L 2 U 82/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 13 U 137/95
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 82/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 12. Januar 1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Gewährung von Verletztenrente nach einem Arbeitsunfall, den der Kläger am 11.05.1993 erlitten hat.

Der Kläger war an diesem Tag auf einer Baustelle tätig, auf der der Ausleger eines Krans mit einer Hochspannungsleitung mit 20 KV in Berührung kam, mit der Folge, dass Anlagen der Baustelle in den Stromkreis gerieten. Der Kläger wurde von einer unter Strom geratenen Putzmaschine angezogen und geriet mit dem Oberkörper auf die Maschine und mit den Händen in ein Abdeckgitter. Nach dem Unterbrechen des Stromkreislaufes konnte der Kläger von der Maschine gelöst, notärztlich versorgt und in das Kreiskrankenhaus D. eingeliefert werden, wo er bis 19.05.1993 stationär behandelt wurde. Neben dem durchgangsärztlichen Bericht wurde der Ergänzungsbericht bei Unfällen durch elektrischen Strom nach Beiziehung eines Internisten ausgefertigt. Der Kläger erlitt danach durch die Hochspannungsverletzungen eine Tachykardie mit absoluter Arrhythmie, einen Schock sowie Verbrennungen an beiden Händen. Durch eine Röntgenaufnahme am 07.06.1993 wurde eine Fraktur des 4. Brustwirbelkörpers festgestellt, die nach einhelliger Meinung aller Sachverständigen Folge des Arbeitsunfalls war. Bei einer gutachterlichen Untersuchung am 15.07.1994 wurde im Röntgenbild eine Veränderung am rechten Tuberkulum majus festgestellt, von der streitig ist, ob sie Unfallfolge ist. Die Verbrennungen an den Händen sind folgenlos abgeheilt, desgleichen waren nach der ersten stationären Behandlung keine Herzkreislaufstörungen mehr feststellbar. In sämtlichen Untersuchungen der Folgejahre konnten keine auf den Unfall zurückzuführenden organischen Veränderungen über die bereits genannten hinaus mehr festgestellt werden. Vom 23.09. bis 20.10.1993 wurde der Kläger wegen einer Meningitis stationär behandelt. Neben den Auswirkungen der BWK-Fraktur und der unfallbedingten Entstehung der Veränderung am Tuberkulum majus sind hauptsächlich die psychischen Folgen des Unfalls streitig.

Über die erste stationäre Behandlung hinaus äußerte der Kläger eine Vielzahl von Beschwerden, die die behandelnden Ärzte und Krankenhäuser nicht auf eine organische Grundlage beziehen konnten. In einer Neurologischen Klinik wurde der Kläger erstmals am 07.06.1993 untersucht. Am 23.08.1993 findet sich erstmals der ärztlich geäußerte Verdacht auf abnorme Erlebnisverarbeitung. Nach einem stationären Aufenthalt vom 16.11.1993 bis 18.01.1994 äußerte die Abteilung für Innere und Psychosomatische Medizin der Klinik B. , es liege eine somatisierte Depression nach einem Stromunfall auf dem Boden einer zwanghaft depressiven, einfach strukturierten Persönlichkeit vor. Eine Psychotherapie im eigentlichen Sinne sei wegen der Struktur des Klägers nicht möglich. Ein späteres Behandlungsangebot der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet nahm der Kläger nicht an. Zu einer psychiatrischen bzw. psychotherapeutischen Behandlung im engeren Sinne ist es auch in den Folgejahren nicht gekommen.

Die chirurgische Begutachtung durch Prof.Dr.B. , Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik M. , vom 12.08.1994 kam zu dem Ergebnis, dass es durch den Unfall zu einem knöchern, unter mäßiggradiger Fehlform fest verheilten Stauchungsbruch des 4. Brustwirbelkörpers gekommen sei. Der Brustwirbelkörper habe eine mäßiggradige keilförmige Deformierung erfahren, ohne dass eine kyphotische Knickbildung resultiere. Die MdE betrage 10 v.H. Die vom Versicherten mit deutlich funktionellen Zutaten vorgebrachte Bewegungsstörung im thorakalen bzw. im thorako-lumbalen Wirbelsäulenabschnitt sei chirurgischerseits nicht objektivierbar und somit nicht dem Unfallfolgezustand zuzuordnen. An der rechten Schulter liege als Entwicklungsvariante ein gut gleichmäßig gerundeter und sklerosierter Knochenkern für das Tuberkulum majus vor. Dieser sei als Entwicklungsstörung des Skeletts zu deuten.

Das Gutachten des Internisten Dr.L. vom 15.07.1994 kam zu dem Ergebnis, durch den Unfall sei es zu einer Stromverletzung des Herzens ohne derzeit nachweisbare Funktionsstörungen gekommen. Die MdE betrage 0 v.H.

Der Neurologe und Psychiater Dr.N. , ebenfalls BG-Unfallklinik M. , stellte in seinem Gutachten vom 04.01.1995 beim Kläger zunächst wenig psychische Auffälligkeiten fest. Klinisch-neurologisch bestünden keinerlei Ausfallserscheinungen. Beeinträchtigungen der Hirnleistung oder neuropsychologische Defizite seien bei der Untersuchung nicht deutlich geworden. Psychopathologisch erscheine die Stimmungslage gedrückt, jedoch durchaus auslenkbar, ein ausgesprägt depressives Syndrom bestehe nicht, auch kein Anhalt für wahnhafte Inhalte. Unter stationären Bedingungen hätten sich keine Hinweise für eine auffällige Antriebs- oder Schlafstörung gefunden. Solche Schlafstörungen hatte der Kläger bis dahin stets geltend gemacht. Der Sachverständige führte weiter zusammenfassend aus, auf neurologischem Fachgebiet sei festzuhalten, dass es unfallbedingt nicht zu Verletzungs- oder Verbrennungszeichen am Schädel oder Gehirn gekommen sei. Hinweise für eine sekundäre, kreislaufbedingte Schädigung des Gehirns im Sinne einer Hypoxämie bestünden im vorliegenden Falle nicht. Entsprechend unfallbedingte Ausfallerscheinungen auf nervenärztlichem Fachgebiet seien weder initial, noch im Verlauf, noch bei der derzeitigen Begutachtung festgestellt worden, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit bestehe insoweit nicht. Es lasse sich ein pseudoneurasthenisches Beschwerdebild mit Beeinträchtigung der Stimmung und des Beschwerdeerlebnisses feststellen, welches wesentlich auf die unfallunabhängige und drei Monate nach dem Ereignis aufgetretene Meningitis zurückzuführen sei. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 v.H. ergebe sich auf chirurgisch-orthopädischem Fachgebiet.

