L 2 RA 118/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 3 RA 21/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 RA 118/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 29. Mai 2001 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander für beide Rechtszüge nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Anerkennung der Zeit vom 01. März 1971 bis zum 31. Dezember 1977 als solche der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (Zusatzversorgungssystem nach der Anlage 1 Nr. 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz - AAÜG -) - AVtI -.

Der im ... 1936 geborene Kläger war seit 25. Juli 1963 berechtigt, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen und arbeitete vom 01. September 1963 bis 02. Oktober 1990 in seinem Beruf, ohne dass ihm eine Versorgungszusage zur AVtI erteilt worden war. Im streitigen Zeitraum war der Kläger beim VEB Straßeninstandhaltung B. als Ingenieur - Abteilungsleiter - tätig. Dieser Betrieb wurde zum 01. Januar 1978 vom VEB Straßenwesen B. übernommen.

Auf den Antrag vom 14. Februar 2000 hin, Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem festzustellen, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 31. Mai 2000 zwar die Zeiten vom 01. September 1963 bis 28. Februar 1971 und die Zeit vom 01. Januar 1978 bis 30. Juni 1990 als solche der Zugehörigkeit zur AVtI fest, lehnt dies jedoch für die Zeit der Tätigkeit im VEB Straßeninstandhaltung B. ab, da dieser kein volkseigener Produktionsbetrieb gewesen sei. Mit dem Widerspruch hiergegen trug der Kläger vor, auch der VEB Straßeninstandhaltung habe neben Erhaltungsarbeiten auch Anlagen des Straßenwesens hergestellt und sei somit ein Produktionsbetrieb.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05. Dezember 2000, den der Kläger nach seinen Angaben am 12. Dezember 2000 erhalten hat, wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, es habe sich um ein Instandhaltungs- beziehungsweise Serviceunternehmen gehandelt.

Hiergegen hat sich die am 11. Januar 2001 beim Sozialgericht Cottbus erhobene Klage gerichtet, mit der der Kläger sein Begehren weiter verfolgt und die Auffassung vertreten hat, der VEB Straßeninstandhaltung sei ein Produktionsbetrieb gewesen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 31. Mai 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05 Dezember 2000 zu verpflichten, die Zeit vom 01. März 1971 bis 31. Dezember 1977 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (Zusatzersorgungssystem nach der Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG) und die für diese Zeit nachgewiesenen Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich hierzu auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden berufen.

Mit Urteil vom 29. Mai 2001 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und zur Begründung mit Hinweis auf die Rechtsprechung des hier erkennenden Senats des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg ausgeführt, es komme nicht darauf an, ob der Betrieb des Klägers vom engeren Wortlaut der Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz erfasst sei. Denn § 1 der Verordnung sei weitergehend als der engere Wortlaut der Zweiten Durchführungsbestimmung. Es sei daher auf § 1 der Verordnung selbst abzustellen.

Gegen dieses der Beklagen am 05. Juli 2001 zugestellte Urteil richtet sich deren Berufung vom 19. Juli 2001, zu deren Begründung sie auf die nach dem Urteil des Sozialgerichts ergangene neuere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verweist, insbesondere, dass dadurch die Entscheidungen des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg, auf die sich das Sozialgericht beruft, aufgehoben worden sind.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 29. Mai 2001 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, auch unter Zugrundelegung der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei das angefochtene Urteil im Ergebnis zutreffend, da der VEB Straßeninstandhaltung neben der eigentlichen Straßeninstandsetzung auch Produktionsaufgaben im Bereich des Straßenwesens verrichtet habe.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Leistungsakte der Beklagte und die Gerichtsakte Bezug genommen, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und deren Gegenstand gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht erhoben und somit insgesamt zulässig.

Sie ist auch begründet.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hat der Kläger keinen Anspruch auf Einbeziehung der streitigen Zeit in das Zusatzversorgungssystem AVtI.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt das Gesetz "für Ansprüche und Anwartschaften", die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. "Erworben worden sind" in diesem Sinne aus der Perspektive des am 01. August 1991 in Kraft getretenen AAÜG (Art. 3 RÜG) vom 25. Juli 1991 Versorgungsanwartschaften, wenn die Nichteinbezogenen rückschauend nach den Regeln der Versorgungssysteme, soweit sie aufgrund des Einigungsvertrages Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 9 am 03. Oktober 1990 zu Bundesrecht geworden waren, praktisch und rechtsgrundsätzlich im Regelfall am 30. Juni 1990 (vgl. hierzu Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt II Nr. 8 in Verbindung mit § 22 Rentenangleichungsgesetz vom 28. Juni 1990, GBl. I Seite 495) hätten einbezogen werden müssen; hierzu gehören Rechtspositionen ohne erfolgte Einzelfallregelung (Versorgungszusage, Einzelentscheidung, Einzelvertrag), wenn der Nichteinbezogene aus bundesrechtlicher Sicht einen Rechtsanspruch auf eine Versorgungszusage nach den Regelungen der Versorgungssysteme unter Beachtung des Gleichheitsgebotes gehabt hätte. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG gilt das AAÜG auch in Fällen, in denen nach dieser Vorschrift eine Versorgungsanwartschaft fingiert wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn in der DDR zu irgendeinem Zeitpunkt einmal eine durch Einzelfallregelung konkretisierte Aussicht bestand, im Versorgungsfall Leistungen zu erhalten, diese Aussicht (Anwartschaft ) aber aufgrund der Regelung der Versorgungssysteme vor dem 01. Juli 1990 wieder entfallen war.

