L 15 VG 11/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 5 VG 12/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VG 11/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 VG 4/02 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerinnen wird der Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Bayreuth vom 15.06.2000 und Änderung der Bescheide vom 31.05.1999 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 16.07.1999 verurteilt, die Hinterbliebenen-Versorgungsbezüge der Klägerinnen diesen ohne Anwendung der Ruhensvorschrift des § 65 Abs.1 Satz 1 Nr.1 BVG zu gewähren.
II. Der Beklagte hat den Klägerinnen zu 1) bis 5) die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Anspruch der Klägerinnen auf Hinterbliebenenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Höhe der Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung, der das getötete Gewaltopfer als freiwilliges Mitglied angehörte, ruht.

Der Ehemann bzw. Vater der Klägerinnen, der Allgemeinarzt Dr.T. E. , geb. am 1954, wurde am 14.12.1998 in seiner Arztpraxis in Lautertal von einem Patienten durch zwei Pistolenschüsse in den Hinterkopf getötet. Der Täter verübte anschließend Selbstmord.

Die Hinterbliebenen des Getöteten beantragten im Januar 1999 Leistungen nach dem OEG. Es handelt sich um die am 1954 geborene Witwe G. E. (Klägerin zu 1), sowie die Töchter V. (geb. 1983 - Klägerin zu 2) -), J. (geb. 1984 - Klägerin zu 3) -), B. (geb. am 1986 - Klägerin zu 4) -) und S. (geb. am 1989 - Klägerin zu 5) -).

Die Klägerin zu 1) gab bei der Antragstellung an, sie habe auch bei anderen Stellen Leistungen beantragt, nämlich bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), der Bayer. Ärzteversorgung, der Zusatzversicherung der bayerischen Gemeinden sowie einer privaten Lebensversicherung. Sie übermittelte den Bescheid der BGW vom 25.01. 1999, wonach ihr ab 14.12.1998 bis 31.03.1999 (Sterbevierteljahr) Witwenrente in Höhe von monatlich 1.777,78 DM, anschließend in Höhe von monatlich 711,11 DM neben einem Sterbegeld in Höhe von einmalig 7.440,00 DM ausgezahlt wurden. Auch übersandte sie die entsprechenden Bescheide der BGW an die Klägerinnnen zu 2) bis 5) vom 25.01.1999, mit denen diesen jeweils Halbwaisenrente von DM 355,56 gewährt wurde.

Am 05.02.1999 erteilte der Beklagte den Klägerinnen Bescheide, in denen der Tod ihres Ehemanns bzw. Vaters als Folge einer Schädigung im Sinne des OEG anerkannt wurde. Über die Höhe der Hinterbliebenenversorgung wurde darin noch nicht entschieden, da die Einkommensverhältnisse nicht bekannt seien und nach § 65 Abs.1 Nr.1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) der Anspruch auf Versorgungsbezüge in Höhe der Bezüge aus der gesetzlichen Unfallversicherung ruhe, wenn - wie hier - beide Ansprüche auf der selben Ursache beruhten.

Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen, ein Bruder des Getöteten, Widerspruch ein, da zu Unrecht ein Ruhensfall im Sinne des § 65 BVG angenommen worden sei. Sinn dieser Vorschrift sei es, eine Doppelversorgung aus staatlichen Versicherungs- und Versorgungssystemen zu vermeiden; bei der eigenfinanzierten freiwilligen Selbstversicherung des Unternehmers sei jedoch eine Doppelvorsorge des Staates nicht gegeben. Die durch eigene freiwillige Zahlungen erworbene Rechtsposition gegenüber der Berufsgenossenschaft würde entgegen Art.14 Grundgesetz durch die Anwendung der Ruhensregelung faktisch entzogen. Der durch Eigenvorsorge des Berechtigten geschaffene Leistungsanspruch dürfe nicht bei der Grundrente nach BVG, sondern erst bei der Ausgleichsrente angerechnet werden. Aus diesen Erwägungen seien auch Leistungen aus einer freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Kranken- oder Unfallversicherung nach der Rechtsprechung nicht auf das Bestattungsgeld nach § 36 BVG anzurechnen. Der selbe Grundgedanke sei auch in § 93 Abs.5 Nr.2 SGB VI enthalten. Daher sei in § 65 Abs.1 Nr.1 BVG der Begriff "gesetzliche Unfallversicherung" im Wege der teleologischen Reduktion auf "gesetzliche Unfallversicherung ohne überwiegende eigene Beitragsleistung" zu reduzieren.

