L 2 U 28/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 41 U 872/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 28/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
L
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 29.07.1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 1955 geborene Kläger erlitt am 06.02.1997 gegen 03:00 Uhr bei einem Autounfall als Fahrer Brüche und Prellungen.

Nach seinen Angaben in der Unfallanzeige vom 19.02.1997 wollte er nach einem Geschäftsessen seinen Kunden R. A. (A.) nach Hause fahren. Dabei sei ihm ein Fahrzeug mit Aufblendlicht entgegengekommen. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, habe er versucht, nach rechts auszuweichen, sei mit dem Heck in einen angrenzenden Graben geraten und habe bei dem Versuch, wieder auf die Straße zu kommen, die Kontrolle über das Fahrzeug verloren, da sich auf diesem Straßenabschnitt enormes Glatteis gebildet habe. Der Wagen sei erst im Wald zum Stillstand gekommen. A. ist bei dem Unfall tödlich verletzt worden. Weiter gab der Kläger an, es habe sich um ein Geschäftsessen mit Kundenanbahnungsgespräch gehandelt. Unfallursache sei das Glatteis gewesen. Am Unfalltag habe er Kundengespräche von 14:20 bis 15:45 Uhr, von 16:00 bis 17:40 Uhr und schließlich ab 18:00 Uhr mit A. geführt. Am 27.03.1997 erklärte der Kläger, die geschäftlichen Gespräche hätten bis ca. 01:00 Uhr gedauert. Im Anschluss daran habe er A. ins McDrive eingeladen. Dieses Lokal hätten sie zwischen 01:30 und 02:00 Uhr verlassen. Danach seien sie zu S. Bistro am K. zum Weißwurstessen gefahren. Die geschäftlichen Unterredungen hätten auch nach 1.00 Uhr im Vordergrund gestanden.

Die Polizeibeamten, die gegen 03:38 Uhr an der Unfallstelle eintrafen, erklärten, der Kläger habe angegeben, er habe seinen Freund nach Hause fahren wollen. An den Unfallhergang könne er sich nicht erinnern.

Laut Aktenvermerk vom 18.04.1997 gab POM M. an, im Stadtgebiet von Ingolstadt habe teilweise überfrierende Nässe vorgelegen, außerhalb sei die Fahrbahn zwar feucht, jedoch nicht glatt gewesen. Die Polizei vermute, dass der Kläger auf Grund überhöhter Geschwindigkeit von der Fahrbahn abgekommen und ins Schleudern geraten sei. Das BAK-Gutachten stelle eine Blutalkoholkonzentration von 1,02 Promille fest. Am Unfallort habe der Kläger nichts von einem entgegenkommenden Fahrzeug, das Ursache des Unfalls gewesen sei, erwähnt. Aus der Verkehrsunfallanzeige in der Akte der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Ingolstadt ergibt sich, dass POM M. die Fahrbahn als feucht, stellenweise angefroren, bezeichnete. Im Stadtbereich sei die Straße "spiegelglatt" gewesen.

Mit Bescheid (ohne Datum) lehnte die Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls und die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass des Ereignisses vom 06.02.1997 ab. Die nach Beendigung der Besprechung um ca. 01:00 Uhr durchgeführten Tätigkeiten seien rechtlich wesentlich dem privaten eigenwirtschaftlichen Bereich zuzuordnen. Es könne nach den gegebenen Umständen nicht angenommen werden, dass während des Aufenthalts im McDrive und in S. Bistro vorwiegend geschäftliche Beziehungen im Vordergrund gestanden hätten. Einerseits hätte bereits zuvor ca. 7 Stunden lang in der Firma des A. eine geschäftliche Unterredung stattgefunden, andererseits seien die aufgesuchten Lokale nicht geeignet für ein Geschäftsessen. Daher sei eine Lösung von der versicherten Tätigkeit eingetreten. Die Angabe, ein entgegenkommendes Fahrzeug habe geblendet, habe nach den polizeilichen Ermittlungen nicht bestätigt werden können. Unabhängig davon sei der Alkoholgenuss die rechtlich wesentliche Ursache für den Eintritt des Unfalles. Es sei eine Blutalkoholkonzentration von 1,02 o/oo festgestellt. Daher sei nach der Erfahrung des täglichen Lebens davon auszugehen, dass ein nicht unter Alkoholeinfluss stehender Verkehrsteilnehmer bei gleicher Sachlage wahrscheinlich nicht verunglückt wäre. Die auf Alkoholbeeinflussung beruhende Fahruntüchtigkeit müsse somit als rechtlich wesentliche Ursache angenommen werden.

