L 11 KA 125/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 19 KA 52/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 125/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 27.05.2002 abgeändert. Der Beschluss des Beklagten vom 15.03/10.04.2000 wird aufgehoben. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die bedarfsunabhängige Zulassung der Beigeladenen zu 7) als psychologische Psychotherapeutin in ...

Die 1960 geborene Beigeladene zu 7) ist approbierte psychologische Psychotherapeutin und ins Psychotherapeutenregister eingetragen. Seit 1986 behandelte sie in ... in eigener Praxis Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung psychotherapeutisch ambulant. Vom 15.04.1989 bis zum 30.04.1997 war sie in der ...-Rehabilitationsklinik im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Ihre zunächst in Vollzeit ausgeübte Tätigkeit wurde im Anschluss an die Geburt der Tochter im Oktober 1992 von Dezember 1992 bis Dezember 1994 durch Erziehungsurlaub unterbrochen und danach als Halbtagsbeschäftigung fortgesetzt. Von März bis Oktober 1996 war die Beigeladene zu 7) beurlaubt, da sie sich im Hinblick auf einen berufsbedingten Auslandsaufenthalt ihres Mannes mit ihm in Kanada aufhielt. Vom 01.05.1997 bis zum 09.04.1999 ging sie einer Halbtagsbeschäftigung in der Schmerzambulanz der Universität ... nach. Bereits im November 1998 zog sie nach ..., da ihr Ehemann dort eine Stelle angenommen hatte.

In der Zeit vom 25.06.1994 bis zum 24.06.1997 (Zeitfenster) erbrachte die Beigeladene zu 7) im Rahmen der Kostenerstattung psychotherapeutische Behandlungsstunden zugunsten gesetzlich Krankenversicherter im Umfang von (nach eigenen Angaben) 480 Stunden, davon 181 im ersten Jahr des Zeitfensters und 83 in der Zeit vom 01.01.1997 bis zum 30.06.1997. Wegen der Einnahmen hieraus sowie ihrer sonstigen Einkünfte wird auf die von ihr vorgelegten Aufstellungen und Einkommensteuerbescheide Bezug genommen.

Am 22.12.1998 beantragte die Beigeladene zu 7) die bedarfsunabhängige Zulassung als psychologische Psychotherapeutin und gab als Praxisanschrift ihre Wohnadresse "A ..." an, da sie sich geeignete Praxisräume erst nach erfolgter Zulassung suchen wollte. Ab April 1999 nahm sie Behandlungsräume in der S ... in ... in Anspruch.

Mit Beschluss vom 11.05.1999 ließ der Zulassungsausschuss für Ärzte Duisburg - Kammer Psychotherapie - die Beigeladene zu 7) bedarfsunabhängig als psychologische Psychotherapeutin mit Vertragsarztsitz in 45134 Essen, Alte Eichen 6, zu. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, die Beigeladene zu 7) habe während des Zeitfensters nicht in ausreichendem Maße Behandlungsstunden absolviert und daher nicht den für eine bedarfsunabhängige Zulassung erforderlichen Bestandsschutz erworben. Mit Beschluss vom 15.03.2000 wies der Beklagte den Widerspruch zurück: Der berufliche Werdegang der Beigeladenen zu 7) zeige die Umsetzung ihres Willens, freiberuflich psychotherapeutisch tätig zu sein. Die abgeleisteten 480 Behandlungsstunden seien hierfür vom Umfang her ausreichend.

Gegen diesen Beschluss hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Duisburg (SG) erhoben und vorgetragen: Die Beigeladene zu 7) habe während des Zeitfensters nicht im erforderlichen Umfang an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung teilgenommen.

Im Hinblick auf die von ihr im Zulassungsverfahren vorgelegten Sammelbescheinigungen der Krankenkassen sei lediglich von 305 nachgewiesenen Behandlungsstunden auszugehen. Selbst wenn man jedoch zu ihren Gunsten 480 Stunden unterstelle, entspreche dies nur einem Behandlungsumfang von drei bis vier Stunden pro Woche und damit nicht einer annähernd halbtägigen Tätigkeit, wie sie nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erforderlich sei. Darüber hinaus seien die Stunden insgesamt nicht berücksichtigungsfähig, weil die Beigeladene zu 7) sie in ... erbracht habe und damit nicht in der Praxis, für die sie nunmehr die bedarfsunabhängige Zulassung erstrebe.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beschluss des Beklagten vom 15.03.2000 aufzuheben.