Im Zuge der vom Beklagten durchgeführten Einkommensermittlungen teilte die Klägerin zu 1) am 17.05.1999 mit, in welcher Höhe sie und ihre Töchter Lebensversicherungsleistungen erhalten hätten (von der A. Lebensversicherung, der C. Lebensversicherung und der K. Lebensversicherung). Es bestünden auch erhebliche Verbindlichkeiten. Außerdem gewähre die Bayerische Ärzteversorgung ab 16.12.1998 Hinterbliebenenrente (ab 01.01.1999 monatlich 1.943,90 DM für die Witwe und 647,80 DM für jede der vier Waisen) und Rente aus der Zusatzversorgung (mtl. 125,27 DM bzw. 25,05 DM).

Am 31.05.1999 erließ der Beklagte gegenüber den Klägerinnen zu 1) bis 5) Bescheide nach dem OEG, in denen der Tod des Ehemanns bzw. Vaters erneut als Folge einer Schädigung im Sinne des OEG anerkannt und dem Grunde nach ein Anspruch auf Witwen- bzw. Waisenrente nach § 38 BVG einschließlich Ausgleichsrente und Schadensausgleich zuerkannt wurde. Der Anspruch auf Versorgungsbezüge ruhe jedoch nach § 65 Abs.1 Nr.1 BVG in Höhe der Bezüge aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Im anschließenden Berechnungsbescheid vom 01.06.1999 für die Klägerin zu 1) wurde die Grundrente ab Januar 1999 mit 679,00 DM (zuletzt 688,00 DM), der Schadensausgleich mit 442,00 DM (zuletzt 448,00 DM), d.h. insgesamt ein Betrag von 1.121,00 DM (zuletzt 1.136,00 DM) errechnet. Ausgleichsrente errechnete sich nicht wegen der Anrechnung von Hinterbliebenenversorgung der berufsständischen Organisation und der Zusatzversicherung sowie wegen Einkünften aus Kapitalvermögen. Infolge des Ruhens nach § 65 BVG wurden von den obengenannten Gesamtbeträgen im Zeitraum von Januar bis einschließlich März 1999 monatlich 1.777,00 DM abgezogen, so dass in diesem Zeitraum kein monatlicher Zahlbetrag nach OEG/BVG übrigblieb. Ab April 1999 wurden 711,00 DM monatliche Unfallrente abgezogen, so dass ab April 1999 410,00 DM, ab Juli 1999 425,00 DM monatlich nach dem OEG ausgezahlt wurden. Für die Klägerinnen zu 2) bis 5) wurden mit Berechnungsbescheiden vom 31.05.1999 Ansprüche auf Grundrente nach dem OEG ab 1/1999 in Höhe von 192,00 DM, ab 7/1999 von 195,00 DM monatlich, bzw. auf Ausgleichsrente in Höhe von 69,00 DM und 75,00 DM monatlich festgestellt, auf die 355,00 DM aus der gesetzlichen Unfallversicherung monatlich angerechnet wurden. Die Klägerinnen zu 2) bis 5) erhielten daher keine Zahlungen nach dem OEG.

