L 12 KA 109/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 43 KA 1769/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 109/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 7. März 2002 wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat dem Beklagten die notwendigen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 1940 geborene Kläger war seit 1965 als Lehrer an Grund- und Hauptschulen tätig, die Verbeamtung auf Lebenszeit erfolgte 1971. Er beendete die aktive Laufbahn als Lehrer Ende Juli 2002. Daneben durchlief er ein berufsbegleitendes Studium am A.-Institut für Individualpsychologie von 1970 bis 1987 mit erfolgreich abgelegter Prüfung 1987. Seither ist der Kläger als Psychoanalytiker in eigener Praxis im Delegationsverfahren tätig. Er ist als psychologischer Psychotherapeut approbiert (vgl. Urkunde vom 4. Januar 1999). Der Kläger hat am 22. Dezember 1998 Antrag auf bedarfsunabhängige Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung als Psychotherapeut gemäß § 95 Abs.10 SGB V gestellt.

Der Antrag wurde mit Bescheid des Zulassungsausschusses Ärzte und Psychotherapeuten München Stadt und Land vom 13. August 1999 abgelehnt. Der Kläger habe keine besitzstandswahrende Vortätigkeit im Sinne von § 95 Abs.10 Satz 1 Nr.3 SGB V erbracht. Ein schützenswerter Bestand sei regelmäßig nur dann gegeben, wenn innerhalb des Dreijahreszeitraums vom 25. Juni 1994 bis zum 24. Juni 1997 in eigenverantwortlicher und selbständiger Tätigkeit innerhalb eines zusammenhängenden Zeitraums von höchstens 12 Monaten mindestens 250 Behandlungsstunden zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht worden seien, sei es im Delegationsverfahren, sei es im Rahmen des Kostenerstattungsverfahrens. Der Kläger habe demgegenüber in dem für ihn günstigsten Jahreszeitraum vom Quartal 2/96 bis zum Quartal 1/97 lediglich 198 Behandlungsstunden durchlaufen.

Hiergegen richtet sich der Widerspruch des Klägers vom 11. Oktober 1999. Er sei der Meinung, dass die Forderung nach 250 Behandlungsstunden innerhalb von 12 Monaten nicht den Gesetzesmotiven entspreche und halte darüber hinaus diese Forderung für verfassungswidrig (Art.3, 12, 14 GG). Aufgrund seines Alters stelle die Ablehnung seines Antrages eine besondere Härte dar, da er keinen Antrag auf bedarfsabhängige Zulassung stellen könne. Er führe mit seiner Frau E. H. zusammen eine Praxisgemeinschaft. Zusammen würden die Bedingungen (250 Stunden) reichlich erfüllt. Er wäre zufrieden, wenn einer von beiden zugelassen würde.

Hierzu hat die Beigeladene zu 1) mit Schriftsatz vom 5. Februar 2001 Stellung genommen. Der Kläger habe im gesamten Dreijahreszeitraum vom Quartal 3/94 bis zum Quartal 2/97 467 Stunden an Psychotherapie im Delegationsverfahren erbracht. Hiervon würden auf einen zusammenhängenden 12-Monatszeitraum (Quartale 2/96 bis 1/97) maximal die vom Zulassungsausschuss anerkannten 198 Behandlungsstunden entfallen. Diese Tätigkeit, die selbst bei Annahme von nur 45 Arbeitswochen pro Jahr einem durchschnittlichen Behandlungsumfang von 3,4 Wochenstunden bzw. im obengenannten Jahreszeitraum von nur 4,4 Wochenstunden entspräche, sei nicht geeignet, eine schützenswerte Praxissubstanz zu begründen. Die bedarfsunabhängige Zulassung sei ebenso wie die regelhafte Zulassung ein höchstpersönliches Recht, deren Voraussetzungen vollständig in eigener Person erfüllt sein müssten. Behandlungsstunden von Psychotherapeuten, die in Praxisgemeinschaft behandeln, könnten demnach grundsätzlich nicht zusammengerechnet werden. Nichts anderes könne gelten, wenn die unter derselben Praxisanschrift tätigen Therapeuten Eheleute seien. Auch die Tatsache, dass der am 26. Februar 1940 geborene Kläger infolge seines Alters nach § 25 Ärzte-ZV keine bedarfsabhängige Zulassung mehr erhalten könne, begründe keinen Anspruch auf Erteilung einer bedarfsunabhängigen Zulassung.

Sofern mangels Vertrauensschutzes weder eine bedarfsunabhängige noch mangels Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen eine bedarfsabhängige Zulassung in Betracht komme, müsse das Interesse des Psychotherapeuten an einer Tätigkeit im vertragsärztlichen System gegenüber den öffentlichen Interessen, die die allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen - hier also die Regelung des § 25 Ärzte-ZV - rechtfertigen, zurücktreten. Die Beigeladene zu 1) hat zusätzlich beantragt, eine entsprechende Entscheidung des Beklagten gemäß § 97 Abs.4 SGB V für sofort vollziehbar zu erklären.

Der Beklagte hat mit Bescheid vom 10. Mai 2001 den Widerspruch des Klägers und ebenso den Antrag auf sofortige Vollziehung der Beigeladenen zu 1) zurückgewiesen. Der Kläger habe mit 467 Behandlungsstunden im Zeitfenster, davon 198 Behandlungsstunden in einem zusammenhängenden Jahreszeitraum keinen schützenswerten Besitzstand erworben. Da die Zulassung ein höchstpersönliches Recht sei, könnten auch die von der Ehefrau erbrachten Stunden in der Praxis nicht angerechnet werden. Die Nichtberücksichtigung von nach dem Endstichtag (24.Juni 1997) erbrachten Leistungen sei nicht willkürlich und nicht verfassungswidrig. Die Übergangsregelung bedeute keinen Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts der Berufsfreiheit. Sie sei vielmehr eine Ausnahmeregelung zu der für die Psychotherapeuten eingeführten, im gesamten Kassenarztrecht geltenden bedarfsabhängigen Zulassung aufgrund des § 101 Abs.4 SGB V. § 95 Abs.10 SGB V sei keine bloße Übergangsregelung, sondern bereits per se eine Härtefallregelung, die allein an den Aufbau einer Praxissubstanz, d.h. an die tatsächliche und erhebliche Teilnahme an der ambulanten Versorgung der Versicherten, nicht aber an in der Person des Klägers liegende Umstände anknüpfe. Insofern könne sich der Kläger nicht darauf berufen, wegen seiner Tätigkeit bei der Regierung von Oberbayern an einer verstärkten Tätigkeit in eigener Praxis gehindert gewesen zu sein. Gerade wenn aufgrund anderweitiger Erwerbstätigkeiten auf eine weitere Tätigkeit in eigener Praxis verzichtet bzw. eine solche erheblich reduziert worden sei, zeige dies, dass ein Vertrauens- bzw. Bestandsschutz nicht begründet worden sei. Der Status des Klägers sei sowohl in finanzieller als auch in zeitlicher Hinsicht durch die als Lehrer ausgeübte Beschäftigung geprägt gewesen. Auch die Tatsache, dass der Kläger infolge seines Alters nach § 25 Ärzte-ZV keine bedarfsabhängige Zulassung mehr erhalten könne, begründe keinen Anspruch auf Erteilung einer bedarfsunabhängigen Zulassung. Nach dem BVerfG führe das Psychotherapeutengesetz insgesamt zu einer erheblichen Verbesserung der Rechtsposition der Psychotherapeuten. Dies gelte nicht nur für die streitgegenständliche bedarfsunabhängige Zulassung, sondern auch für den Regelfall der bedarfsabhängigen Zulassung, weil auch hier erstmals eine den Ärzten gleichgestellte Teilhabe an der Behandlung von Krankenversicherten eröffnet werde (vgl.BVerfG vom 30. Mai 2000, 1 BvR 704/00). Diese Feststellung werde nicht dadurch hinfällig, dass in Einzelfällen nach den allgemeinen Vorschriften der Ärzte-ZV eine regelhafte Zulassung gerade nicht in Betracht komme, das Psychotherapeutengesetz sich also für den Einzelnen im Vergleich zur früheren Rechtslage nachteilig auswirken könne bzw. der einzelne die Fortgeltung alten Rechts bevorzugen würde. Sofern mangels Vertrauensschutzes weder eine bedarfsunabhängige noch mangels Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen eine bedarfsabhängige Zulassung in Betracht komme, müsse das Interesse des Psychotherapeuten an einer Tätigkeit im vertragsärztlichen System gegenüber den öffentlichen Interessen, die die allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen - hier die Regelung des § 25 Ärzte-ZV - rechtfertigen, zurücktreten. Es sei dem Kläger zumutbar, seine künftige psychotherapeutische Tätigkeit auf die von ihm auch im Zeitfenster ausgeübte Tätigkeit bzw. die Behandlung von Privatpatienten und Selbstzahlern zu beschränken. Ob dies für den Kläger zu einer finanziellen Einbuße führe, sei ohne Bedeutung. Das Institut der bedarfsunabhängigen Zulassung bzw. Ermächtigung bezwecke nicht die Sicherung des Lebensunterhaltes für in finanzielle Bedrängnis geratene Psychotherapeuten. Unbeschadet des mangelnden Besitzstandes stünde die von dem Kläger ausgeübte Vollzeitbeschäftigung als Lehrer auch nach § 20 Ärzte-ZV der Geeignetheit des Klägers zur vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit entgegen. Die derzeit noch mit 28 Wochenstunden ausgeübte Lehrertätigkeit werde nach Angaben des Klägers erst im Juli 2002 aufgegeben. Der Antrag der Beigeladenen zu 1) auf sofortigen Vollzug der Entscheidung im öffentlichen Interesse gemäß § 97 Abs.4 SGB V werde ebenfalls zurückgewiesen. Das Bundesverfassungsgericht habe in einem Nichtannahmebeschluss vom 22. Dezember 1999 (- 1 BvR 1657/99, NZS 2000, 295 bis 296) darauf hingewiesen, dass viel für einen Verstoß gegen Artikel 12 Abs.1 GG spreche, wenn die Rechte der Beschwerdeführerin aus dem Delegationsverfahren allein durch den ablehnenden Verwaltungsakt des Zulassungsausschusses über eine bedarfsunabhängige Zulassung erlöschen würden, ohne dass es auf einen dagegen gerichteten Widerspruch und eine Klage ankomme. Art.10 des Einführungsgesetzes zum Psychotherapeutengesetz sei danach so zu verstehen, dass unter der Entscheidung des Zulassungsausschusses die bestandskräftige oder rechtskräftige Entscheidung gemeint sei.

Hiergegen richtet sich die Klage des Klägers vom 31. Mai 2001, die in der Folge nicht näher begründet wurde.

Die Beigeladene zu 1) hat mit Schriftsatz vom 13. November 2001 nochmals unter Wiederholung der schon im Widerspruchsverfahren vorgetragenen Gründe, die im Wesentlichen auch der Begründung durch den Beklagten entsprechen, dargelegt, dass die Voraussetzungen für eine bedarfsunabhängige Zulassung mangels eines Besitzstandes im Sinne des § 95 Abs.10 Satz 1 Nr.3 SGB V nicht vorliegen würden. Mit weiterem Schriftsatz vom 22. Februar 2002 hat die Beigeladene zu 1) noch auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 30. Januar 2002 (Az.: B 6 KA 20/01 R) zur Frage der ausreichenden Verfügbarkeit nach § 20 Abs.1 Ärzte-ZV hingewiesen, wonach die vertragsärztliche/-psychotherapeutische Tätigkeit des Zulassungsbewerbers zweifelsfrei als dessen Hauptberuf zu qualifizieren und prägend für seine Berufstätigkeit insgesamt sein müsse. Dies fordere, dass die weisungsabhängige, fremdbestimmte Erwerbstätigkeit in einem auf Dauer angelegten Beschäftigungsverhältnis oder in einem ähnlichen Rechtsverhältnis deutlich nur untergeordneten Umfang habe. Dies sei der Fall, wenn die andere Erwerbstätigkeit maximal ein Drittel der üblichen Wochenarbeitszeit abhängiger Beschäftigungsverhältnisse - ca. 13 Stunden - in Anspruch nehme. Die vom Kläger derzeit an der O. Volksschule in B. ausgeübte Tätigkeit als Hauptschullehrer (26 Unterrichtsstunden zuzüglich weiterer Arbeitszeiten für Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, Elterngespräche und anderes) sei dagegen sowohl in zeitlicher als auch in finanzieller Hinsicht als hauptberuflich einzuschätzen.

Das Sozialgericht München hat mit Urteil vom 7. März 2002 die Klage abgewiesen. Da der Kläger während des gesamten Zeitfensters hauptberuflich als Lehrer tätig gewesen sei, fehle es hier bereits an der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geforderten Gleichwertigkeit. Zu Recht weise die Beigeladene zu 1) darauf hin, dass das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 30. Januar 2002 (Az.: B 6 KA 20/01 R) fordere, dass die vertragsärztliche Tätigkeit des Zulassungsbewerbers zweifelsfrei als dessen Hauptberuf qualifiziert werden könne und prägend für seine Berufstätigkeit insgesamt sein müsse. Dies sei nur der Fall, wenn die weisungsabhängige fremdbestimmte Erwerbstätigkeit in einem auf Dauer angelegten Beschäftigungsverhältnis deutlich nur untergeordneten Umfang habe. Die andere Erwerbstätigkeit dürfe danach maximal ein Drittel der üblichen Wochenarbeitszeit abhängiger Beschäftigungsverhältnisse, also ca. 13 Stunden, in Anspruch nehmen. Der Kläger sei ohne Unterbrechung hauptberuflich als Lehrer tätig gewesen, dieses Beschäftigungsverhältnis präge seinen Status. Dass der Kläger beabsichtige, diese Tätigkeit aufzugeben, könne für den hier maßgeblichen Zeitraum nichts ändern. Auch der Umstand, dass der Kläger infolge seines Alters grundsätzlich keine bedarfsabhängige Zulassung erhalten könne, könne keinen Anspruch auf Erteilung einer bedarfsunabhängigen Zulassung begründen. Der Gesetzgeber habe insbesondere diesen Umstand nicht in die Härtefallregelung des § 95 Abs.10 SGB V miteinbezogen, sondern sich allein auf das Merkmal "Teilnahme" als den maßgeblichen Aspekt des Vertrauens- bzw. Bestandsschutzes beschränkt. Sollte die Versagung der bedarfsabhängigen Zulassung aufgrund der Altersgrenze eine unbillige Härte darstellen, könnte dieser Härtefall nach § 25 Satz 2 Ärzte-ZV allenfalls eine bedarfsabhängige Zulassung in einem nicht gesperrten Zulassungsbezirk rechtfertigen. Nach alledem sei es auf den Umfang der im sogenannten Zeitfenster erbrachten Behandlungsstunden nicht mehr angekommen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers zum Bayerischen Landessozialgericht vom 01.08.2002.

Der Klägervertreter beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 7. März 2002 sowie den Bescheid des Beklagten vom 10. Mai 2001 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Kläger als psychologischen Psychotherapeuten an dem beantragten Praxissitz im Planungsbereich München Stadt und Land zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung zuzulassen.

Die Beigeladenen zu 1), 2), 4) und 5) beantragen, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Dem Senat liegen die Verwaltungsakte des Beklagten einschließlich des Arztregisters des Klägers, die Klageakte mit dem Az.: S 43 KA 1769/01 sowie die Berufungsakte mit dem Az.: L 12 Ka 109/02 zur Entscheidung vor, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden und auf deren sonstigen Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers (§ 151 Abs.1 SGG) ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf bedarfsunabhängige Zulassung als psychologischer Psychotherapeut am Sitz seiner Praxis in M. , K.str., einem überversorgten Planungsbereich, da er die Voraussetzungen des § 95 Abs.10 Satz 1 Nr.3 SGB V nicht erfüllt.

Gemäß § 95 Abs.10 SGB V (eingefügt durch Art.2 Nr.11 des Gesetzes über die Berufe des psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichentherapeuten vom 16. Juni 1998 - BGBl I 1311 -) sind psychologische Psychotherapeuten zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung zuzulassen, wenn sie bis zum 31. Dezember 1998 die Voraussetzungen der Approbation nach § 12 Psychotherapeutengesetz sowie des Fachkundenachweises nach § 95 c Satz 2 Nr.3 SGB V erfüllt und den Antrag auf Erteilung der Zulassung gestellt haben (Satz 1 Nr.1); darüber hinaus müssen sie bis zum 31. März 1999 die Approbationsurkunde vorgelegt (Satz 1 Nr.2) und in der Zeit vom 25. Juni 1994 bis zum 24. Juni 1997 (sogenanntes Zeitfenster) an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten der GKV teilgenommen haben (Satz 1 Nr.3 a.a.O.). Die Auslegung des Merkmals der "Teilnahme" an der Versorgung im Sinne des § 95 Abs.10 Satz 1 Nr.3 SGB V wird durch die Funktion der Vorschrift bestimmt, für Härtefälle eine Ausnahme von dem Grundsatz der bedarfsabhängigen Zulassung der psychologischen Psychotherapeuten zu ermöglichen (BSGE 87, 158, 164 = SozR 3-2500 § 95 Nr.25 S.111 unter Hinweis auf BT-Drucksache 13/9212 S.40 und BVerfG SozR 3-2500 § 95 Nr.24 S.103). Es geht dabei nicht um den Zugang zur psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten der GKV als solchen, sondern lediglich um die Möglichkeit, sich an einem Ort niederzulassen, der auf der Grundlage der im Rahmen der Bedarfsplanung getroffenen Feststellungen bereits überversorgt ist, d.h., für den Überkapazitäten auf Seiten der psychotherapeutischen Leistungserbringer bestehen. Zulassungsbewerbern, die sich bei der Auswahl des Praxissitzes typischerweise an ihrem bisherigen Lebensmittelpunkt orientieren, wird grundsätzlich zugemutet, dass sie den Ort ihrer Zulassung nicht nach eigenen Wünschen frei wählen können, sondern sich nach dem Versorgungsbedarf der Versicherten richten. Eine Ausnahme davon sieht § 95 Abs.10 SGB V nur für Zulassungsbewerber vor, die bereits im Zeitfenster an der Versorgung der Versicherten der GKV teilgenommen haben (Satz 1 Nr.3 a.a.O.).

