L 2 U 414/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 41 U 836/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 414/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 27.05.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Feststellung der Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit und um deren Entschädigung.

Der Kläger war von 1959 bis 1994 als Bauhelfer beschäftigt und nach Einschätzung des technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten dabei einer Arbeitsbelastung ausgesetzt, die ausreichend zur Verursachung einer Berufskrankheit nach Nr.2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) war. Der von der Beklagten als Sachverständige gehörte Orthopäde Dr.G.F ... kam jedoch in seinem Gutachten vom 21.02.1997 zu dem Ergebnis, der Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und Wirbelsäulenerkrankung sei nicht wahrscheinlich, da erhebliche konkurrierende Erkrankungen bestünden. Die Lokalisation der Bandscheibenschädigung stimme mit der beruflichen Exposition nicht überein. Die im letzten Wirbelsäulenbereich nachgewiesenen degenerativen Veränderungen eilten denen an den anderen Wirbelsäulenabschnitten nicht deutlich voraus. Röntgenologisch fänden sich spondylotische Veränderungen im Bereich nichtbelasteter Wirbelsäulenanteile, nämlich speziell der unteren und mittleren BWS sowie der unteren HWS. Bei degenerativen Veränderungen von mehreren Wirbelsäulenabschnitten ohne Bevorzugung der LWS oder des thorakolumbalen Überganges sei die Anerkennung einer BK 2108 abzulehnen. Nach derzeitigem Wissensstand sei auch eine mono- oder bisegmentale Bandscheibendegeneration mit Vorwölbung oder Vorfall ursächlich eher auf nicht berufsbedingte Einwirkungen zurückzuführen, grundsätzlich sei jedoch eine berufsbedingte Entstehung nicht ausgeschlossen. Die 1983 und 1984 operativ versorgten Bandscheibenvorfälle L4/5 und L5/S1 seien einer schicksalsmäßigen Bandscheibenerkrankung zuzuordnen. Über 90 % aller Bandscheibenveränderungen an der LWS im Bevölkerungsquerschnitt manifestierten sich an diesen beiden Segmenten. Die Ergebnisse biomechanischer Modellberechnungen sprächen auch dafür, dass alle Belastungsvorgänge am Achsenorgan grundsätzlich nicht nur ein Bewegungssegment erfassten.

Dem schloss sich der gewerbeärztliche Dienst des Gewerbeaufsichtsamtes München Stadt mit Stellungnahme vom 25.03.1997 an.

Mit Bescheid vom 21.05.1997 verweigerte die Beklagte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, weil die Wirbelsäulenerkrankung des Klägers nicht Folge einer Berufskrankheit sei. Den anschließenden Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 25.09.1997 als unbegründet zurück.

Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit nach Nr.2108 der Anlage 1 zur BKVO beantragt. Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Beiziehung von Röntgenaufnahmen und Einholung von Gutachten des Orthopäden Dr.V.Fischer und auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG von dem Orthopäden Dr.K ...

Der Sachverständig Dr.V.F ... kommt in seinem Gutachten vom 03.04.1998 zu dem Ergebnis, dass die Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers keine Berufskrankheit sei. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den operierten Lendenbandscheiben und der Berufsbelastung bestehe nicht, im Übrigen liege kein der Altersnorm vorauseilender Abnutzungszustand der Lendenbandscheiben vor. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule liege vor, da 1983 und 1984 Bandscheibenoperationen durchgeführt worden seien. Die bildtechnisch heute nachweislichen degenerativen Veränderungen an der Lendenwirbelsäule seien eher geringfügig und überschritten das altersdurchschnittliche Ausmaß nicht. Bezüglich der operierten Bandscheiben sei eine Korrelation zwischen Lokalisation der Veränderungen und der beruflichen Einwirkung beim Kläger nicht ausreichend gegeben. Die Begründung hierzu entspricht der des im Verwaltungsverfahren gehörten Sachverständigen. Als konkurrierende Krankheitsursachen, die gegen die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhanges sprächen, nennt der Sachverständige die erhebliche Übergewichtigkeit, welche sich ungünstig auf die Situation der unteren Lendenbandscheiben auswirken müsse. Beim Kläger bestehe eine seitliche Verbiegung der Lendenwirbelsäule nach links bei gleichzeitigem Beckenschiefstand. Dadurch hätten sich die beiden Bandscheibenvorfälle, die 1983 und 1984 operiert worden seien, auch nach links entwickelt. Die Richtung der Bandscheibenvorfälle sei ein deutlicher Hinweis auf eine statisch bedingte Verursachung. Der gleichzeitige Befall der Hals- und Lendenwirbelsäule von Bandscheibenschäden beweise eine generalisierte Neigung zur Entwicklung von Bandscheibenschäden auf der Basis einer Schwäche des Bindegewebes. Zusätzlich lägen beim Kläger Funktionsstörungen an einer Vielzahl weiterer Gelenke vor, die ebenfalls eine anlagebedingte Neigung zur Entwicklung von degenerativen Veränderungen bewiesen. Nur am Rande sei zu erwähnen, dass beim Kläger eine Gicht bestehe, welche sich ebenfalls auf Verschleisserscheinungen der Wirbelsäule auswirke. Damit sei die Mehrzahl der medizinisch-rechtlichen Bedingungen für einen Ursachenzusammenhang zweifellos nicht erfüllt.