Der Beklagte hat keine Anträge gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.

Die Beigeladene zu 7) hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen: Sowohl der Umstand, dass sie keine 250 Behandlungsstunden in einem Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten erbracht habe, als auch der Umzug von ... nach ... beruhten auf ihrem familiären Engagement (Kindererziehung bzw. Familienzusammenführung) und damit auf Umständen, die typischerweise Frauen beträfen. Sollte ihr Zulassungsantrag hieran scheitern, läge darin eine nicht durch objektive Gründe gerechtfertigte mittelbare Diskriminierung, die von Art 3 der Richtlinie 76/207/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (RL 76/207 EWG) und Art 4 der Richtlinie 86/613/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausüben, wie über den Mutterschaft (RL 86/613/EWG), untersagt werde. Im Übrigen habe die Klägerin die Verlegung der Praxis von ... nach ... im Zulassungsverfahren nicht beanstandet. Sie sei daher nunmehr mit diesem Einwand gemäß § 44 Zulassungsverordnung für Ärzte (Ärzte-ZV) ausgeschlossen.

Mit Urteil vom 27.05.2002 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Beigeladene zu 7) sei vorwiegend durch familiäre Umstände daran gehindert gewesen, im Zeitfenster 750 Stunden ambulanter Behandlung zu erbringen. Indem § 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) solchen Umständen keine Rechnung trage, beinhalte die Vorschrift eine versteckte mittelbare Diskriminierung. Das Zulassungsbegehren der Beigeladenen zu 7) scheitere auch nicht daran, dass der Gesetzgeber die Kindererziehung und die mit ihr verbundenen Erschwernisse in § 95 Abs. 11b SGB V thematisiert habe. Denn diese Vorschrift greife im vorliegenden Fall nicht ein. Dass die Beigeladene zu 7) im Zeitfenster einer Halbtagsbeschäftigung nachgegangen sei, könne ihr nicht entgegengehalten werden. Denn ein solches Teilzeitarbeitsverhältnis sei für diejenigen Psychotherapeuten, die der Gesetzgeber mit § 95 Abs. 10 SGB V habe privilegieren wollen, nicht ungewöhnlich gewesen. Unschädlich sei schließlich auch der Umzug nach Essen. Denn für Psychotherapeuten, die im Kostenerstattungsverfahren tätig gewesen seien, hätten im Zeitfenster keinerlei berufsrechtliche oder sonstige Normen existiert, aus denen eine Residenzpflicht herzuleiten gewesen sei. § 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 SGB V dürfe daher nicht im Sinne einer solchen Verpflichtung ausgelegt werden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend vor: Die Kindererziehung im Zeitfenster werde durch § 95 Abs. 11a und 11b SGB V abschließend geregelt. Auch der Auslandsaufenthalt der Beigeladenen zu 7) könne keine Berücksichtigung finden, da es sich bei § 95 Abs. 10 SGB V um eine bestandsschützende Härtefallregelung handele. Mit dem Einwand der Praxisverlegung sei sie entgegen der Ansicht der Beigeladenen zu 7) nicht ausgeschlossen, weil die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen hätten und dabei nicht an den Sachvortrag der Beteiligten gebunden seien.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 27.05.2002 abzuändern und den Bescheid des Beklagten vom 15.03./10.04.2000 aufzuheben.

Der Beklagte stellt keinen Antrag.

Die Beigeladene zu 7) beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend. Seit dem 01.01.2001 ist die Beigeladene zu 7) im Rahmen des sog. Job-sharing zur gemeinschaftlichen Berufsausübung mit der psychologischen Psychotherapeutin ... Z ... in ... zugelassen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Akten des Beklagten und des Zulassungsausschusses Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 27.05.2002 ist begründet. Die Klage ist begründet, denn der Beschluss des Beklagten vom 15.03./10.04.2000 ist rechtswidrig. Die Beigeladene zu 7) hat keinen Anspruch auf bedarfsunabhängige Zulassung als psychologische Psychotherapeutin in ...

Dabei scheidet eine Zulassung für den vom Beklagten im Beschluss vom 15.03/10.04.2000 angegebenen Ort der Niederlassung " ..., A ... (!--." von vornherein aus. Denn die Zulassung kann nur für denjenigen Ort erteilt --) werden, an dem der Vertragspsychotherapeut beabsichtigt und in der Lage ist, Sprechstunden abzuhalten (§ 24 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 3 Ärzte-ZV). Das war bei der Adresse "A ...", der Wohnanschrift, der Beigeladenen zu 7), jedoch nie der Fall. Vielmehr hat die Beigeladene zu 7) in der mündlichen Verhandlung vor dem Beklagten selbst eingeräumt, sie unterhalte unter ihrer Wohnanschrift lediglich ein Telefon. Dementsprechend hat sie schon im April 1999 provisorische Praxisräume in der S ... bezogen.

Im Hinblick auf die im Planungsbereich der Stadt ... bestehende Überversorgung könnte sich die Beigeladene zu 7) dort nur aufgrund einer bedarfsunabhängigen Zulassung niederlassen. Die Voraussetzungen hierfür liegen jedoch nicht vor. Denn die Beigeladene zu 7) erfüllt nicht das Tatbestandsmerkmal der Teilnahme an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung im Zeitfenster (§ 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 SGB V).

Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung und Überzeugung der in den Urteilen des BSG vom 08.11.2000 (B 6 KA 52/00 R u.a. - SozR 3-2500 § 95 Nr. 25) vertretenen Rechtsauffassung an, dass diese Regelung mit Verfassungsrecht in Einklang steht. Danach sind die Einbeziehung der Psychotherapeuten in die Bedarfsplanung und die Bindung der Privilegierung einer bedarfsunabhängigen Zulassung als Psychotherapeut in die Teilnahme an der ambulanten psychotherapeutischen Behandlung der Versicherten in der Vergangenheit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. In dieser Auslegung des Begriffs der Teilnahme im Zeitfenster durch die Urteile des BSG liegt die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Beschluss vom 16.03.2000 (1 BvR 53/99 - NJW 2000, 1779, 1780) erwartete Vorklärung, ob und wann durch die Kostenerstattung im Rahmen von § 13 Abs. 3 SGB V, von der auch die Beigeladene zu 7) profitiert hat, ein schützenswertes Vertrauen begründet wurde, welches durch das Psychotherapeutengesetz i.V.m. den Änderungen des SGB V enttäuscht worden sein könnte. Weiterhin ist damit die Frage nach dem Bestandsschutz geklärt, auf welche Einnahmen (absolut und prozentual) ein Therapeut sein Vertrauen in den Fortbestand der bisherigen Regelung gründet. Das BVerfG hat nunmehr entschieden, dass die Auslegung des BSG in den oben genannten Urteilen den Anforderungen an Vertrauens- und Bestandsschutzregelungen im Bereich der Gewährleistung von Art 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) sowie dem Gleichheitssatz gemäß Art 3 Abs. 1 und 3GG ausreichend Rechnung trägt. Danach kann das Tatbestandsmerkmal der "Teilnahme" nur durch zahlenmäßig relevante Behandlungstätigkeit in der Versorgung von Kassenpatienten erfüllt werden (Beschlüsse des BVerfG vom 20.03.2001 - 1 BvR 409/01 und vom 03.04.2002 - 1 BvR 462/01).

Eine Ausnahme von der bedarfsabhängigen Zulassung sieht das Gesetz nur für diejenigen Psychotherapeuten vor, die innerhalb des Zeitfensters an der psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten Teil genommen haben. Damit sollen diejenigen Psychotherapeuten geschützt werden, für die die grundsätzlich zumutbare Verweisung auf eine bedarfsabhängige Zulassung eine unbillige Härte darstellen würde. Aus dem in der Gesetzesbegründung ausdrücklich formulierten und hinreichend deutlich zum Ausdruck kommenden Charakter als Härtefallregelung kann die Zulassung auch in einem überversorgten Planungsbereich zur Vermeidung der Notwendigkeit der Aufgabe einer selbst geschaffenen Praxis erteilt werden. Die in § 95 Abs. 10 SGB V enthaltene Differenzierung zwischen Berufsangehörigen, die in überversorgten Gebieten zugelassen werden können, und solchen, die ihren Zulassungswunsch nur abhängig von der Bedarfslage realisieren können, verstößt nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs. 1 GG. Die Privilegierung der bisher an der ambulanten Versorgung der Versicherten beteiligten Psychotherapeuten rechtfertigt sich nur dann, wenn diese sich unter Einsatz ihrer Arbeitskraft und finanzieller Mittel eine berufliche Existenz an einem bestimmten Orte geschaffen haben, die für sie in persönlicher wie materieller Hinsicht das für eine Berufstätigkeit typische Ausmaß erreicht hat. Danach muss der Psychotherapeut im Zeitfenster in nie dergelassener Praxis eigenverantwortlich Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung in anerkannten Behandlungsverfahren in einem bestimmten Mindestumfang behandelt haben. Damit ist sowohl den Zulassungsgremien als auch den Sozialgerichten eine flexible, den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung tragende Handhabe ermöglicht. Es sind alle Umstände in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen, die für das Vorliegen eines Härtefalles relevant sein können. Nach den Feststellungen des Senates erfüllt die Beigeladene zu 7) die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht.

Maßgebend für die Beurteilung ist dabei der Zeitraum vom 25.06.1994 bis zum 24.06.1997. Eine Verlegung des Zeitfensters für die Zeit der Kindererziehung gemäß § 95 Abs. 11b SGB V scheidet aus, da die Beigeladene zu 7) im Hinblick auf die Kindererziehung ihre Erwerbstätigkeit nicht vollständig aufgegeben, sondern lediglich in ihrer abhängigen Beschäftigung Erziehungsurlaub genommen hat. Die Behandlung gesetzlich versicherter Patienten in eigener Praxis hat sie demgegenüber weitergeführt. Sie hat jedoch während des Zeitfensters nicht im erforderlichen zahlenmäßig relevanten Mindestumfang an der ambulanten Versorgung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung teilgenommen. Der Senat schließt sich auch insoweit der Rechtsauffassung des BSG im oben genannten Urteil an, dass der Behandlungsumfang gegenüber Versicherten der Krankenkassen annähernd einer halbtägigen Tätigkeit entsprochen haben muss und die Behandlungen in der eigenen Praxis nicht gegenüber beruflichen Tätigkeiten für andere Kostenträger von nachrangiger Bedeutung gewesen sein darf. Die Verweisung auf eine bedarfsabhängige Zulassung und der damit verbundene Zwang zu einem beruflichen Neuanfang an einem anderen Orte als dem bisherigen Ort der ambulanten Betätigung kann nur dann eine unzumutbare Härte darstellen, wenn der bisherige ambulante Behandlungsumfang an gesetzlich Versicherten die Berufstätigkeit des Psychotherapeuten mitgeprägt hat oder objektiv nachvollziehbar darauf ausgerichtet gewesen ist. Danach muss die ambulante Behandlungstätigkeit als Erstattungstherapeut(in) nicht die einzige einkommensrelevante berufliche Betätigung gewesen sein, andererseits muss sie vom Umfang her für das gesamte Erwerbseinkommen bedeutsam gewesen sein.

Der Senat unterstellt dabei zugunsten der Beigeladenen zu 7), dass sie entsprechend ihrem Vortrag und ihrer im Zulassungsverfahren überreichten Aufstellung im Zeitfenster 480 Behandlungsstunden in eigener Praxis erbracht hat. Hiervon sind allerdings noch 30 Behandlungsstunden abzusetzen, die von der Debeka und damit einem privaten Versicherungsträger bescheinigt worden sind. Von den verbleibenden 450 Behandlungsstunden haben nach Angaben der Beigeladenen zu 7) im ersten Jahr des Zeitfensters 181 Stunden stattgefunden, im ersten Halbjahr 1997 83 Stunden. Im restlichen Zeitraum (25.06.1995 bis 31.12.1996) haben damit die übrigen 186 Stunden stattgefunden. Ausgehend von 43 Arbeitswochen pro Kalenderjahr (vgl. BSG, Urt. v. 25.08.1999 - B 6 KA 14/98 R - SozR 3-2500 § 85 Nr. 33) ergeben sich aufgrund dessen folgende Durchschnittswerte: für die Zeit vom 25.06.1994 bis zum 24.06.1997 4,2 Stunden, für die Zeit vom 25.06.1995 bis zum 31.12.1996 4,3 Stunden (wenn man das halbe Jahr des Auslandsaufenthalts in Kanada abzieht) und für den restlichen Zeitraum 3,9 Stunden pro Woche. Zu keinem Zeitpunkt hat die Beigeladene zu 7) nach allem gesetzlich Krankenversicherte in auch nur annähernd halbtägigem Umfang behandelt.

