L 17 U 54/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 U 350/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 54/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 08.12.1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung von Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 vH auf Grund eines Arbeitsunfalls vom 16.09.1991. Er bezieht bereits Verletztenrente vom Bayer.Gemeindeunfallversicherungsverband nach einer MdE um 40 vH wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls vom 12.07.1980 am rechten Unterarm und der rechten Hand.

Der am ...1942 geborene Kläger wurde am 16.09.1991 in D ... bei einem Verkehrsunfall im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Bauleiter (Kontrollfahrt zur Überprüfung der Absicherung einer Baustelle) verletzt. Ein anderer PKW prallte schräg diagonal von rechts hinten auf den PKW des Klägers. Den Sicherheitsgurt hatte er angelegt. Die Sitze waren mit Nackenstützen ausgerüstet. Etwa 15 Minuten nach dem Unfall verspürte der Kläger Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule (HWS). Er konnte nach dem Unfall mit dem verunglückten PKW noch selbst zu seiner 5 bis 6 km entfernten Unterkunft zurückfahren. Gegen Abend verstärkten sich die Schmerzen, so dass er einen Arzt rufen ließ. Dieser diagnostizierte ein HWS-Schleudertrauma ohne äußerliche Verletzungen (Bericht des Allgemeinarztes Dr.K.B ... [D ...] vom 18.02.1995). Der am 26.09.1991 aufgesuchte Orthopäde Dr.D.W ... (W ...) bestätigte ein Schleudertrauma des Schweregrades I. Röntgonologisch ergaben sich keine sicheren Verletzungszeichen (Bericht vom 26.09.1991).

Nach Antragstellung des Klägers vom 03.01.1995 zog die Beklagte Befundberichte des Internisten Dr.J.N ... (W ...) vom 20.01.1992, des Chirurgen Dr.L.St ... (N ...) vom 24.10.1991, des Internisten Dr.M.S ... (W ...) vom 27.09.1995, des Dr.W ... vom 28.09.1995, des Orthopäden Dr.F ... (H ...klinik K ...) vom 12.05.1993 / 26.05.1993, die Unterlagen der Polizeiinspektion G ..., der Techniker-Krankenkasse Nürnberg vom 14.08.1995/ 30.08.1995, Auskünfte der Firma B ... (P ...) vom 14.04.1992/01.12.1995 bei und erkannte mit Bescheid vom 29.12.1995 den Unfall vom 16.09.1991 als Arbeitsunfall an.

Mit Bescheid vom 12.04.1996 - bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 10.10.1996 - lehnte die Beklagte die Gewährung von Verletztenrente mit der Begründung ab, der Arbeitsunfall habe keine MdE in rentenberechtigendem Grade über die 13. Woche hinaus hinterlassen. Sie bezog sich auf den Befundbericht des Dr.W ... vom 28.09.1995, der bei einem Schleudertrauma des Schweregrades I nach Ablauf eines Vierteljahres keine wesentlichen Unfallfolgen mehr annahm und ein chronisches Cervikalsyndrom als unfallunabhängig bezeichnete.

Gegen die ablehnende Entscheidung der Beklagten hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Nürnberg erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.04.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.10.1996 zu verurteilen, Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 vH zu gewähren.

Das SG hat Befundberichte der Orthopäden Dr.B.Sch ... (N ...) und Dr.M.R ... (W ...) vom 09.05.1997/06.05.1997 sowie die Schwerbehindertenakte vom Amt für Versorgung und Familienförderung Nürnberg beigezogen und Gutachten des Orthopäden Dr.M.M ... (N ...) vom 21.10.1997 und gem. § 109 SGG des Orthopäden und Chirurgen Dr.St.Mü ... (N ...) vom 07.07.1998 eingeholt. Der Kläger hat einen Bericht des Prof.Dr.J.P ... (Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik M ...) vom 11.06.1991 vorgelegt. Dr.M ... hat im Ergebnis ausgeführt: Durch den Unfall habe der Kläger eine HWS-Distorsion erlitten. Radiologisch seien keine posttraumatischen Veränderungen an der HWS nachgewiesen worden. Die jetzt durch ihn erhobenen Befunde seien nahezu identisch mit denen im für die BfA erstatteten Gutachten des Orthopäden Dr.R.Schl ... (R ...) vom 19.09.1990. Schon vor dem Unfall hätten häufig wiederkehrende und lang andauernde Nacken-Kopf-Schulter-Arm-Beschwerden bestanden. Auch sei es bereits 1989 zu einer HWS-Verletzung wegen eines privaten Unfalls gekommen (Behandlungsbedürftigkeit vom 24.04.1989 bis 30.05.1990). Eine unfallbedingte MdE ergebe sich nicht. Dr.Mü ... hat die Auffassung vertreten, das Schleudertrauma des Schweregrades I habe Beschwerden für längstens drei Monate verursacht. Danach seien Unfallfolgen messbaren Grades nicht mehr belegbar. Umformende Veränderungen der HWS (Bewegungssegmente C 5/6, C 6/7) seien - wie die der Brustwirbelsäule - unfallfremd. Eine MdE über die 13. Woche nach dem Unfall hinaus hat er nicht angenommen. Prof.P ... hat neben einer minimalen rechtskonvexen Verkrümmung der HWS und einer knöchernen Auszipfelung des Dornfortsatzes des 6. HWK keine degenerativen Zeichen an der HWS festgestellt.

