L 17 U 258/95

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 U 141/94
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 258/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 23/98 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 31.05.1995 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die am 1936 geborene Klägerin war seit 1976 als Montiererin bei der Fa. K. (S.) mit dem Montieren von mit Petroleum eingeölten Kugellagern beschäftigt. Durch den Kontakt mit Petroleum wurde ein toxisches Kontaktekzem verursacht und Tätigkeiten mit Hautkontakt zu Petroleum sollten vermieden werden (Gutachten des Prof.Dr.H. , E. vom 13.03.1992). Ab Mai 1991 erfolgten innerbetriebliche Umsetzungen. Die Klägerin arbeitete in der Verpackung, im Flanschlager, im Magazin und in der Schleiferei. Über den Zeitpunkt der Beendigung einer hautgefährdenden Tätigkeit liegen widersprüchliche Angaben des Arbeitgebers - (Schreiben vom 20.01.1993: Beendigung 09.09.1991, Auskunft vom 01.09.1997: Beendigung 06.05.1992) - sowie der Klägerin - (Schreiben vom 06.12.1995: Beendigung 11.05.1991, Telefongespräch vom 23.06.1993: 21.08.1992, heutige mündliche Verhandlung: April 1992) - vor. Ab 22.08.1992 befand sich die Klägerin im Urlaub und am 31.08.1992 schied sie aus dem Betrieb aus. Der Arbeitgeber hatte der Klägerin unter dem Datum "15.06.1992" einen Aufhebungsvertrag vorgelegt, wonach das Arbeitsverhältnis aus gesundheitlichen und betrieblichen Gründen im beiderseitigen Einvernehmen gelöst werden und sie als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung in Höhe von 52.000,00 DM brutto erhalten sollte. Aus dem Protokoll eines Beratungsgesprächs vom 14.07.1992 ergibt sich, daß die Klägerin der Möglichkeit, den Betrieb unter Gewährung einer Ausgleichszahlung zu verlassen, ablehnend gegenüberstand. Bei dem Beratungsgespräch wurde davon ausgegangen, daß Tätigkeiten mit Petroleum zu vermeiden seien und dies nur - da andere Einsatzmöglichkeiten aus vielschichtigen Gründen nicht in Frage kommen - durch ein Ausscheiden erreicht werden könne.

Die Beklagte, die lt. Schreiben an die Klägerin vom 29.07.1992 bereit war, ihr nach Aufgabe der hautgefährdenden Tätigkeiten Übergangsleistungen gemäß § 3 Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) zu gewähren, stellte mit Bescheid vom 21.01.1994 fest, daß für die Zeit vom 22.08.1992 bis 21.08.1993 keine Übergangsleistung gewährt werden könne. Die vom Arbeitgeber gewährte Abfindung sei bei der Errechnung eines eingetretenen Minderverdienstes zu berücksichtigen. Sie sei in dem Jahr zuzurechnen, in dem der Betrag ausgezahlt werde. Dementsprechend sei im ersten Jahr nach Aufgabe der gefährdenen Tätigkeit kein tatsächlicher Minderverdienst eingetreten.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, ihr sei trotz der Abfindung durch die Aufgabe der Tätigkeit ein Minderverdienst von 20 % entstanden. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Bescheid vom 05.05.1994).

Gegen den Bescheid vom 21.01.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.05.1994 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg erhoben und beantragt, die Beklagte zu verpflichten, eine Neuberechnung der Übergangsleistungen ohne Anrechnung der Abfindung durchzuführen. Mit Urteil vom 31.05.1995 hat das SG die Beklagte verpflichtet, Übergangsleistungen ohne Anrechnung der Abfindung zu gewähren. Es bestehe kein wesentlicher innerer Zusammenhang zwischen der Abfindung und der berufsbedingten Arbeitsaufgabe, denn diese sei am 09.09.1991 erfolgt. Die Klägerin sei aber nicht zu diesem Zeitpunkt ausgeschieden, sondern erst zum 31.08.1992 aufgrund anderweitiger Erkrankungen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt und vorgetragen, das Ausscheiden der Klägerin zum 31.08.1992 sei rechtlich wesentlich wegen der hautgefährdenden Tätigkeit erfolgt. Die Klägerin habe bis zu ihrem Ausscheiden Kontakt mit Petroleum gehabt. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Protokoll des Beratungsgespräches vom 14.07.1992. Die gewährte Abfindung stehe daher in einem inneren Zusammenhang mit dem Ausscheiden und sei auf den Anspruch auf Übergangsleistungen im Rahmen des Vorteilsausgleichs anzurechnen. Die Klägerin hat vorgetragen, nach Beendigung ihrer Tätigkeit als Montiererin sei sie auf den Umsetzungsarbeitsplätzen durch anderweitige Erkrankungen wie Bandscheibenprobleme und Depressionen stark eingeschränkt gewesen, so daß das Arbeitsverhältnis aus diesen gesundheitlichen Gründen beendet worden sei.

Der Senat hat die Klägerin angehört und den Zeugen A. E. (Personalabteilung der Fa. K.) uneidlich einvernommen. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift hingewiesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 31.05.1995 aufzuheben sowie die Klage gegen den Bescheid vom 21.01.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.05.1994 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 31.05.1995 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird ergänzend auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Das Urteil des SG ist im Ergebnis zu bestätigen.

Die Klägerin hat auch für die Zeit vom 22.08.1992 bis 21.08.1993 einen Anspruch auf Übergangsleistungen gemäß § 3 BKVO. Die ihr in dieser Zeit zugeflossene Abfindung des Arbeitgebers ist bei der Ermittlung des Minderverdienstes nicht anzurechnen.

Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BKVO hat der Träger der Unfallversicherung einem Versicherten zum Ausgleich der durch Aufgabe einer gefährdenden Tätigkeit verursachten Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile eine Übergangsleistung zu gewähren. Bei der Berechnung der Übergangsleistung sind u.U. auch wirtschaftliche Vorteile zu berücksichtigen. Allerdings darf der Versicherungsträger nur solche wirtschaftlichen Vorteile schadensmindernd heranziehen, die durch die erzwungene Tätigkeitsaufgabe verursacht worden sind (BSG, Urteil vom 10.03.1994 - SozR 3-5670 § 3 Nr. 1; Benz in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band II, § 47 RdNr. 132). So wie im Schadensersatzrecht des Bürgerlichen Rechts zum Vorteilsausgleich ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen schädigendem Ereignis und dem Vorteil gefordert wird, können auch bei der Berechnung der Übergangsleistung den auf der Berufskrankheit beruhenden Nachteilen nur solche Vorteile gegenüber- gestellt werden, die ihrerseits in einem wesentlichen inneren Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis - der berufskrankheitsbedingten Arbeitsaufgabe - stehen (BSG, Urteil vom 10.03.1994, a.a.O.). An die Stelle der im Zivilrecht herrschenden Lehre der Adäquanz tritt demnach im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung die Lehre von der wesentlichen Bedingung (vgl. Benz, BG 1996, 496, 499). Die Beantwortung der Frage, ob der Vorteil rechtlich wesentlich mit dem schädigenden Ereignis zusammenhängt, erfordert eine differenzierende rechtliche Wertung unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Norm (Benz a.a.O. m. Hinw. auf Geigel, Der Haftpflichtprozeß, 21. Aufl., 9. Kap. RdNr. 1).

Ein derartiger rechtlich wesentlicher Zusammenhang besteht nach Überzeugung des Senats zwischen der gezahlten Abfindung und der berufskrankheitbedingten Arbeitsaufgabe nicht.

Der Senat geht im Gegensatz zum SG davon aus, daß die Klägerin aus berufskrankheitsbedingten Gründen aus dem Arbeitsleben ausgeschieden ist. Sie litt unstreitig an einer beruflich bedingten Hautkrankheit, einem toxischen Kontaktekzem und mußte den Kontakt mit Petroleum vermeiden (Gutachten des Prof. Dr.H. vom 13.03.1992). Deshalb erfolgten ab Mai 1991 innerbetriebliche Umsetzungen wie in die Verpackung, das Flanschlager, ins Magazin, an den Computer und in die Schleiferei. Diese verschiedenen Tätigkeiten konnte die Klägerin nicht verrichten, sei es, weil es wiederum zu Kontakt mit Petroleum kam, sei es weil andere gesundheitliche Einschränkungen seitens der Bandscheibe oder aufgrund einer Depression vorlagen oder die nötigen Kenntnisse fehlten, so daß letztlich nur das Ausscheiden aus dem Betrieb übrig blieb. Auf den genauen Zeitpunkt der letzten hautgefährdenden Tätigkeit kommt es daher nicht entscheidend an. Auch geht die Beklagte selbst davon aus, daß die Klägerin einen Anspruch gemäß § 3 BKVO hat und hat dementsprechend auch Übergangsleistungen gewährt.