Gegen die Bescheide vom 31.05. und 01.06.1999 erhoben die Klägerinnen mit Schreiben vom 28.06.1999 Widerspruch, soweit ein Ruhen des Anspruchs auf Versorgungsbezüge festgestellt worden sei. Es wurde angeboten, den Widerspruch gegen den Bescheid vom 05.02.1999 zurückzunehmen, sofern der Beklagte bestätige, dass in diesem Bescheid nicht über ein Ruhen der Versorgungsbezüge entschieden worden sei. Dieser Aufforderung kam der Beklagte mit Schreiben vom 09.07.1999 nach.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.07.1999 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerinnen zurück, da es für den Eintritt des Ruhens nach § 65 BVG unerheblich sei, ob die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung auf Grund gesetzlicher Vorschriften oder auf Grund freiwilliger Selbstversicherung erbracht worden seien. Die abweichende Regelung in VV Nr.5 zu § 36 BVG bestätige die Rechtsauffassung des Beklagten zu § 65 Abs.1 Nr.1 BVG. Eine Bezugnahme auf Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 93 Abs.5 Nr.2 SGB VI) sei im sozialen Entschädigungsrecht nicht angebracht, da gravierende Unterschiede zwischen beiden Rechtssystemen bestünden. Im Unterschied zur gesetzlichen Rentenversicherung würden Leistungen des sozialen Entschädigungsrechts ausschließlich aus Steuermitteln finanziert.

Hiergegen haben die Witwe und die Waisen jeweils Klage zum Sozialgericht Bayreuth erhoben und beantragt, die angefochtenen Bescheide insoweit aufzuheben, als darin ein Ruhen der Versorgungsbezüge wegen gleichzeitigen Bezugs von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung angeordnet worden sei, und die Beklagte zur ungekürzten Leistung der Grundrente an die Klägerinnen zu verurteilen. Zur Begründung ist u.a. hervorgehoben worden, dass der Verstorbene zum Abschluss der Unfallversicherung bei der BGW keineswegs verpflichtet gewesen sei und er eine ähnliche Versicherung auch bei einem privaten Versicherungsunternehmen hätte abschließen können.

Das Sozialgericht hat die Rechtsstreite der Klägerinnen durch Beschluss vom 18.05.2000 unter dem führenden Aktenzeichen S 5 VG 12/99 verbunden.