Mit Urteil vom 08.12.1998 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat sich den Beurteilungen des Dr.Mü ... und des Dr.M ... angeschlossen.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen: Er leide bei ungünstigen Bewegungen unter haubenförmigen Schmerzen in der linken und rechten Schädelhälfte. Die HWS sei deutlich bewegungseingeschränkt. Während der Nacht auftretende Nackenschmerzen strahlten in Arme und Finger aus. Vor dem Unfall vom 16.09.1991 hätten keine fortwirkenden Beschwerden früherer Verletzungen oder Gesundheitsstörungen bestanden. Dies belege der Abschlussbericht der Unfallklinik M ... vom 11.06.1991.

Der Senat hat nach Beiziehung der einschlägigen Röntgen- und CT-Aufnahmen sowie eines Berichts des Dr.H.-D.H ... (Klinik am H ..., Bad W ...) vom 24.10.1989 Gutachten des Orthopäden Dr.V.F ... (M ...) vom 23.08.1999/02.11.1999/ 28.06.2000 und des Prof.Dr.H.-J.K ... (Chefarzt Neurochirurgische Klinik W ... , K ...) eingeholt. Auf Vorschlag des Prof.K ... ist am 04.02.2000 durch den Radiologen Dr.L ... (N ...) beim Kläger eine Kernspintomographie der HWS erstellt worden (Bericht vom 07.02.2000). Dr.F ... hat im Ergebnis angenommen, es könne nicht von einer wesentlichen unfallbedingten Verletzung der HWS ausgegangen werden. So habe die HWS-Distorsion maximal den Schweregrad I (leichtgradigste Verletzungsstufe) erreicht, der niemals bleibende Folgeschäden verursache. Bei dem Kläger habe vielmehr bereits vor dem Unfall eine ärztlich bestätigte HWS-Symptomatik bestanden. Somit lasse sich eine unfallbedingte MdE messbaren Grades nicht begründen. Prof.K ... hat ausgeführt, das Unfallgeschehen habe zu einer HWS-Schleudersymptomatik ohne neurologischen Befund, aber mit starken Nacken- und Hinterhauptschmerzen im Sinne einer vorübergehenden Verschlimmerung einer vorgeschädigten HWS als Gelegenheitsursache geführt. Die Schwere der Verletzung sei nach der ACIR-Verletzungsskala mit Grad II zu bewerten. Nach maximal zwei Jahren seien diese Beschwerden nicht mehr unfallbedingt. Die MdE betrage für maximal zwei Jahre 20 vH.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Nürnberg vom 08.12.1998 und des Bescheides vom 12.04.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.10.1996 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 16.09.1991 Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 vH zu gewähren, hilfsweise ein unfallanalytisches Gutachten des Sachverständigen Dr.G ..., Erlangen, einzuholen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 08.12.1998 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird ergänzend auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Schwerbehindertenakten des Amtes für Versorgung und Familienförderung Nürnberg, der Archivakten des SG Nürnberg Az: S 14 U 146/84 und S 2 U 281/97 sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), jedoch unbegründet.

Die Folgen des anerkannten Arbeitsunfalls vom 16.09.1991 bedingen keine MdE in rentenberechtigendem Sinne gem §§ 551 Abs 1, 3, 581 Abs 1 Satz 3 Reichsversicherungsordnung -RVO- (Stützrente).

