L 17 U 340/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 8 U 149/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 340/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 15.07.1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei dem Kläger ein Bandscheibenschaden im Bereich L1/L2 links als Folge des Ereignisses vom 29.01.1995 anzuerkennen und zu entschädigen ist.

Der am ...1950 geborene Kläger erlitt am 29.01.1995 einen Unfall. Beim Besuch des Gottesdienstes in der Evang. Kirche St.Jakobi in K ... leistete er einer bewusstlosen Frau Hilfe. Er transportierte sie - als ehemaliger Sanitäter - im vorschriftsmäßigen Rautek-Griff von der Kirchenbank in Richtung Sakristei. Beim Rückwärtsgehen verfehlte er die Stufe zur Sakristei und trat ins Leere. Er verspürte einen Stich im Rücken, fiel mit dem Rücken gegen eine konisch zulaufende Mauer und rutschte an ihr herunter. Nach dem Auftreten von Rückenschmerzen bemerkte er am Abend, dass sein linkes Bein gefühllos war. Nach zweitätiger Weiterarbeit suchte er wegen anhaltender Schmerzen iS einer linksseitigen Lumbalischialgie am 31.01.1995 den Allgemeinarzt Dr.P.M ... (K ...) auf. In der Zeit vom 16.02. bis 02.03.1995 wurde er im Krankenhaus Hohe Warte Bayreuth wegen eines subligamentären Bandscheibenvorfalles L1/2 links stationär behandelt (Operation vom 20.02.1995). Daran schloss sich ein Heilverfahren vom 16.03. bis 27.04.1995 in der Reha-Klinik Loipl, Bischofswiesen, an. Dort wurde als Vorerkrankung auf die operative Revision eines medialen Bandscheibenvorfalles im Segment L5/S1 1986 hingewiesen. Anschließend war der Kläger dort nochmals in stationärer Behandlung vom 18. bis 28.05.1995 zum Ausschluss einer Spondylodiszitis. Arbeitsunfähig war er vom 31.01. bis 03.02.1995 sowie - nach dreitägiger Weiterarbeit - ab 13.02.1995. Der Beklagte zog Befundberichte des Dr.M ... vom 10.08.1995 und des Radiologen Dr.H.-J.R ... (C ...) vom 09.08.1995, einen H-Arzt-Bericht von Dr.J.W ... (N ...) vom 11.08.1995, Arztberichte des Krankenhauses Hohe Warte B ... vom 11.08.1995 und der Reha-Klinik L ... B ... vom 16.08.1995 sowie einen Krankheitsbericht der Barmer Ersatzkasse Kronach vom 08.08.1995 zum Verfahren bei. Anschließend erstellte Dipl. med. M.W ... (N ...) am 18.12.1995/22.04.1996 ein chirurgisches Gutachten. Er führte aus, bei dem Kläger liege ein linksseitiger Bandscheibenvorfall in Höhe L1/2 sowie eine Lumboischialgie vor. Der vom Kläger geschilderte Unfallmechanismus sei aber nicht geeignet gewesen, die traumatische Zerreißung einer isolierten Bandscheibe ohne knöcherne Läsion zu bewirken. Vielmehr lägen hochgradige degenerative Veränderungen vor, so dass der Unfall vom 29.01.1995 keine rechtlich wesentliche Bedingung für den Bandscheibenvorfall darstelle.

Nach Vorlage eines weiteren Arztberichtes von Dr.R ... (Kernspintomographie vom 13.10.1995) lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 12.02.1996 eine Entschädigung des LWS-Schadens ab. Er wies ua auf die seit 1966 sich wiederholenden Lumbalgien hin.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren verneinte der Chirurg Dr.E.L ... (Düssendorf) im Gutachten vom 10.07.1996 einen Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Bandscheibenleiden im Segment L1/L2. Die Beschwerden beruhten wesentlich auf den anlagebedingten Veränderungen iS einer Minderbelastbarkeit. Mit Bescheid vom 26.07.1996 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Bayreuth erhoben mit dem Antrag, das Bandscheibenleiden L1/L2 als Folge des Ereignisses vom 29.01.1995 anzuerkennen und die gesetzlichen Leistungen zu erbringen. Das SG hat Befundberichte des Nervenarztes Dr.J.R ... (K ...) vom 18.10.1996, des Orthopäden Dr.D.M ... (L ...) vom 17.10.1996, des Allgemeinarztes Dr.P.M ... vom 24.10.1996, des Orthopäden Dr.P.P ... (C ...) vom 18.10.1996, des Chirurgen Dr.J.W ... vom 30.10.1996, den HV-Entlassungsberichte der Reha-Klinik A ..., Bad S ..., vom 20.05.1996, Arztberichte der Zentralklinik Bad B ... GmbH vom 17.04./04.06. und 21.08.1996 sowie ärztliche Unterlagen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Berlin, beigezogen. Anschließend hat es ein Gutachten des Orthopäden Dr.W.A ... (B ...) vom 14.07.1997 eingeholt. Der Gutachter ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der subligamentäre Prolaps in der Etage L1/L2 bereits vor dem Unfall vom 29.01.1995 beim Kläger bestanden habe. Dem Unfall komme nicht die Bedeutung einer wesentlichen Teilursache zu. Auf Antrag des Klägers hat das SG gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein neurochirurgisches Gutachten des Dr.J.V ... (Klinikum Süd der Stadt N ...) vom 05.03.1998 veranlasst, der den Unfall vom 29.01.1995 nicht als ursächlich für die Entstehung bzw Verschlimmerung der Gesundheitsstörung des Klägers im Bereich L1/2 ansah. Neben dem Fehlen eines adäquaten Traumas sei die LWS eindeutig vorgeschädigt gewesen. Außerdem habe eine Prädisposition zu Bandscheibenerkrankungen vorgelegen. Das SG hat noch die ärztlichen Unterlagen des Krankenhauses Hohe Warte Bayreuth beigezogen mit Hinweisen auf weitere Bandscheibenprotrusionen im Bereich BWK 10/11, 11/12 sowie LWK 3/4 und 4/5.

Mit Urteil vom 15.07.1998 hat das SG Bayreuth die Klage abgewiesen, da das Ereignis vom 29.01.1995 nicht zu einem Bandscheibenschaden im Bereich L1/2 geführt habe. Der festgestellte subligamentäre Prolaps habe schon vorher bestanden und zu klinisch fassbaren Nervenwurzelreizerscheinungen geführt.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und vorgetragen, eine eventuelle Krankheitsanlage im Bereich L1/L2 sei nicht leicht ansprechbar gewesen. Vom Erstgericht sei rechtsfehlerhaft versäumt worden, ein technisch-physikalisches Gutachten zu der Frage, welche Kräfte beim Unfall auf seine Wirbelsäule einwirkten sowie ob nicht schon allein aus anatomisch-muskulären Gründen eine über das alltägliche Maß hinaus gehende Belastung der Wirbelsäule beim Unfall vom 29.01.1995 eingetreten sei, einzuholen. Alle Gutachter hätten sich ausschließlich mit der hypothetischen Ursache, nämlich dem nicht gesicherten feststehenden Vorschaden beschäftigt, mit der Mechanik des Unfalles aber nur insoweit, als die medizinische Literatur auf Vergleichsfälle durchsucht worden sei. Der Senat hat einen Befundbericht des Nervenarztes Dr.R.H ... (Kronach) vom 13.04.1999, die Schwerbehindertenakte des Amtes für Versorgung und Familienförderung Bayreuth, die Rentenakte der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, die Akte der Verwaltungs-BG (Unfall vom 15.04.1996) sowie die einschlägigen Röntgen- und CT-Aufnahmen beigezogen. Der Kläger hat ein Gutachten des Orthopäden Prof. Dr.E.Sch ... (Orthopäd. Universitätsklinik und Poliklinik F ...) vom 17.05.1999 vorgelegt. Dieser hat das Ereignis vom 29.01.1995 als geeignet angesehen, eine Verlagerung von Bandscheibengewebe zwischen L1 und L2 zu bewirken. Außerdem hat der Kläger eine Studie der Universität Ulm über intradiskale In-Vivo-Druckmessungen bei Alltagsbelastungen übersandt. Auf Veranlassung des Senats hat der Orthopäde Dr.W.A ... am 22.07.2000 eine gutachtliche Stellungnahme abgegeben, in der er das Ereignis vom 29.01.1995 als nicht ursächlich für den Bandscheibenvorfall L1/2 ansah.

Der Kläger beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des SG Bayreuth vom 15.07.1998 sowie der Bescheide vom 12.02.1996 und 26.07.1996 zu verurteilen, ein Bandscheibenleiden in Höhe L1/2 als Folge des Ereignisses vom 29.01.1995 anzuerkennen und zu entschädigen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Bayreuth vom 15.07.1998 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird ergänzend auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte, der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, der Akte der VerwaltungsBG sowie der Schwerbehindertenakte des Amtes für Versorgung und Familienförderung Bayreuth Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente aus Anlass des Unfalles vom 29.01.1995 gemäß §§ 539 Abs 1 Nr 9 a, 548 Abs 2 Satz 1, 581 Abs 1 Nr 2 Reichsversicherungsordnung (RVO). Anzuwenden sind im vorliegenden Falle noch die Vorschriften der RVO, da sich das zu beurteilende Ereignis vor dem 01.01.1997 ereignet hat (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, § 212 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII -). Nach § 548 I S 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540-d, 543 - 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Bei der zum Unfall führenden Tätigkeit war der Kläger nach § 539 Abs 1 Nr 9 a RVO gegen Arbeitsunfall versichert, denn er hat bei einem Unglücksfall Hilfe geleistet. Diese Rettungshandlung hat bei dem Kläger nicht zu dem Bandscheibenschaden geführt. Voraussetzung hierfür ist die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Unfall und der Gesundheitsstörung (Bandscheibenleiden L1/L2). Sie liegt dann vor, wenn das Unfallereignis mit Wahrscheinlichkeit wesentlich die Entstehung oder Verschlimmerung des Gesundheitsschadens bewirkt hat. Es ist also nicht jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele, als Ursache anzusehen, sondern nur diejenige Bedingung, die im Verhältnis zu den anderen einzelnen Bedingungen nach der Auffassung des praktischen Lebens wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Wenn mehrere Bedingungen gleichwertig oder annähernd gleichwertig zu dem Erfolg beigetragen haben, so ist jede von ihnen Ursache im Rechtsinne. Kommt dagegen einem der Umstände gegenüber dem anderen eine überragende Bedeutung zu, so ist der allein wesentliche Ursache im Rechtssinne. Dabei ist zu beachten, dass der Begriff der "wesentlichen Ursache" ein Wertbegriff ist. Die Frage, ob eine Mitursache für den Erfolg wesentlich ist, beurteilt sich nach dem Wert, den ihr die Auffassung des täglichen Lebens gibt (vgl Lauterbach-Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3.Aufl, Anm 3 zu § 548 RVO). Im vorliegenden Falle führt diese Wertung dazu, dass dem degenerativen Bandscheibenvorfall L1/L2, also nicht dem Unfall vom 29.01.1995, die überragende Bedeutung für die Beschwerden des Klägers zukommt. Die degenerativen vorbestehenden Veränderungen sind allein wesentliche Ursache im Rechtssinne für die noch vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Dies entnimmt der Senat den Ausführungen des Sachverständigen Dr.A ... (Gutachten vom 14.07.1997/22.07.2000), Dr.V ... (Gutachten vom 05.03.1998) sowie Dres. L ... und W ..., deren Gutachten vom 10.07.1996 und 18.12.1995/22.04.1996 im anhängigen Rechtstreit berücksichtigt werden konnten (BSG SozR Nr 66 zu § 128 SGG). Danach lag beim Kläger zum Zeitpunkt des Unfalles vom 29.01.1995 neben Gesundheitsstörungen in allen drei Wirbelsäulenabschnitten ein - am 20.02.1995 operiertes - Bandscheibenleiden im Segment L1/L2 vor. Für die Anerkennung einer Bandscheibenverletzung als Folge eines Arbeitsunfalles müssen nach der herrschenden Meinung (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6.Aufl, S 491) bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere muss das Unfallereignis schwer genug gewesen sein und in seiner Mechanik so abgelaufen sein, dass es die Entstehung von Missbildungen der Bandscheiben erklärt. Die vom Kläger vorgebrachte Unfallschilderung ist nicht geeignet, den nachgewiesenen Bandscheibenvorfall L1/L2 ursächlich hervorzurufen. Axiale Stauchungsbelastungen auf die Lendenwirbelsäule (LWS) führen grundsätzlich nicht zu einer isolierten Bandscheibenverletzung iS einer Bandscheibenzerreißung. Eine derartige Verletzung erfordert eine knöcherne Begleitverletzung iS von Grund- und Deckplatteneinbrüchen der benachbarten Wirbelkörper. Dies ist verständlich, da die Bandscheibe eine wesentlich höhere Reißfestigkeit und somit Verletzungsresistenz besitzt als die Bruchfestigkeit des umgebenden knöchernen Gewebes der Wirbelkörper. Bandscheibenverletzungen entstehen daher unfallmäßig grundsätzlich zumeist mit Wirbelkörperverletzungen. Ein isolierter Wirbelkörperbruch ist relativ selten, noch erheblich seltener sind isolierte Bandscheibenverletzungen (etwa 3 %) (Schönberger aaO S 490). Ein unfallbedingter Bandscheibenschaden erfordert also bei axialer Richtung eine massive Gewalteinwirkung, wie zB Verdrehen des Rumpfes und gleichzeitiges Heben oder Bewegen schwerer Lasten oder eine schwere Stauchung der LWS bei Sturz, Überschlag bzw Hinausschleudern aus offenen Wagen (Schönberger aaO, S 493). Diese Voraussetzungen sind bei dem in keiner Weise dramatischen Sturz des Klägers erfüllt. Der Kläger, der geschulter Sanitäter ist, verlagerte nämlich beim Anheben der bewusstlosen Frau deren Gewicht auf das linke Knie, so dass die Wirbelsäule nicht belastet wurde. Beim Verfehlen der Treppe konnte er sich an die konisch zulaufende Mauer stützen und damit einen Sturz nach hinten oder zur Seite verhindern. Er fiel nicht plötzlich auf das eigene Gesäß. Das Unfallereignis war daher nicht adäquat, um eine gesunde Bandscheibe im Bereich L1/L2 auszuluxieren. Auch die weiteren Voraussetzungen für die Anerkennung einer traumatischen Bandscheibenverletzung liegen nicht vor. Im unmittelbarem Anschluss an den Unfall stellten sich schmerzhafte Funktionsstörungen an der LWS, wie zB Lumbago, nicht ein. Zwar verspürte der Kläger beim Unfall einen Stich im Rücken. Er war aber in der Lage, die kollabierte Frau zusammen mit einer Begleitperson in die Sakristei zu tragen. Erst gegen 17.00 Uhr bemerkte er die Gefühllosigkeit im linken Bein. Dennoch arbeitete er am anschließenden Montag und Dienstag weiter, bis er am 31.01.1995 seinen Hausarzt Dr.M ... aufsuchte. Er musste also nach dem Unfall seine Arbeit nicht niederlegen (Schönberger aaO, S 491). Daraus ist zu schließen, dass die typischen Beschwerden eines traumatisch bedingten Bandscheibenvorfalls, abgesehen von dem Stich im Rücken, nicht sofort eingetreten sind. Ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Ereignis vom 29.01.1995 und der klinischen Symptomatik eines Bandscheibenvorfalls kann nicht unterstellt werden. Vor dem Unfall bestand auch keine Beschwerdefreiheit bzw -armut. Es ist nachgewiesen, dass vor dem Ereignis vom 29.01.1995 die LWS bereits degenerativ vorgeschädigt war. Im Entlassungsbericht der Argentalklinik Isny-Neutrauchburg vom 10.12.1986 ist vermerkt, dass "seit 20 Jahren rezivierende Lumbalgien, auch zeitweise Lumboischialgien" bestehen. Bereits bei der Untersuchung am 31.10.1989 (Befundbericht des Orthopäden Dr.P ... vom 18.10.1996) fielen positive Nervendehnungsschmerzen links bei 40 Grad und 30 Grad mit Abschwächung des linken Patellarsehnenreflexes auf. Der Neurologe Dr.H ... konnte an diesem Tage sogar eine Lumboischialgie links (mit Betonung L4/L5) nachweisen. 1991 fand sich im Krankenhaus Hohe Warte Bayreuth (Bericht vom 27.04.1995) eine leichte Abschwächung des Patellarsehnenreflexes und eine Hypästhesie im L4- und L5-Dermatom links. In dem Bericht vom 09.02.1995 wies dieses Krankenhaus auf zeitweise leichte Probleme bei der Kontrolle des linken Kniegelenkes im vergangenen Jahr hin. Der Befundbericht des Dr.M ... vom 11.01.1995 verzeichnet - 18 Tage vor dem Arbeitsunfall - eine erneute Zunahme der Lumbalgien. Bei der histologischen Untersuchung des Operationspräparates anlässlich der Bandscheibenoperation vom 20.02.1995 ließ sich eine ausgeprägte mucoide Degeneration des Bandscheibengewebes mit disseminiertem kleinherdigen Nekrosen erkennen (typisch für rezidivierende Bandscheibenvorfälle). Zudem hat der Kläger bei der Begutachtung durch Dr.A ... Rückenprobleme schon vor dem Unfall von 1995 (jedes Jahr, vor allem in den Wintermonaten) angegeben. Demnach hat eine degenerative Bandscheibenminderung bereits zum Unfallzeitpunkt vorgelegen, zumal es sich hier um sehr langsame, über mehrere Jahre andauernde Vorgänge handelt. Die Degeneration der geschädigten Bandscheibe war zum Zeitpunkt des Unfalles schon so weit fortgeschritten, dass es für die Bewirkung des Bandscheibenvorfalles nur einer geringen, auch im versicherten Alltagsleben ständig vorkommenden Belastung bedurfte. Bei vorgeschädigter Wirbelsäule genügt ein geringer Zusatzimpuls, um das aktuelle klinische Syndrom auszulösen (Schönberger aaO S 493). Der Bandscheibenvorfall wäre mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auch ohne das konkrete Unfallereignis zu annähernd gleicher Zeit mit annähernd gleichen Folgen eingetreten. Aufgrund der eindeutigen Vorschädigung, der Prädisposition des Klägers zu Bandscheibenerkrankungen sowie des nicht adäquaten Traumas kommt dem Unfall vom 29.01.1995 nicht einmal die Bedeutung einer wesentlichen Teilursache zu. Danach lässt sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Bandscheibenschaden im Bereich L1/L2 und dem Unfall vom 29.01.1995 nicht wahrscheinlich machen.

Nicht folgen kann der Senat den Ausführungen des Prof. Dr.Sch ... in seinem Privatgutachten vom 17.05.1999. Unabhängig davon, dass er sich nicht mit dem Gutachten des Dr.A ... auseinandersetzt, sind seine Ausführungen zum Unfallablauf weitgehend spekulativ. Nicht nachvollzogen werden kann, dass es zu Ausgleichsbewegungen, zu unkoordinierten Bewegungsabläufen gekommen sein müsse. Unkoordinierte Bewegungsabläufe sind nicht gesichert, wobei unklar bleibt, wie ein unkoordinierter Bewegungsablauf eingetreten sein soll, wenn der Kläger bewusst darauf einwirkte, die bewusstlose Frau nicht fallen zu lassen. Auch die von ihm angeführten Scherkräfte sind in keiner Weise bewiesen. Bei der Kausalitätsbeurteilung dürfen Abläufe nicht unterstellt werden. Der Gutachter muss von gesicherten Unfallshandlungen ausgehen und hat den Kausalzusammenhang mit Wahrscheinlichkeit zu begründen.

Der Einholung eines technisch-psysikalischen Gutachtens, wie von Klägerseite gefordert, bedarf es nicht. Der eindeutige Geschehensablauf vom 29.01.1995 war nicht derart, dass er - wie in neueren Publikationen vorgetragen - bei Hyperflexion, dh einer Vorbeugung über die physiologische Grenze hinaus, den Faserring der Bandscheibe im dorsalen Bereich zerreißen oder von der Endplatte lösen konnte. Die Studie der Universität Ulm über intradiskale In-Vivo-Druckmessungen bei Alltagsbelastungen weist eher auf eine enorme Belastbarkeit der Bandscheiben hin. Sie hat Bedeutung für die Prävention und auch für bestimmte Fragestellungen bei der Beurteilung einer Berufskrankheit der LWS. In der Publikation werden aber keine biomechanischen Überlegungen angestellt, wie es zu einem traumatischen Bandscheibenvorfall kommen kann.

Damit ist das Unfallereignis nicht die wesentliche Bedingung des beim Kläger eingetretenen Bandscheibenleidens im Bereich L1/L2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Bayreuth vom 15.07.1998 muss somit erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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