997 - L 11 Ka 162/96 - und entsprechender Hinweise des Gerichts mutwillig sei, sei der Kläger zur Zahlung von Gerichtskosten in Höhe von 1000,- DM verpflichtet.

Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger im wesentlichen vor, es liege hier kein Vergleichsvertrag vor, weil es am gegenseitigen Nachgeben fehle. Er habe vielmehr einseitig auf die weitere Beanstandung der Honorarkürzungen verzichtet. Für die Quartale IV/1988 bis II/1990 habe es keine Bescheide gegeben, weil der Kürzungsbescheid vom Sozialgericht aufgehoben und die Sache danach noch nicht erneut verhandelt worden sei. Das Sozialgericht habe aber klargemacht, daß ein höherer Betrag als 41.648,52 DM nicht hätte festgesetzt werden dürfen. Schließlich sei auch überhaupt nicht nachvollziehbar, warum aufgrund des Schlichtungsverfahrens 20.000,-- DM von ihm gezahlt werden sollten. Es habe sich im Schlichtungsverfahren herausgestellt, daß keine ungenehmigte Assistententätigkeit vorgelegen habe. Das habe auch die KZVWL im Entzugsverfahren eingeräumt. Zu dem Vertragsschluß sei es nur deshalb gekommen, weil man ihm zugesagt habe, daß der Abschluß der Vereinbarung sich positiv auf das Entzugsverfahren auswirken werde. Der Vorsitzende des Schlichtungsausschusses, Herr Dr. W., habe die Sitzung unterbrochen und ihn eindringlich darauf hingewiesen, daß der Abschluß der Vereinbarung Voraussetzung für einen positiven Abschluß des Entzugsverfahrens sei. In der Sitzung des Zulassungsausschusses am nächsten Tag habe man den Entzugsantrag dann aber treuwidrig auch auf die Vereinbarung vom Vortrag und damit anerkannte fortgesetzte Unwirtschaftlichkeit gestützt. Die Kassen und die KZVWL hätten sittenwidrig eine wirtschaftliche Zwangslage ausgenutzt, die durch die rechtswidrigen Honorareinbehalte von 161.000,-- DM herbeigeführt worden sei.

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger die Klage gegen die Beklagten zu 3) und 4) zurückgenommen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 18.06.1998 abzuändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.

Die Beklagten zu 1), 2) und 5) beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten, die beigezogene Akte L 11 KA 162/96 und die Verwaltungsakten der Beklagten zu 1) verwiesen. Deren Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Die am 14.11.1995 getroffene Vereinbarung ist wirksam. Das Sozialgericht hat zutreffend ausgeführt, daß es sich bei der Vereinbarung um einen Vergleichsvertrag im Sinne von § 54 SGB X handelt. Es wurde durch diesen Vertrag eine bestehende Ungewißheit durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt. Dabei muß die Vereinbarung als Ganzes betrachtet werden. Ein gleichgewichtiges Nachgeben der Beteiligten ist nicht erforderlich. Der Kläger hat hier darauf verzichtet, die angefochtenen Honorarkürzungen aufgrund unwirtschaftlicher Behandlungsweise weiterhin zu beanstanden. Dabei war über die Quartale III/1990 bis III/1991 bereits bestandkräftig entschieden. Beim Beschwerdeausschuß anhängig waren die Quartale II/1993 bis IV/1994 und vor dem Sozialgericht waren die Quartale IV/1991 bis IV/1992 im Streit. Über Kürzungsmaßnahmen in den Quartalen IV/1988 bis II/1990 hatte der Beschwerdeausschuß am 08.11.1995 erneut entschieden. Seitens der Kassen und der KZVWL erfolgte ein Nachgeben insbesondere im Hinblick auf die Quartale I und II/1995, die noch nicht vom Prüfungsausschuß verhandelt worden waren. Für diese Quartale wurde pauschal die Summe von 13.000,-- DM festgesetzt. Auch der Abschluß des Schlichtungsverfahrens mit einer Zahlung von 20.000,-- DM stellt ein gegenseitiges Nachgeben dar. Entgegen der Auffassung des Klägers hatten die Ermittlungen keinesfalls ergeben, daß keine ungenehmigte Assistententätigkeit vorlag. Zwar hatten einige Patienten ihre Aussagen, daß sie nicht von ihm, sondern von seinem Neffen behandelt worden waren, widerrufen. Es lagen aber noch weitere Patientenaussagen vor, die den Kläger belasteten. Auch die übereinstimmenden Angaben des Klägers selbst und seines Neffen in dessen Zulassungsverfahren, wonach der Neffe in der Zeit vom 25.08.1994 bis zum 25.02.1995 bei dem Kläger beschäftigt war, sprachen deutlich für eine ungenehmigte Assistententätigkeit. Angesichts des Standes der Ermittlungen ist nachvollziehbar, daß es für den Kläger von Vorteil war, auf eine weitere Aufklärung des Sachverhaltes zu verzichten. Nach dem Protokoll der Sitzung des Zulassungsausschusses vom 15.11.1995 hat die KZVWL im Entzugsverfahren auch nicht angegeben, daß die Beschäftigung eines ungenehmigten Assistenten nicht erfolgt sei, sie hat vielmehr lediglich erklärt, daß eine Assistententätigkeit bisher nicht zweifelsfrei bestätigt worden sei. Die Höhe der zur Beendigung des Verfahrens gezahlten Summe ist keinesfalls, wie der Kläger meint, "abenteuerlich". Sie betrug bei ungeklärtem Umfang der ungenehmigten Tätigkeit des Neffen 50 % der Honorarforderung für die Dauer der Beschäftigung und insgesamt nur etwa ein Drittel der Honorarforderungen für die Quartale III/1994 bis I/1995. Schließlich hätte die Einbehaltung durch eine Bankbürgschaft abgewendet werden können.