Anzuwenden sind im vorliegenden Fall noch die Vorschriften der RVO, da sich das zu beurteilende Ereignis vor dem 01.01.1997 ereignet hat (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, § 212 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII -).

Ein Anspruch auf Verletztenrente setzt nach § 581 Abs 1 Nr 2 RVO voraus, dass die Erwerbsfähigkeit eines Verletzten infolge eines Arbeitsunfalls um wenigstens 1/5 (= 20 vH) gemindert ist. Nach § 581 Abs 1 Satz 3 RVO ist auch dann Verletztenrente zu gewähren, wenn die Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge mehrerer Arbeitsunfälle gemindert ist und die Hundertsätze der durch die einzelnen Arbeitsunfälle verursachten Minderung zusammen wenigstens die Zahl 20 erreichen. Die Folgen eines Arbeitsunfalls sind hierbei nur dann zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vH mindern.

Die Entscheidung der Frage, in welchem Umfang die Erwerbsfähigkeit eines Verletzten gemindert ist, ist eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht gem § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSGE 4, 147, 149; 6, 267, 268; BSG vom 23.04.1987 - 2 RO 42/86). Die Bemessung des Grades der unfallbedingten MdE richtet sich nach dem Umfang der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens des Verletzten durch die Unfallfolgen und nach dem Umfang der dem Verletzten dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, betrifft in erster Linie das ärztlich-wissenschaftliche Gebiet. Doch ist die Frage, welche MdE vorliegt, eine Rechtsfrage. Sie ist ohne Bindung an ärztliche Gutachten und unter Berücksichtigung der einzelnen Umstände nach der Lebenserfahrung zu entscheiden (vgl Lauterbach-Watermann, Ges.Unfallvers., 3.Aufl, Anm 5 b zu § 581 RVO). Ärztliche Meinungsäußerungen hinsichtlich der Bewertung der MdE sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Einschätzung des Grades der MdE, vor allem, soweit sich diese darauf bezieht, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG in SozR 2200 § 581 Nrn 23, 87).

Unstreitig ist, dass der Kläger auf Grund des anerkannten Arbeitsunfalls vom 16.09.1991 eine Verletzung der Halswirbelsäule erlitten hat. Dies bestätigen die unmittelbar nach dem Unfall durch Dr.B ... erhobenen Befunde, aber auch das Ergebnis der durch den Orthopäden Dr.W ... am 26.09.1991 durchgeführten Untersuchung. Dabei zeigte sich eine stark schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit der HWS ohne knöcherne Verletzungen und ohne neurologische Auffälligkeiten. Die genannten Ärzte und später auch der Sachverständige Dr.Mü ... (Gutachten vom 07.07.1998) bezeichneten die Verletzung als HWS-Schleudertrauma, während Dr.M ... (Gutachten vom 21.10.1997) und Dr.F ... (Gutachten vom 23.08.1999) von einer Distorsion der HWS ausgehen, weil nicht eine Heck-, sondern eine Seitenkollision stattgefunden hat. Unabhängig von dieser Definitionsfrage ist für die Bewertung der eingetretenen Unfallfolgen immer ihr Schweregrad entscheidend. Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass die erlittenen Verletzungen höchstens dem Schweregrad I der von Erdmann beschriebenen dreistufigen Gliederung zuzuordnen sind. Grad I setzt voraus, dass Bänder und Teile des Kapselbandapparates lediglich gezerrt und gedehnt sind, im Übrigen aber ihren mechanischen Zusammenhalt im Wesentlichen beibehalten haben (vgl Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6.Aufl. S 517). Zu Recht weist Dr.Mü ... darauf hin, dass der Schweregrad III beim Kläger schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil knöcherne Verletzungsfolgen oder Gefügelockerungen der HWS und ihre Folgen nicht eingetreten sind. Aber auch die Voraussetzungen des Schweregrades II (mittelschwerer Fall) sind nicht erfüllt. Dr.Mü ... betont in diesem Zusammenhang das Fehlen sekundärer Verletzungsmerkmale der HWS. So haben die vom Kläger nach dem Unfall am 16. und 17.09.1991 zunächst in Anspruch genommenen Ärzte keinen Anlass für eine sofortige weitere klinische und/oder ambulante einschl. röntgonologische Abklärung der HWS-Verletzung gesehen, wie dies bei einer Verletzung nach Grad II angezeigt gewesen wäre. Im Übrigen deutet die Fähigkeit des Klägers, trotz des Unfalls seine Fahrt mit dem PKW fortsetzen und am nächsten Tag mit dem Zug nach Hause fahren zu können, auf das Vorliegen eines leichten Falls hin (Schönberger aaO S 519).