Der Sachverständige Dr.K ... kommt in seinem Gutachten vom 16.11.1998 zu dem Ergebnis, beim Kläger lägen krankhafte Befunde im Sinne einer Berufskrankheit nach der Nr.2108 vor, die eine MdE mit 30 v.H. bewirkten. Der Beginn der Berufskrankheit sei mit dem 19.10.1981, dem ersten Tag der Krankschreibung, anzusetzen. Im Gegensatz zu Dr.V.F ... ist der Sachverständige der Meinung, beim Kläger liege keine idiopathische Skoliose vor, sondern eine Fehlhaltung aufgrund einer Beinverkürzung. Die degenerativen Veränderungen im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule überschritten mit Sicherheit nicht das altersübliche Ausmaß. Es müsse auch davon ausgegangen werden, dass zum Zeitpunkt des ersten Bandscheibenvorfalls einzig und allein die Bandscheiben der unteren Lendenwirbelsäule geschädigt gewesen seien. Beim Kläger müsse festgestellt werden, dass er bis zum Auftreten des zweiten Bandscheibenvorfalls einer Belastung ausgesetzt gewesen sei, die doppelt so hoch wie der vom Sachverständigen als gefährdend angesehene Grenzwert liege. Es gelte der Grundsatz, dass die dokumentierten Veränderungen an der Lendenwirbelsäule der Altersnorm vorauszueilen hätten und ihr Auftreten nach der belastenden Tätigkeit liegen müsse. Beim Kläger sei die Schädigung der Bandscheiben der unteren Lendenwirbelsäule hinreichend durch die Operation und die asymmetrischen Höhenminderungen der Segmente L4/5 und L5/S1 dokumentiert. Ziehe man nun in Betracht, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Operation 41 Jahre alt gewesen sei, in kurzer Folge sich drei Bandscheibenoperationen habe unterziehen müssen und die restliche Wirbelsäule keinerlei degenerative Veränderungen aufweise, so könne man mit Sicherheit feststellen, dass dieses Segment in einem Ausmaß geschädigt gewesen sei, das das altersübliche Ausmaß bei weitem übertreffe. Der Hinweis des Dr.V.F ..., dass die beiden untersten Bandscheiben ohnehin bei den meisten Menschen zu degenerativen Veränderungen neigten, sei nicht weiter sachdienlich. Die Höherminderungen in den Segmenten L4/5 und L5/S1 seien die Folge der Bandscheibenschädigungen und nicht deren Ursache. Der bestehende Beckenschiefstand spiele hierbei bestenfalls eine Rolle dahingehend, dass die Bandscheibenerniedrigung nicht symmetrisch erfolgt sei, sondern rechtseitig das Segment L3/4 und L4/5 sich mehr dorsal erniedrigt habe. Beim Kläger könne man auch bestätigen, dass der Ort der Schädigung dem Ort der höchsten Belastung entspreche. Das vom Sachverständigen angeführte Übergewicht habe nicht erwiesenermaßen im gleichen Umfang vor fast 40 Jahren bestanden. Nach dem wissenschaftlichen Kenntnisstand komme auch dem Beckenschiefstand keine Bedeutung für die Entstehung der Bandscheibenvorfälle zu. Auch die angeführte Gicht spiele keine Rolle. Weder in der wissenschaftlichen Literatur noch in der orthopädischen Alltagspraxis sei ein Zusammenhang zwischen dem Vorliegen einer Gicht und dem Auftreten von Bandscheibenschäden bekannt.