Darüber hinaus ist die Tätigkeit in eigener niedergelassener Praxis gegenüber ihren abhängigen Beschäftigungen in der Werra-Rehabilitationsklinik bzw. der Schmerzambulanz der Universität Göttingen von nachrangiger Bedeutung gewesen. Das zeigt sich zum einen im Umfang der jeweiligen Tätigkeiten. Auch wenn man dabei berücksichtigt, dass mit der Annahme einer 50-minütigen Dauer für psychotherapeutische Sitzungen die Arbeitszeit des einzelnen Psychotherapeuten nicht abschließend beschrieben ist, sondern im Hinblick auf die notwendigen begleitenden Tätigkeiten (z.B. Gutachtenerstattung, Vorbereitung, Buchführung) ein zusätzlicher Arbeitsaufwand berücksichtigt werden muss, hat der Gesamtaufwand für die eigene Praxis im Schnitt nicht mehr als sechs bis sieben Stunden pro Woche betragen. Diesen steht jedoch eine zeitlich deutlich stärker beanspruchende abhängige Halbtagsbeschäftigung von 19,25 Stunden wöchentlich gegenüber. Zum anderen zeigen auch die von der Beigeladenen zu 7) überreichten Einkommensaufstellungen und Einkommensteuerbescheide, dass sie ihr Erwerbseinkommen im Zeitfenster schwerpunktmäßig aus der abhängigen Beschäftigung bezogen hat. Abgesehen von der Zeit des Erziehungsurlaubs im Jahre 1994 hat sie 1995 bis 1997 Einkünfte von 5.432 DM, 1.916 DM bzw. 4.005 DM aus selbstständiger gegenüber 39.913 DM, 6.832 DM bzw. 41.358 DM aus nichtselbstständiger Arbeit erzielt. Selbst wenn man dabei dem Bruttoarbeitsentgelt aus der abhängigen Beschäftigung die Bruttoeinkünfte aus der Praxis (12.262 DM, 2.112 DM und 8.016 DM) gegenüberstellt, zeigt sich, dass die Behandlung gesetzlich Krankenversicherter ihre berufliche Betätigung nicht maßgeblich mitgeprägt hat. Unabhängig davon besteht ein Anspruch der Beigeladenen zu 7) auf bedarfsunabhängige Zulassung in Essen aber auch deshalb nicht, weil sie während des Zeitfensters an der ambulanten Behandlung der Versicherten ausschließlich in Göttingen teilgenommen hat. Wie das BSG in der o.g. Entscheidung ebenfalls bereits ausgeführt hat, soll § 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 SGB V Psychotherapeuten davor schützen, eine bestehende Praxis aufgeben zu müssen, um ihre Tätigkeit an einem anderen, von Zulassungsbeschränkungen nicht betroffenen Ort fortsetzen zu können. Dieses Schutzes bedarf jedoch grundsätzlich nicht, wer seine Praxis aus anderen Gründen als den nunmehr geltenden Zulassungsbe schränkungen aufgegeben hat. Dabei kann zwar in Ausnahmefällen auf das Erfordernis der Identität zwischen der im Praxis betriebenen Zeitfenster und der jenigen, für die nunmehr die bedarfsunabhängige Zulassung begehrt wird, verzichtet werden können. Der mit § 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 SGB V bezweckte wirtschaftliche Bestandsschutz verlangt jedoch einen wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen der im Zeitfenster betriebenen und der ab dem 01.01.1999 fortgeführten Praxis. An diesem Zusammenhang fehlt es, wenn wie im vorliegenden Fall die eine Praxis geschlossen und eine völlig neue Praxis,ohne Fortsetzung bereits begonnener Therapien und ohne Rückgriff auf im Zeitfenster geschaffene Netzwerke z.B. mit überweisenden Ärzten, eröffnet wird.

