L 2 KN 93/02 U

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 24 KN 145/98 U
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 KN 93/02 U
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.03.2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Witwenrente

Die im Jahre 1962 geborene Klägerin ist Marokkanerin und lebt in Marokko. Sie ist die Witwe des 1942 geborenen und 1997 verstorbenen F H (im Folgenden: Versicherter). Der Versicherte arbeitete von 1973 bis 1980 im deutschen Steinkohlenbergbau. Anschließend war er arbeitslos.

Der Versicherte wurde vom 29.10. bis 15.11.1984 stationär im T-Krankenhaus, Innere Abteilung, T wegen Nierenkolik links, (zwischenzeitlich abgeklungen) chronischer Alkohol und Nikotinabusus behandelt. Weitere ärztliche Unterlagen aus dieser Zeit liegen nicht vor. Im Januar 1985 kehrte der Versicherte nach Marokko zurück. Die in Deutschland zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten Beiträge erstattete ihm die Bundesknappschaft (Bescheid vom 27.02.1985).

Wegen einer Erkrankung wandte sich der Versicherte im März 1996 an die Bundesknappschaft und beantragte die Gewährung einer Rente. Die Bundesknappschaft entschied, dass wegen der Beitragserstattung rentenrechtliche Zeiten nicht mehr vorhanden seien. Im anschließenden Klageverfahren zum Sozialgericht (SG) Dortmund (Aktenzeichen (Az) S 24 KN 143/96) legte er ein Kurzgutachten des Pneumologen Dr. L vom B Krankenhaus in P vor. Darin bescheinigte dieser als Beschwerdesymptome Husten, blutigen Auswurf, Dyspnoe bei Belastung, Thoraxschmerzen. Bei der Lungenuntersuchung seien Rasselgeräusche festgestellt worden. Die Lungenröntgenaufnahme habe das "Stadium 3P" ergeben. Zusammenfassende Beurteilung: Der Versicherte habe eine berufsbedingte Lungensilikose im Stadium 3P mit leichter funktioneller Wirkung (Kurzgutachten vom 22.04.1996). Die Klage blieb erfolglos.

Der Versicherte verstarb am 00.00.1997. Im Totenschein vom gleichen Tag heißt es, der Tod sei in Folge eines bronchopulmonalen Tumors sehr extensiven Einbrechens [ ...] eingetreten. Die Bestattung sei vollzogen. Daraufhin wandte sich die Klägerin an die Beklagte mit der Bitte, ihr Hinterbliebenenleistungen zu gewähren. Ihr Ehemann sei durch die Arbeit im Bergbau gestorben. Sie legte dazu ein Attest von Dr. L vor, wonach der Versicherte erklärt hatte, er sei 7 Jahre lag unter Aussetzung des Silikoserisikos unter Tage beschäftigt gewesen, und im Übrigen der Befund aus dem Kurzgutachten vom 22.04.1996 wiedergegeben wird (Bescheinigung vom 28.02.1997). Sie fügte eine Bescheinigung des Lungenfacharztes Dr. F vom B Krankenhaus P bei. Danach war der Versicherte dort vom 12. bis 20.02. und 24. bis 28.03.1997 wegen Krebs und Siliko-Tuberkulose in stationärer Behandlung. Außerdem reichte sie zwei Röntgenaufnahmen der Lunge vom 06.01. und 25.03.1997 ein. Die Bundesknappschaft teilte mit, dass bei ihr keine medizinischen Unterlagen über den Versicherten vorliegen. Sie lehnte einen Antrag der Klägerin auf Gewährung von Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes ab, weil anrechenbare deutsche Versicherungszeiten nicht - mehr - vorhanden seien (Bescheid vom 13.07.1997).

Der von der Beklagten befragte Arzt für Innere Medizin Dr. N aus E meinte in Auswertung der Röntgenaufnahmen, die typischen Merkmale einer eindeutigen Silikose seien darauf nicht zu erkennen. Es handele sich um einen Befund, der verdächtig auf eine Tuberkulose sei. Der Streuungsgrad sei nach den Röntgenbildern in die Kategorie pp 0/1 tbu einzuordnen. Die röntgenologische Entwicklung vom 06.01. zum 25.03.1997 unterstreiche die Wahrscheinlichkeit eines auf dem Totenschein vermerkten bronchopulmonalen Tumors, eines Bronchialkarcinoms mit begleitenden pneumonischen Prozessen. Mit dem sehr extensiven Einbrechen sei wahrscheinlich eine massive Arrosionsblutung gemeint, die dann am 02.04.1997 zum Tod geführt habe. Zu Lebzeiten habe eine entschädigungspflichtige Berufskrankheit offenbar nicht vorgelegen (Stellungnahme vom 22.05.1998). Nach Einschaltung der Landesanstalt für Arbeitsschutz, die die medizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK 4101 nicht erfüllt sah (Stellungnahme Dr. Q vom 24.06.1998), lehnte die Beklagte die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen ab: Bei Auswertung der Röntgenaufnahmen seien eindeutige silikotische Lungenveränderungen nicht zu erkennen gewesen, Anhaltspunkte für eine aktive Lungentuberkulose hätten sich nicht gefunden. Nach dem derzeitigen Stand der Silikoseforschung könne ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Silikose und Krebs nur bejaht werden, wenn der Krebs in einer silikotischen Schwiele bzw. Narbe entstanden ist (Bescheid vom 31.07.1998; Widerspruchsbescheid vom 08.04.1999).

Mit ihrer Klage zum SG Dortmund hat die Klägerin vorgetragen, der Versicherte sei an einem Bronchialkarcinom und einer Staublungenerkrankung gestorben. Dies ergebe sich aus dem Kurzgutachten des Dr. L vom 22.04.1996. Im Zweifel sei zu Ihren Gunsten zu entscheiden. Der Versicherte habe sich bereits 1996 mit der Bitte um eine Untersuchung in Marokko nach Deutschland gewandt. Die Beklagte hätte zu diesem Zeitpunkt eine solche Untersuchung veranlassen müssen. Sie hat Bescheinigungen des Dr. F sowie der Ärztin Dr. U, die den Totenschein ausgestellt hatte, vorgelegt.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG ist für die Klägerin niemand erschienen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat ihre Entscheidung weiter für zutreffend gehalten und sich durch das Ergebnis der Beweisaufnahme bestätigt gesehen. Eine Untersuchung Anfang 1996 habe sie nicht veranlassen können, weil sie vom Tod des Versicherten erst durch den Antrag der Klägerin im April 1997 erfahren habe.

Dr. F hat dem SG mitgeteilt, der Versicherte sei wegen einer Lungentuberkulose ab dem 13.02.1997 im B Krankenhaus behandelt worden. Beigefügt war eine Karteikarte ("Nationales Programm zur Bekämpfung von Tuberkulose"), worin als Symptome u.a. Fieber, Schüttelfrost, Schwitzneigung, Asthma aufgeführt sind (Bericht vom 16.05.00). Der vom SG als Sachverständiger eingeschaltete Prof. Dr. T aus O hat alle Unterlagen und die Röntgenaufnahmen vom 06.01. und 25.03.1997 sowie eine weitere, von der Klägerin nachgereichte Aufnahme vom 18.02.1997 ausgewertet: Alle Röntgenaufnahmen wiesen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer eindeutigen Silikose auf. Sie zeigten weder eine eindeutige silikosetypische Fleckelung noch umschriebene silikosetypische Verschattungen. Der Tod des Versicherten sei auf die Folgen eines ausgedehnten infiltrativen Prozesses der rechten Lungen zurückzuführen, dem wahrscheinlich eine foudroyant verlaufende Tuberkulose zugrunde gelegen habe (Gutachten vom 05.03.2001).

Das SG hat die Klage abgewiesen, weil sich eine Silikose nicht habe feststellen lassen können (Urteil vom 22.03.02).

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens weiter. Sie ist der Auffassung, ihr Ehemann sei an einer Berufskrankheit nach Ziffern 4101 oder 4102 verstorben. Dr. F hat mitgeteilt, im B Krankenhaus seien sonst keine Unterlagen vorhanden; weitere Angaben könnten nicht gemacht werden (Bescheinigung vom 15.06.03).

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.03.2002 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 31.07.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.1999 zu verurteilen, ihr eine Hinterbliebenenrente (Witwenrente) zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der Darstellung der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Vorprozessakten des SG Dortmund (Az S 24 Kn 143/96) und die Akten der Beklagten Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt. Für die im Ausland lebende Klägerin gilt nämlich entsprechend der zutreffenden Rechtsmittelbelehrung im angefochtenem Urteil eine dreimonatige Berufungsfrist, §§ 153 Abs 1, 87 Abs 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), die sie auch eingehalten hat.

Die Berufung ist unbegründet.

Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 31.07.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.04.1999 (§ 95 SGG), der Gegenstand des bereits anhängigen Klageverfahrens geworden ist (§ 96 Abs 1 SGG) und durch den die wegen § 78 Abs 1 S 1 SGG zunächst unzulässige Klage zulässig geworden ist, nicht beschwert, § 54 Abs 2 S 1 SGG. Die Entscheidung der Beklagten ist nicht rechtswidrig, weil ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Hinterbliebenenrente nicht besteht. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme lassen sich zur Überzeugung des Senats die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs nicht feststellen.

Nach den - hier bereits maßgeblichen, seit dem 01.01.1997 geltenden - Vorschriften des Sozialgesetzbuchs 7. Buch (SGB VII) "Gesetzliche Unfallversicherung" haben Hinterbliebene Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn der Tod (des Versicherten) infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist, § 63 Abs 1 S 1 Nr 3 und S 2 SGB VII. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (BKen), § 7 Abs 1 SGB VII. Berufskrankheiten sind außerhalb der hier nicht in Betracht kommenden Regelung des § 9 Abs 2 SGB VII zu den sog. Quasi-BKen - nur - Krankheiten, die in der Berufskrankheiten- Verordnung (BKV) als Berufskrankheiten bezeichnet sind und die Versicherte infolge einer Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit erleiden, vgl. § 9 Abs 1 S 1 SGB VII (sog. Listen-BKen).

Nach Ausschöpfung der gebotenen Aufklärungsmöglichkeiten ist nicht erweislich, dass der Tod des Versicherten infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist. Der Versicherungsfall "Berufskrankheit" (BK) ist vorliegend nicht nachgewiesen. Der Nachweis einer BK setzt zunächst voraus, dass mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit (sog Vollbeweis) eine Gesundheitsstörung vorliegt, die alle Voraussetzungen eines in der BKV geregelten BK-Tatbestands erfüllt. Der von der Klägerin angesprochene Rechtsgrundsatz, es sei im Zweifel zu ihren Gunsten zu entscheiden, gilt dagegen im Sozialrecht nicht (Bereiter-Hahn/Mehrtens. Gesetzliche Unfallversicherung. Handkommentar. 5. Auflage, Stand März 2003. § 9 SGB VII Rdnr 12; Hauck in: Weiss/Gagel (Hrsg). Handbuch des Arbeits- und Sozialrechts. Systematische Darstellung. Stand Januar 2003. § 22 A. Die Unfallrenten. Rdnr 79 mwN). Bereits am Nachweis einer in der Anlage zur BKV aufgeführten BK fehlt es hier. Denn es lässt sich nicht mit der für einen Vollbeweis erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen, dass der Versicherte an einer solchen BK litt. In Betracht zu ziehen sind die BKen Nr 4101 (Quarzstaublungenerkrankung - Silikose), Nr 4102 (Quarzstaublungenerkrankung in Verbindung mit aktiver Lungentuberkulose - Siliko-Tuberkulose) und Nr 4112 (Lungenkrebs durch Einwirkung von kristallinem Siliziumdioxyd (SiO2) bei nachgewiesener Quarzstaublungenerkrankung (Silikose oder Siliko-Tuberkulose)) der Anlage zur BKV. Alle diese BKen setzen voraus, dass eine Quarzstaublungenerkrankung nachgewiesen ist. Dieser Nachweis konnte vorliegend nicht erbracht werden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme lässt sich nicht feststellen, dass der Versicherte an einer Quarzstaublungenerkrankung gelitten hat, die wahrscheinlich für seinen Tod (mittelbar) ursächlich geworden sein könnte. Das steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest. Nach der überzeugenden Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. T weisen die Röntgenbilder keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer eindeutigen Silikose auf. Sie zeigen weder eine eindeutige silikosetypische Fleckelung noch umschriebene silikosetypische Verschattungen. Das gleiche folgt aus der im Wege des Urkundenbeweises verwertbaren Einschätzung des Dr. N. Bei den übrigen von den marokkanischen Ärzten mitgeteilten Befunden handelt es sich im Ergebnis danach um unspezifische Lungenbefunde, die den Schluss auf eine Quarzstaublungenerkrankung nicht zulassen. Es kann dahinstehen, ob die Äußerung des Dr. L im Gutachten vom 22.04.1996 "Stadium 3p" eine Einstufung auf der Grundlage der maßgeblichen ILO-Klassifikation darstellt. Sollte dies der Fall sein, so sieht der Senat sie durch die Feststellungen von Dr. N und Prof. Dr. T als widerlegt an, weil diese Ärzte nach den später gefertigten Röntgenaufnahmen einen solchen Befund nicht bestätigen konnten. Die Mitteilung von Dr. F, der Versicherte sei im B Krankenhaus wegen "Siliko-Tuberkulose" behandelt worden, enthält keine Anknüpfungstatsachen (z.B. Befunde) für den Schluss, es habe eine Siliko-Tuberkulose bestanden. Insgesamt fehlt es danach am Beweis der gemeinsamen Voraussetzung der BKen 4101, 4102 und 4112 der Anlage zur BKV, der Quarzstaublungenerkrankung.

Zusätzlich steht einem Anspruch wegen einer BK 4112 entgegen, dass der Tod am 02.04.1997 eingetreten ist. Für diese erst im Jahre 2002 in die Anlage zur BKV aufgenommene BK sind vor dem 01.12.1997 eingetretene Versicherungsfälle von der Entschädigung ausgenommen, § 6 Abs 1 S 1 BKV.

Anhaltspunkte dafür, dass der Tod infolge eines Arbeitsunfalls eingetreten ist, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Damit kommt es auf die Fragen, ob die behauptete Silikose ursächlich auf die berufliche Quarzstaubexpostion im deutschen Steinkohlenbergbau in den Jahren 1973 bis 1980 zurückzuführen ist und -mittelbar - für die zum Tode führenden Leiden ursächlich geworden ist, nicht mehr entscheidend an. Die im B Krankenhaus erhobenen von Dr. F mitgeteilten Befunde sowie die Angaben auf dem Totenschein vom 02.04.1997 lassen hieran ebenfalls Zweifel aufkommen. Danach ist der Versicherte an einem bronchopulmonalen Tumor verstorben. Eine solche Erkrankung tritt auch aus anderen, mit der beruflichen Exposition in keinem Zusammenhang stehenden Gründen auf.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs 1 SGG.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs 2 SGG.

Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil es für die Entscheidung wesentlich auf die Würdigung der erhobenen Beweise, also auf Besonderheiten des Einzelfalls, ankommt.
Rechtskraft
Aus
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