L 11 KA 10/99

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 14 KA 96/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 10/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 19.11.1998 wird zurückgewiesen. Die Kläger haben die außergerichtlichen Kosten der Beklagten auch im Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Honorarberechnung für die Quartale IV/1996 und II/1997.

Die Kläger sind als Ärzte für Allgemeinmedizin bzw. Innere Medizin und in H ... niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

In den Honorarbescheiden für die Quartale IV/1996 und II/1997 legte die Beklagte für die Berechnung der Ordinationsgebühr sowie der Laborpauschale bei Versicherten, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, allein den von den Krankenkassen vergebenen Versicherungsstatus zugrunde. Dies führte dazu, dass für Versicherte, die älter als 65 Jahre alt sind und eine Rente beziehen, dann nicht die (höhere) Punktzahl für Rentner zugrunde gelegt wurde, wenn diese Patienten freiwillig Versicherte waren. Ein Ansatz der (höheren) Punktzahl für Rentner erfolgte nur dann, wenn die Patienten als Rentner in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) pflichtversichert waren.

Mit ihren Widersprüchen trugen die Kläger vor, diese Verfahrensweise führe zu einer erheblichen finanziellen Benachteiligung, da eine nicht unerhebliche Patientenzahl trotz Rentenbezuges nicht pflicht-, sondern freiwillig versichert sei. Die Beklagte wies die Widersprüche mit Bescheid vom 11.02.1998 mit der Begründung zurück, das Gesetz sehe bei der Gruppe der freiwillig Versicherten keine weitere Unterscheidung vor; für die Kassenärztlichen Vereinigungen bestehe somit auch keine Verpflichtung, eine von den Angaben der Krankenkassen zum Versicherungsstatus abweichende Differenzierung vorzunehmen.

Mit ihrer Klage haben die Kläger geltend gemacht, bei der Honorarverteilung sei die Beklagte verpflichtet, die Vorschriften des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) in Verbindung mit § 87 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) anzuwenden. Der EBM sehe differenzierte Punktzahlen bei der Ordinationsgebühr und der Laborpauschale für Mitglieder und Familienversicherte (M/F) und Rentner (R) vor. Das Gebot der Verteilungsgerechtigkeit erfordere eine entsprechende Differenzierung, da bei der Behandlung älterer Patienten höhere Behandlungskosten entstünden. Dies könne nicht durch eine Anknüpfung an den formellen Versicherungsstatus erfolgen. Entscheidend für den Behandlungsaufwand sei vielmehr allein das Lebensalter. Daher müsse für alle Patienten, die das 65. Lebensjahr vollendet hätten, eine Einstufung als Rentner erfolgen, damit die Beklagte eine entsprechende Honorarberechnung vornehmen könne.

Die Kläger haben beantragt,

die Honorarbescheide der Beklagten für die Quartale IV/1996 und II/1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.02.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, alle Patienten der Kläger, die freiwillig versichert sind und das 65. Lebensjahr überschritten haben, bei der Honorierung der Laborpauschale und der Ordinationsgebühr mit der Fallpunktzahl der Rentner zu berücksichtigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, ihre Bescheide seien rechtmäßig.

Mit Urteil vom 19.11.1998 hat das Sozialgericht Dortmund die Klage abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe die entsprechenden Vorschriften des EBM rechtmäßig angewandt; im übrigen habe der Bewertungsausschuß von dem ihm zustehenden Gestaltungsspielraum rechtmäßig Gebrauch gemacht.

Mit der Berufung wiederholen die Kläger ihren Vortrag aus dem Klageverfahren und legen im übrigen dar, dass in den streitigen Quartalen die Ordinationsgebühr in 57 Fällen unzutreffend vergütet worden sei; eine fehlerhafte Abrechnung hinsichtlich der Laborpauschale sei in 21 Fällen vorgenommen worden. Im übrigen weisen die Kläger darauf hin, dass eine Mitgliedschaft in der KVdR aufgrund gesetzgeberischer Aktivitäten nunmehr nur unter erschwerten Voraussetzungen möglich sei.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 19.11.1998 abzuändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Der Senat hat eine Auskunft vom Bewertungsausschuß der Ärzte und Krankenkassen eingeholt.

Die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Auf den Inhalt die ser Akten und den der Streitakten wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Kläger ist zulässig, aber unbegründet.

Das Sozialgericht hat zutreffend festgestellt, daß die angefochtenen Bescheide nicht rechtswidrig sind.

Die Beklagte hat bei der Honorarberechnung in den streitigen Quartalen die Regelungen des EBM zutreffend angewandt. Die Bestimmungen im EBM hinsichtlich der Fallpunktzahlen bei der Ordinationsgebühr sowie bei der Laborpauschale verstoßen weder gegen § 87 SGB V noch gegen das aus Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) folgende Gebot der Verteilungsgerechtigkeit.

Umfang und Grenzen der Gestaltungsmöglichkeiten des Bewertungsausschusses bei der Aufstellung des EBM ergeben sich einerseits aus den inhaltlichen Vorgaben und Zielsetzungen in § 87 Abs. 2 SGB V und zum anderen aus der Funktion des EBM innerhalb des vertragsärztlichen Vergütungssystems. Nach § 87 Abs. 2 Satz 1 SGB V hat der Bewertungsmaßstab den Inhalt der abrechnungsfähigen Leistungen und ihr wertmäßiges Verhältnis zueinander festzulegen. Dabei sollen die Leistungsbeschreibungen und -bewertungen, wie sich aus § 87 Abs. 2 Satz 2 SGB V ergibt, dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik sowie dem Erfordernis der Rationalisierung im Rahmen wirtschaftlicher Leistungserbringung Rechnung tragen und in regelmäßigen Zeitabständen entsprechend überprüft und angepaßt werden. Die Bedeutung des EBM beschränkt sich aber nicht auf die Funktion eines bloßen Leistungs- und Bewertungsverzeichnisses. Der Bewertungsmaßstab ist vielmehr Teil eines aus mehreren Elementen bestehenden Vergütungssystems. Die vertraglichen Vereinbarungen über die Gesamtvergütung, der EBM und die Regelungen in den Honorarverteilungsmaßstäben müssen so ineinander greifen, daß die Honorierung der vertragsärztlichen Leistungen einerseits eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter bestehenden Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse ermöglicht und andererseits den Vertragsärzten eine angemessene Vergütung sichert (BSG, Urteil vom 20.03.1996 - 6 RKa 51/95). Es wird den zur Normsetzung befugten Körperschaften aber nicht verwehrt, im Interesse der Überschaubarkeit und Praktikabilität einer Regelung zu verallgemeinern, zu typisieren und zu pauschalieren. Der Gleichheitssatz läßt dem Normgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Ob er jeweils die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung gefunden hat, ist vom Gericht nicht nachzuprüfen. Ein Verfassungsverstoß liegt erst dann vor, wenn die Ungleichheit in dem jeweils in Betracht kommenden Zusammenhang so bedeutsam ist, daß ihre Beachtung nach einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise geboten erscheint (BVerfGE 60, 113, 119; 67, 70, 85 f.). Dabei kann es bei komplexen Sachverhalten vertretbar sein, daß dem Normgeber zu nächst eine angemessene Zeit zur Sammlung von Erfahrungen eingeräumt wird und er sich in diesem Anfangsstadium auch mit gröberen Typisierungen und Generalisierungen begnügen darf, die unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität namentlich deshalb gerechtfertigt sein können, weil eine Verfeinerung die Gefahr mangelnder Wirksamkeit mit sich bringen kann (BVerfGE 33, 171, 189; BSG Urteil vom 29.03.1993 - 6 RKa 65/91 -).

Unter Beachtung dieser durch die Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze ist die Honorarberechnung zumindest in den streitigen Quartalen als rechtmäßig anzusehen. Denn wie sich aus der Auskunft des Bewertungsausschusses ergibt, werden alle Arztgruppen gleichbehandelt, da bei allen Arztgruppen gerade hinsichtlich der Ordinationsgebühr und der Laborpauschale eine gleichartige Versichertenstruktur festzustellen ist. Zwar wird bei freiwillig versicherten Rentnern häufig - wie die Kläger vorgetragen haben - eine mit höheren Aufwendungen verbundene Behandlung erforderlich sein, jedoch ist im Rahmen der zulässigen Pauschalierung und Typisierung von EBM-Bestimmungen auch zu berücksichtigen, daß auch jüngere Versicherte (z.B. Bezieher einer Waisenrente) den Versichertenstatus "R" haben können, obwohl aufgrund des Lebensalters gerade kein höherer Behandlungsbedarf besteht.

Entscheidend für die Rechtmäßigkeit der streitigen EBM-Regelung ist aber, dass man bei der Schaffung dieser EBM-Bestimmungen auf Fallzahlen getrennt nach M/F und R-Versicherten zurückgegriffen hat, die sich aus der Erfassung der Fälle in den Vorquartalen (im wesentlichen aus 1992) ergeben haben. Da aber in den relevanten Vorquartalen eine hinsichtlich des Versichertenstatus vergleichbare Situation bestanden hat, ist die von den Klägern gerügte (vermeintliche) Ungleichbehandlung bereits dadurch abgemildert worden, dass der für freiwillig versicherte Rentner (mit Versichertenstatus M) erforderliche Behandlungsumfang zu einer Erhöhung der Fallpunktzahl für Versicherte mit dem Status M/F geführt hat. Da diese Gruppe anzahlmäßig die der Versicherten mit dem Status R überwiegt, liegt darin ein Ausgleich, der im Rahmen der Pauschalierung und Typisierung als ausreichend angesehen werden muß. Letztlich ist auch zu berücksichtigen, dass dem Bewertungsausschuß andere Daten bei der Neufassung auch nicht zur Verfügung standen.

Der Senat läßt offen, ob auch für künftige Quartale diese EBM-Vorschriften noch den obengenannten Anforderungen entsprechen, denn der Normgeber kann sich zwar im Anfangsstadium auch mit größeren Typisierungen und Generalisierungen begnügen (BSG a.a.O.). jedoch obliegt ihm eine Beobachtungspflicht. Diese führt dazu, dass insbesondere die durch das Gesundheitsstrukturgesetz ab 1993 eingeführte zusätzliche Zugangsvoraussetzung bei der Mitgliedschaft in der KVdR (vgl. insoweit Art. 56 Abs. 2 GRG) bewirken kann, dass die Anzahl der Rentenbezieher, die nicht pflichtversichert sind, im Verhältnis zum Jahre 1992 deutlich ansteigt.

Die Kostenentscheidung erfolgt aus §§ 183 und 193 SGG.

Anlaß, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved