L 18 U 342/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 10 U 183/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 U 342/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine berufliche Rehabilitation in einem (teilweise) hautbelastenden
Beruf (hier: Physiotherapeutin) ist nur bei Vorliegen einer atopischen
Hautdiathese ausgeschlossen. Das Bestehen einer atopischen Diathese
rechtfertigt nicht ohne weiteres die Annahme einer atopischen Hautdiathese.
(fortführend BSG SozR 3-2200 § 556 Nr 2 und BSG SozR 3-5670 § 3 Nr 4)
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 23. Juli 1999 aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom 11.03.1997 idF des Widerspruchsbescheides vom 05.08.1997 abgeändert.
II. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin Leistungen der beruflichen Rehabilitation für eine Umschulung zur Physiotherapeutin zu gewähren.
III. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Leistungen der beruflichen Rehabilitation in Form der Förderung der Umschulung zur Physiotherapeutin zu gewähren.

Die am 1957 geborene Klägerin hat in der ehemaligen DDR den Beruf einer Schriftsetzerin/Maschinensetzerin erlernt und bis 1989 ausgeübt. Ab 1989 arbeitete sie bei der Fa. H. Porzellan GmbH in S. zunächst als Porzellanputzerin und ab Januar 1993 als Porzellandruckerin. Während der Tätigkeit der Klägerin als Schrift- bzw Maschinensetzerin in den Jahren 1973 bis 1989 und auch während der Tätigkeit in der Porzellanputzerei (Becherdreherei) von Dezember 1989 bis Dezember 1992 war es nicht zum Auftreten von Hautveränderungen gekommen. Die Tätigkeit in der Becherdreherei bestand ua darin, mittels Schwamm und Wasser eine Glättung der Porzellanoberfläche durchzuführen. Dies machte erforderlich, dass die Klägerin ca tausendmal am Tag ihre Hände in Wasser eintauchte. In der Porzellandruckerei bestand die Tätigkeit der Klägerin im Wesentlichen darin, dass sie abziehbildartige Dekordrucke in ein Lösungsmittel einbrachte, in dem diese je nach Qualität und Menge 5 bis 30 Minuten verblieben, anschließend die Schiebebilder dem Lösungsmittel entnahm und diese über ein Schwammtuch einzeln von Hand auf das Porzellan verbrachte. Hierbei bestand intensiver Kontakt zu einer Klebemasse, die sich zwischen den Fingern festsetzte. Nach den Angaben des Betriebes kam die Klägerin mit den Lösungsmitteln Elkasiv Al 14-6 sowie dem Emulgator Mobileer R, nach Angaben des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten mit den Weichmachern der Fa. Albrecht Nr 105 und 195 in Berührung. Während der Tätigkeit in der Porzellandruckerei war das Verwenden von Gummihandschuhen nicht möglich, da diese an den Druckmustern gehaftet haben und es dann zum Zerreißen des Musters gekommen ist. Auch die Verwendung eines sogenannten flüssigen Handschuhs hatte keinen positiven Effekt. Textile Handschuhmaterialien waren wegen des ständigen Nässekontakts nicht einsetzbar. Bei der Klägerin traten erstmals Ende 1993 Hautveränderungen auf. Sie konsultierte daraufhin am 29.08.1994 und 16.10.1995 den prakt. Arzt K.M ... Nach Behandlung mit einer Salbe besserten sich die Hautveränderungen, ohne vollständig abzuheilen. Am 08.11.1995 begab sich die Klägerin in Behandlung der Hautärztin Dr.R.O ... Diese zeigte am 18.01.1996 der Beklagten eine beruflich bedingte Hauterkrankung an (Handekzem an beiden Händen und Unterarmen mit Bläschenbildung, Rötung, Rissen und Juckreiz). Die Klägerin gab ihren Arbeitsplatz zum 31.03.1996 nach einer Krankschreibung vom 12.02. bis 08.03.1996 auf. Am 18.04.1996 (letzte Konsultation bei der Hautärztin Dr.R.O.) war sie wieder frei von Hautveränderungen.

Von September 1996 bis Dezember 1996 absolvierte die Klägerin als Vorstufe zu der von ihr angestrebten Umschulung zur Physiotherapeutin ein Pflegepraktikum auf der Inneren Station des Krankenhauses S ... Die Klägerin musste nach ihren Angaben Patienten waschen und in den Zimmern Staub wischen. Hierbei seien keinerlei Hautprobleme aufgetreten (auch nicht beim Verwenden von Franz-Branntwein). Im März 1997 begann sie mit der Umschulung zur Physiotherapeutin auf eigene Kosten. Das erste Berufspraktikum absolvierte sie im August und September 1998 im Krankenhaus S ... Hierbei musste sie etwa 15 bis 20 Patienten pro Tag auf der internistischen Abteilung betreuen. Nach jeder Patientenbehandlung mussten die Hände gewaschen und desinfiziert werden. Als Desinfektionsmittel hatte sie Alkohol verwendet. Hierbei waren keine Hauterscheinungen aufgetreten. Die Haut cremte sie nach jedem zweiten oder dritten Patienten mit Eucerin-Salbe ein. Gelegentlich mussten auch Handschuhe (meist gepuderte Latexhandschuhe) getragen werden. Auch hierbei bemerkte sie keinerlei Hauterscheinungen. Ihre Tätigkeiten haben insbesondere im Muskelaufbautrainig und Gangschule bestanden. Darüber hinaus waren Behandlungen im Bewegungsbad (Wassergymnastik und Unterwassermassage) durchgeführt worden.

Die Beklagte holte eine beratungsärztliche Stellungnahme des Hautarztes Dr.J.K. vom 05.11.1996 ein. Dieser hielt die Klägerin für eine Umschulung zur Physiotherapeutin aus gesundheitlichen Gründen nicht für geeignet. Der von der Beklagten mit einer Begutachtung der Klägerin beauftragte Chefarzt der Hautklinik des Vogtland-Klinikums P. , PD Dr.L.K. hielt in seinem Gutachten vom 11.02.1997 eine Umschulung zur Physiotherapeutin trotz einer vorliegenden atopischen Hautdiathese für vertretbar. Ein Restrisiko der Wiedererkrankung schloss er nicht vollständig aus.

Die Beklagte lehnte die Übernahme der Kosten für eine Umschulung zur Physiotherapeutin mit Bescheid vom 11.03.1997 ab. Im Widerspruchsverfahren hörte die Beklagte erneut ihren beratenden Hautarzt Dr.J.K. , der das Berufsbild der Physiotherapeutin nicht als leidensgerecht für eine Atopikerin ansah (Stellungnahme vom 11.04.1997). Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch mit Bescheid vom 05.08.1997 zurück.

Gegen diese Bescheide hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Bayreuth erhoben und die Erstattung der Kosten der Umschulung zur Physiotherapeutin begehrt. Das SG hat von dem PD Dr.habil.W.Z. ein arbeitsmedizinisches Gutachten vom 26.01.1999 sowie ein hautärztliches Zusatzgutachten des Dr.U.H. vom 03.12.1998 eingeholt. Dr.U.H. hat bei der Klägerin eine normale Belastbarkeit der Haut bei fehlender atopischer H a u t diathese angenommen und keine Einschränkung für Feuchtarbeiten gesehen. Gegen eine Tätigkeit als Physiotherapeutin hat er keine Bedenken angemeldet, soweit das Allergen in "Kytta Balsam" identifiziert und in Zukunft konsequent gemieden werde. Auch PD Dr.habil. W.Z. hat - bei Meidung des Allergens in "Kytta Balsam" - einen Einsatz als Physiotherapeutin im gesamten beruflichen Spektrum auf Dauer für möglich gehalten.

Die Beklagte hat sich gegen die vom Gericht eingeholten Gutachten gewandt und sich auf eine Stellungnahme ihres beratenden Hautarztes Dr.J.K. vom 04.05.1999 berufen.

Die Beklagte hat sich in der mündlichen Verhandlung vor dem SG vom 23.07.1999 bereit erklärt, Umschulungsmaßnahmen zur beruflichen Rehabilitation zu gewähren, sofern ein Beruf ergriffen werde, der nicht hautbelastend sei.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 23.07.1999 im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin könne nur unter Beachtung besonderer Vorkehrungen im Bereich der Physiotherapie tätig sein. Sie müsse konsequent und dauernd für besonderen Hautschutz und besondere Hautpflege sorgen, und bestimmte Salben (derzeit sei nur eine Reaktion auf Kytta Balsam F bekannt, wobei aber nicht abzusehen sei, ob sich nicht Empfindlichkeiten auch gegenüber anderen Substanzen im Laufe Zeit entwickeln) absolut meiden und sie müsse jeden Massagepatienten vor Behandlung darüber ausfragen, ob und mit welchen Substanzen er sich unter Umständen eingecremt habe - und dann unter Umständen von einer Behandlung Abstand nehmen. Die Klägerin könne daher nicht auf dem ganzen Berufsfeld uneingeschränkt arbeiten.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und auf die vom SG eingeholten Gutachten verwiesen. Die seit Jahren ohne Hautprobleme ausgeübte Tätigkeit - zunächst in der Ausbildung, dann ab Juli 2000 als Physiotherapeutin - widerlegten die Auffassung des SG, dass sie nur unter bestimmten Bedingungen ihren Beruf ausüben könne.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren und durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des SG Bayreuth vom 23.07.1999 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 11.03.1997 idF des Widerspruchsbescheides vom 05.08.1997 abzuändern sowie die Beklagte zu verpflichten, ihr Leistungen der beruflichen Rehabilitation für eine Umschulung zur Physiotherapeutin zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Bayreuth vom 23.07.1999 zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Berufskrankheitenakte der Beklagten, die beigezogenen Akten der Bundesanstalt für Arbeit und der Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren und durch den Berichterstatter, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (§§ 124 Abs 2, 155 Abs 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz ).

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 SGG) ist zulässig und begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, die von der Klägerin gewählte Umschulung gemäß §§ 26, 35 ff SGB VII zu fördern.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Notwendigkeit beruflicher Rehabilitation besteht und die Klägerin dem Grunde nach einen Anspruch auf Rehabilitationsleistungen hat.

Der Anspruch der Klägerin richtet sich nach dem Sozialgesetzbuch - Siebtes Buch (SGB VII), weil sie die Umschulung nach dem am 01.01.1997 in Kraft getretenen SGB VII begonnen hat (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz - UVEG).

Die Klägerin hat vor der Ablehnung der Förderung durch die Beklagte die Rehabilitation selbst betrieben, indem sie am 01.03.1997 die Umschulung begonnen hat. Eine selbst durchgeführte Rehabilitation gereicht der Klägerin aber nicht zum Nachteil. Sie ist nach der Rechtsprechung vielmehr so zu behandeln, wie wenn ihr die Leistung rechtzeitig bewilligt worden wäre (BSG SozR 3-4100 § 58 Nr 5).

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Förderung der Umschulung zur Physiotherapeutin, weil sie hierfür nach den Feststellungen der vom SG gehörten Sachverständigen gesundheitlich ohne Einschränkung geeignet ist. Für die Beurteilung der Berufseignung bei einer Umschulung müssen nach Diepgen (Berufliche Rehabilitation von hautkranken Beschäftigten, Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 1 - 2 (1996)) einerseits Hinweise auf eine Minderbelastbarkeit der Haut und andererseits problematische Berufe beachtet und miteinander in Beziehung gebracht werden. Beim Beruf der Physiotherapeutin kann nach der Aussage des Sachverständigen überwiegend von einem unproblematischen, trockenen Beruf ausgegangen werden, wobei ein problematisches Tätigkeitsfeld als Teilgebiet in diesem Beruf die Masseurtätigkeit sein kann. Die Masseurtätigkeit wird in der obengenannten Arbeit als besonders hautbelastend eingestuft. Außerdem sollte beachtet werden, dass alle Teilbereiche eines Umschulungsberufes ausgeübt werden können, dh wenn in einem bestimmten Beruf einige Tätigkeitsfelder besonders hautbelastende Arbeiten enthalten, sollte in diesen Beruf nicht umgeschult werden, wenn eine Minderbelastbarkeit der Haut vorliegt. Geht man davon aus, dass der Beruf des Physiotherapeuten unter Berücksichtigung sämtlicher Tätigkeitsfelder als teilweise hautbelastend eingestuft werden muss, so ist entscheidend, ob eine Minderbelastbarkeit der Haut vorliegt. Nach Diepgen (aaO) und Mosetter (Neufassung des G 24 Hauterkrankungen, Verleger-Beilage in Arbeitsmedizin Sozialmedizin Umweltmedizin, Heft 6 (1996)) bestehen dauernde gesundheitliche Bedenken und sollte ein hautbelastender Beruf nicht empfohlen werden, wenn Merkmale erster Ordnung, eine atopische Hautdiathese (erbliche Allergieneigung) oder Merkmale zweiter Ordnung, insbesondere in Kombination mit Merkmalen dritter Ordnung vorliegen.

Als Merkmale erster Ordnung sind danach anzusehen: - Schweres atopisches Ekzem mit Beteiligung der Hände - Ausgeprägtes chronisches und chronisch-rezidivierendes, sub toxisch kumulatives oder allergisches Handekzem - Klinisch-relevante Sensibilisierungen gegenüber Allergene, deren Kontakt bei der geplanten Tätigkeit nicht zu meiden ist - Berufsbedingte Hauterkrankung, die aufgrund einer anlagebe dingten Minderbelastbarkeit der Haut zur Tätigkeitsaufgabe gezwungen hat - Schwere therapieresistene Psoriasis der Hände.

Als Merkmale zweiter Ordnung sind anzusehen: - Atopisches Ekzem ohne Beteiligung der Hände - Leichtere Ekzemmanifestation der Hände - Metallsalzreaktion in Kombination mit atopischer Hautdiathese - Allergische Rhinitis oder allergisches Asthma bei Berufen, bei denen die Gefahr einer Typ I - Allergie besteht (zB Bäc ker)

- Psoriasis palmaris. Merkmale der dritten Ordnung sind Hinweise für eine verstärkte Irritationsbereitschaft der Haut.

Sinn jeder beruflichen Rehabilitation ist die möglichst uneingeschränkte berufliche Eingliederung (so BSG SozR 4100 § 56 Nr 8). Was dies hinsichtlich der Beurteilung der Geeignetheit einer Umschulung bei einer Hautkrankheit (Nr 5101 der Anlage 1 zur BKVO) bedeutet, hat der 9b-Senat des BSG in seinem Urteil vom 26.08.1992 - 9b RAr 3/91 (= SozR 3-2200 § 556 Nr 2) aufgezeigt. Er hat klar gestellt, dass aufgrund der Voraussetzung für das Vorliegen einer solchen BK "Unterlassung aller (die krankheitverursachenden) Tätigkeiten", zu denen auch solche gehören, die dem Arbeitsplatz nicht das bestimmende Gepräge gegeben haben (vgl BSG SozR 2200 § 551 Nr 21), Leistungen der Berufshilfe in solchen Fällen grundsätzlich nur dann zu gewähren sind, wenn der Versicherte die Ausbildung für ein Berufsspektrum anstrebt, in dem die gefährdenden Tätigkeiten möglichst vollständig und auf Dauer zu vermeiden sind, da sonst in einem Teil der Berufe, für die der Versicherte die erforderliche Fachkenntnisse durch die Umschulung erhält, die BK s o g l e i c h wieder ausgelöst würde. Der erkennende Senat hat keine Bedenken, sich dieser Rechtsprechung anzuschließen. Die vom BSG entwickelten Maßstäbe für die Beurteilung der Geeignetheit einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme im Bereich der BKen der Haut sind geeignet, das Rehabilitationsziel auf Dauer zu verwirklichen. Nur eine Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, die zu einer völligen Vermeidung der schädigenden Einwirkungen im beruflichen Bereich befähigt, ist hierzu nachhaltig in der Lage (aaO).

Ausgehend von diesen rechtlichen Grundsätzen und den obengenannten medizinischen Erfordernissen war die Umschulung der Klägerin zur Physiotherapeutin geeignet, die einschränkungslose Wiedereingliederung in das Berufsleben zu ermöglichen. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den vom SG eingeholten Gutachten des Dr.U.H. vom 03.12.1998 und des PD Dr.habil.Z. vom 26.01.1999. Die vom Sachverständigen erhobenen Diagnosen 1. Zustand nach allergischem Kontaktekzem der Hände bei Kon taktallergien gegen Kobalt, Nickel, Porzellandruckfarben 2. Kontaktallergie gegen Kytta Balsam F 3. Atopische Diathese (Synonym Atopie = erbliche Allergienei gung)

schließen einen dauerhaften Einsatz in allen Bereichen des Berufs einer Physiotherapeutin nicht aus.

Bei der Klägerin besteht nach den Feststellungen des Dr.U.H. zwar eine atopische Diathese, jedoch nicht eine atopische H a u t diathese. An klinischen Zeichen einer atopischen Hautdiathese fanden sich 2 Kriterien von 13 möglichen (nämlich weißer Dermographismus und Acrozyanose), die entsprechend dem Erlanger Atopie-Score (vgl Diepgen, Dermatosen 1991, 39: 79 - 83) mit 4 Punkten zu bewerten sind. Paraklinisch (Labor, Hauttest) waren spezifische IgE auf verschiedene Pollen sowie ein positiver Pricktest auf Inhalationsallergene (sog Phadiatop-Test) nachweisbar, die zusammen mit einem Punkt zu bewerten sind. An anamnestischen Hinweiszeichen für eine ererbte Allergieneigung war Heuschnupfen beim Sohn eruierbar (0,5 Punkte). Dagegen kann aus der anamnestischen Angabe, dass einmalig im Frühjahr 1995 eine kurze Episode von Schnupfen auftrat, die sich jedoch im Folgejahr nicht wiederholte, nach den Feststellungen des Sachverständigen PD Dr.habil.W.Z. das Vorliegen eines Heuschnupfens nicht abgeleitet werden. Das einmalige Auftreten des Schnupfens im Frühjahr 1995 ist retrospektiv als banaler Schnupfen im Rahmen einer Erkältung, der zufällig in der Pollenflugzeit aufgetreten ist, anzusehen. Insgesamt ergibt sich somit ein Punktwert des Erlanger Atopie-Score von 5.5, nach dem das Vorliegen einer atopischen H a u t diathese als unwahrscheinlich anzusehen ist (atopische Hautdiathese unwahrscheinlich bei 4 bis 7 Punkten). Selbst bei Bewertung der einmaligen Schnupfenepisode im Frühjahr 1995 als Heuschnupfen, der dann mit einem Punkt zu bewerten wäre, ergäbe sich nur ein Wert von 6.5, der noch innerhalb des Bereiches von 4 bis 7 Punkten liegt. Hinzu kommt, dass nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr.U.H. bei Annahme einer allergischen Rhinitis bei der Klägerin ein erheblich höherer Risikofaktor für ein berufsbedingtes Handekzem nicht angenommen werden kann. Bei Patienten mit Handekzem wurde nämlich eine allergische Rhinitis nicht häufiger diagnostiziert als bei gesunden Kontrollpersonen. Die erhobenen allergologischen Befunde (Prick-Test, Hauttest, Anamnese) sprechen lediglich für eine allgemeine Allergieneigung (besonders von sog Atemallergien), die jedoch nicht mit einem erhöhten Risiko, an Ekzemen zu erkranken, verbunden ist. Der Mechanismus einer atopisch bedingten Allergieneigung (Typ I-Reaktion) ist hierbei grundsätzlich anders als der von allergischen Kontaktekzemen (Typ IV-Reaktion) wie sie bei der Klägerin gegen bestimmte Metallionen und Farben nachgewiesen wurden. Bei kritischer Wertung der erhobenen Befunde haben die gehörten Sachverständigen aus arbeitsmedizinischer Sicht zusammenfassend konstatiert, dass das Vorliegen einer atopischen Hautdiathese, die als kritisch für den Einsatz einer Physiotherapeutin anzusehen ist, nicht mit Wahrscheinlichkeit zu belegen ist. Gegen eine atopische Hautdiathese, die als prädisponierender Faktor für die Ekzementstehung bei verschiedensten Hautbelastungen anzusehen ist, spricht darüber hinaus aus dermatologischer Sicht die völlige Erscheinungsfreiheit während der dreijährigen, hochgradig hautbelastenden Tätigkeit in der Becherdreherei sowie während der zwei Berufspraktika im Krankenhaus. Auch eine Sensibilisierung gegen Latexbestandteile und Gummi war auszuschließen, sodass nicht von einer Gefahr beim Tragen von Latex- und anderweitigen Gummihandschuhen auszugehen ist. Die Prüfung verschiedener berufsrelevanter Stoffe - wie Desinfektionsmittel, Konservierungsmittel, Salbengrundlagen, medizinische Wirkstoffe (hyperaemisierende = durchblutungsfördernde Stoffe, antirheumatische Wirkstoffe, pflanzliche Wirkstoffe), Massageöl, Ultraschallgel und Elektrodengel - ergab keinerlei Kontaktallergien. Lediglich für den von der Klägerin mitgebrachten und im privaten Bereich von der Mutter verwendeten Kytta Balsam F, war eine Kontaktallergie nachweisbar. Hierzu hat der Sachverständige PD Dr.habil.W.Z. aus arbeitsmedizinischer Sicht angemerkt, dass Physiotherapeuten im krankengymnastischen Bereich entsprechend der gängigen Lehrmeinung zur Massage keinerlei Externa anwenden, sodass demzufolge für Kytta Balsam F nur ein theoretisches Risiko besteht und somit nicht relevant sein dürfte. Denkbar wäre allenfalls ein Kontakt durch von Patienten (ohne Wissen der Physiotherapeutin) aufgetragene Salben vor einer Massage. Aber auch dieses Risiko könne durch entsprechende Vorsorgemaßnahmen der Physiotherapeutin (zB durch Patientenbefragung bzw Patienteninformation) vor einer Massage ausgeschaltet werden. Eine generalisierte Ausweitung des Allergenspektrums auf andere Stoffe ist bei den hier nachgewiesenen Allergien vom Spättyp aus medizinischer Sicht nicht zu befürchten.

Auch die obengenannten Hautmerkmale der ersten bzw zweiten Ordnung in Kombination mit Merkmalen der dritten Ordnung liegen bei der Klägerin nicht vor. Ferner ist nach dem hautärztlichen Gutachten des Dr.U.H. eine Einschränkung für Feuchtberufe dann nicht anzunehmen, wenn 1. die Hauterkrankung durch ein potentes Allergen verursacht wurde, 2. das Ekzem nach Meiden des Allergens heilte, 3. keine atopische Hautdiathese vorliegt und 4. auch im privaten Bereich Feuchtarbeit vertragen wird. Da bei der Klägerin diese Bedingungen sämtlich erfüllt sind, ist aus hautärztlicher Sicht eine Einschränkung für Feuchtarbeit nicht anzunehmen. Eine Gefährdung durch die Kontaktallergien gegenüber Nickel und Kobalt ist im Rahmen der Tätigkeit als Physiotherapeutin/Krankengymnastin nicht anzunehmen.

Letztlich misst auch der vom Beklagten gehörte PD Dr.L.K. seiner (unrichtigen) Diagnose einer atopischen Hautdiathese keine entscheidende Bedeutung bei, wenn er in seinem Gutachten (Seite 14) ausführt, dass der tausendfache tägliche Nässekontakt während der Tätigkeit der Klägerin in der Becherdreherei ohne Entwicklung von Hautveränderungen dafür spreche, dass kontaktallergische Ursachen im Wesentlichen für die Entstehung des Handekzems ursächlich waren. Die Entwicklung des Handekzems erstmalig und zeitlich begrenzt auf die Tätigkeit in der Porzellandruckerei spricht nach seinen Feststellungen gegen eine wesentliche endogene Mitverursachung des Handekzems. Folgerichtig hat auch PD Dr.L.K. die Klägerin für den Beruf der Physiotherapeutin für geeignet gehalten.

Nach alledem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin in der Umschulung zur Physiotherapeutin für einen Beruf ausgebildet worden ist, indem die BK s o g l e i c h wieder ausgelöst würde (so BSG SozR 3-5670 § 3 Nr 4). Nach den Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen ist die Klägerin uneingeschränkt auf Dauer für den Beruf einer Physiotherapeutin gesundheitlich geeignet. Die Beklagte hat daher Leistungen zur Umschulung zu gewähren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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