Mit Bescheid vom 15. Februar 1995 lehnte die Beklagte die Gewährung von Verletztenrente für die Zeit nach der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit (17.07.1994) ab. Den anschließenden Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 25.04.1995 als unbegründet zurück.

Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht zunächst Gutachten von dem Neurologen und Psychiater Dr.K. vom 20.03.1996 und dem Orthopäden Dr.F. vom 02.04.1996 eingeholt.

Dr.K. kommt zu dem Ergebnis, diagnostisch gebe es keinen Zweifel, dass der Kläger eine Stromverletzung erlitten habe, dass jedoch neurologische Strukturen bei dem Unfall nicht beteiligt gewesen seien. Dies ergebe sich aus den vorliegenden Befunden und dem derzeitigen klinischen Befund. Kernspintomographisch habe ebenfalls eine morphologische Schädigung des Gehirns ausgeschlossen werden können. Diesbezüglich habe auch der klinische Befund zu keinem Zeitpunkt Verdachtsmomente hinsichtlich einer zentral-nervösen Störung aufkommen lassen. Psychisch habe der Untersuchte vor allen Dingen etwas misstrauisch gewirkt, die Stimmung sei in erster Linie etwas dysphorisch gewesen, jedoch keineswegs depressiv herabgestimmt. Ebenso wie bereits in der Klinik M. sei auch bei ihm der Eindruck entstanden, dass der Patient dazu tendiere, die Beschwerden in einem übertriebenen Ausmaß darzustellen. Auch hier sei teilweise ein fordernder Unterton nicht zu verkennen gewesen. Es handle sich dabei lediglich um ein Entschädigungsbegehren, dem ein Krankheitswert nicht zukomme. Der Kläger sei zum Zeitpunkt der zweiten Untersuchung in M. im August 1993 wieder arbeitsfähig gewesen. Danach sei eine unfallbedingte MdE aus nervenärztlicher Sicht nicht zu begründen.

Der Sachverständige Dr.F. führt zu den radiologisch auffälligen Veränderungen im rechten Schultergelenk mit abgestorbenem Knochenbezirk im Bereich des Sehnenansatzes am Tuberkulum majus aus, dass sämtliche Untersuchungen und Befundberichte bis 02.12.1993 keinen Hinweis auf eine Schultergelenkserkrankung enthielten. Damals sei eine Periarthritis humeroscapularis rechts mitgeteilt worden. Im August 1993 sei eine Ganzkörperszintigraphie durchgeführt worden. Sofern ein Knochenbruch am Sehnenansatz des rechten Oberarmkopfes abgelaufen wäre, hätte dieser nicht die derzeitigen radiologischen Veränderungen mit demarkiertem abgestorbenem Knochenbezirk hinterlassen und wäre szintigraphisch festgestellt worden. Der Kläger hätte auch nicht mehr als sechs Monate nach dem Unfallereignis die ersten Schulterbeschwerden geäußert, sofern eine Läsion des rechten Schultergelenkes durch das Unfallereignis im Bereich der Sehnen, Kapseln, Muskeln oder Knochen entstanden wäre. Als Folge des Unfalls liege ein knöchern fest verheilter Kompressionsbruch des 4. Brustwirbelkörpers mit leichter Einengung der Bandscheibe zwischen dem 3. und 4. Brustwirbelkörper ohne statisch wirksame Achsenknickbildung der Brustwirbelsäule vor. Die MdE betrage 10 v.H. Nach ausführlicher Erörterung der funktionellen Auswirkungen des Wirbelkörperbruches und mit Hinweis auf die üblichen Bewertungsmaßstäbe der Unfallbegutachtung führt der Sachverständige aus, die vorgeschlagene MdE liege sicher an der oberen Grenze des Möglichen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat das Sozialgericht ein Gutachten von dem Orthopäden Prof.Dr.G. vom 16.06.1997 mit einem Zusatzgutachten des Neurologen und Psychiaters Dr.L. vom 17.01.1997 eingeholt. Dr.L. kommt zu dem Ergebnis, auf neuropsychiatrischem Fachgebiet habe der Unfall zu keinem Zeitpunkt zu einer Schädigung geführt; der Patient sei durch den Stromunfall nur kurz benommen und nicht bewusstlos gewesen und ein cerebraler Krampfanfall könne ausgeschlossen werden. Die lymphocytäre Meningitis könne, wie von Dr.K. schon festgestellt, körperlich nicht auf den Stromunfall zurückgeführt werden. Es sei von ihm auch nicht nachzuvollziehen, dass durch den Starkstromunfall ein anhaltendes Schmerzsyndrom produziert werde. Insgesamt stellt der Sachverständige im psychiatrischen Untersuchungsbefund eine ausgeprägte Aggravation bei der Beschreibung der Beschwerden und bei der Untersuchung fest, bei der der Patient häufig schon bei geringen Körperdrehungen ächze und stöhne. Die subjektive Gestimmtheit werde durch das Gefühl bestimmt, die ganzen Jahre Unrecht erlitten zu haben, da der Patient völlig darauf fixiert sei, dass alle seinen Beschwerden auf den Unfall zurückzuführen seien. Es seien keine Wahrnehmungsstörungen, keine formellen oder inhaltlichen Denkstörungen festzustellen, der Patient selbst erlebe sich aber konzentrationsgestört und wenig belastbar. Bei der Exploration hätten sich keine auffallenden Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen ergeben. Der Patient sei von einfacher Struktur bei diskreter Intelligenzminderung. Im Gesamteindruck sei kein Leidensdruck erkennbar, es fänden sich keine Hinweise für eine reaktive oder endogene Depression. Der Sachverständige bestätigt, dass ein Entschädigungsbegehren ohne Krankheitswert vorliege; alle angegebenen Beschwerden des Patienten seien unfallunabhängig. Prof. Dr.G. führt aus, der Kläger berichte, schon sehr frühzeitig nach dem Unfall neben den Beschwerden an der oberen Brustwirbelsäule auch Schmerzen an der rechten Schulter gehabt zu haben. Hier sei jedoch zuerst keine weitergehende Diagnostik erfolgt. In der skelettszintigraphischen Untersuchung vom 11.08.1993 finde sich jedoch neben der deutlichen Mehrbelegung in Höhe des 4. BWK auch eine Nuklid-Mehranreicherung an der rechten Schulter in Höhe des Tuberkulum majus. Somit müsse auch an der rechten Schulter von einer knöchernen Verletzung infolge des Starkstromunfalles ausgegangen werden. In späteren Untersuchungen hätten sich deutlich positive Zeichen eines sogenannten posttraumatischen Impingement-Syndroms mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung der rechten Schulter gefunden. Auch diese Verletzung führe zu einem Dauerschaden, dessen Einzel-MdE mit ca. 30 % anzusetzen sei. Die unfallbedingte MdE betrage 40 % bis zum 10.11.1993, danach und auf Dauer 30 %.

