L 2 U 488/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 221/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 488/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Versicherte, die bei der Besorgung einer Dauerparkerlaubnis im Eingang des Ordnungsamts verunglückt, steht dabei auch dann nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn die Parkerlaubnis ausschließlich zum Parken während der Arbeitsziet verwendet werden sollte.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 07.11.2000 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 23.12.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.06.1999 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die am 1954 geborene Klägerin suchte am 18.09.1998 gegen 9.15 Uhr den Chirurgen Dr.R. , Chefarzt der Klinik O. , auf und gab an, sie sei gegen 8.10 Uhr auf den Stufen vor dem Rathaus gestürzt. Dr.R. diagnostizierte eine subkapitale Humerusfraktur rechts. Auf Anfrage der Beklagten teilte die Klägerin mit, sie sei im Eingang zum Ordnungsamt auf nassem Laub ausgerutscht und gestürzt, als sie eine Dauerparkerlaubnis habe holen wollen. Sie habe sich auf dem Weg zur Arbeit als Serviererin befunden. Der Arbeitgeber bestätigte in der Unfallanzeige vom 16.11.1998, dass sich die Klägerin beim Ordnungsamt eine Dauerparkgenehmigung habe holen wollen. Arbeitsbeginn sei 8.30 Uhr gewesen.

Die Gastgewerbliche Buchungsstelle teilte mit Schreiben vom 16.12.1998 mit, die Klägerin habe die für sie ausgestellte Dauerparkgenehmigung im Auftrag ihrer Arbeitgeberin abgeholt. Die Kosten für die Genehmigung trage die Klägerin. Sie sei beim Hinausgehen aus dem Ordnungsamt auf der Treppe gestürzt.

Mit Bescheid vom 23.12.1998 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung ab, da die Klägerin bei einer unversicherten Vorbereitungshandlung, die in keinem inneren Zusammenhang zur betrieblichen Tätigkeit stehe, gestürzt sei. Alle Verrichtungen, die mit der privaten Wahl des Verkehrsmittels zusammenhingen, seien der privaten Sphäre zuzuordnen.

Die Klägerin wandte mit Widerspruch vom 21.01.1999 ein, der Besitz einer Parkkarte sei zwingend notwendig gewesen, um den Pkw parken zu dürfen. Eine andere Möglichkeit, als mit dem Auto vom Wohnort in R. nach O. zu kommen, sei nicht gegeben, da der erste Bus erst um 9.15 Uhr fahre. Im Übrigen liege das Ordnungsamt auf dem Weg zur Arbeit.

Das Amt für öffentliche Ordnung des Marktes O. , Adresse: B.platz, teilte mit Schreiben vom 25.03.1999 mit, die Klägerin habe am Unfalltag eine Parkerlaubnis für den Parkplatz am S.weg beantragt, dem nächstgelegenen Parkplatz zum Cafe "A. ", in dem die Klägerin beschäftigt sei.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.06.1999 zurück. Alle Verrichtungen, die mit dem für die Fahrt zur Arbeit benutzten Verkehrsmittel zusammenhingen, seien dem privaten und damit unversicherten Bereich zuzuordnen.

Mit der Klage vom 29.06.1999 hat die Klägerin eingewandt, der direkte Weg zur Arbeit führe über die B.straße und den B.platz. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 30.08.2000 darauf hingewiesen, das Besorgen einer Parkerlaubnis sei nicht anders zu sehen als das Besorgen einer Lohnsteuerkarte oder einer Wochenfahrkarte für ein öffentliches Verkehrsmittel. Beide seien zwar Voraussetzung für die Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses bzw. für das Erreichen der Arbeitsstelle, würden aber der unversicherten Privatsphäre zugerechnet. Der Weg zur Arbeitsstätte sei am Unfalltag durch einen Abweg unterbrochen worden. Der Versicherungsschutz habe mit dem Verlassen des Straßenbanns bzw. dem Betreten des Grundstückes des Ordnungsamtes geendet und hätte erst wieder mit dem Verlassen des Grundstückes begonnen. Da sich der Unfall auf der Eingangstreppe des Ordnungsamtes ereignet habe, habe die Klägerin den Straßenbann noch nicht wieder erreicht gehabt, so dass sich der Unfall während der eigenwirtschaftlichen Unterbrechung des Versicherungsschutzes ereignet habe.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 07.11.2000 hat die Klägerin angegeben, sie sei auf einer der drei Stufen, die zum Ordnungsamt führten, auf nassem Laub ausgerutscht.