Die berufskrankheitsbedingte Arbeitsaufgabe war jedoch nicht die Ursache für die vom Arbeitgeber gewährte Abfindung. Der Arbeitgeber hatte sich nämlich mit dem der Klägerin angebotenen Aufhebungsvertrag vom 15.06.1992 bereit erklärt, das Arbeitsverhältnis aus gesundheitlichen und betriebsbedingten Gründen im beiderseitigen Einvernehmen zu lösen. Zu diesem Zeitpunkt stand noch nicht fest, ob tatsächlich eine berufskrankheitsbedingte Tätigkeitsaufgabe notwendig werden würde oder ob die Klägerin durch weitere Umsetzungen im Betrieb hätte gehalten werden können oder ob andere - nicht berufskrankheitsbedingte - Erkrankungen ein Ausscheiden notwendig machen würden. Die Feststellung des Ausscheidens wurde erst im Beratungsgespräch am 14.07.1992 getroffen. Aus der Formulierung und Datierung des Aufhebungsvertrages vom 15.06.1992 ergibt sich somit zur Überzeugung des Senats, daß der Arbeitgeber bei der Gewährung einer Abfindung nicht notwendigerweise auf ein berufskrankheitsbedingtes Ausscheiden abstellte. Diese Auffassung wird unterstrichen durch die Angaben des Zeugen A. E. , wonach in der Fa. K. normalerweise Arbeitnehmer, die längere Zeit in der Firma waren und sich nichts zuschulden haben kommen lassen, eine Abfindung bekommen. Gründe für eine Abfindung können auch das Vermeiden eines Arbeitsgerichtsprozesses bei Arbeitnehmern in unkündbarer Stellung oder der notwendige Personalabbau in schwieriger Wirtschaftslage sein. Beides trifft auf die Klägerin zu. Sie hätte wegen ihrer Erkrankung nicht zwingend zum 31.08.1992 aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden müssen, sondern auch zunächst Zeiten der Arbeitsunfähigkeit in Anspruch nehmen können und es auf eine personenbedingte Arbeitgeberkündigung ankommen lassen können (vgl. zur Kündigung wegen Krankheit: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Aufl., § 129 II. 8). Auch trifft es zu - wie der Zeuge A. E. bekundet - daß insbesondere 1991/92 aufgrund der schwierigen Wirtschaftslage bei der Fa. K. vermehrt Abfindungen gezahlt wurden, da ein erhebliches Interesse an einem Personalabbau bestand.

Wesentliche Ursache für die gewährte Abfindung war somit das Bestreben der Beteiligten, Auseinandersetzungen zu vermeiden und im Hinblick auf die lange Betriebszugehörigkeit der Klägerin und den wirtschaftlich notwendigen Personalabbau zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Deshalb hat der Arbeitgeber am 15.06.1992 der Klägerin eine Abfindung angeboten und sie hat sich nach dem Beratungsgespräch vom 14.07.1992 bereit erklärt, tatsächlich zum 31.08.1992 auszuscheiden. Die Tatsache, daß die Klägerin berufskrankheitsbedingt ausscheiden mußte, tritt in ihrer Bedeutung für die gezahlte Abfindung hinter den die Abfindung auslösenden erwähnten Gesichtspunkten zurück.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat läßt die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu, da die im Urteil des Bundessozialgerichts vom 10.03.1994 offengelassene entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob Arbeitgeberabfindungen bei einer Übergangsleistung nach § 3 Abs. 2 BKVO anzurechnen sind, klärungsbedürftig ist.
Rechtskraft
Aus
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