Der Kläger erklärte mit Widerspruch vom 13.06.1997, gegen 24:00 Uhr seien die Verhandlungen unterbrochen worden, und es habe auf Wunsch des A. ein Geschäftsessen im McDrive stattgefunden. Dabei sei über Versicherungsabschlüsse verhandelt worden. Da A. noch Weißwürste habe essen wollen, sei der Kläger mit ihm zu S. Bistro gefahren. Wider Erwarten habe es in S. Bistro keine Weißwürste gegeben. Da der Wirt habe schließen wollen, habe der Kläger A. nach Hause gefahren. Auf diesem Weg sei der Unfall passiert. Ein Versicherungskaufmann müsse auch im Rahmen von Geschäftsessen Verhandlungen führen. Gerade eine angenehme Atmosphäre schaffe die Voraussetzung dafür, dass Geschäfte, vor allem in dieser Höhe, abgeschlossen würden. Eine Beendigung der Verhandlungstätigkeit gegen 02:00 bis 03:00 Uhr morgens sei im Rahmen des Üblichen. Die Ehefrau des Klägers habe am 05.02.1997 gegen 24:00 Uhr in den Geschäftsräumen des A. angerufen, wobei der Kläger ihr erklärt habe, dass er noch zu einem Geschäftsessen gehe und erst gegen 03:00 oder 04:00 Uhr nach hause kommen werde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.10.1997 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Der Kläger hat mit Klage vom 05.11.1997 auf seine Ausführungen in der Widerspruchsbegründung Bezug genommen.

Das SG hat das Urteil des Schöffengerichts bei dem Amtsgericht Ingolstadt vom 25.02.1998 beigezogen. Der Kläger (dort der Angeklagte) wurde für schuldig befunden der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr und zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Soweit dem Angeklagten eine fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung zum Nachteil seines Beifahrers A. zur Last gelegen habe, habe die Beweisaufnahme keine eindeutigen Feststellungen erbracht, dass das unfallauslösende Fahrmanöver des Angeklagten als alkoholbedingt im Sinne des § 315c StGB oder als fahrlässig im Sinne des § 222 StGB zu werten sei. Zu Gunsten des Angeklagten, dessen Einlassung von einem, ihm auf seiner Fahrbahnseite unmittelbar entgegenkommenden Fahrzeug nicht zu widerlegen sei, könne ein plötzliches und unvermitteltes Herüberkommen des anderen Fahrzeuges und somit die nicht vorwerfbare Notwendigkeit eines Ausweichmanövers nicht ausgeschlossen werden. Andererseits sei jedoch das Gericht von einer Fahruntauglichkeit des Angeklagten im Sinne des § 316 StGB überzeugt, zumal nicht zuletzt in Anbetracht des relativ hohen, sich dem Grad absoluter Fahruntauglichkeit stark annähernden BAK-Wertes die fehlende Beobachtung des Spurwechsels des anderen Fahrzeuges trotz an sich gegebener Beobachtungsmöglichkeit nur mit dem alkoholbedingten Phänomen eines Tunnelblicks zu erklären sei.

