L 2 U 278/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 13 U 150/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 278/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 31.05.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am ...1945 geborene Kläger stürzte am 20.02.1997 mit einer Leiter und fiel auf die linke Körperseite.

Die Durchgangsärzte, der Chirurg Dr.B ... und der Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr.K ..., diagnostizierten eine Beckenfraktur und eine nicht dislozierte Kieferhöhlenfraktur. Vom 20.02. bis 27.03.1997 wurde der Kläger im Kreiskrankenhaus M ... behandelt. Dr.B ... stellte im Abschlussbericht die Diagnosen: Acetabulumfraktur linke Hüfte, Sitzbeinfraktur links, Fraktur rechte Kieferhöhle. Bei Entlassung habe annähernde subjektive Beschwerdefreiheit bestanden.

Vom 28.04. bis 07.05.1997 wurde der Kläger im Klinikum L ... von dem Orthopäden Prof.Dr.Ka ... stationär behandelt. Die Diagnose lautete: Großer Supraspinatussehnendefekt bei traumatischer Ruptur linke Schulter. Die Kernspintomographie zeigte eine komplette breitflächige Ruptur der Supraspinatussehne mit deutlicher Muskelretraktion. Im Bericht vom 10.07.1997 führte Prof.Dr.Ka ... aus, am 29.04.1997 sei eine diagnostische Arthroskopie der linken Schulter durchgeführt worden. Dabei habe sich der ausgeprägte Defekt im Bereich der Supraspinatussehne bestätigt.

Am 30.07.1997 schilderte der Kläger den Unfallhergang: Beim Besteigen der Leiter von oben sei die gesamte Leiter abgebrochen. Ab diesem Zeitpunkt könne er sich an nichts mehr erinnern. Er sei bewusstlos gewesen, seine Arbeitskollegen hätten ihn, als er aus der Bewusstlosigkeit erwacht sei, nach Hause gebracht. Von dort sei er ins Krankenhaus gebracht worden.

Vom 31.07. bis 23.08.1997 wurde der Kläger in der Unfallklinik M ... wegen eines partiellen Rotatorenmanschettendefekts und Schulterteilsteife links stationär behandelt. Die diagnostische Schulterarthroskopie vom 01.08.1997 zeigte einen großen degenerativen Defekt im Bereich der Rotatorenmanschette und im Bereich des kaudalen Anteiles des Labrums degenerative Veränderungen.

Im Gutachten vom 15.09.1997 führten die Chirurgen Prof.Dr.Bü ... und Prof.Dr.H ... aus, im Durchgangsarztbericht werde eine krankhafte Veränderung der linken Schulter nicht beschrieben, auch nicht im Entlassungsbericht. Erst im Krankenhaus L ... sei ein degenerativer Rotatorendefekt behandelt worden. Dagegen zeigten die Röntgenaufnahmen vom Unfalltag erhebliche Verschleißerscheinungen der linken Schulter. Der degenerative Rotatorendefekt sei auf diese Verschleißerscheinungen zurückzuführen. Aus den Unterlagen der AOK ergebe sich, dass eine Periarthritis humero-scapularis an der rechten Schulter behandelt worden sei. Folgen des Unfalles vom 20.02.1997 lägen ab Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit am 01.09.1997 nicht mehr vor, eine MdE sei nicht gegeben.

Der Radiologe Dr.E ... führte im Gutachten vom 29.01.1998 aus, am Unterkiefer bestehe ein regelrechter knöcherner Status. Der Kieferchirurg Dr.T ... erklärte im Gutachten vom 28.01.1998, es zeige sich ein normales Bewegungsausmaß der Unterkiefergelenksfortsätze. Die Kieferbeziehung sei normal. Unfallfolgen auf kieferchirurgischem Gebiet lägen nicht vor.

Mit Bescheid vom 04.03.1998 lehnte die Beklagte die Gewährung von Verletztengeld über den 31.08.1997 hinaus und eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Die weitere Arbeitsunfähigkeit sei auf einen unfallunabhängigen Rotatorenmanschettendefekt an der linken Schulter zurückzuführen.

Mit Widerspruch vom 16.03.1998 wandte der Kläger ein, er befinde sich nach wie vor in ärztlicher Behandlung, so bei dem Orthopäden Dr.Sp ... und bei dem Kieferchirurgen Dr.U ... Zu Unrecht sei der Rotatorenmanschettendefekt nicht als Unfallfolge anerkannt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.05.1998 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Mit der Klage vom 24.06.1998 hat der Kläger eingewandt, die Beklagte habe zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass er nach wie vor an starken Beschwerden im Rücken und an der Hüfte leide. Er könne nach wie vor den Kiefer nicht richtig zusammenbeißen und müsse nachts eine Spange tragen. Zu Unrecht sei außerdem der Rotatorenmanschettendefekt nicht als Unfallfolge anerkannt.

Am 22.06.1998 hat der Orthopäde Dr.Ki ... eine Rotatorenmanschettenrekontruktion mit Supscapulare-Infraspinatus-Supraspinatustransfer, Acromionplastik, Humeruskopf- und Rinnenosteotomie links vorgenommen. Der Oralchirurg Dr.U ... hat im Befundbericht vom 05.10.1998 die Diagnosen gestellt: nicht dislozierte Kieferhöhlenvorderwandfraktur, Fraktur im Bereich des Kieferwinkels links infolge Arbeitsunfall am 20.02.1997, Kiefergelenkskontusion rechts. Es bestehe eine deutliche Besserung der Befunde nach Immobilisation des Unterkiefers, aber Persistenz der Kiefergelenksschmerzen. Am 02.12.1998 stellte sich der Kläger in der Schulterambulanz der Chirurgischen Klinik und Poliklinik vor. Im Bericht ist von Prof.Dr.Schw ... ausgeführt worden, die Bewegungseinschränkung sei durch den langen Zeitraum zwischen der Verletzung und der Rekonstruktion der Rotatorenmanschette bedingt.

Der vom SG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Orthopäde Dr.F ... hat im Gutachten vom 01.03.1999 ausgeführt, wenn der Kläger auf die linke Körperhälfte gefallen sei, wofür seine Angaben und die Aktenaufzeichnungen sprächen, könne allenfalls eine direkte Prellverletzung der linken Schulter angenommen werden, die nicht geeignet sei, den Riss der Rotatorenmanschette wenigstens wesentlich mitzuverursachen. Die Befundberichte des Klinikums L ... belegten keine posttraumatischen Veränderungen. Aus der Größe der Rißbildung lasse sich schließen, dass sie unbemerkt, schleichend-degenerativ entstanden sein müsse und dass sich der Kläger an diese Defektbildung habe gewöhnen können, wie das bei degenerativen Rotatorenmanschettendefekten üblicherweise der Fall sei. Ein so großer Riss hätte, wenn er durch den Unfall verursacht gewesen wäre, einen sofortigen Funktionsausfall im linken Schultergelenk bewirken müssen und nicht die Aussage im Entlassungsbericht zugelassen, dass weitgehend subjektive Beschwerdefreiheit bestehe. Als konkurrierende Verursachungsmöglichkeiten sei eine endogene Neigung zur Entwicklung von Verschleißerscheinungen der Schultergelenke zu beachten. Bei fehlendem Nachweis eines geeigneten Unfallmechanismus, völlig unauffälliger klinischer Erstsymptomatik, nicht nachgewiesenen posttraumatischen Veränderungen im Befundbericht des Klinikums L ... und nicht durchgeführter histologischer Untersuchung des entnommenen Gewebes sowie angesichts von Vorschäden und konkurrierenden Verursachungsmöglichkeiten könne ein Zusammenhang zwischen dem Defekt und dem Unfall nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit begründet werden. Die übrigen orthopädischerseits beurteilbaren Unfallfolgen seien weitestgehend folgenlos abgeklungen. Eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit sei über den August 1997 hinaus nicht mehr zu begründen.

Mit Gerichtsbescheid vom 31.05.1999 hat das SG die Klage abgewiesen.

Mit der Berufung vom 15.07.1999 macht der Kläger geltend, der Rotatorenmanschettendefekt an der linken Schulter sei Unfallfolge und bedinge eine MdE um mindestens 20 v.H.

Der behandelnde Orthopäde Dr.Sp ... führt im Befundbericht vom 09.10.2000 aus, es bestünden ein akutes Lumbalsyndrom, Lumboischialgie links, Arthralgie linkes Sprunggelenk, Cubitalarthrose rechts, Rotatorenmanschettenruptur an der linken Schulter.

Der auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Orthopäde Dr.Ki ... kommt im Gutachten vom 10.10.2000 zusammenfassend zu dem Ergebnis, der Unfallmechanismus sei nicht genau rekonstruierbar, es habe aber eine heftige Gewalteinwirkung vorgelegen, bei der sich eine Rotatorenmanschettenruptur hätte ereignen können. Der röntgenologische Nachweis degenerativer Veränderungen zum Zeitpunkt des Unfalls fehle. Der Unfall müsse als ursächlich für die Rotatorenmanschettenläsion angesehen werden. Der gegenteilige Beweis sei nicht möglich. Der Kläger sei seit dieser Zeit nicht arbeitsfähig und habe starke Schmerzen. Auch wenn man eine Vorschädigung der Rotatorenmanschette annehme, sei eine wesentliche Teilursache am Zustandekommen des Gesamtschadens im Bereich der linken Schulter festzustellen. Für die ersten sechs Monate nach dem Unfall sei die Gesamt-MdE bezogen auf Becken, Finger, Schulter und Kiefer auf 50 v.H. zu schätzen. Für die Unfallfolgen an der Schulter liege die MdE bei 25 v.H.