Mit Urteil vom 07.11.2000 hat das SG die Beklagte verpflichtet, das Ereignis vom 18.09.1998 als Arbeitsunfall im Sinne eines Wegeunfalles anzuerkennen und der Klägerin hieraus Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Da die Klägerin auf die Anfahrt mit dem Pkw zur Arbeitsstelle angewiesen und eine Parkgenehmigung erforderlich gewesen sei, sei davon auszugehen, dass die Parkgenehmigung grundsätzlich wesentlich der Arbeitgeberin diene. Die Klägerin habe keinen Abweg oder Umweg eingeschlagen, denn das Ordnungsamt habe unmittelbar an der Wegstrecke zum Arbeitsplatz gelegen. Der unternehmerische Bereich, nämlich die Parksituation, habe die Handlungsweise der Versicherten berührt. Somit bestehe ein unternehmerischer Bezug, und Versicherungsschutz sei gegeben. Die Frage, ob im Fall der Annahme einer Unterbrechung diese während des Sturzes bereits wieder beendet gewesen sei, könne damit offen bleiben. Die vorgelegten Fotografien zeigten, dass die Außentür des Ordnungsamtes durchschritten gewesen sei und nach den drei Außenstufen der Übergang zum öffentlichen Straßenbereich fließend erscheinen könne.

Die Beklagte führt zur Begründung der Berufung aus, Vorbereitungshandlungen, die dazu erforderlich seien, die Arbeit aufnehmen zu können, stünden nicht unter dem Schutz der gesetz- lichen Unfallversicherung. Die Klägerin sei auf der Treppe des Ordnungsamtes, die eindeutig noch nicht zum Straßenbereich gehöre, gestürzt.

Die Klägerin weist nochmals darauf hin, dass sie die Dauerparkgenehmigung im Auftrag der Arbeitgeberin abgeholt habe.

Die Beklagte stellt den Antrag, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 07.11.2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie die Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und sachlich begründet.

Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs.1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit. Voraussetzung ist, dass die zum Unfall führende Verrichtung mit der versicherten Tätigkeit sachlich verknüpft ist, der Unfall ursächlich auf der versicherten Tätigkeit beruht und im Sinne der haftungsausfüllenden Kausalität einen Gesundheitsschaden bewirkt hat.

Der Unfall der Klägerin vom 18.09.1998 war kein Arbeitsunfall im Sinne dieser Vorschrift. Bei der erforderlichen wertenden Zuordnung der zum Unfall führenden Tätigkeit ergibt sich, dass sie nicht zum versicherten Bereich des Beschäftigungsverhältnisses, sondern zum privaten eigenwirtschaftlichen Bereich der persönlichen Risikosphäre, der grundsätzlich unversichert ist, gehörte. Gemäß § 8 Abs.2 Nr.1 SGB VII gehört zu den versicherten Tätigkeiten auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges von und nach dem Ort der Tätigkeit. Mit Zurücklegung ist die Fortbewegung im öffentlichen Verkehrsraum gemeint. Der öffentliche Verkehrsraum der zum Ziel führenden Straße endet mit dem Betreten von Seitenstraßen oder Gebäuden oder bereits bei begrenzenden Vorgärten, Vortreppen o.ä. (vgl. KassKomm § 8 SGB VII Rdnr.182 m.w.N.).

Unstreitig hat die Klägerin die Fahrt zum Arbeitsplatz unterbrochen, um das Amt für öffentliche Ordnung des Marktes O. aufzusuchen. Eine geringfügige Unterbrechung des Weges aus privatem Anlass führt dann nicht zum Wegfall des Unfallversicherungsschutzes, wenn die Unterbrechung auf wenige Minuten beschränkt bleibt (vgl. BSG vom 31.10.1969, DB 1969 2283). Grundsätzlich ist aber nicht mehr geringfügig das Verlassen des öffentlichen Verkehrsraums der zum Ziel führenden Straße und zwar unabhängig vom Zeitaufwand und örtlichen Umfang (vgl. BSG SozR 2200 § 550 Nr.44).

Die Klägerin hat den Weg zum Arbeitsplatz zudem aus privaten Gründen unterbrochen. Sie verfolgte ein eigenwirtschaftliches Ziel, als sie im Amt für öffentliche Ordnung die Parkerlaubnis beantragte, denn der Versicherungsschutz beschränkt sich auf Tätigkeiten, die im Rahmen des versicherten Arbeitsverhältnisses selbst verrichtet werden. Dazu gehört die Beantragung der Parkerlaubnis auch dann nicht, wenn sie ausschließlich zum Parken während der Arbeitszeit verwendet werden sollte. Es trifft zwar zu, dass dadurch auch eine Voraussetzung für die Arbeitsaufnahme geschaffen wurde, da die Klägerin so die Möglichkeit hatte, ihren Arbeitsplatz mit dem in zeitlicher Hinsicht günstigsten Verkehrsmittel zu erreichen. Es gibt jedoch zahlreiche Verrichtungen und Tätigkeiten, die die Voraussetzung für die Arbeitsaufnahme schaffen, wie z.B. das Aufstehen am Morgen, das Beschaffen, Reinigen und Instandsetzen der Kleidung, das Besorgen von Lebensmitteln oder sonstigen Lebensbedürfnissen. Allen diesen Handlungen ist gemeinsam, dass sie zugleich auch der Erfüllung von Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis dienen und vielfach hierzu unentbehrlich sind. Ihre schuldhafte Vernachlässigung kann sogar rechtlich nachteilige Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis haben. Dadurch werden diese Verrichtungen aber noch nicht Bestandteil der unter Versicherungsschutz stehenden Arbeit. Sie sind vielmehr dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen (vgl. BSGE 7, 255 f.).