Der Kläger hat Unterlagen über eine Klage seiner Frau gegen die V. Versicherungs AG vorgelegt. Die Ehefrau des Klägers machte Ansprüche aus Kfz- Haftpflichtversicherung und Fahrzeugversicherung geltend. Der Verkehrsunfall sei durch den Kläger weder vorsätzlich noch grob fahrlässig herbeigeführt worden. Selbst bei einem Blutalkoholgehalt von 1,02 o/oo wäre allenfalls relative Fahruntüchtigkeit gegeben, bei der eher Umstände denkbar seien, die nur den Vorwurf leichter oder normaler, nicht aber grober Fahrlässigkeit rechtfertigten. Es fehle am Nachweis weiterer Beweisanzeichen aus dem Fahrverhalten des Klägers, die eine relative Fahruntüchtigkeit indizieren könnten. Dem Kläger sei auf gleicher Fahrbahn ein Fahrzeug mit Aufblendlicht entgegengekommen, daher habe er einen Frontalzusammenstoß nur durch Ausweichen verhindern können. Auf der von winterlichen Straßenverhältnissen geprägten Fahrbahn sei das Fahrzeug dabei in Schleudern und erst im angrenzenden Wald zum Stillstand gekommen. Die im genannten Verfahren Beklagte verpflichtete sich im Vergleich, an die Klägerin 85.000,00 DM zu zahlen. Die Parteien waren sich darüber einig, dass die Beklagte ihre Aufwendungen für Zahlungen an Dritte nicht zurückfordere.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 29.07.1998 hat der Kläger erklärt, die Besprechung habe um 18:00 Uhr begonnen. Es habe sich um ein Informations- und Anbahnungsgespräch gehandelt, da er A. bzw. dessen Betrieb als Gesamtkunden habe gewinnen wollen. Das Prämienvolumen hätte 80.000,00 bis 100.000,00 DM betragen. Es sei klar gewesen, dass es an diesem Abend zu keinem Abschluss habe kommen können. A. sei sein bester Freund gewesen. Das Gespräch mit A. habe deshalb so lange gedauert, weil des öfters durch betriebliche Schwierigkeiten der Nachtschicht unterbrochen worden sei. Geschäftsessen, die bis 3.00 Uhr morgens dauerten, kämen etwa 10-mal pro Jahr vor. Gegen 24:00 Uhr habe seine (des Klägers) Frau angerufen, der er gesagt habe, es werde noch länger dauern. A. habe zu McDrive fahren wollen, um einen Imbiss einzunehmen. Auch dort sei über Versicherungsangelegenheiten gesprochen worden, aber auch über private Dinge. Zwischen 01:30 und 02:00 Uhr hätten er und A. McDrive verlassen. Da A. geäußert habe, er wolle noch Weißwürste essen, seien sie zu S. Bistro gefahren. Dort habe es aber keine Weißwürste gegeben. Sie hätten noch ein Bier getrunken, dann habe er A. auf dessen Bitte nach Hause fahren wollen. Zwischen 02:55 und 03:15 Uhr seien sie aufgebrochen. Bei einer Geschwindigkeit von unter 80 km/h sei ihm plötzlich ein Fahrzeug in 200 bis 300 m Entfernung auf seiner Fahrbahnseite entgegengekommen. Er habe bei vorherigen Bremsversuchen nicht bemerkt, dass es glatt gewesen sei. An die Geschehnisse nach dem Unfall könne er sich nur bruchstückweise erinnern. Auf Vorhalt des Vorsitzenden, dass er laut Protokoll des Schöffengerichts Ingolstadt dort angegeben habe, er habe bei dem Anruf seiner Frau gesagt, dass er gleich nach Hause komme und sie noch etwas zum Essen herrichten solle, hat der Kläger erklärt, diese Angaben beim Schöffengericht hätten für ihn keine wesentliche Bedeutung gehabt. Er habe auch nicht die Unwahrheit sagen wollen. Er könne jetzt nicht sagen, was er zu seiner Frau bei dem Telefonat gesagt habe.

Die Ehefrau des Klägers hat im Termin als Zeugin angegeben, sie habe gegen 24:00 Uhr angerufen und gefragt, wie lange die Besprechung noch dauern werde. Darauf habe der Kläger gesagt, die Verhandlungen seien noch nicht abgeschlossen, sie solle nicht auf ihn warten und zu Bett gehen. A. habe Hunger, und sie wollten noch zum Weißwurstessen gehen. Es komme öfters vor, dass der Kläger abends geschäftliche Besprechungen habe, bei denen es gelegentlich auch später als 01:00 Uhr werde.

Mit Urteil vom 29.07.1998 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Angaben des Klägers seien auffällig widersprüchlich. Die Kammer sei zu dem Ergebnis gelangt, dass nicht davon ausgegangen werden könne, die Geschäftsbesprechung habe noch wesentlich über 24:00 Uhr hinaus gedauert. Die Verrichtungen danach seien der privaten Sphäre des Klägers zuzurechnen, da geschäftliche Dinge nicht mehr von wesentlicher Bedeutung gewesen seien. Der privat geprägte Aufenthalt nach 00:30 Uhr habe zu der Lösung von der versicherten Tätigkeit geführt.