Der Senat darf die Verlegung der Praxis nach dem Zeitfenster zu Lasten der Beigeladenen zu 7) verwerten, obwohl dieser Umstand von der Klägerin im Widerspruchsverfahren nicht beanstandet worden ist. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit ermitteln den Sachverhalt von Amts wegen und sind dabei an das Vorbringen der Beteiligten nicht gebunden (§ 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Im Übrigen ist § 44 Ärzte-ZV eine Fristvorschrift für das Widerspruchsverfahren, die den Widerspruchsführer im Hinblick auf die aufschiebende Wirkung seines Rechtsbehelfs zur Darlegung seiner hierfür maß gebenden Gründe zwingen und dadurch die Erhebung von Widersprüchen gleichsam "auf Vorrat" verhindern soll. Ein gesetzgeberischer Wille, auch das Nachschieben weiterer oder das Präzisieren bereits vorgetragener Gründe nach Ablauf der Frist - zumal für nachgehende Gerichtsverfahren - zu verhindern, lässt sich ihr dagegen nicht entnehmen. Eine Veränderung oder Erleichterung der an das Erfordernis der Teilnahme" im Sinne von § 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 SGB V zu stellenden Anforderungen im Hinblick auf das familiäre Engagement der Beigeladenen zu 7) während des Zeitfensters und danach kommt - über die hier nicht einschlägigen Sondervorschriften in § 95 Abs. 11a, 11b SGB V hinaus - nicht in Betracht. Wie die Gesetzgebungsmaterialien belegen (BT-Drucks. 13/9212, S. 41), hat der Gesetzgeber weitere Ausnahmetatbestände erwogen, jedoch abgelehnt. Vor diesem Hintergrund sind die bestehenden Ausnahmebestimmungen eng auszulegen. Eine weitergehende Berücksichtigung familiärer Umstände bei der im Rahmen von § 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 SGB V gebotenen Gesamtbetrachtung scheidet aus.

In dieser in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung vorgenommenen Auslegung verstößt § 95 Abs. 10 SGB V nicht gegen Verfassungs- oder Europarecht.

Es liegt zunächst kein Verstoß gegen Art 6 Abs. 1 oder 4 GG vor. Wie das BSG bereits im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Zulassung in bedarfsbeplanten Gebieten ausgeführt hat, kommt dem Gesetzgeber bei der Entscheidung, wie er seinem Schutzauftrag aus Art 6 GG nachkommt, ein weiter Gestaltungsspielraum zu (Urt. v. 18.03.1998 - B 6 KA 37/96 R - SozR 3-2500 § 103 Nr. 2). Er darf Zulassungsbewerber auch dann auf nicht gesperrte Planungsbereiche verweisen, wenn hierdurch bei ihnen familiäre Beziehungen berührt werden. Insbesondere besteht keine Verpflichtung, alle mit der Mutterschaft und/oder Kindererziehung zusammenhängenden wirtschaftlichen und beruflichen Belastungen auszugleichen. Nichts anderes gilt auch für die bedarfsunabhängige Zulassung von Psychotherapeuten, zumal der Gesetzgeber das Problem der Erziehungsleistungen im Zeitfenster gesehen und ihm - wie § 95 Abs. 11a und 11b SGB V belegt - Rechnung getragen hat.

Der Senat vermag auch eine rechtswidrige Diskriminierung der Beigeladenen zu 7) unter den Gesichtspunkten, dass sie aus familienbezogenen Gründen an einer weiteren Ausdehnung ihrer ambulanten Behandlungstätigkeit im Zeitfenster gehindert und im Anschluss daran zu der Verlegung der Praxis von ... nach ... gezwungen war, nicht zu erkennen. Insbesondere verstößt § 95 Abs. 10 SGB V weder gegen Art 3 Abs. 2 und 3 Satz 1 GG noch gegen Art 4 RL 86/613 EWG i.V.m. Art 3 Abs. 1 RL 76/207/EWG.

Dabei ist schon zweifelhaft, ob sich § 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 SGB V tatsäch lich zahlenmäßig deutlich stärker gegenüber Frauen auswirkt, weil diese typischerweise in der Familie die Aufgabe der Kindererziehung wahrnehmen und daher weniger als Männer in der Lage sind, einer zeitlich beanspruchenden Tä tigkeit nachzugehen. Wie den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, haben nämlich in den beim Senat anhängig gewordenen ca. 150 Zulassungsverfahren von Psychotherapeut(inn)en in erheblichem Umfang auch Männer eine weniger umfängliche berufliche Betätigung mit der Inanspruchnahme durch Kindererziehung erklärt.

Letztlich kann dies jedoch dahingestellt bleiben. Denn selbst wenn der von der Beigeladenen zu 7) behauptete Tatbestand einer deutlich häufigeren Betroffenheit von Frauen feststünde, ließe dies nicht auf eine verbotene mittelbare Diskriminierung schließen. Denn für die dann feststehende Ungleichbehandlung von Männern und Frauen bestünden objektiv gerechtfertigte Gründe, die nicht ihrerseits in einer Diskriminierung wurzeln. Zu solchen Gründen zählen nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nämlich notwendige sozialpolitische Ziele und dabei insbesondere das Ziel, die öffentlichen Ausgaben für das Gesundheitswesen zu steuern (EuGH, Urt. v. 15.05.1986 - Rs. 222/84 - Johnston - Sl.g 1986, 1651 Rdnr. 22; EuGH, Urt. v. 06.04.2000 - C-226/98 - Joergensen). Ein derartiges Ziel liegt jedoch § 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 SGB V zu Grunde. Denn der Gesetzgeber wollte mit der Einführung dieser Regelung die mit der Bedarfsplanung verfolgten Zwecke (gleichmäßige Verteilung und Kostendämpfung) möglichst weitgehend umsetzen (vgl. BSG SozR 3-2500 § 95 Nr. 25, S. 109 unter Hinweis auf die Ausschussempfehlung). Die Regelung des § 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 SGB V ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet, erforderlich und auch im engeren Sinn angemessen (vgl. zu diesem Kriterium EuGH Urt. v. 02.10.1997 - C-1/95 - Gerster - Slg. 1997, I-5253 Rdnrn. 35 ff.). Bedenkt man nämlich, dass es sich bei der Stabilität des Krankenversicherungssystems um ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut handelt, so muss demgegenüber der Anspruch der nur in Teilzeit tätigen Psychotherapeutinnen auf Gleichbehandlung mit ihren in Vollzeit arbeitenden Kolleginnen und Kollegen zurücktreten.

Einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) gemäß Art 234 Buchst. b) des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft bedarf es dabei nicht. Einmal sind die Voraussetzungen einer verbotenen mittelbaren Diskriminierung in der Rechtsprechung des EuGH hinreichend geklärt. Vor allem ist die Frage, ob § 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 SGB V in der Auslegung durch den Senat eine mittelbare Diskriminierung von Frauen beinhaltet, im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich. Denn die Beigeladene zu 7) ist nicht durch ihre Erziehungstätigkeit bzw. ihr familiäres Engagement daran gehindert worden, die Voraussetzungen einer Teilnahme an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der gesetzlich Versicherten im Zeitfenster zu erfüllen. Vielmehr ist sie durchgängig in der Lage gewesen, eine abhängige Teilzeitbeschäftigung im Umfang einer Halbtagstätigkeit auszuüben und daneben noch, wenn auch in erheblich geringerem Maße, ihre Praxistätigkeit wahrzunehmen. Insgesamt hat sie daher trotz ihrer Aufgaben in der Familie deutlich mehr als halbtägig eine Erwerbsarbeit ausüben können. Damit wäre es ihr ohne Weiteres möglich gewesen, die Vorgabe einer annähernd halbtägigen Behandlungstätigkeit in eigener Praxis zu erfüllen. Dass sie sich stattdessen entschieden hat, den überwiegenden Teil der ihr zur Verfügung stehenden Zeit auf eine Angestelltenbeschäftigung zu verwenden, mag aus Gründen ökonomischer Sicherheit verständlich sein, belegt aber eben gerade nicht die eindeutige Ausrichtung auf eine selbstständige Tätigkeit in eigener Praxis, die allein eine bedarfsunabhängige Zulassung rechtfertigen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der bis zum 01.01.2002 gelten den Fassung (vgl. BSG, Urt. v. 30.01.2002 - B 6 KA 12/01 R - SozR 3-2500 § 116 Nr. 24).

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor, nachdem das BSG die grundsätzlichen Rechtsfragen geklärt und der Senat aufgrund der von ihm festgestellten Umstände des Einzelfalles geurteilt und dabei die bislang vom BSG noch nicht entschiedene Frage einer etwaigen mittelbaren Diskriminierung nicht entscheidungserheblich geworden ist.
Rechtskraft
Aus
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