Hierzu hat die Beklagte ein Gutachten des Chirurgen Dr.P. vom 10.08.1997 vorgelegt. Dieser führt aus, nach Kenntnis der Aktenlage sprächen deutlich mehr Gründe gegen als für die traumatische Genese eines knöchernen Ausrisses der Supraspinatussehne. Im Durchgangsarztbericht würden die oberen Extremitäten als frei beweglich beschrieben. Es sei schlechterdings nicht vorstellbar, dass bei einer so erheblichen Traumatisierung, wie es ein frischer unfallbedingter knöcherner Sehnenausriss sei, kein Funktionsdefizit des betroffenen Schultergelenks vorliege. Bis zum September 1993 seien nach den vorliegenden Arzt- und Krankenhausberichten weder entsprechende Beschwerden noch entsprechende Funktionseinschränkungen dokumentiert.

Mit Gerichtsbescheid vom 12. Februar 1998 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. In der Begründung hat es sich auf die Sachverständigen Dr.K. und Dr.F. gestützt und ist den Sachverständigen Prof.Dr.G. mit Bezugnahme auf die von Dr.P. dargelegte Dokumentationslage bezüglich der Gesundheitsstörung an der rechten Schulter nicht gefolgt.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren auf Gewährung einer Verletztenrente weiter.

Der Senat hat zunächst ein Gutachten von dem Chirurgen Prof. Dr.S. vom 01.10.1998 eingeholt. Der Sachverständige weist bezüglich der Schulterbeschwerden auf die Dokumentationslage hin und führt aus, daraus ergäben sich keine Brückensymptome. Im Szintigramm vom 11.08.1993 finde sich eine gewisse Mehrspeicherung im Oberarmkopf rechts im Vergleich zur linken Seite, ansonsten fänden sich jedoch in beiden Schultern Mehrspeicherungen, welche auf degenerative Veränderungen hinweisen könnten. Die Röntgenaufnahme aus M. vom 15.07.1994 lasse bereits einen Knochenkern erkennen, welcher durch eine starke Sklerosierung vom Oberarmkopf rechts abgegrenzt sei. Im Vergleich mit den jetzigen Aufnahmen ergebe sich keine Befundänderung. Diese Tatsache spreche zusammen mit dem Fehlen von Brückensymptomen dafür, dass es sich nicht um eine knöcherne Absprengung vom 11.05.1993, sondern um eine Entwicklungsstörung des rechten Oberarmkopfes handle, welche nicht im Unfallzusammenhang zu sehen sei. Die Gutachter aus M. hätten auf dieses Tatsache bereits hingewiesen, dieser Hinweis sei korrekt. Die stabile Fraktur des 4. Brustwirbelkörpers ohne gröberen, statisch wirksamen Achsenknick sei mit einer MdE von 10 % einzuschätzen.

Der als Zusatzgutachter gehörte Neurologe Dr.R. kommt in seinem Gutachten vom 30.11.1998 zunächst zu dem Ergebnis, dass auf neurologischem Fachgebiet keine Unfallfolgen vorliegen. Es bestehe jedoch ein Syndrom des posttraumatic-stress-disorder nach Stromunfall mit depressiven Symptomen einer fixierten und bewusstseinsgesteuert nicht überwindbaren Schmerzsymptomatik sowie einer Antriebsstörung. Die unfallbedingte MdE sei mit 50 % einzuschätzen. Begründet wird die Diagnose zunächst mit dem Ergebnis einer testpsychologischen Untersuchung, wonach der Proband im Bereich einer depressiven Verstimmung liege. Zum psychischen Befund selbst wird ausgeführt, die Stimmung sei subdepressiv, der Affekt sei im Laufe des Gesprächs auflockerbar. Im weiteren Verlauf sei Affektlabilität eingetreten. Verhaltensauffälligkeiten nach Elektrotrauma ohne Nachweis organischer neuropsychiatrischer Befunde seien in der medizinischen Literatur immer wieder beschrieben. Insbesondere angesichts unauffälliger morphologischer Untersuchungen werde die Inzidenz und Relevanz der Stromunfälle als Unfallverursacher von Verhaltensauffälligkeiten und im weiteren Sinn psychiatrischen Symptomen unterschätzt. Insbesondere bei Patienten mit einfacher Strukturierung, wie sie auch beim Kläger eingeschätzt worden sei, sei eine gezielte psychologische Aufarbeitung des Traumas nicht möglich und eine Dekompensation und Fixierung der erlittenen Unfallfolgen werde dadurch erschwert, dass die Beschwerden in Bezug auf ihr fehlendes organisches Korrelat gewertet würden. Betrachte man den Verlauf beim Kläger, so sei es zu einer solchen Fixierung der Beschwerdesymptomatik gekommen, die für den Kläger nicht mehr bewusstseinsmäßig steuerbar sei.