Mit der Berufung vom 01.02.1999 macht der Kläger geltend, wiederholte Probleme im Betrieb des A. hätten die Besprechungen verzögert, so dass über Versicherungsangelegenheiten im Zeitraum von 18:00 bis 24:00 Uhr tatsächlich nur etwa 3 Stunden verhandelt worden sei. Deshalb habe der Kläger seiner Ehefrau mitgeteilt, es werde noch länger dauern. Die Wahl des Fastfood-Restaurants McDrive zeige, dass es den Verhandlungspartnern darum gegangen sei, möglichst rasch etwas zu essen, um die Besprechung nicht hungrig fortsetzen zu müssen. Private Angelegenheiten hätten auch nach 24:00 Uhr bei den Gesprächen nicht im Vordergrund gestanden. Vielmehr habe der Kläger das Gespräch auch bei McDrive auf die Versicherungsangelegenheiten gelenkt.

Es wird angeregt, die Unfallakte bezüglich des A. bei der BG für das Druckereigewerbe beizuziehen, da die Witwe möglicherweise Leistungen erhalte. Es sei auch möglich, dass in dieser Akte Aussagen der Witwe des A. oder seiner Mitarbeiter bezüglich des Verlaufs des Geschäftsgespräches vorlägen. Außerdem wird beantragt, die Witwe des A. zu befragen, ob sie am Abend des 05.12.1997 telefonisch mit A. gesprochen habe und er ihr mitgeteilt habe, dass auch nach 24:00 Uhr noch geschäftliche Belange zu besprechen seien. Der Kläger übersendet eine Aufstellung betreffend die Jahre 1996 bis 1998 über die Zeitdauer von Kundengesprächen, die zwischen 00:00 und 03:00 Uhr nachts geendet hätten und teilweise mit einem Geschäftsessen verbunden gewesen seien.

Der Senat hat den Rechtsmediziner Prof. Dr. E. zum ärztlichen Sachverständigen ernannt. Im Gutachten vom 11.04. 2001 kommt Prof. Dr. E. zusammenfassend zu dem Ergebnis, die Blutalkoholkonzentration habe im Unfallzeitpunkt mindestens 1,04 o/oo, wahrscheinlich 1,2 o/oo betragen. Deshalb sei der Kläger zum Unfallzeitpunkt verkehrsuntüchtig gewesen. Hinweise für einen Bremsvorgang seien nicht festgestellt, obwohl die Schwarzdecke an dieser Stelle nur teilweise überfroren gewesen sei. Folge man den Angaben des Klägers, die er vor dem Schöffengericht gemacht habe, dass das Fahrzeug, das ihm entgegengekommen sei, bei der ersten Beobachtung noch 200 bis 300 m entfernt und auf seiner eigenen Fahrbahnseite gewesen sei, so sei diese Unfallsituation durch eine Störung der Vigilanz und Tenazität erklärbar. Mit Vigilanz werde die Fähigkeit umschrieben, die Aufmerksamkeit während eines Fahrvorganges an ständig wechselnde Verhältnisse anzupassen, Tenazität bezeichne die Fähigkeit, so lange bei einem Vorgang zu verharren, als dies die Umstände zum Meistern der Situation erforderlich machten. Offenbar sei die Annäherung des Fahrzeuges nicht kontinuierlich beobachtet worden, obwohl die einsehbare Strecke sehr lang sei. Die Straßenbreite betrage 8 Meter, sodass bei ordnungsgemäßer Reaktion der Versuch einer Bremsung und des Ausweichens die Chance einer Vermeidung des Unfalls geboten hätte. Wenn man davon ausgehe, dass die kontinuierliche Beobachtung des Fahrverhaltens des entgegenkommenden Fahrzeuges wegen gestörter Vigilanz nicht ordnungsgemäß erfolgt sei und die entsprechenden Reaktionen verspätet oder in ihrer Koordination nicht situationsadäquat erfolgt seien, müsse dafür aus medizinischer Sicht der Alkoholwirkung die entscheidende Rolle zugewiesen werden.