Der Auffassung des Sachverständigen Dr.F ..., der nicht einmal den Schweregrad I annehmen will, ist der Senat insoweit nicht gefolgt. Zwar hat der Kläger Dr.F ... gegenüber auf ein schmerzfreies Intervall von ca 15 Minuten nach dem Unfall hingewiesen, das nach Auffassung des Sachverständigen, der sich hierbei der neueren wissenschaftlichen Literatur - Castro und Mitarbeiter: Das Schleudertrauma der HWS - anschließt, einen regelwidrigen und verletzungsatypischen Verlauf darstellt. Nach Erdmann, Schleuderverletzung der HWS in: Die Wirbelsäule in Forschung und Praxis, Band 56 (1973) S 28 bis 39, zitiert nach Schönberger aaO S 514, 519, ist in leichten Fällen jedoch während der posttraumatischen Frühperiode ein annähernd schmerzfreies Intervall häufig vorhanden. Diese derzeit noch gültige Lehrmeinung legt der Senat seiner Entscheidung zugrunde. Die durch den Arbeitsunfall hervorgerufenen Gesundheitsstörungen des Schweregrades I konnten höchstens eine Arbeitsunfähigkeit von ein bis drei Wochen verursacht haben (Schönberger aaO S 125). Sie waren im Übrigen - so zur Überzeugung des Senats die Sachverständigen Dr.Mü ... im Gutachten vom 07.07.1998 und der Orthopäde Dr.W ... im Befundbericht vom 28.09.1995 - nach längstens einem viertel Jahr nach dem Unfall folgenlos abgeheilt.

Soweit der Kläger darüberhinaus über Wirbelsäulenbeschwerden klagt, können diese nicht mehr dem Unfallereignis vom 16.09.1991 kausal zugeordnet werden. Gegen eine Unfallursächlichkeit dieser weiteren Beschwerden sprechen insbesondere die Röntgenaufnahmen des Dr.W ... vom 26.09.1991, der keine auf den Unfall vom 16.09.1991 zurückzuführende knöcherne Verletzungen der HWS feststellen konnte. Das Kernspintomogramm von Dr.L ... vom 07.02.2000 zeigt ebenfalls keine als posttraumatisch zu qualifizierenden Veränderungen an der HWS. Dagegen bestanden bei dem Kläger schon vor dem Unfall vom 16.09.1991 an der HWS degenerative Veränderungen, die seine weiteren Beschwerden erklären können. So wurde bereits im Bericht des Orthopäden Dr.H ... vom 24.10.1989 auf ein cervicoencephales Syndrom nach HWS-Distorsion vom 22.04.1989 und auf eine Periarthritis humero scapularis beidseits hingewiesen. Das Vorliegen eines chronischen HWS-Syndroms - möglicherweise auch verursacht durch die HWS-Verletzung infolge des privaten Verkehrsunfalls vom 22.04.1989 mit Behandlungsbedürftigkeit von über einem Jahr - ist ferner mit dem Gutachten des Orthopäden Dr.Schl ... vom 19.09.1990 belegt, das dieser für die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erstattet hat. Die damals festgestellten Befunde sind nach Auffassung des Sachverständigen Dr.M ... mit den von ihm am 15.10.1997 erhobenen nahezu identisch, was die Beurteilung des Dr.F ... stützt, dass von einer wesentlichen Verletzung der HWS auf Grund des Unfalls vom 16.09.1991 nicht ausgegangen werden kann. Das Vorliegen degenerativer HWS-Veränderungen bereits vor dem Unfall vom 16.09.1991 bestätigten ferner sowohl Dr.W ... im Bericht vom 26.09.1991 (degenerative Veränderungen bei C 6/7) als auch der Sachverständige Dr.Mü ... im Gutachten vom 07.07.1998 (umformende Veränderungen an den Bewegungssegmenten C 5/6 und C 6/7 der HWS und an der BWS). Auch Dr.L ... hat im Kernspintomogramm vom 07.02.2000 degenerative Veränderungen an der HWS beschrieben. Diese haben seit 1989 - belegt durch Auskünfte der Techniker Krankenkasse - wiederholt zu Arbeitsunfähigkeit bedingenden Erkrankungen geführt. Dass im Entlassungsbericht der Unfallklinik M ... vom 11.06.1991 (Behandlung wegen der Unfälle vom 12.07.1980/ 29.01.1991 den rechten Arm und die rechte Hand betreffend) neben einer minimalen Verkrümmung der HWS mit einer knöchernen Auszipfelung des Dornfortsatzes des 6. Halswirbelkörpers keine weiteren degenerativen Veränderungen beschrieben sind, bedeutet daher nicht, dass diese nicht vorgelegen haben.