Das BSG hat allerdings die Frage, unter welchen Voraussetzungen Versicherungsschutz gegeben ist, wenn derartige Verrichtungen gelegentlich des Wegs von und zur Arbeitsstätte ausgeführt werden, unentschieden gelassen. In der Entscheidung vom 15.12.1959 (BSGE 11, 154) hat es aber ausdrücklich das Abholen der Lohnsteuerkarte auf dem Weg zum Arbeitsplatz dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zugerechnet. Der Umstand, dass die Klägerin in dem dort entschiedenen Fall das Gemeindeamt habe aufsuchen wollen, um ihre Lohnsteuerkarte abzuholen, habe diesen Weg nicht zu einem versicherten Arbeitsweg gemacht. Das Besorgen einer Lohnsteuerkarte liege nicht wesentlich im Interesse des Arbeitgebers und diene daher nicht wesentlich dem Unternehmen. Die Steuerkarte beizubringen, sei grundsätzlich Aufgabe des Steuerpflichtigen. Daher sei das Besorgen einer Lohnsteuerkarte nicht einer versicherten Arbeitstätigkeit gleichzuachten.

Ebenso war die Entscheidung, welches Verkehrsmittel die Klägerin zur Erreichung des Arbeitsplatzes wählte, ihr allein überlassen, ohne dass der Arbeitgeber hierauf Einfluss nehmen konnte. Daran ändert auch nichts, dass die Klägerin die Parkerlaubnis im Auftrag der Arbeitgeberin abgeholt hat. Eine betriebliche Weisung der Arbeitgeberin hat nicht vorgelegen. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Klägerin die Parkerlaubnis nicht während der Arbeitszeit, sondern in ihrer Freizeit, während sie sich auf dem Weg zum Arbeitsplatz befand, beantragt hat. Anders als in den vom BSG entschiedeen Fällen (vgl. BSG vom 20.10. 1983, NZA 1984, 62; BSG SozR 1200 § 548 Nr.78) befand sich die Klägerin nicht auf einem Betriebsweg, einem in Ausübung der versicherten Tätigkeit unternommenen und damit einen Teil der versicherten Tätigkeit bildenden Weg und stand daher nicht unter Versicherungsschutz. Die Klägerin hat gerade keine betriebliche Anordnung befolgt, und die Arbeitgeberin schuldete eine derartige Anordnung auch nicht aufgrund ihrer Fürsorgepflicht, da das Erreichen des Arbeitsplatzes, wie auch sonst in derartigen Beschäftigungsverhältnissen üblich, der Entscheidung der Klägerin überlassen war. Es entsprach zwar durchaus vernünftigem und sachgemäßem Verhalten, eine Parkerlaubnis zu beantragen, um den Arbeitsplatz in Zukunft ohne Zeitverzögerung durch Parkplatzsuche erreichen zu können. Dies reicht aber nicht aus, um den Besuch des Ordnungsamtes zu einer betrieblichen Tätigkeit zu machen. Es handelt sich weiterhin um eine die Aufnahme der Betriebsarbeit vorbereitende und daher unversicherte Tätigkeit, da die Beantragung der Parkgenehmigung ebenso gut zu einem anderen Zeitpunkt hätte erledigt werden können.

Das Besorgen der Parkgenehmigung konnte nicht "im Vorbeigehen" im öffentlichen Verkehrsraum erledigt werden, wie etwa das Einkaufen einer Kleinigkeit von einem Automaten. Der Vorgang der Beantragung der Parkgenehmigung ist auch in zeitlicher Hinsicht weitaus aufwendiger. Daher ist die Unterbrechung schon aus diesem Grund nicht als geringfügig anzusehen.

Da die Klägerin im Moment des Sturzes den öffentlichen Verkehrsraum noch nicht wieder betreten hatte, sondern sich noch auf den zum Ordnungsamt führenden Stufen befand, war der Ver- sicherungsschutz noch nicht wieder aufgelebt.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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