Dass Übermüdung als Unfallursache eine Rolle spiele, scheine eher unwahrscheinlich. Bei Fällen von Übermüdung fänden sich typischerweise fehlende Lenkbewegungen und damit ein gradliniges kontinuierliches Abkommen von der Fahrbahn. Aus dem objektiven Spurenbild lasse sich feststellen, dass es sich hier um eine Seitwärtsbewegung, die bereits auf der Fahrbahn eingesetzt habe, gehandelt habe. Hierfür könnten Fahrbahnglätte, Übersteuerung oder eine inadäquate Bremsung oder aber die Kombination dieser Faktoren auslösende Ursache sein. Wenn man von den Angaben des Klägers ausgehe, habe er seine Arbeit um 09:00 Uhr begonnen, bis zur Unfallzeit gegen 03:30 Uhr seien also 18,5 Stunden vergangen gewesen. Dies lasse physiologischerweise erwarten, dass bei der Mehrzahl der Personen der Alterskategorie, der der Kläger angehöre, Müdigkeit zu erwarten wäre, hänge allerdings sehr wesentlich davon ab, ob ausreichend Schlaf vor Beginn der Arbeitsaufnahme zur Verfügung gestanden habe. Weitere Aspekte seien die Belastung durch die Arbeit wie auch individuelle Rhythmen. Bekannt sei, dass Alkohol mit zunehmender Promillezahl Müdigkeit induzieren könne. Alkohol und Ermüdung hätten additive bis potenzierende Effekte. Man werde keinem der beiden möglichen Faktoren hier überwiegende Bedeutung zuweisen können.

Der Kläger stellt den Antrag aus dem Schriftsatz vom 29.01.1999.

Die Beklagte stellt den Antrag, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten, der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte sowie die Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Gemäß § 8 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten in Folge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Als Arbeitsunfall gilt auch ein Unfall auf einem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg von und nach dem Ort der Tätigkeit (§ 7 Abs. 2 SGB VII).

Dabei ist Voraussetzung für den Versicherungsschutz, dass zwischen der zum Unfall führenden Fahrt und der betrieblichen Tätigkeit ein "innerer Zusammenhang" besteht, nämlich eine sachliche Verbindung mit der Betriebstätigkeit (vgl. BSG SozR 3-2200, S 548 RVO Nr.21). Sie ist wertend zu ermitteln, indem geprüft wird, ob die Tätigkeit innerhalb der Grenze liegt, bis zu der der Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (vgl. BSG SozR 3-2200, § 550 RVO Nr.5).

Wegeunterbrechungen sind grundsätzlich unversichert, soweit sie nicht nur von geringfügiger Dauer sind. Wenn aber der Weg vom Ort der Tätigkeit um mehr als zwei Stunden durch eine eigenwirtschaftlichen Zwecken dienende Verrichtung unterbrochen wird, besteht auf dem anschließenden restlichen Weg nicht mehr der Schutz der Unfallversicherung (vgl. BSG SozR 2200, § 550 RVO Nr.55).

Der Kläger stand daher am 06.02.1997 nicht unter Versicherungsschutz, denn er hatte den Heimweg von der geschäftlichen Besprechung mit A. um mehr als 2 Stunden durch eigenwirtschaftlichen Zwecken dienende Verrichtungen unterbrochen. Wie er angegeben hat, brach er gegen 24:00 Uhr mit A. von dessen Betrieb auf und besuchte anschließend die Gaststätten McDrive und S. Bistro. Ein Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger und A. wegen der Entwicklung eines durch die Tätigkeit veranlassten besonderen Hunger- oder Durstgefühls unbedingt hätten einkehren müssen, ist nicht ersichtlich, denn sie hatten bereits im Betrieb des A. Bier getrunken und hätten bei direkter Heimfahrt zu Hause etwas zu sich nehmen können.