Hierzu hat die Beklagte ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr.H. vom 25.01.1999 vorgelegt. Dieser kritisiert zunächst die Kürze des psychischen Befundes des Dr.R. und die Abweichung der vom Kläger vorgebrachten Vorgeschichte von den objektiven Vorbefunden. Es bestehe offensichtlich eine Beschwerdeausweitung. Die posttraumatische Belastung entstehe nach den Kriterien der WHO als eine verzögerte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, die fast bei jedem eine tiefe Verstörung hervorrufen würde. Der Unfall des Klägers habe aber letztlich nur zu Strommarken an den Händen und zu einer folgenlos abgeheilten Fraktur des 4. Brustwirbelkörpers geführt. Für die Diagnose würden als typische Merkmale das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen, Träumen oder Alpträumen angesehen. Dies vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit, Teilnahmslosigkeit, Anhedonie, auch Vermeidung von Aktivitäten oder Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Gerade diese Erinnerungen würden aber im Gutachten Dr.R. nicht vermerkt, im Übrigen auch von keinem der nervenärztlichen Voruntersucher und Vorgutachter beschrieben. Hinzu komme, dass bei dieser Diagnose in der Mehrzahl der Fälle eine Heilung erwartet werden könne. Nur bei wenigen Betroffenen nehme die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und gehe in eine andauernde Persönlichkeitsstörung über. Auch spreche die Tatsache, dass ganz offensichtlich keine Behandlung des Klägers für erforderlich gehalten worden sei, gegen einen relevanten Leidensdruck.

Der Senat hat weiter ein Gutachten von dem Neurologen und Psychiater Dr.S. vom 20.07.2000 eingeholt. Der Sachverständige führt aus, der Kläger sei in der Vergangenheit mehrfach untersucht und begutachtet worden. Aufgrund des Umstandes, dass zwischen Unfall und nunmehriger Begutachtung mehrere Jahre lägen, seien sowohl Verzerrungen der Erinnerungen aber auch bewusste und unbewusste Verfälschungen des vorgetragenen Beschwerdebildes möglich. Deshalb seien bei der Beurteilung insbesondere jene Beschwerden und Befunde wichtig, die im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall berichtet und dokumentiert seien. Die Einschätzung der Unfallklinik M. zur Ursächlichkeit der Meningitis für einige geklagten Beschwerden teilt der Sachverständige nicht. Zum Gutachten des Dr.H. führt der Sachverständige aus, es wäre wünschenswert gewesen, wenn dieser eine eigene Diagnose formuliert hätte. Die vermutete Widersprüchlichkeit der Angaben des Klägers und eine Beschwerdeausweitung bestehe insofern nicht, als der Kläger auch schon früher über eine unfallbedingte Bewusstseinsstörung beim Unfall berichtet habe und dies auch dokumentiert sei. Dagegen sei dem Gutachter dahingehend zuzustimmen, dass durch Dr.R. der Einfluss von Aggravationstendenzen nicht genügend beachtet worden sei und damit die Bewertung der MdE unzutreffend hoch ausgefallen sei. Die in der Vergangenheit beschriebenen psychopathologischen Auffälligkeiten bezögen sich auf das Vorliegen eines depressiven bzw. neurasthenischen Beschwerdebildes. Diesbezügliche Auffälligkeiten seien erstmalig im Oktober 1993 dokumentiert. Aus dem psychopathologischen Befund selbst lasse sich eine ursächliche Verknüpfung mit dem Unfall nicht vornehmen. Objektiv fänden sich auch keine Hinweise für eine hirnorganische Verursachung. Dagegen fänden sich Hinweise darauf, dass der Kläger das ursprüngliche Unfallereignis abnorm verarbeitet habe, das Ereignis also als Psychotrauma einzuschätzen sei. Die Angaben des Klägers und die dokumentierten Vorbefunde begründeten nicht nur einen zeitlichen, sondern auch einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den vom Kläger geklagten psychischen Auffälligkeiten und dem ursprünglichen Unfall. Beim Kläger habe auch eine Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit vorgelegen, durch die er erheblich behindert oder sogar gehindert gewesen sei, das ursprüngliche Psychotrauma angemessen zu verarbeiten. Hierbei sei insbesondere auf Dr.R. zu verweisen, auch die bei seiner Begutachtung erhobenen psychopathologischen Auffälligkeiten belegten, dass eine Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit vorliege. Auf der anderen Seite ließen sich aber auch Begehrens- und Wunschvorstellungen nachweisen, die auf eine Entschädigung und eine Aufbesserung der finanziellen Situation gerichtet seien. Es sei auch davon auszugehen, dass ein Teil der in der Vergangenheit aufgetretenen psychischen Symptomatik, z.B. eine Vertiefung der Depression, reaktiv im Zusammenhang mit dem Verfahren aufgetreten sei. Festzuhalten bleibe, dass eine deutliche Diskrepanz zwischen den beschriebenen psychopathologischen Auffälligkeiten des Klägers und dessen weitgehendem sozialen Rückzug liege. Die psychischen Wunsch- und Begehrensvorstellungen des Klägers seien durch therapeutische Maßnahmen weder hervorgerufen noch gefördert worden. In diagnostischer Hinsicht bestehe unfallbedingt eine Dysthymie, deren Merkmale vom Sachverständigen des Näheren dargelegt werden. Für eine posttraumatische Belastungsstörung fehle es an dem typischen Merkmal von Nachhallerinnerungen, insoweit sei Dr.H. zu folgen. Die Einzel-MdE für die unfallbedingte Dysthymie betrage 10 v.H.