Es hat die Klagen am 15.06.2000 ohne mündliche Verhandlung durch Urteil abgewiesen. Der Beklagte habe zu Recht die Gesamtbezüge der Klägerinnen nach dem OEG um die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung gekürzt. § 65 Abs.1 Satz 1 Nr.1 BVG sei erfüllt, da beiden Ansprüchen derselbe Sachverhalt zu Grunde liege. Die Bestimmung könne nicht dahingehend ausgelegt werden, dass Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung dann kein Ruhen der Versorgung herbeiführten, wenn die Versicherung aus eigenen Beiträgen des Versicherten finanziert worden sei. Es handle sich um Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung, unabhängig davon, ob die Versicherteneigenschaft auf Pflicht oder Freiwilligkeit beruhe. Mit der öffentlich rechtlichen Form der Organisation gehe einher, dass unter Verzicht auf eine Gewinnerzielungsabsicht den sozial Schutzbedürftigen geholfen und der soziale Friede gesichert werden solle. Dieser Sozialgedanke komme vor allem bei der Beitragsgestaltung zum Tragen. Der Beitrag orientiere sich an der Leistungsfähigkeit der Beitragspflichtigen und nicht an persönlichen Faktoren. Die Solidargemeinschaft trage daher im wesentlichen das individuelle Risiko des Versicherten, unabhängig davon, ob dieser seine Beiträge selbst finanziert habe; dadurch unterscheide sich die gesetzliche Unfallversicherung elementar von einer privaten. Diese beruhe auf versicherungsmathematischen Wahrscheinlichkeitsrechnungen, in denen das Versicherungsrisiko individuell eingeschätzt werde. Auch der Rechtsgedanke aus § 93 Abs.5 Nr.2 SGB VI könne hier nicht herangezogen werden. Dort werde berücksichtigt, dass einem Unternehmer, der Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung geleistet habe, die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht gekürzt werden dürfe, weil er zu beiden Sicherungssystemen Beiträge erbracht habe und er sonst einen Teil der in beiden Systemen erworbenen Anwartschaften verlieren würde. Im vorliegenden Fall habe der Verstorbene nicht zu beiden Sicherungssystemen Beiträge erbracht. Der Anspruch nach dem OEG stelle keine dem Eigentumsschutz unterliegende Rechtsposition dar, wie dies bei Anwartschaften aus dem Bereich der Sozialversicherung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt sei. Die Konzeption des OEG beruhe auf der Überlegung, dass der Staat seine Bürger vor Schädigungen durch kriminelle Handlungen, insbesondere Gewalttaten schützen müsse. Soweit dieser Schutz versage, habe der Geschädigte einen Anspruch auf Entschädigung, weil er in aller Regel im Rahmen seiner eigenverantwortlichen Vorsorge nicht in der Lage sei, die wirtschaftlichen Folgen einer Gewalttat zu versichern. Über die Sozialhilfe hinaus sei eine qualifizierte Absicherung des Lebensstandards der Opfer geboten. Allerdings sei die Intention des Gesetzgebers so zu verstehen, dass nur die Fälle vom OEG erfasst werden sollten, in denen eine Eigenvorsorge die Leistungsfähigkeit des Bürgers übersteige. Soweit diese aber greife, sei ein Anspruch ausgeschlossen. Daher seien Sozialversicherungsrenten, die einen wirtschaftlichen Ausgleich für einen Einkommensverlust darstellten, im Rahmen der einkommensabhängigen Leistungen zu berücksichtigen. Wegen § 65 BVG könnten jedoch Renten aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht nur wie Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung bei den einkommensabhängigen Leistungen berücksichtigt werden; diese Ungleichbehandlung sei auch deshalb gerechtfertigt, weil die Rente der gesetzlichen Rentenversicherung in erster Linie für die Alterssicherung gedacht und nicht auf den Entschädigungsfall ausgerichtet sei.

Die Anträge der Beteiligten auf Zulassung der Sprungrevision hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 08.11.2000 zurückgewiesen. Einerseits handle es sich nicht um eine Divergenzentscheidung im Sinne des § 160 Abs.2 Nr.2 SGG, andererseits betreffe der Rechtsstreit einen seltenen Einzelfall, so dass nicht von einer grundsätzlichen Bedeutung der streitgegenständlichen Rechtsfrage gesprochen werden könne.

Gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 15.06.2000 haben die Klägerinnen Berufung eingelegt und ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Sie haben zur Begründung auf das BSG-Urteil vom 09.12.1969 zur Anrechnung des nach § 205 b RVO gezahlten Familiensterbegeldes auf das nach BVG zu gewährende Bestattungsgeld gemäß § 36 Abs.4 BVG Bezug genommen, wo es wörtlich heiße: "Eine Leistung, die sich zwar aus dem Gesetz ergibt, die aber auch der freiwilligen Eigenvorsorge entspringt, wird grundsätzlich als anrechnungsfrei behandelt".

Die Klägerinnen haben sich außerdem auf das BSG-Urteil vom 17.11.1981 gestützt, das die Entschädigung eines bei seiner Tätigkeit als Geldboten schwer Geschädigten betreffe und in dem auch zur Konkurrenz von Ansprüchen nach dem OEG mit solchen aus einer gesetzlichen und privaten Unfallversicherung Stellung genommen werde. Auch haben sie ausgeführt, die vom Sozialgericht angeführte Beitragsorientierung an der Leistungsfähigkeit des Versicherten sei bei der freiwilligen Versicherung des Unternehmers im Gegensatz zur Pflichtversicherung gerade nicht gegeben. Der freiwillig versicherte Unternehmer bestimme in den vorgegebenen Grenzen die Höhe seines Versicherungsschutzes selbst. Anders als in der Pflichtversicherung seien die Beiträge im Voraus zu entrichten; bei Säumigkeit entfalle nach zwei Monaten der Versicherungsschutz. Die Klägerinnen haben ein Merkblatt zur freiwilligen Versicherung von Unternehmern der BGW vorgelegt.