Dass die geschäftlichen Besprechungen sowohl bei McDrive als auch in S. Bistro noch weiter fortgeführt worden wären, ist zur Überzeugung des Senats unwahrscheinlich. Zur Überzeugung des Senats ist während des mehr als zweistündigen Wirtshausbesuchs eine versicherte Tätigkeit nicht mehr ausgeübt worden, sodass die Heimfahrt schon aus diesem Grund nicht mehr als Weg von der Arbeitsstätte angesehen werden kann. Der Kläger hat zunächst erklärt, gerade die angenehme Atmosphäre bei Geschäftsessen schaffe die Voraussetzung für einen erfolgreichen Geschäftsabschluss, andererseits führte er später aus, die Wahl eines Fast-Food-Restaurants zeige, dass die Verhandlungspartner möglichst rasch hätten essen wollen, um dann die Besprechung fortzusetzen. Dies erscheint nicht überzeugend, da der Kläger und A. anschließend zu S. Bistro fuhren und dann nach Hause aufbrachen. Insbesondere erscheint die eher unruhige Atmosphäre der beiden Lokale nicht geeignet, wichtige Geschäftsverhandlungen weiterzuführen.

Auch wenn - wie der Kläger angibt - die Besprechungen, die um 18:00 Uhr im Betrieb des A. begannen, durch betriebliche Probleme des A. häufiger unterbrochen worden waren, so dauerten sie doch immerhin zum Zeitpunkt des Aufbruchs bereits 6 Stunden, sodass auch unter Berücksichtigung der Unterbrechungen nach allgemeiner Lebenserfahrung Zeit genug gewesen war, die verschiedenen beabsichtigten Versicherungen durchzusprechen, zumal es sich ja nach Angabe des Klägers um ein "Anbahnungsgespräch" handelte. Eine eingehende Besprechung wichtiger Detailfragen nach 24:00 Uhr widerspricht der Lebenserfahrung, da beide Gesprächspartner bis dahin, wie sich aus der Akte der Staatsanwaltschaft ergibt, schon erheblich Alkohol zu sich genommen hatten. Insbesondere die Untersuchung der bei A. entnommenen Blutprobe ergab eine hochgradige Alkoholbeeinflussung. Daher ist es für den Senat nicht vorstellbar, dass Detailfragen noch bearbeitet wurden. Hinzu kommt, dass der Kläger zunächst im Strafverfahren angegeben hat, er habe gegen 24.00 Uhr seiner Frau gesagt, er komme bald nach Hause. Dies spricht dafür, dass er zu diesem Zeitpunkt die geschäftliche Besprechung für beendet ansah. Die spätere Angabe, der Kläger habe seiner Frau gesagt, er und A. würden noch zum Essen gehen, widerspricht einerseits der früheren und wäre zudem kein Beweis für eine versicherte Tätigkeit nach 24.oo Uhr. Die Fahrt mit A., um ihn heimzubringen, ist dementsprechend eine eigenwirtschaftliche, unversicherte Handlung des Klägers.

Selbst wenn man davon ausginge, dass die geschäftlichen Besprechungen über 24:00 Uhr bis zur Heimfahrt angedauert hätten, so ist doch Versicherungsschutz nicht gegeben, da wesentliche Ursache des Unfalls die Trunkenheit des Klägers war. Alkoholbedingte Verkehrsuntüchtigkeit, die bei der Entstehung des Unfalls mitgewirkt hat, ist gegenüber den betriebsbedingten Umständen als rechtlich allein wesentliche Ursache zu werten, wenn nach der Erfahrung des täglichen Lebens davon auszugehen ist, dass der Kläger, wenn er nicht unter Alkoholeinfluss gestanden hätte, bei gleicher Sachlage wahrscheinlich nicht verunglückt wäre. Sind sonstige Unfallursachen nicht erwiesen, so spricht die Lebenserfahrung dafür, dass die auf Alkoholbeeinflussung bestehende Verkehrsuntüchtigkeit den Unfall verursacht hat. (vgl. BSG SozR 2200, § 548 Nr.46 m.w.N.) Prof. Dr. E. hat im Gutachten vom 11.04.2001 überzeugend dargelegt, dass die Mindestblutalkoholkonzentration zum Unfallzeitpunkt 1,04 o/oo erreichte, also sehr nah an der Grenze zur absoluten Verkehrsuntüchtigkeit, die bei 1,1 o/oo gegeben ist, lag (vgl. Kasseler Kommentar § 548 RVO Rdnr. 88 m. w. N.). Die, wie Prof. Dr. E. ausführt, wahrscheinlichste Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt des Unfalls betrug aber 1,2 o/oo, lag also über der Grenze zur absoluten Verkehrsuntüchtigkeit.