In der Stellungnahme vom 18.02.01 führt der Orthopäde Dr.F ... aus, schon Prof.Dr.H ... habe im Gutachten vom 15.09.1997 auf eine Vorschädigung der linken Schulter hingewiesen. Degenerative Veränderungen der Rotatorenmanschette träten praktisch regelmäßig ab dem 30. Lebensjahr auf und seien bei 70-jährigen in Form von Rissbildungen so gut wie immer vorhanden. Es könne ausschließlich von einer Prellverletzung des Schultergelenkes ausgegangen werden. Daher sei unklar, warum Dr.W ... im Gutachten für das Landgericht Regensburg ein Festhalten beim Absturz annehme; dabei handele es sich um eine reine Spekulation. Bei nachgewiesenem degenerativen Vorschaden der linken Schulter, angesichts der Größe der Defektbildung, eines nicht beschriebenen sofortigen Funktionsausfalles, einer weitgehend subjektiven Beschwerdefreiheit zum Ende der stationären Behandlung und angesichts des Lebensalters des Klägers könne ein Kausalzusammenhang zwischen Unfall und Rotatorenmanschettenruptur nicht begründet werden.

Beigezogen ist die Akte des Sozialgerichts Landshut S 13 U 179/97 mit dem Gutachten des Chirurgen Dr. M ... vom 12.02. 1998. Darin wird festgestellt, dass Folgen eines Unfalls vom 08.03.1993 mit einer Ellenbogenprellung nicht mehr vorlägen.

Weiter liegen vor Kopien der Akte des Landgerichts Regensburg bzgl. eines Rechtsstreits des Klägers gegen den Landkreis K ... und Dr.B ... wegen Schmerzensgeld.

Der Kläger stellt den Antrag aus dem Schriftsatz vom 15.07.1999.

Die Beklagte stellt den Antrag aus dem Schriftsatz vom 06.09.1999.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, die Kopien aus der Akte des Landgerichts Regensburg sowie die Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Die Entscheidung richtet sich nach bis 31.12.1996 geltenden Vorschriften der RVO, da der streitige Versicherungsfall vor dem 01.01.1997 eingetreten ist und über einen daraus resultierenden Leistungsanspruch vor dem 01.01.1997 zu entscheiden gewesen wäre (§§ 212, 214, Abs.3 SGB VII in Verbindung mit § 580 RVO).

Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen wird.

Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass das Gutachten des Dr.Ki ... vom 10.10.2000 die Argumentation des ärztlichen Sachverständigen Dr.F ... nicht widerlegen kann. Dr.F ... weist in der ergänzenden Stellungnahme vom 18.02.01 überzeugend darauf hin, degenerative Veränderungen an der Rotatorenmanschette lägen praktisch regelmäßig ab dem 30. Lebensjahr vor und seien bei 70-jährigen so gut wie immer vorhanden. Mit dieser Auffassung befindet sich Dr.F ... in Übereinstimmung mit der medizinischen Standardliteratur, wie die Ausführungen in Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage 1998, S.472 zeigen. Nicht zugestimmt werden kann Dr.Ki ... auch, wenn er davon ausgeht, dass eine Prellverletzung des Schultergelenkes ein geeigneter Unfallmechanismus sei. Wie gleichfalls in Schönberger-Mehrtens-Valentin (a.a.O.) ausgeführt wird, ist eine direkte Krafteinwirkung auf die Schulter durch Sturz, Prellung oder Schlag ein ungeeigneter Unfallhergang, da die Rotatorenmanschette durch Schulterhöhe und Deltamuskel gut geschützt ist. Offensichtlich aus diesem Grund ist Dr.W ... im Gutachten für das Landgericht Regensburg davon ausgegangen, der Kläger hätte sich mit einem Arm beim Sturz festgehalten. Ein derartiger Unfallhergang wird aber vom Kläger selbst nicht angegeben und stellt lediglich eine Vermutung dar, die nicht zur Grundlage der Kausalitätsbeurteilung gemacht werden kann. Bei nachgewiesenem degenerativen Vorschaden der linken Schulter, nämlich Verformung der Schulterhöhe und ausgeprägten degenerativen Veränderungen im linken Schultereckgelenk, im Hinblick auf die Größe der Defektbildung, die einen sofortigen Funktionsausfall der linken Schulter zur Folge gehabt hätte, der im Krankenhaus M ... hätte bemerkt werden müssen, angesichts der vom behandelnden Arzt Dr.B ... angegebenen weitgehenden Beschwerdefreiheit bei der Entlassung am 27.03.1997, unter Berücksichtigung des Lebensalters des Klägers, bei dem nach Schönberger-Mehrtens-Valentin eine 75 %-ige Wahrscheinlichkeit eines bereits bestehenden klinisch unauffälligen Defekts gegeben war, kann von einem wahrscheinlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall vom 20.02.1997 und dem Rotatorenmanschettendefekt nicht ausgegangen werden.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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