In einem weiteren Gutachten vom 27.04.1999 führt der Sachverständige Dr.V.F ... aus, mit den Ausführungen des Dr.K ... sei nicht widerlegt, dass die jetzigen Veränderungen an der Lendenwirbelsäule bildtechnisch nicht gravierend seien. Nach der letzten Bandscheibenoperation habe der Kläger noch etwa 11 Jahre lang die Wirbelsäule weiter durch bandscheibenbelastende Tätigkeiten beansprucht. Dass dennoch eher geringfügige degenerative Veränderungen auf den 1997 angefertigten Röntgenaufnahmen dargestellt seien, sei ein Zeichen dafür, dass trotz der 1983 und 1984 durchgeführten Bandscheibenoperationen die Neigung zur Entwicklung weiterer bandscheibenbedingter Veränderungen geringfügig gewesen sei. Wenn Dr.K ... feststelle, dass die Lokalisation der Veränderungen mit der beruflichen Einwirkung korreliere, weiche er von der Literatur ab. Danach sei gerade das Aussparen der oberen Segmente der Lendenwirbelsäule und des Übergangs zur Brustwirbelsäule von Verschleißerscheinungen ein wichtiges Argument gegen Korrelation zwischen Lokalisation der Veränderungen und beruflicher Einwirkung, da laut experimentellen Untersuchungen die gesamte Wirbelsäule einschließlich des Übergangs zur Brustwirbelsäule von exogenen Druckbelastungen involviert sei. Ob eine idiopathische oder eine statisch bedingte seitliche Verbiegung der Wirbelsäule bestanden habe, spiele keine Rolle. Entscheidend sei allein, dass ein Beckenschiefstand die Statik der Lendenwirbelsäule negativ beeinträchtigen könne und im Falle des Klägers auch beeinträchtigt habe, was radiologisch eindeutig erkennbar sei. Bezüglich des Übergewichtes gehe er davon aus, das eine solches von 20 kg sich nicht plötzlich seit 1984 habe entwickeln können. Die Bandscheibenschäden an der Halswirbelsäule imponierten wesentlich stärker als an der Lendenwirbelsäule. Dies weise sehr wohl auf eine Neigung zur endogenen Entwicklung von Gesundheitsstörungen an den Bandscheiben hin. Die Standardliteratur zur Beurteilung von Kausalzusammenhängen in der gesetzlichen Unfallversicherung, die vom Sachverständigen zitiert wird, stelle sehr wohl eine Korrelation von Gicht- und Bandscheibenschäden her. Auch die von Dr.K ... ausdrücklich zitierte Fettstoffwechselstörung spiele danach eine nicht unbedeutende Rolle in der Entwicklung von Bandscheibenveränderungen.

Mit Urteil vom 27.05.1999 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen und sich auf die Gutachten der Dres.F ... gestützt. Dem Gutachten des Dr.K ... ist es nicht gefolgt, weil es durch die Ausführungen des Dr.V.F ... hinreichend widerlegt sei und nicht den anerkannten Standards der wissenschaftlichen Literatur folge.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 27.05.1999 und den Bescheid der Beklagten vom 21.05.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule Verletztenrente von mindestens 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akten der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts München in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt und das Ergebnis der Beweisaufnahme wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung seiner Lendenwirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit und deren Entschädigung durch Verletztenrente.

Die Entscheidung des Rechtsstreits richtet sich auch im Berufungsverfahren nach den Vorschriften der RVO, weil der Versicherungsfall der geltend gemachten Berufskrankheit mit der Aufgabe der belastenden Tätigkeit vor dem 01.01.1997 eingetreten wäre (§ 212 SGB VII).

Der Senat hält die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts München für unbegründet und sieht nach § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Gesichtspunkte, die nicht bereits in der angefochtenen Entscheidung berücksichtigt worden wären, sind im Berufungsverfahren nicht vorgetragen worden.

Zusammenfassend ergibt sich beim Kläger, dass mit Ausnahme der 1983 und 1984 operierten Bandscheiben die medizinischen Voraussetzungen für die Annahme einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule nicht vorliegen, weil es insoweit nach Aussage sämtlicher Sachverständiger an einem der Altersnorm vorauseilenden Abnutzungszustand der Bandscheiben fehlt. In Betracht kommt allein der Zustand nach Bandscheibenoperationen, der jedoch insbesondere nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr.V.F ... nicht als durch die berufsbedingten Belastungen verursacht angesehen werden kann. Hiergegen sprechen im Wesentlichen zum einen die von der maßgebenden Literatur geforderten und beim Kläger nicht vorliegenden Verteilungsmuster der Bandscheibenschädigungen und zum anderen inbesondere der vom Sachverständigen Dr.V.F ... angeführte Umstand, dass weitere 11 Jahre wirbelsäulenbelastender Tätigkeit ohne wahrnehmbaren Einfluss auf die übrigen Bandscheiben geblieben sind.

Das Sozialgericht hat die Klage deshalb zu Recht abgewiesen.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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