In jedem Fall sprechen noch weitere Gesichtspunkte dafür, dass Verkehrsuntüchtigkeit gegeben war. Dies betrifft insbesondere die Schilderung des Klägers, ihm sei bei der Heimfahrt plötzlich in 200 bis 300 m Entfernung ein Fahrzeug auf seiner Fahrbahn entgegengekommen. Diese Unfallsituation ist - so Prof. Dr. E. - durch eine Störung der Vigilanz und Tenazität erklärbar. Mit Vigilanz wird die Fähigkeit umschrieben, die Aufmerksamkeit während eines Fahrvorganges an ständig wechselnde Verhältnisse und Umstände anzupassen, ja sie auch erfahrungsbedingt vorherzusehen und darauf das eigene Verhalten abzustellen. Mit Tenazität wird die Fähigkeit bezeichnet, so lange bei einem Vorgang bzw. einer Situation zu verharren, als dies die Umstände zum Meistern der Situation erforderlich machen. Da der Kläger die Annäherung des entgegenkommenden Fahrzeuges nicht kontinuierlich beobachtete, obwohl die einsehbare Strecke sehr lang ist und bei einer Straßenbreite von 8 m bei ordnungsgemäßer Reaktion der Versuch einer Bremsung mit dem Versuch eines Ausweichens bei deutlich herabgesetzter Geschwindigkeit die Chance einer Vermeidung der Kollision ebenso wie auch des nicht mehr beeinflussbaren Driftens im Gelände neben der Straße geboten hätte, ist davon auszugehen, dass der Unfall durch alkoholbedingte Einschränkung der Vigilanz und Tenazität verursacht war. Die entsprechenden Reaktionen erfolgten alkoholbedingt verspätet oder in ihrer Koordination nicht situationsadäquat; somit ist der Wirkung des Alkohols die entscheidende Rolle bei der Verursachung des Unfalls zuzuweisen. Hinzu kommt, dass der Kläger die Glätte der Straßen im Stadtgebiet nicht bemerkte, obwohl er angibt, er habe Bremsversuche gemacht. Auch dies deutet auf die alkoholbedingte Einschränkung des Wahrnehmungsfähigkeit hin.

Ein verantwortungsbewusster Kraftfahrer hätte nach dem Alkoholgenuss weder andere Personen mit seinem Auto nach Hause gebracht, noch überhaupt sich an das Steuer eines Kfz gesetzt. Die Tatsache, dass der Kläger seinen Wagen gefahren hat, spricht für eine so starke Überschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit und Enthemmung im Straßenverkehr, dass die Verkehrssicherheit des Klägers in höchstem Grade als beeinträchtigt angesehen werden muss. (vgl. LSG Hamburg, Breithaupt 1967, 832 m.w.N.)

Nicht dagegen wahrscheinlich ist eine Unfallverursachung durch Übermüdung, da in solchen Fällen typischerweise fehlende Lenkbewegungen und damit ein gradliniges kontinuierliches Abkommen von der Fahrbahn zu beobachten sind, das im Fall des Klägers gerade nicht gegeben war. Der technische Sachverständige hat eine Driftspur registriert und geht davon aus, dass diese Drift bereits auf der Fahrbahn eingesetzt hat. Für eine Drift könnte Fahrbahnglätte, Übersteuerung oder eine inadäquate Bremsung oder aber die Kombination einer oder mehrerer dieser Einzelfaktoren auslösende Ursache sein, dagegen nicht Müdigkeit. Zwar ist bei einem langen Arbeitstag, wie dem des Klägers, gegen 03:30 Uhr Müdigkeit zu erwarten. Allerdings kann Alkohol mit zunehmender Promillezahl ebenso Müdigkeit induzieren; insofern haben Alkohol und Ermüdung additive bis potenzierende Effekte. Man wird aber keinem der beiden möglichen Faktoren hier überwiegende Bedeutung zuweisen können, sodass es bei der wesentlichen Bedeutung des Alkoholgenusses für den Verkehrsunfall bleibt. Denn wenn trunkenheitsbedingte Ursachen und Ursachen aus dem versicherten Risiko, wie z. B. Ermüdung, mit derselben tatsächlichen Möglichkeit gegeben sind, so geht dies nach den allgemeinen Regeln der Beweislastverteilung zu Lasten des Versicherten (vgl. BSGE 43, 110; BSGE 35, 216 m. w. N.).

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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