Auf Anfrage des Senats hat die BGW dargelegt (Schreiben vom 28.02.2001), dass der Verstorbene nicht zum Kreis der in der gesetzlichen Unfallversicherung pflichtversicherten Personen gehört habe, sondern nach § 4 Abs.3 SGB VII versicherungsfrei gewesen sei, jedoch die Möglichkeit gehabt habe, eine freiwillige Versicherung abzuschließen (§ 6 SGB VII). Der Unfallversicherungsschutz der freiwilligen Versicherung habe grundsätzlich den gleichen Umfang wie die Versicherung der versicherungspflichtigen Personen. Die Geldleistungen würden sich aus der selbstgewählten Versicherungssumme berechnen. Die Beiträge zahle der freiwillig Versicherte selbst. Die Höhe der Beiträge richte sich nach der Versicherungssumme, dem Beitragsfuß und der Gefahrklasse. Im Gegensatz dazu werde der Beitrag für den Pflichtversicherten vom Arbeitgeber getragen. Die Berechnungsgrundlage sei identisch, nur werde an Stelle der Versicherungssumme das tatsächlich erzielte Entgelt berücksichtigt. Aus einer beigefügten Erklärung des Ehemanns/Vaters der Klägerinnen vom 04.03.1993 ergibt sich, dass die Versicherung ab 01.03.1993 mit einer Versicherungssumme von 27.000,00 DM abgeschlossen worden ist. Es handelte sich damals um die Mindestversicherungssumme. Aus dem ebenfalls beigefügten Merkblatt ergibt sich, dass sich der Verstorbene als Arzt in der niedrigsten Gefahrklasse, nämlich 2,1, befand. Nach dem abgedruckten Berechnungsbeispiel errechnete sich der Beitrag nach Gefahrenklasse 2,1 x Beitragsberechnungsgrundlage (laut Tabelle: 51,03 DM) = 107,16 DM (für 12 Monate).

Die Abgabe eines Anerkenntnisses hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 03.04.2001 abgelehnt, da sich das zitierte BSG-Urteil vom 17.11.1981 nur am Rande mit dem Verhältnis von Ansprüchen auf Leistungen nach dem OEG und denen einer privaten Unfallversicherung befasse. Ansprüche aus einer freiwilligen gesetzlichen Unfallversicherung seien nicht streitgegenständlich gewesen. Auch in den Materialien zu § 65 BVG seien keine Hinweise für vorliegenden Fall enthalten.

Mit Schriftsatz vom 07.05.2001 haben die Klägerinnen darauf hingewiesen, dass die Leistungen der BGW, wenn diese wie bei einem Pflichtversicherten vom tatsächlichen erzielten Jahresentgelt ausgegangen wäre, fast viermal so hoch ausgefallen wären, da anstelle der gewählten Versicherungssumme von 27.000,00 DM bzw. 32.000,00 DM die Höchstsumme von 120.000,00 DM zugrunde gelegt worden wäre.

In der mündlichen Verhandlung am 29.11.2001 ist Folgendes protokolliert worden: "Die Beteiligten erklären übereinstimmend, dass die Bescheide vom 05.02.1999 und die dagegen - betreffend die Erwähnung des § 65 BVG - erhobenen Widersprüche nicht Gegenstand dieses Verfahrens sind; die Widersprüche sind gegenstandslos. Die Beteiligten sind sich außerdem darüber einig, dass die Berechnungsbescheide vom 01.06.1999/31.05.1999 und vom 08.01.2001 nicht Gegenstand des anhängigen Verfahrens sein sollen; der Bevollmächtigte des Beklagten erklärt sich bereit, je nach rechtskräftigem Ausgang des Verfahrens gegebenenfalls eine Neuberechnung durchzuführen."