Da der Kläger zu keinem Zeitpunkt in der DDR einmal eine Versorgungszusage oder einen Einzelvertrag mit der konkreten Aussicht hatte, bei Eintritt des Versorgungsfalls Leistungen zu erhalten, kommt eine Anspruchsberechtigung des Klägers nur nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG in Betracht. Danach hatten nach den bereits genannten Kriterien auch alle diejenigen eine Versorgungsanwartschaft "erworben", denen aus bundesrechtlicher Sicht nach den Gegebenheiten der DDR, das heißt nach den insoweit vom Einigungsvertrag noch partiell übernommenen Regelungen der Versorgungssysteme, wären diese unter Beachtung des Gleichheitsgebots umgesetzt worden, eine Anwartschaft auf eine Versorgung durch Einzelfallregelung am 30. Juni 1990 hätte eingeräumt werden müssen. Hierzu zählen alle diejenigen, die, wäre der Versorgungsfall zu diesem Zeitpunkt eingetreten, zum 01. Juli 1990 im (jetzt) rechtsstaatlichen Umfeld ("kraft Gesetzes") Leistungen aus dem Versorgungssystem hätten beanspruchen können. Es handelt sich also um damals Nichteinbezogene, die nach den Regelungen der Versorgungssysteme obligatorisch im Sinne einer "gebundenen Verwaltung" in den Kreis der Versorgungsberechtigten hätten einbezogen werden müssen, weil sie die abstrakt generellen Voraussetzungen hierfür insoweit am 30. Juni 1990 (und deswegen auch am 01. August 1991) erfüllt hatten, und zwar nach der Art der ausgeübten Beschäftigung, der hierfür vorgesehenen beruflichen Qualifikation sowie der "Beschäftigungsstelle". Aus bundesrechtlicher Sicht wären hiergegen zu diesem Zeitpunkt nicht einzubeziehen gewesen diejenigen, die nach den Versorgungsordnungen oder Durchführungsbestimmunen oder sonstigen Regelungen der ehemaligen DDR lediglich durch Einzelvertrag oder Einzelentscheid oder Ermessensentscheidung bloß hätten einbezogen werden können. Eine derartige (Ermessens-)Entscheidung, die auch der Erzeugung politischen und gesellschaftlichen Wohlverhaltens diente, könnte allein aus der Sicht der DDR und nach deren Maßstäben getroffen werden. Sie darf infolgedessen mangels sachlicher objektivierbarer, bundesrechtlich nicht nachvollziehbarer Grundlage nicht rückschauend ersetzt werden.

Das Bundessozialgericht hat am 09. und 10. April 2002 über 15 Revisionen aus dem Bereich des Rechts der Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets entschieden.

Dabei hat es dargelegt, dass zur Einbeziehung solcher Zeiten erforderlich ist:

1. Die betroffenen Versicherten müssen zum Zeitpunkt der ausgeübten Tätigkeit die Berechtigung zur Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur", "Diplomingenieur" oder "Techniker" erworben haben.
(Dies ist beim Kläger der Fall).

2. Sie müssen eine ingenieurmäßige Tätigkeit ausgeübt haben.
(Auch dies ist beim Kläger der Fall).

3.a) Diese Tätigkeit muss in einem volkseigenen Betrieb ausgeübt worden sein.
(Auch dies ist beim Kläger der Fall).
b) Allerdings muss es sich dabei nicht um irgendeinen volkseigenen Betrieb, sondern um einen volkseigenen Produktionsbetrieb gehandelt haben.