Die Voraussetzungen für eine Nichtigkeit der Vereinbarung nach § 58 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit § 138 des Bürgerlichen Gesetzbuches liegen nicht vor. Der Senat hat bereits im Urteil vom 12.03.1997 - L 11 KA 163/96 - entschieden, daß die Einbehaltungen der KZV nicht zu beanstanden waren und daß bereits aus diesem Grunde eine sittenwidrige Herbeiführung und Ausnutzung einer wirtschaftlichen Notlage nicht in Betracht kommen konnte. Sie beruhten, soweit sie zur Sicherung der von den Krankenkassen angemeldeten Erstattungsansprüche vorgenommen wurden, auf den nicht zu beanstandenden Satzungsbestimmungen der Beklagten zu 1). Hinsichtlich der weiteren, auf Wirtschaftlichkeitsprüfungsmaßnahmen beruhenden Honorareinbehalte ist erneut darauf hinzuweisen, daß die vierjährige Ausschlußfrist, nach deren Ablauf Prüfmaßnahmen nicht mehr erfolgen können, hier schon deshalb nicht von Bedeutung ist, weil die Prüfverfahren bereit zuvor eingeleitet und entsprechende Honorarkürzungen festgesetzt waren. Der Kläger verkennt im übrigen, daß sein eigenes Fehlverhalten zu den Einbehaltungen und zum Ruhen der Zulassung ab dem 01.07.1995 geführt hat.

Soweit der Kläger meint, es sei die Vereinbarung in sittenwidriger Weise verknüpft worden mit dem Entzugsverfahren, ist darauf hinzuweisen, daß zum einen objektiv die Anerkennung der Kürzungen im Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren sowie die Frage des ungenehmigten Assistenten nicht ohne Bedeutung für das Entzugsverfahren waren. Wenn der Vorsitzende des Schlichtungsausschusses auf den Kläger eingewirkt hat, die Vereinbarung abzuschließen, widersprach dies den Interessen des Klägers nicht. Dementsprechend hat die Beklagte zu 1) den Abschluß der Vereinbarung am Folgetag zugunsten des Klägers ins Feld geführt. Allein im Hinblick auf das am Tag zuvor abgegebene Anerkenntnis vertagte der Zulassungsausschuß schließlich seine Entscheidung. Der Rat von Dr. W ... erwies sich damit als durchaus zutreffend. Es kommt hinzu, daß über den Entzugsantrag der Zulassungsausschuß und damit ein gänzlich anderes Gremium als im Schlichtungsverfahren zu entscheiden hatte. Da die Vereinbarung dementsprechend keinerlei Äußerung zum Entzugsverfahren enthält, ist es auch nicht treuwidrig, daß der Entzugsantrag weiterhin auf die seit 1983 fortgesetzte Unwirtschaftlichkeit gestützt wurde. Die Kassen haben ausweislich des Protokolls vom 15.11.1995 die Vereinbarung vom Vortag nicht gegen den Kläger verwendet, sie haben seinem Entgegenkommen lediglich keine so große Bedeutung beigemessen, daß dadurch die bisher bestehenden Vorwürfe ausräumt würden.

Zutreffend hat das Sozialgericht auch eine Nichtigkeit der Vereinbarung nach § 58 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 142 BGB verneint. Durch greifende Anfechtungsgründe hat der Kläger auch in diesem Verfahren nicht vorgetragen. Er befand sich nach seinem Vortrag allenfalls in einem unbeachtlichen Motivirrtum hinsichtlich der Bedeutung der Vereinbarung vom 14.11.1995 für das Zulassungsentziehungsverfahren.

Nichtigkeitsgründe gemäß § 58 Abs. 2 SGB X sind nicht ersichtlich. Ein Verwaltungsakt mit dem Inhalt der Vereinbarung wäre weder nichtig noch rechtswidrig gewesen. Wie bereits dargelegt, lagen die Voraussetzungen für einen Vergleichsvertrag vor, und der Kläger wurde nicht zu einer unzulässigen Gegenleistung veranlaßt.

Die Auferlegung von Mutwillenskosten durch das Sozialgericht gemäß § 192 SGG ist ebenfalls weder dem Grunde noch der Höhe nach zu beanstanden. Die Rechtsverfolgung war objektiv eindeutig aussichtslos. Der Kläger verfügte auch über die erforderliche Einsichtsfähigkeit, um sich den Ausführungen des Senats im Urteil vom 12.03.1997 und den Erläuterungen des Sozialgerichts nicht zu verschließen. Der Senat hat davon abgesehen, dem Kläger Gerichtskosten auch für das Berufungsverfahren aufzuerlegen, obwohl das Weiterbetreiben des Rechtsstreits nur als mutwillig bezeichnet werden kann.

Die Entscheidung hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

Ein Anlaß, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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