Diese Begünstigung ist nur dann gerechtfertigt, wenn der Betroffene bereits unter Einsatz von Arbeitskraft und finanziellen Mitteln eine eigene Praxis eingerichtet und in einem rechtlich erheblichen Umfang betrieben hat. Sowohl in Bezug auf die Inanspruchnahme der Arbeitskraft des psychologischen Psychotherapeuten als auch im Hinblick auf den wirtschaftlichen Ertrag seiner Tätigkeit muss dabei in eigener Praxis annähernd das für eine Berufstätigkeit typische Ausmaß erreicht worden sein. Aus dem Gesetzeszweck ergibt sich, dass der Begriff der "Teilnahme" die eigenverantwortliche Behandlung von Versicherten der GKV in anerkannten Behandlungsverfahren in eigener Praxis und mit einem bestimmten Behandlungsumfang erfordert. Die nachhaltig auf die ambulante psychotherapeutische Versorgung von Versicherten der GKV ausgerichtete Tätigkeit muss zumindest einen von zwei gleich zu gewichtenden Schwerpunkten der beruflichen Tätigkeit des Betroffenen gebildet haben (vgl. BSG, SozR 3-2500 § 95 Nr.25 S.126 und BSG, Urteil vom 11. September 2002, B 6 KA 41/01 R Seite 8). Vor diesem Hintergrund erfordert eine "Teilnahme" im Sinne von § 95 Abs.10 Satz 1 SGB V grundsätzlich eine Vortätigkeit, die sich auf 250 an Versicherten der GKV erbrachte Behandlungsstunden beläuft, welche - innerhalb des Zeitfensters - konzentriert in einem Halbjahreszeitraum erbracht wurden. Dieser Wert, der umgerechnet ca. 11,6 Behandlungsstunden wöchentlich ergibt, erreicht bei großzügiger Betrachtung unter Berücksichtigung des Begleitaufwandes ungefähr die Hälfte des zeitlichen Aufwandes, der in der gleichen Zeit von einem ausschließlich in eigener voll ausgelasteter Praxis tätigen Psychotherapeuten im Regelfall bewältigt wird.

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt beim Kläger keine bestandsgeschützte "Teilnahme" im Sinne von § 95 Abs.10 Satz 1 Nr.3 SGB V vor. Der Kläger hat insgesamt im Dreijahreszeitraum vom 25. Juni 1994 bis zum 24. Juni 1997 (sogenanntes Zeitfenster) 467 psychotherapeutische Behandlungsstunden im Delegationsverfahren zurückgelegt (Quartal 3/94: 26, 4/94:37, 1/95: 36, 2/95: 39, 3/95: 28, 4/95:45, 1/96: 30, 2/96: 15, 3/96: 59, 4/96: 48, 1/97: 41 und 2/97: 37). Bei Zugrundelegung des gesamten Dreijahreszeitraumes würde sich bei einer angenommenen Arbeitszeit von 43 Wochen pro Jahr wegen Urlaubs- bzw. Krankheitszeit ein wöchentlicher Behandlungsumfang von 3,62 Stunden pro Woche ergeben, womit die vom BSG a.a.O. für notwendig erachtete Behandlungszeit von 11,6 Stunden pro Woche bei weitem nicht erreicht wird. Allerdings ist eine auf den gesamten Dreijahreszeitraum abstellende Betrachtungsweise nach dem Bundessozialgericht (BSG SozR 3-2500 § 95 SGB V Nr.25 S.126) ohnehin nicht zulässig. Aber auch wenn man auf den günstigsten Jahreszeitraum (Quartale 2/96 bis 1/97) abstellt, kommt man bei 198 Behandlungsstunden (geteilt durch 43 Jahreswochen) auf einen Wert von 4,6 Stunden pro Woche. Stellt man auf den günstigsten Halbjahreszeitraum ab (Quartale 2/96 und 3/96) kommt man auf 109 Behandlungsstunden: 21,5 Behandlungswochen, was 5,07 Behandlungsstunden pro Woche entspricht. Insgesamt erreicht damit der Kläger nicht annähernd den vom BSG für erforderlich gehaltenen Behandlungsumfang von mindestens 11,6 Stunden pro Woche, wobei die von der Ehefrau des Klägers - ebenfalls eine psychotherapeutische Psychologin - erbrachten Behandlungsstunden nicht zusätzlich berücksichtigt werden können, da es sich bei der bedarfsabhängigen Zulassung um ein höchstpersönliches Recht handelt, dessen Voraussetzungen vollständig in eigener Person erfüllt sein müssen. Der Grund für den geringen Umfang an psychotherapeutischen Behandlungsstunden beim Kläger liegt im Wesentlichen darin, dass dieser hauptsächlich als Lehrer an einer Grundschule tätig gewesen ist. Damit fehlt es auch an dem weiteren vom BSG für notwendig erachteten Merkmal einer Teilnahme, nämlich dass die Niederlassung in eigener Praxis zumindest einer von zwei gleichgewichtigen Schwerpunkten der beruflichen Orientierung gewesen ist (vgl. BSG SozR 3-2500 § 95 Nr.25 Seite 125 und BSG, Urteil vom 11. September 2002, B 6 KA 41/01 R Seite 11). Davon kann keine Rede sein. Während der Kläger im fraglichen Zeitraum als Lehrer mit 26 Stunden (19,5 Vollstunden) beschäftigt war, kommt er nach den oben dargelegten Berechnungen auf höchstens 5,07 Stunden psychotherapeutischer Tätigkeit, so dass der Schwerpunkt seiner Tätigkeit im Zeitfenster eindeutig auf der Lehrertätigkeit lag. Dass der Kläger zum 1. August 2002 diese Tätigkeit altersbedingt aufgegeben hat, spielt für die Vergangenheit keine Rolle.

Auch die Tatsache, dass der am 26. Februar 1940 geborene Kläger infolge seines Alters nach § 25 Satz 1 Ärzte-ZV grundsätzlich keine bedarfsabhängige Zulassung mehr erhalten kann, begründet keinen Anspruch auf Erteilung einer bedarfsunabhängigen Zulassung. Die Frage der bedarfsabhängigen Zulassung und des möglichen Vorliegens eines Härtefalls im Sinne von § 25 Satz 2 Ärzte-ZV ist im Zusammenhang mit der bedarfsabhängigen Zulassung zu prüfen, für die bislang aber noch gar kein Antrag gestellt wurde und möglicherweise auch gar nicht beabsichtigt ist (vgl. hierzu auch §§ 1 Abs.3 und 47 Abs.2 Ärzte-ZV). Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) haben jedenfalls zu Recht darauf hingewiesen, dass das Psychotherapeutengesetz insgesamt zu einer erheblichen Verbesserung der Rechtsposition der Psychotherapeuten führt. Dies gilt nicht nur für die bedarfsunabhängige Zulassung, sondern auch für den Regelfall der bedarfsabhängigen Zulassung, weil auch hier erstmals eine den Ärzten gleich gestellte Teilhabe an der Behandlung von kranken Versicherten eröffnet wird (vgl. BVerfG vom 30. Mai 2000, 1 BvR 704/00 = SozR 3-2500 § 95 SGB V Nr.24).

Diese Auslegung des § 95 Abs.10 Satz 1 Nr.3 SGB V verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Prüfungsmaßstab ist hierbei zunächst Art.12 Abs.1 GG, da es dem Kläger darum geht, seine psychotherapeutische Praxis in M. in der Zukunft weiter betreiben zu können, so dass die damit verbundenen Erwerbsmöglichkeiten im Vordergrund des Begehrens stehen (vgl. BVerfGE 30, 292, 334 f; 85, 360, 383). Die Beschränkung der Zulassung zur vertragsärztlichen bzw. vertragspsychotherapeutischen Versorgung in überversorgten Gebieten stellt sich als eine Berufsausübungsregelung dar, die vor allem zur Sicherung einer gleichmäßigen Versorgung der Versicherten im gesamten Bundesgebiet gerechtfertigt ist (vgl. BSGE 82, 41, 44 = SozR 3-2500 § 103 Nr.2 Seite 13 für die vertragsärztliche Versorgung; BSGE 81, 207, 212 = SozR 3-2500 § 101 Nr.2 Seite 13 für die vertragszahnärztliche Versorgung; BSGE 87, 158, 163 = SozR 3-2500 § 95 Nr.25 Seite 110 für die vertragspsychotherapeutische Versorgung). Da der Kläger vor Inkrafttreten des Gesetzes vom 16. Juni 1998 keinen Anspruch auf Zulassung zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung hatte, beseitigt dieses Gesetz keine von ihm schon innegehabte bzw. erworbene Rechtsposition, wenn es den auf einen bestimmten Ort bezogenen Zulassungsanspruch nur unter dem Vorbehalt der Gewährleistung einer annähernd gleichmäßigen Versorgung der Versicherten der GKV gewährt. Zwar ist der Gesetzgeber bei der Neuordnung von Berufsausübungsregelungen aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit gehalten, Übergangsregelungen für solche Personen zu schaffen, welche die von der Neuregelung betroffene Tätigkeit in der Vergangenheit in erlaubter Weise ausgeübt haben (BVerfGE 98, 265, 309 f). Solche Übergangsregelungen müssen aber nicht notwendig darauf hinauslaufen, dass die bisherige Tätigkeit in unveränderter Form beibehalten werden darf (BVerfGE 68, 277, 287). Ein psychologischer Psychotherapeut hat daher nicht allein deswegen Anspruch auf eine Zulassung ohne Berücksichtigung des Bedarfs, weil er bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 16. Juni 1998 die nach damaligem Recht erforderliche Qualifikation zur Behandlung von Versicherten der GKV besaß (BVerfG SozR 3-2500 § 95 Nr.24 Seite 103). Auf den Umstand, dass das Rechtsstaatsprinzip Vertrauensschutz auch im Hinblick auf Dispositionen gewährt, die der Bürger in der berechtigten Erwartung getätigt hat, dass sich bestimmte rechtliche Ausgangsbedingungen nicht ändern werden (vgl. BVerfGE 13, 39, 45 f; 30, 367, 389), musste der Gesetzgeber übergangsrechtlich nur dadurch reagieren, dass psychologische Psychotherapeuten, die eine eigene Praxis aufgebaut und in diese in der Erwartung investiert hatten, sie zu alten Bedingungen unverändert weiter zu führen, einen gewissen Schutz genossen. Die sich unter diesem Gesichtspunkt ergebenden verfassungsrechtlichen Erfordernisse hat § 95 Abs.10 Satz 1 SGB V in angemessener Weise aufgenommen und verwirklicht (vgl. BSG SozR 3-2500 § 95 Nr.25 Seite 108 sowie BSG, Urteil vom 11. September 2002, B 6 KA 41/01 R, S.13/14).

Auch soweit § 95 Abs.10 Satz 1 Nr.3 SGB V mit dem 24. Juni 1997 einen Endstichtag vorsieht, bis zu dem die schützenswerte Vortätigkeit erfolgt sein muss, scheidet ein Verstoß gegen höherrangiges Recht aus. Dieses Datum bezeichnet den Tag, an dem die damaligen Regierungsfraktionen von CDU/CSU und FDP einen Gesetzentwurf des Psychotherapeutengesetzes in den Deutschen Bundestag eingebracht haben, der dann in seinen Grundstrukturen Gesetz geworden ist, auch wenn die konkret das Zeitfenster betreffende Regelung erst später als Ergänzung in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht worden ist. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind auch bereits Gesetzesinitiativen geeignet, das Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand rechtlicher Rahmenbedingungen zu erschüttern (BVerfGE 91, 253, 260).

Nach alledem ist die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs.1 und 4 SGG in der bis zum Inkrafttreten des Sechsten SGG-Änderungsgesetzes geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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