Bei der Ermittlung der unfallbedingten MdE können die genannten degenerativen Veränderungen an der HWS nicht berücksichtigt werden. Maßgeblich für die Einschätzung der unfallbedingten MdE ist vielmehr der für die Unfallfolgen in Betracht kommende Schweregrad. Beim Schweregrad I beträgt die MdE nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit 20 vH auf die Dauer von 0 bis max. 4 Wochen (Schönberger aaO S 524). Dies bedeutet, dass spätestens nach Ablauf von 4 Wochen auch beim Kläger keine unfallbedingte MdE mehr gerechtfertigt war. Zutreffend stellen daher die Sachverständigen Dr.M ..., Dr.Mü ... und Dr.F ... über die 13. Woche nach dem Unfall hinaus keine messbare MdE mehr fest.

Der Auffassung des Prof.K ... im Gutachten vom 03.04.2000, der eine MdE von 20 vH für maximal zwei Jahre vorschlägt, schloss sich der Senat nicht an. Prof.K ... nimmt eine mittelschwere Verletzung nach Grad II an und bezeichnet eine unfallbedingte vorübergehende Verschlimmerung der beim Kläger vorgeschädigten HWS lediglich als "Gelegenheitsursache". Damit geht auch er von einer vorbestehenden Krankheitsanlage (Vorschaden) aus und hält diese für so ausgeprägt, dass der Unfall nicht die wesentliche Ursache für den eingetretenen Gesundheitsschaden darstellt. Die von ihm vorgenommene Einschätzung der MdE hat daher keinen Bezug mehr zu den Unfallfolgen und war bereits aus diesem Grund für den Senat unbeachtlich. Darüberhinaus entspricht der von Prof.K ... angenommene Schweregrad II nicht den unfallbedingten Verletzungen des Klägers. So fehlt es für eine Zuordnung zum Grad II am Nachweis von Schluckschmerzen, eines steifen Halses und paravertebraler Schmerzen zwischen den Schulterblättern oder primärer Paresthesien in den Händen bzw Unterarmen. Im Übrigen könnte eine MdE von 20 vH selbst beim Schweregrad II nur für maximal sechs Monate und nicht für zwei Jahre angenommen werden (Schönberger aaO S 519 f).

Dem Antrag des Klägers auf Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens hat der Senat nicht entsprochen, weil hierzu keine Veranlassung bestand. Es wäre nämlich nicht zulässig, den Schweregrad der unfallbedingten Verletzung des Klägers allein mit unfallanalytischen Erwägungen - etwa aus den am Pkw des Klägers entstandenen Verformungen - zu bestimmen. Auch die Kenntnis der Kollisionsgeschwindigkeit gäbe nur einen Anhaltspunkt für den dabei grundsätzlich zu erwartenden Schweregrad der Verletzungen (Schönberger aaO S 518). Im vorliegenden Fall ist der Schweregrad der Verletzungen durch zahlreiche ärztliche Äußerungen gesichert. Zu den beim Kläger unfallunabhängig bestehenden degenerativen Veränderungen könnte sich ein unfallanalytisches Gutachten ohnehin nicht äußern.

Die Einräumung einer Schriftsatzfrist zur Begründung eines eventuellen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch des Klägers war ebenfalls nicht veranlasst, da ein solcher Anspruch bei der Beklagten selbstständig geltend zu machen wäre (vgl Meyer-Ladewig, SGG, § 131 Anm 4).

Das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg und die ablehnenden Bescheide der Beklagten sind somit nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved