L 5 RJ 341/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 14 RJ 1852/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 341/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 10. Mai 2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab Antragstellung am 11.11.1998.

Der am 1947 geborene Kläger ist bosnischer Staatsangehöriger, der sich seit 1968 in Deutschland aufhält. Seinen angeblich in Bosnien erlernten Beruf als Dreher hat er bis 1986 ausgeübt. Nach einer knapp einjährigen Umschulung zum Metallarbeiter war er schließlich von 1991 bis 31.03.1997 als Lagerarbeiter in einem Kühlhaus beschäftigt. Bis 04.12.1998 erhielt er Krankengeld, bis März 2001 Leistungen des Arbeitsamts. Von April 2001 bis Mai 2002 hatte er einen Arbeitsplatz als Bauarbeiter bei einer Abbruchfirma. Seither erhält er wieder Leistungen vom Arbeitsamt.

Als Lagerarbeiter war er in die Lohngruppe 3 des Lohntarifvertrags für gewerbliche Arbeitnehmer in den bayerischen Betrieben des Groß- und Außenhandels eingestuft. Er erhielt hohe übertarifliche Zulagen wegen erschwerter Arbeitsbedingungen.

Aus einem Heilverfahren vom 24.09. bis 22.10.1998 (wegen Diabetes Mellitus Typ IIb, Retropatellararthrose, Cervicalsyndrom und Lumbago) ist er als arbeitsunfähig entlassen worden. Die Kurärzte hielten nur mittelschwere Arbeiten ohne überwiegendes Knien, häufiges Bücken, Zwangshaltung, ohne häufiges Besteigen von Leitern und Treppen für vollschichtig zumutbar.

Auf seinen Rentenantrag vom 11.11.1998 hin veranlasste die Beklagte eine internistische Untersuchung durch Dr.G. , der in seinem Gutachten vom 01.04.1999 ebenfalls mittelschwere Arbeiten zu ebener Erde für vollschichtig zumutbar erachtete. Gestützt hierauf lehnte die Beklagte am 30.04.1999 eine Rentengewährung ab. Der am 10.05.1999 eingelegte Widerspruch, der nicht begründet wurde, wurde mit Bescheid vom 26.10.1999 zurückgewiesen.

Im anschließenden Klageverfahren sind nach Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte im Auftrag des Gerichts zwei fachärztliche Untersuchungen durchgeführt worden. Der Orthopäde Dr.F. hat in seinem Gutachten vom 30.09.2000 ausgeführt, wegen Veränderungen an der Hals- und Lendenwirbelsäule, an der rechten Hüfte, beiden Knien und an der linken Schulter seien nur leichte bis zeitweise mittelschwere Arbeiten im gelegentlichen Wechsel zwischen Sitzen und Stehen zumutbar. Zu vermeiden seien die Einwirkung von Kälte, Nässe und Zugluft, das Heben und Tragen von Lasten, häufiges Bücken, Streckhaltungen der Halswirbelsäule, anhaltende Arbeiten an Büromaschinen und am Bildschirm und Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Im Übrigen verfüge der Kläger aber über ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Das internistische Gutachten Dr.T. vom 24.11.2000 hat als Hauptleiden einen insulinpflichtigen Diabetes mellitus genannt. Der Sachverständige hat leichte bis mittelschwere Arbeiten möglichst in wechselnder Körperhaltung für vollschichtig zumutbar erachtet. Pro Vormittag oder Nachmittag seien ein bis zwei weitere Pausen bis zu maximal 10 Minuten zur Optimierung der Blutzuckereinstellung notwendig. Ausgeschlossen seien Arbeiten am Fließband sowie im Schichtdienst. Weitere fachärztliche Gutachten seien nicht notwendig.

Gestützt auf die genannten Gutachten hat das Sozialgericht die Klage am 10.05.2001 abgewiesen.

Gegen das am 11.06.2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 12.06.2001 Berufung eingelegt, die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht begründet worden ist. Nachdem die Rheuma-Ambulanz der Medizinischen Poliklinik der LMU den hochgradigen Verdacht auf eine Polyarthritis geäußert hatte, hat die Beklagte dem Kläger ein Reha-Verfahren in der Rheuma-Klinik Bad A. bewilligt. Nach stationärem Aufenthalt vom 13.03. bis 10.04.2002 haben die Kurärzte wegen der milden Ausprägung des Verdachts auf chronische Polyarthritis und fehlender neurologischer Ausfälle zwar eine Arbeit als Bauarbeiter für ausgeschlossen erachtet. Leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien jedoch im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen, ohne Heben, Tragen und Bewegen schwerer Lasten, ohne ständiges Bücken und Zwangshaltungen sechs Stunden und mehr am Tag zumutbar.

Der Senat hat dem Klägerbevollmächtigten am 19.05.2003 bedeutet, dass von Amts wegen keine weiteren Ermittlungen durchgeführt werden.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts München vom 10.05.2001 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 30.04.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.10.1999 zu verurteilen, ihm ab 01.12.1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 10.05.2001 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts München, der Arbeitsamtsakten sowie der Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 10.05.2001 ist ebenso wenig zu beanstanden wie der Bescheid der Beklagten vom 30.04. 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.1999. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Er ist weder berufsunfähig noch erwerbsunfähig bzw. erwerbsgemindert im Sinn des ab 01.01.2001 geltenden Rechts.

Berufsunfähig ist ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 43 Abs.2 Satz 1 und 2 in der bis 31.12.2000 geltenden und gemäß § 300 Abs.2 SGB VI wegen der Rentenantragstellung bereits im November 1998 maßgebenden Fassung). Zwar ist das Leistungsvermögen des Klägers soweit beeinträchtigt, dass er weder den zuletzt ausgeübten Beruf als Bauarbeiter noch den als Lagerarbeiter mehr ausüben kann. Dies ergibt sich insbesondere aus den Entlassungsberichten der Kurkliniken, in denen sich der Kläger 1998 bzw. 2002 aufgehalten hat. Der Kläger kann jedoch keinen Berufsschutz in Anspruch nehmen. Er ist daher auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar.

Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der sozialen Wertigkeit des bisherigen Berufs. Um diese zu beurteilen, hat das Bundessozialgericht die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufes haben, werden die Gruppen durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hochqualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren) des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren), und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr.138 und 140). Ausschlaggebend für die Einordnung eines bestimmten Berufes in dieses Mehrstufenschema ist die Qualität der verrichteten Arbeit, das heißt der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Dem Versicherten ist die Verweisung auf die im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf nächst niedrigere Gruppe zumutbar (ständige Rechtsprechung u.a. in SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr.5).

Bei der Bestimmung des Hauptberufs ist von der zuletzt ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit auszugehen. Ein derartiges Gewicht ist dieser Tätigkeit aber nur beizulegen, wenn sie zugleich die qualitativ höchste gewesen ist (BSG SozR 2200 § 1246 Nr.130, 164). Es ist die Berufstätigkeit zugrundezulegen, die bei im Wesentlichen ungeschwächter Arbeitskraft nicht nur vorübergehend eine nennenswerte Zeit ausgeübt wurde (BSG SozR 2200 § 1246 Nr.130). Die Tätigkeit als Bauarbeiter hat der Kläger nur wenige Monate ausgeübt, bevor er erneut für mehrere Monate arbeitsunfähig geworden ist. Maßgebend ist daher die Tätigkeit als Lagerarbeiter, die er von 1991 bis Anfang 1997 ausgeübt hat. Ob es sich dabei um die qualitativ höchstwertige seines gesamten Berufslebens gehandelt hat, kann dahinstehen, nachdem sich der Kläger von der angeblich erlernten Tätigkeit als Dreher bereits 1986 gelöst hat. Der Kläger hat den Dreherberuf nicht gesundheitsbedingt aufgegeben und hat durch die langjährige Ausübung der gut bezahlten Tätigkeit als Lagerarbeiter zu erkennen gegeben, dass er der ursprünglich erlernten Tätigkeit nicht mehr nachgehen wollte.

Als Lagerarbeiter ist der Kläger der Gruppe der Angelernten zuzuordnen. Zwar erzielte er zuletzt ein Bruttoentgelt, das über dem Tariflohn der höchsten Lohngruppe des Lohntarifvertrages vom 12.05.1995 für gewerbliche Arbeitnehmer in den bayerischen Betrieben des Groß- und Außenhandels lag. Allein aus der Entlohnung kann jedoch nicht auf die entsprechende Qualität des Berufs geschlossen werden (BSG SozR 2200 § 1246 Nr.77, 103). Entscheidend ist vielmehr die tarifliche Einstufung, die vom Arbeitgeber getroffen worden ist. Die von ihm erfolgte Zuordnung zur Lohngruppe 3 begegnet keinen Bedenken, nachdem es sich dabei um Arbeiten handelt, die mit einschlägigen Kenntnissen nach einer Anlernzeit ausgeführt werden, und der Tarifvertrag als Beispielsfall den Lagerarbeiter mit Warenkenntnissen nennt. Weil die Lohngruppe 3 zwei Lohnstufen unter der für Facharbeiter vorgesehenen Lohngruppe steht und in der Lohngruppe 4 Arbeiten genannt werden, die nach einer Anlernzeit mit langjähriger praktischer Tätigkeit und mit umfangreichen Warenkenntnissen oder entsprechender Prüfung ausgeführt werden, kommt eine Zuordnung zur Stufe des oberen Angelernten nicht in Betracht. Als einfacher Angelernter ist der Kläger aber auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Das beim Kläger feststellbare Restleistungsvermögen reicht auch aus, derartige Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten. Mit dieser Beurteilung stützt sich der Senat auf die überzeugenden und ausführlichen Darlegungen der im Klageverfahren bestellten Sachverständigen Dr.F. und Dr.T. , die die vorhandenen Vorbefunde sorgfältig gewürdigt und ihre Beurteilung auch schlüssig begründet haben. Mit ihrer Würdigung befinden sie sich in Übereinstimmung mit den Ärzten der Kurklinik in Bad K. , mit dem Arbeitsamtsarzt sowie mit Dr.G. , den die Beklagte im Verwaltungsverfahren gehört hat. Gestützt wird deren Auffassung insbesondere aber auch durch den Entlassungsbericht der Reha-Klinik Bad A. vom 25.04.2002, der dem Kläger nach wie vor ein vollschichtiges Leistungsvermögen zubilligt. Der Kläger hat hiergegen keine Einwände vorgebracht und entgegenstehende ärztliche Atteste liegen nicht vor. Anlass zu weiteren Ermittlungen ergibt sich mangels Berufungsbegründung nicht. Das Ausmaß der Gesundheitsstörungen und der damit verbundenen Leistungseinschränkungen ist im angegriffenen Urteil des Sozialgerichts München zutreffend dargestellt. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird daher im Hinblick auf § 136 Abs.3 SGG Abstand genommen. Zusammenfassend sind dem Kläger noch ruhige und körperlich leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung zu ebener Erde, in Tagschicht und in temperierten Räumen vollschichtig zumutbar. Mit diesem Restleistungsvermögen ist er in der Lage, eine Vielzahl von Tätigkeiten zu verrichten, wie sie üblicherweise von ungelernten Arbeitern gefordert werden. Mangels eingeschränkten Gehvermögens und bei erhaltener Seh- und Hörfähigkeit sowie ausreichender Belastbarkeit der Arme erscheinen Verrichtungen wie zum Beispiel Zureichen, Abnehmen, Verpacken, Transportieren, Aufsicht und Kontrolle möglich. Die Prüfung einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen erübrigt sich daher. Der Kläger, der sonach keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit hat, weil er zumutbare Verweisungstätigkeiten verrichten kann, hat erst recht keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 44 Abs.1 SGB VI a.F., nachdem er die noch strengeren Voraussetzungen des Begriffs der Erwerbsunfähigkeit im Sinne des 2. Absatzes der Vorschrift nicht erfüllt. Das vorhandene Restleistungsvermögen gestattet es ihm, mittels einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit mehr als geringfügige Einkünfte zu erzielen. Weil davon auszugehen ist, dass der Kläger noch acht Stunden vollschichtig tätig sein kann, scheidet auch ein Anspruch nach dem ab 01.01.2001 geltenden § 43 SGB VI aus, der eine Rente wegen Erwerbsminderung erst vorsieht, wenn der Versicherte außer Stande ist, mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Ob dem Kläger ein Arbeitsplatz tatsächlich vermittelt werden kann, ist rechtlich unerheblich, weil vollschichtig Einsatzfähigen der Arbeitsmarkt offen steht und das Risiko der Arbeitsplatzvermittlung von der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung und nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung zu tragen ist (vgl. u.a. BSG in SozR 3-2200 § 1246 Nr.50). Entscheidend ist, dass die Anmarschwege zur Arbeit problemlos zurückgelegt werden können und der Kläger die vollschichtige Tätigkeit unter betriebsüblichen Bedingungen erbringen kann, weil zusätzliche Pausen nicht erforderlich sind. Die von Dr.T. genannte Notwendigkeit, pro Vormittag oder Nachmittag ein bis zwei weitere Pausen bis zu maximal 10 Minuten zu gewähren, überschreitet das betriebsübliche Maß in den dem Kläger offen stehenden Berufsfeldern nicht. Bei den allein dem Kläger zumutbaren ruhigen Arbeiten im Dienstleistungsbereich ist die Einschaltung einer oder zweier Pausen der genannten Länge problemlos möglich. Der 56-jährige Kläger kann sich auch noch auf eine andere als die zuletzt ausgeübte Tätigkeit umstellen. Jedenfalls fehlen Anhaltspunkte für etwaige Zweifel.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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