Hierzu hat sich für die Beklagte wiederum der Sachverständige Dr.H. mit einem Gutachten vom 21.08.2000 geäußert. Auch er ist wiederum der Meinung, dass hier sicher nicht von einer posttraumatischen Belastungsstörung auszugehen sei, dafür fehlten sämtliche Kriterien. Es liege eine Begehrenshaltung mit aggravatorischen Tendenzen vor. Das gesamte Verhalten des Klägers sei von Anfang an in diese Richtung gegangen. Bezüglich der Angaben zu einer Bewusstseinsstörung beim Unfall verweist der Sachverständige auf die Unterschiede in den Darstellungen, beginnend mit dem Durchgangsarztbericht. Problematisch sei angesichts dessen, wenn nunmehr nach sieben Jahren Verstimmungszustände, die keinesfalls das Ausmaß einer tiefergehenden Depression erreichten, auf den Unfall zurückgeführt würden. Auch die Ansetzung einer MdE um 10 v.H. erscheine äußerst problematisch. Die Kränkung über eine nicht erfolgte Entschädigung habe ihre Ursache in der Persönlichkeit des Klägers, nicht im Unfall und es sei nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, wenn daraus eine depressive Verstimmung abgeleitet werde.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat nach § 109 SGG ein Gutachten von dem Neurologen und Psychiater S. vom 04.11.2001 eingeholt. Der Sachverständige unternimmt es, anhand der diagnostischen Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Latenzphase nach Stromunfall, der möglichen körperlichen und psychischen Folgen nach Starkstromunfall und der ärztlichen Berichte sowie anamnestischen Angaben des Klägers, nachzuweisen, dass beim Kläger eine solche posttraumatische Belastungsstörung mit Latenzzeit vorliege. Nach Exploration des Klägers und seiner Ehefrau gibt er die anfängliche Annahme einer Latenzzeit auf und ist der Meinung, dass eine solche Belastungsstörung unmittelbar nach dem Unfall eingetreten sei. Die MdE hierfür schätzt er mit 80 v.H. ein und stützt dies auf die Darstellungen des Klägers über seine psychischen und sozialen Beeinträchtigungen in der Folge des Unfalls. Als begleitende Erkrankung diagnostiziert er ein unfallbedingtes mittelschweres chronifiziertes depressives Syndrom, das er mit einer MdE um 30 v.H. einschätzt. Bezüglich der Kompressionsfraktur des 4. Brustwirbelkörpers weist er darauf hin, dass Prof.Dr.B. nicht von einer MdE "von" 10 v.H., sondern "um" 10 v.H. spreche und deshalb eine höhere Bewertung im Bereich des Möglichen sei. Über die körperlichen Auswirkungen hinaus entnimmt er den Beschwerdeschilderungen des Klägers weitergehende Bewegungseinschränkungen und psychische Belastungen, deren MdE er mit 30 v.H. einschätzt. Desgleichen bestehe unfallabhängig ein chronifiziertes Schmerzsyndrom nach Multitrauma im Kopf-Nacken-Arm-Thorax-Bereich sowie lokale Missempfindungen, deren MdE er auf 20 v.H. einschätzt mit der Folge einer Gesamt-MdE um 100 v.H.

Hierzu hat die Beklagte eingewendet, dass die MdE-Werte bezüglich der psychischen Folgen gemessen an den üblichen Bewertungskriterien, zu hoch seien. In die MdE sei auch die wiederholte Berücksichtigung von Schmerzen eingeflossen, während es auf die Auswirkungen der Unfallfolgen auf die Erwerbsfähigkeit ankomme. Der Sachverständige habe auch von der Schwere des Unfalls auf die Schwere der Folgen geschlossen, obwohl sich gravierende organische Folgen des Stromunfalls nicht nachweisen ließen. Auch hätten die vom Sachverständigen herangezogenen Kriterien für die Annahme einer posttraumatischen Belastungsreaktion eine andere Entwicklung als die beim Kläger als wahrscheinlicher erscheinen lassen. Einige vom Sachverständigen erwähnte Reaktionen des Klägers seien den ärztlichen Befunden und Berichten nicht zu entnehmen und spätere Angaben des Klägers hätten nicht denselben Beweiswert. Auch die Behauptung des Eintritts der Bewusstlosigkeit bei dem Unfall sei später in das Verfahren eingeführt worden. Darüber hinaus seien Aggravationen des Klägers, auch im außerpsychischen Bereich, mehrfach belegt und vom Sachverständigen zu Unrecht nicht berücksichtigt.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akten der Beklagten und die Akten des Sozialgerichts Landshut in dem vorangegangenen Klageverfahren, ferner die Akte über den Rechtsstreit S 12 Ar 545/95 des Sozialgerichts Landshut. Auf ihren Inhalt und das Ergebnis der Beweisaufnahme wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet, denn dem Kläger steht die begehrte Verletztenrente nicht zu. Der Arbeitsunfall hat keine Minderung der Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigendem Umfang ab dem streitgegenständlichen Zeitpunkt hinterlassen.

Die Entscheidung des Rechtsstreits richtet sich auch im Berufungsverfahren nach den Vorschriften der RVO, da der Unfall vor dem 01.01.1997 geschehen ist und über die erstmalige Gewährung von Verletztenrente für einen vor diesem Zeitpunkt liegenden Zeitraum zu entscheiden ist (§§ 212, 214 Abs.3 SGB VII).

Die Entschädigung einer Gesundheitsstörung durch Gewährung von Verletztenrente setzt nach §§ 548, 581 RVO voraus, dass sie Folge eines Arbeitsunfalles ist und die Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigendem Maße (20 v.H.) mindert. Der Arbeitsunfall muss wesentliche Bedingung gewesen sein, wobei für die Annahme der Kausalität genügt, dass sie hinreichend wahrscheinlich ist (BSGE 61, 127 mit weiteren Nachweisen). Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht dann, wenn deutlich überwiegende Gründe für die Annahme der Tatsache sprechen (BSGE 45, 285). Mit Ausnahme des Ursachenzusammenhanges bedürfen alle rechtserheblichen Tatsachen des vollen Beweises (Ricke, Kasseler Kommentar, Stand März 1995, vor § 548 RVO Rdnr.10 f.). Zu diesen beweisbedürftigen Tatsachen gehören demnach auch die Unfallfolgen, insbesondere, soweit sie ihrerseits Voraussetzungen eines als unfallbedingt geltend gemachten Leidenszustandes sind.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme liegt zur Überzeugung des Senates seit dem Ende der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit keine durch den Arbeitsunfall verursachte Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 20 v.H. vor (§ 581 Abs.1 Nr.2 RVO). Dies ergibt sich aus den Gutachten des Prof.Dr.B. , des Dr.N. , des Dr.K. , des Dr.F. , des Dr.L. , des Dr.P. und des Prof.Dr.S. sowie des Dr.S. und des Dr.H ... Hierbei kann der Senat seiner Entscheidung auch solche Gutachten zugrunde legen, die nicht vom Gericht eingeholt worden sind (vgl. BSG SozR Nr.66 zu § 128 SGG).

Bezüglich der unzweifelhaft unfallbedingten BWK-Fraktur sowie der streitigen Verletzung an der rechten Schulter hält der Senat die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts für unbegründet und sieht nach § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Insoweit hat das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten des Sachverständigen Prof.Dr.S. eine den Senat überzeugende Bestätigung der erstgerichtlichen Entscheidung erbracht. Bezüglich der Auswirkungen der BWK-Fraktur folgt der Senat nicht den Ausführungen des Sachverständigen S ... Neurologische Verletzungsfolgen sind von diesem Sachverständigen nicht dargestellt worden und die übrigen organischen Unfallfolgen fallen nicht in sein Fachgebiet. Der Sachverständige nimmt zu Unrecht eine Formulierung des Prof.Dr.B. zur Grundlage dafür, dass dessen Bewertung der MdE offen sei. Die Aussage, die MdE sei um einen bestimmten Prozentsatz gemindert, ist entgegen der Annahme des Sachverständigen der sprachlich exakte Ausdruck, während die sonst übliche Aussage, es liege eine MdE von einem bestimmten Prozentsatz vor, sprachlich unkorrekt ist. Prof.Dr.B. hat sich damit nicht vage ausgedrückt, sondern vielmehr eine präzise Einschätzung vorgenommen. Die ansonsten von dem Sachverständigen S. herangezogenen Kriterien zur Annahme einer höheren MdE sind durch keinerlei objektivierte Funktionsdefizite belegt. Insoweit stützt sich der Sachverständige lediglich auf Beschwerdeschilderungen des Klägers ohne Berücksichtigung des Umstandes, dass weder durch ihn noch durch einen anderen Sachverständigen oder behandelnden Arzt entsprechende Defizite festgestellt worden sind und ohne Berücksichtigung der Frage, inwieweit das Beschwerdebild des Klägers bereits bei der Bildung der MdE auf chirurgisch-orthopädischem Fachgebiet berücksichtigt ist.

Bezüglich der psychischen Folgeerscheinungen folgt der Senat auch nicht den Gutachten der Sachverständigen Dr.R. und S ... Ihm erscheinen die übrigen Gutachten auf diesem Fachgebiet als weitaus überzeugender. Insbesondere das Gutachten des Sachverständigen Dr.S. unternimmt es, anhand der dokumentierten und objektivierten Befunde und einer Darstellung des beim Kläger konkret bestehenden psychischen Zustandes eine überzeugende Darstellung der Kausalität zwischen dem Arbeitsunfall und dem nunmehr bestehenden psychischen Krankheitsbild zu erbringen. Unter Zugrundelegung der von diesem Sachverständigen angesetzten unfallbedingten MdE kann dem Kläger eine Verletztenrente nicht zugesprochen werden, weil eine Addition von Einzel-MdE-Werten zur Bildung der Gesamt-MdE grundsätzlich nicht zulässig ist und die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Addition im vorliegenden Fall nicht gegeben sind (vgl. Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage, S.156). Die übrigen Sachverständigen, auf die der Senat seine Entscheidung stützt, werfen keine höhere MdE aus.

Das Gutachten des Sachverständigen Dr.R. kommt zu keinen Unfallfolgen aus neurologischem Fachgebiet. Soweit der Sachverständige Unfallfolgen auf psychiatrischem Fachgebiet konstatiert, ist dies zunächst eine fachfremde Feststellung. Hiervon abgesehen fehlt es dem Gutachten an einer nachvollziehbaren Darstellung der Kausalität im konkreten Fall. Der Sachverständige stützt seine Erwägungen auf die Feststellung psychischer Auffälligkeiten beim Kläger einerseits und die Tatsache, dass es nach Starkstromunfällen zu der von ihm genannten psychischen Beeinträchtigung kommen kann. Dies geht über die Annahme einer abstrakten Möglichkeit nicht hinaus und entspricht nicht den Anforderungen an den Nachweis des Ursachenzusammenhanges im konkreten Fall.

Auch auf das Gutachten des Sachverständigen S. konnte der Senat keine Entscheidung zugunsten des Klägers gründen. Zusammengefasst sieht der Senat die wesentlichen Mängel des Gutachtens darin, dass nicht bewiesene Sachverhalte sowohl bezüglich des Unfallvorganges als auch bezüglich organischer Folgezustände zugrunde gelegt werden und das psychopathologische Bild des Klägers im Wesentlichen aus einer unkritischen Übernahme der klägerischen Selbstcharakterisierung besteht. Wegen des Umfangs des Gutachtens (320 Seiten) und der mangelnden inneren Kohärenz ist es notwendig, die Kritik anhand von Einzelpunkten darzustellen.

Bereits die Bewertung des Hochspannungsunfalls als zur Auslösung eines posttraumatischen Belastungssyndroms geeignetes Ereignis ist unzutreffend dramatisiert, wenn einerseits ausgeführt wird, ein solcher werde nur in seltenen Fällen überlebt und im selben Satz die Erläuterung steht, dass ein solcher in 30 % der Fälle tödlich ende. Sodann enthält das Gutachten eine Aufzählung der nach der einschlägigen Literatur bei einem Hochspannungsunfall möglichen Verletzungsfolgen, ohne dass der Sachverständige darstellt, ob solche beim Kläger vorgelegen haben. Umgekehrt folgt eine Sammlung aller dokumentierten psychischen Auffälligkeiten des Klägers nach dem Unfall, mit der jedoch bis dahin in keiner Weise begründeten Schlussfolgerung, der Elektrounfall habe zu schweren psychischen Störungen bis hin zur psychischen Erkrankung geführt. Erst dann wird der Versuch unternommen, Erwägungen zur Kausalität zwischen dem Unfall und dem bestehenden psychischen Folgezustand anzustellen. Bei der Definition der posttraumatischen Belastungsstörung ist ausgeführt, die Störung folge dem Trauma mit einer Latenz, die Wochen bis Monate dauern könne. Der Verlauf sei wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle könne jedoch eine Heilung erwartet werden. Die Latenz wird vom Sachverständigen sodann anhand der Aktenunterlagen im Einzelnen belegt. Nach der späteren Exploration des Klägers wird allein aufgrund der Anamnese von einer ohne zeitliche Verzögerung eingetretenen Belastungsstörung ausgegangen, ohne dass das Gutachten Ausführungen dazu enthielte, wie dies mit den vorher gegebenen diagnostischen Anforderungen zu vereinbaren ist. Der Umstand, dass definitionsgemäß in der Mehrzahl der Fälle eine Heilung erwartet werden könne, spielt sodann bei der Abhandlung der für oder gegen einen Kausalzusammenhang sprechenden Gesichtspunkte keine Rolle mehr. Überhaupt enthält das Gutachten keine eigenständige Abwägung von für und gegen den Kausalzusammenhang sprechenden Gesichtspunkten. Hier hätte jedenfalls die entsprechende Feststellung der Klinik B. Anlass zur Feststellung des prämorbiden Persönlichkeitsbildes des Klägers und dessen Einfluss auf die Krankheitsentwicklung gegeben. Die Ausgangslage für eine posttraumatische Belastungsstörung im Fall des Klägers wird vom Sachverständigen in fragwürdiger Weise rekonstruiert. So ist zum einen ausgeführt, das Auftreten von psychischen Störungen erst mit einer Latenz von Wochen und Monaten könne auch den Umstand erklären, dass im Durchgangsarztbericht und im Ergänzungsbericht sowie im Bericht der Neurologischen Klinik M. vom 11.06.1993 keine Symptome einer psychischen Beeinträchtigung/Störung geschildert worden seien; sie seien möglicherweise noch nicht vorhanden oder offenkundig gewesen. Der Gesichtspunkt der Latenz wird vom Sachverständigen nach Anamnese des Klägers und fremdanamnestischen Angaben der Ehefrau jedoch vollständig fallengelassen. Angesichts ausdrücklich ärztlicher Feststellungen hätte der Sachverständige zum einen nicht ohne nachvollziehbaren Grund den bloßen Angaben des Klägers und seiner Ehefrau der Vorzug gegeben werden dürfen und die Aufgabe des Wesensmerkmals der Latenz hätte, wie bereits ausgeführt, einer nachvollziehbaren Begründung bedurft. Der ausdrücklichen Feststellung im Ergänzungsbericht bei Unfällen mit elektrischem Strom, dass der Proband keine Angstgefühle bzw. Angst vor Strom aufgewiesen habe, begegnet der Sachverständige mit seiner Auffassung, dass auf ein derartiges Ereignis jeder Mensch mit schwersten Angstzuständen bis hin zur Todesangst reagiere. Mit einer solchen allgemeinen Feststellung kann jedoch die konkret festgestellte Tatsache nicht aus der Welt geschafft werden. Hinzu kommt, dass der Sachverständige die Schwere des Unfalls mit der Feststellung eines Herzstillstandes untermauert. Ein solcher Herzstillstand ist jedoch zu keinem Augenblick festgestellt worden und wird auch vom Sachverständigen nicht nachträglich bewiesen. Zu den Erstsymptomen zählt der Sachverständige die Aussage der Nervenklinik M. , wonach der Kläger als logorrhoisch geschildert wird. Dem fügt der Sachverständige hinzu, es sei anzunehmen, dass der Proband des Redeflusses. Zwar gesteht er zu, dass dies nicht vermerkt werde, es komme aber in späteren Befunden sehr deutlich zum Ausdruck. Der Inhalt der logorrhoischen Schilderungen ist damit jedoch nicht bewiesen, er wird vom Sachverständigen vielmehr fingiert. Zu den notwendigen diagnostischen Kriterien rechnet der Sachverständige auch, dass durch die Hochspannungsverletzung die körperliche und seelische Unversehrtheit des Klägers in erheblichem Maße gefährdet und geschädigt worden ist. Fest steht hingegen, dass in organischer Hinsicht die körperliche Unversehrtheit des Klägers keineswegs in erheblichem Maße geschädigt worden ist. Ob seine seelische Unversehrtheit in erheblichem Maße geschädigt worden ist, wäre erst durch das Gutachten zu beweisen gewesen. Das weitere Kriterium der Furcht, Hilflosigkeit oder des Entsetzens, ausgelöst durch den Unfall, wird vom Sachverständigen nicht durch erhobene Befunde belegt, sondern durch die Annahme, dass dies bei einer Hochspannungsverletzung so sei. Bei den weiteren diagnostischen Kriterien einer anhaltenden Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind oder einer Abflachung der allgemeinen Reagibilität sowie einem anhaltenden Symptom erhöhter Wachheit werden vom Sachverständigen einerseits selektiv ärztliche Feststellungen herangezogen, deren Subsumtion sich nicht von selbst erschließt, vom Sachverständigen aber auch nicht dargelegt wird. Andererseits stützen sich sowohl diese angezogenen Arztberichte als auch die vom Sachverständigen zugrunde gelegten Feststellungen weitestgehend auf Angaben oder Selbstcharakterisierungen des Klägers, denen nicht kritisch begegnet wird. Symptomatisch hierfür sind die vom Kläger durchgehend als mehr oder minder ausgeprägt angegebenen Schlafstörungen. In den wenigen stationären Behandlungen des Klägers, die ausdrücklich wenigstens auch der Ermittlung des psychischen Krankheitsbildes gedient haben (Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik M. , Bezirkskrankenhaus M. , Klinik B.), hat sich dieses Symptom ausdrücklich nicht bestätigen lassen, wie übrigens auch die vom Kläger durchgehend geltend gemachte Antriebsschwäche.

Die Feststellungen des Sachverständigen bezüglich der vielgestaltigen neurologischen Störungen und Ausfallerscheinungen infolge des Elektrotraumas genügen nicht den Anforderungen an die Grundsätze der Beweisführung im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung. Zunächst ist ausgeführt, dass es bei Durchströmung des Körpers mit elektrischem Strom zu sogenannten Stromschleifen kommen könne, die bei dem zu diskutierenden Unfallereignis mit größter Wahrscheinlichkeit aufgetreten sein dürften. Zu den Auswirkungen ist ausgeführt, dass es bei dem Unfall zu einer Bewusstlosigkeit gekommen sei. Dies gehe zwar weder aus dem Durchgangsarztbericht noch aus dem Ergänzungsbericht hervor, jedoch aus dem Polizeibericht der Polizeiinspektion Deggendorf und zwar, dass der Proband bewusstlos gewesen sei und dass er seinen Herzstillstand erlitten habe. Abgesehen davon, dass es sich bei dem Beleg nicht um eine ärztliche Feststellung handelt, erläutert der Sachverständige auch nicht, inwiefern der Bericht des später hinzugekommenen Polizeibeamten beweisend für diese Annahmen sein könnte. Vom Sachverständigen wird des Weiteren der Beweis der Bewusstlosigkeit mit der Annahme des weiter nicht belegten Herzstillstandes geführt und dann noch die ebenfalls nicht belegte Folge der Hypoxämie des Gehirns angenommen. Sodann wird von einer direkten Irritation des Gehirns infolge einer auftretenden Stromschleife ausgegangen, wiewohl deren Annahme und Auswirkung zuvor nur als wahrscheinlich dargestellt worden ist. Des Weiteren werden Erwägungen über einen epileptischen Anfall, dessen Art und Ausmaß angestellt, jedoch nur festgestellt, dass dies gewöhnlich so sei und beim Kläger so gewesen sein dürfte. Eine ebensolche Vermischung von allgemeinen und konkreten Unterstellungen findet sich bei der Annahme einer Alteration des Halsmarkes durch den Stromstoß und dessen thermoelektrischen Auswirkungen, die dann später ohne jede weitere Begründung als gewiss angenommen werden. So wird auch vom Herzstillstand ausgeführt, die Pulsfrequenz habe eine schwerwiegende Bradykardie dargestellt. Es sei davon auszugehen, dass sie, rückläufig betrachtet, sehr wahrscheinlich unmittelbar nach dem Stromschlag bei Null gelegen habe - also ein Herzstillstand bestanden haben müsste. Der beim Notarzttransport festgestellte Blutdruck lasse den Schluss zu, dass der Blutdruck durchaus unmittelbar nach dem Stromschlag sehr niedrig gewesen sei, also möglicherweise bei Null gelegen habe. Es könne daher davon ausgegangen werden, dass als eine Ursache der Bewusstlosigkeit ein Herz-Kreislauf-Versagen mit Stillstand als mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei. Auch weitere zwei Möglichkeiten der Auslösung einer Bewusstlosigkeit seien hier als sehr wahrscheinlich anzunehmen. Die hier angeführten Beweismaßstäbe der Wahrscheinlichkeit reichen jedoch nicht für die Feststellung von Gesundheitsstörungen und Unfallfolgen, die als rechtserhebliche Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorgelegen haben müssen.

Den vom Sachverständigen gestellten Diagnosen liegen letztlich weder gleichlautende noch zur Begründung herangezogene diagnostische Feststellungen anderer Sachverständiger oder Behandler zugrunde, noch ist seinem Gutachten ein von ihm selbst anhand der Person des Klägers nachvollziehbar dargestellter psychopathologischer Befund zu entnehmen. Wie bereits ausgeführt, unterscheiden sich die vom Sachverständigen der Beurteilung zugrunde gelegten Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers auf psychischem Fachgebiet nicht von der reinen Selbstdarstellung des Klägers. Dass und wie solchen Darstellungen insbesondere bei einem Versicherten, bei dem einem geltend gemachten höchsten Leidensdruck keine entsprechende Wahrnehmung von Behandlungsangeboten gegenübersteht, kritisch begegnet werden muss, ergibt sich unter anderem aus den Gutachten der Sachverständigen Dr.N. , Dr.K. und Dr.S ... Das Gutachten des Sachverständigen S. konnte deshalb als Entscheidungsgrundlage nicht überzeugen.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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