An letzterem fehlt es beim Kläger für den streitigen Zeitraum:

In der Entscheidung B 4 RA 5/02 R des Bundessozialgerichts vom 10. April 2002 führt das Bundessozialgericht aus, dass es nicht ausreiche, dass der Betroffene in irgendeinem volkseigenen Betrieb (VE) gearbeitet habe; es müsse sich vielmehr gerade um einen volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens gehandelt haben (so auch BSG 4 RA 10/02 R vom 10. April 2002 und B 4 RA 41/01 R vom 09. April 2002). Ein notwendiges Hauptmerkmal eines solchen Betriebes sei, dass sein Hauptzweck in der industriellen Fertigung, Herstellung, Anfertigung, Fabrikation beziehungsweise Produktion von Sachgütern bestehe. Ob der Staat DDR die versorgungsrechtlich begünstigten volkseigenen Produktionsbetriebe der Industrie und des Bauwesens darüber hinaus auch noch nach weiteren Sachkriterien von nicht erfassten volkseigenen Betrieben dieser Wirtschaftsbereiche und wie er sie im Einzelnen von volkseigenen Betrieben und anderen Bereichen der Volkswirtschaft unterschied, sei unerheblich und es könne offen bleiben, ob eine zusätzliche versorgungsrechtliche Einschränkung mit Blick auf die Zuordnung der volkseigenen Produktionsbetriebe zu den verschiedenen in der DDR vorhanden gewesenen Industrieministerien vorliege.

Bei der Prüfung ist vom VEB Straßeninstandhaltung B. und nicht von einem diesem übergeordneten Betrieb auszugehen. Beim Betrieb VEB Straßeninstandhaltung B. handelte es sich jedoch nicht um einen Betrieb, dessen Hauptzweck die Sachgüterproduktion war. Unstreitig ist, dass es sich um einen volkseigenen Betrieb handelte und unstreitig ist, dass dieser ab 01. Januar 1978 im VEB Straßenwesen B. aufgegangen war. Beim Straßenwesen insgesamt handelt es sich um die Tätigkeiten, die zur Errichtung und Unterhaltung der Straßen sowie deren Verwaltung notwendig sind, so dass es vertretbar sein mag, dass die Beklagte vom 01. Januar 1978 an die Zeiten als solche der Zugehörigkeit zur AVtI festgestellt hat. Die Straßenunterhaltung jedoch, die Aufgabe des Vorgängerbetriebes VEB Straßeninstandhaltung war, ist keine Herstellung von Sachgütern, sondern, wie der Begriff ausdrückt, deren Unterhaltung. Die Reparatur beziehungsweise Unterhaltung eines Sachgutes unterscheidet sich von deren Produktion. Erstere ist Voraussetzung für die Unterhaltung. Der Kläger selbst hat während des gesamten Verfahrens vorgetragen, dass der VEB Straßeninstandhaltung neben seiner eigentlichen - aus dem Namen zum Ausdruck kommenden - Instandhaltungstätigkeit auch kleinere Produktionsaufgaben vorgenommen habe, insbesondere im Bereich der Lichtzeichenanlagen, für die der Kläger zuständig war. Abzustellen ist jedoch nicht auf die Abteilung, in der der Kläger tätig war, sondern auf den Betrieb als Ganzes. In dem Betrieb als Ganzes jedoch hat nach dem schriftsätzlichen Vortrag des Klägers und nach dessen Darlegungen im Erörterungstermin die Sachgüterproduktion nicht überwogen, also nicht den Hauptzweck des Betriebes dargestellt. Von daher sah der Senat sich auch nicht genötigt, der Beweisanregung zu folgen und die Zeugen L. und W. zu vernehmen. Denn diese sollten das bekunden, wovon der Senat nach dem glaubhaften Vortrag des Klägers bereits ausgeht, nämlich, dass "auch" Produktion erbracht wurde, jedenfalls insoweit, als dies im Rahmen des Hauptzweckes - der Instandhaltung - anfiel. Soweit der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung entgegen seinem bisherigen Vorbringen und damit wohl auch gegen besseres Wissen behauptet hat, der VEB Straßeninstandsetzung sei ein Betrieb gewesen, der überwiegend mit Produktionsaufgaben befasst gewesen sei, hat der Senat keine Veranlassung gesehen, ins Blaue hinein Beweis zu erheben, denn dafür hat der Kläger auch keinerlei Beweismittel benannt.

Auf die Berufung der Beklagten hin war daher, wie erkannt, mit der Kostenfolge aus § 193 Sozialgerichtsgesetz - SGG - zu entscheiden.

Für die Zulassung der Revision lag keiner der in § 160 SGG dargelegten Gründe vor; der Senat weicht nicht von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ab, sondern folgt dieser vielmehr, und die zugrunde liegende Rechtsfrage ist durch die umfangreiche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hierzu erklärt.
Rechtskraft
Aus
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