Der Bevollmächtigte der Klägerinnen beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Bayreuth vom 15.06.2000 und Änderung der Bescheide vom 31.05.1999 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 16.07.1999 zu verurteilen, die Hinterbliebenenversorgungsbezüge der Klägerinnen diesen ohne Anwendung der Ruhensvorschrift des § 65 Abs.1 Satz 1 Nr.1 BVG zu gewähren.

Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt, die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 15.06.2000 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerechte Berufung ist zulässig, sie erweist sich auch als begründet.

Der Beklagte hat zu Unrecht die Versorgungsbezüge der Klägerinnen nach dem OEG gemäß § 65 BVG in Höhe der Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zum Ruhen gebracht. § 65 Abs.1 Nr.1 BVG ist im Wege der teleologischen Reduktion (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage, S.391 ff.) und in entsprechender Anwendung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 36 Abs.4 BVG dahingehend auszulegen, dass der Bezug von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung dann nicht zum Ruhen von Ansprüchen auf Versorgungsleistungen, die auf derselben Ursache beruhen, führt, wenn die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung auf Grund einer freiwilligen Versicherung im Rahmen der Eigenvorsorge und auf der Basis von freiwilligen Beitragsleistungen des Versicherten beruhen.

Nach § 65 Abs.1 Nr.1 BVG ruht der Anspruch auf Versorgungsbezüge, wenn beide Ansprüche auf der selben Ursache beruhen, in Höhe der Bezüge aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Sinngemäß zielt diese Vorschrift auf die Vermeidung einer sozialpolitisch unerwünschten Doppelversorgung beim Zusammentreffen mehrerer staatlicher Leistungen aus demselben Anlass ab.

Ob die Ruhensregelung auch bei Leistungen infolge freiwilliger Mitgliedschaft in der gesetzlichen Unfallversicherung eingreift, konnte nur durch Auslegung des § 65 BVG entschieden werden.

Die Materialien zu § 65 Abs.1 Nr.1 BVG (amtliche Begründung zum BVG vom 20.12.1950 im Bundesversorgungsblatt 1951 Nr.1, S.45, 54), zu § 3 Abs.4 OEG (Bundestagsdrucksache 7/2506 S.16 vom 27.08.1974) und zu § 4 Abs.1 Nr.2 SGB VII (Bundestagsdrucksache 13/2204 S.76 vom 24.08.1995) enthalten diesbezüglich keine Aussage. Es wird - in letzeren - lediglich ausgeführt, dass nach § 4 Abs.1 Nr.2 SGB VII grundsätzlich Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Unfallversicherung für Personen bestehe, für die das BVG oder seine Nebengesetze gelten, es sei denn, der Versicherungsfall sei zugleich Folge einer Schädigung im Sinne des BVG. Nach § 3 Abs.4 OEG gelte diese Regelung des SGB VII nicht, wenn der Arbeitsunfall gleichzeitig als Gewalttat im Sinne des OEG entschädigungspflichtig sei, da sonst die eventuell höheren Unfallversicherungsleistungen ausgeschlossen wären, wenn eine Gewalttat gleichzeitig als Arbeitsunfall anzusehen sei. Doppelleistungen seien jedoch durch § 65 BVG zu vermeiden.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich im Urteil vom 09.11.1988 (BVerfGE 79, 87 ff.) mit der Verfassungsmäßigkeit von Ruhensbestimmungen im Sozialversicherungsrecht und speziell mit § 183 Abs.6 RVO befasst, der beim Bezug von Verletztengeld aus der gesetzlichen Unfallversicherung das Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld auch hinsichtlich des Krankengeldspitzbetrags vorschreibt. In diesem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht wie schon in früheren Entscheidungen auf die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit bei Ruhensvorschriften im Recht der Sozialversicherung hingewiesen, gleichzeitig aber auch hervorgehoben, dass Selbständige im Vergleich zu abhängig Beschäftigten sowohl in der gesetzlichen Kranken- als auch Unfallversicherung eine Sonderstellung einnähmen. Bei der Unternehmerversicherung handle es sich im Ergebnis um eine Selbsthilfeeinrichtung der Unternehmer gleicher Berufssparten, die anders als bei der Versicherung der Arbeitnehmer nicht auf dem Prinzip der Haftungsersetzung, sondern auf der Eigenvorsorge beruhe und deshalb auch einen anderen Leistungscharakter habe. So sei kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, dass die Übernahme der Heilbehandlung und der Geldleistungen durch den Unfallversicherungsträger den durch eigene Beiträge erworbenen Anspruch des freiwillig krankenversicherten Unternehmers auf Krankengeld in voller Höhe zum Wegfall bringe.

Das Bundessozialgericht hat in den Urteilen vom 10.03.1964 (BSGE 20, 233 f.) und vom 09.12.1969 (BVBl 1970, 53 f.) zur Anrechnungsvorschrift des § 36 Abs.4 BVG, wonach eine auf Grund "anderer gesetzlicher Vorschriften" für denselben Zweck zu gewährende Leistung auf das Bestattungsgeld anzurechnen ist, Überlegungen angestellt, die auf § 65 Abs.1 Nr.1 BVG übertragbar erscheinen. Nach o.g. Urteilen sei die Formulierung "anderer gesetzlicher Vorschriften" auslegungsbedürftig. Nach den Wertvorstellungen, die dem Gesetz erkennbar zu Grunde lägen, genüge es nicht nur, zwischen vertraglicher und gesetzlicher Leistung zu unterscheiden. Der Umfang des Ausschlusses von Doppelleistungen werde zunächst durch die Herkunft der Mittel bestimmt, im Weiteren - falls es sich um öffentliche Mittel handle - auch durch den Entstehungsgrund. Zur Anrechnung sollten nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nur Leistungen aus öffentlich-rechtlichen Mitteln auf Grund staatlicher Vorsorge führen. Anrechnungsfrei sollten demgegenüber Leistungen sein, die auf der Eigenvorsorge des Versorgungsberechtigten bzw. auf einer das Rechtsverhältnis zumindest mitbegründenden Entschließung des Berechtigten zur Übernahme einer freiwilligen Verpflichtung und eines der Versicherung etwa angepassten Opfers (Beiträge) beruhten, auch wenn dies nur auf Grund einer gesetzlichen Vorschrift ermöglicht worden sei. Letztlich werde eine Leistung, die sich zwar aus dem Gesetz ergebe, die aber auch der freiwilligen Eigenvorsorge entspringe, grundsätzlich als anrechnungsfrei behandelt.

Diese Sichtweise ist nach Auffassung des Senats auch im Zusammenhang mit § 65 Abs.1 Nr.1 BVG angebracht. Dies gilt umso mehr, als auch der Entscheidung des BSG vom 17.11.1981 (SozR 3800 § 2 Nr.3) entnommen werden kann, dass das BSG die Ruhensvorschrift des § 65 Abs.1 Nr.1 BVG nur insoweit für anwendbar hält, als es sich bei den dort genannten Leistungen um solche handelt, die ebenso wie die Leistungen nach dem OEG keine "Beitragsgegenleistung" des Geschädigten voraussetzen. Das heißt nach Auffassung des Senats, dass die auf freiwilligen Beiträgen beruhenden Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung an einen Unternehmer nicht zum Ruhen von OEG-Leistungen führen, die auf derselben Ursache beruhen.

Schließlich wird der nach Auffassung des Senats aus der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG abzuleitende Grundsatz, ein Ausschluss von Doppelleistungen finde nur statt, wenn es sich um staatliche Leistungen im Rahmen der staatlichen Vorsorge handle, auch durch § 93 Abs.5 Nr.2 SGB VI gestützt. Danach sind die Vorschriften des § 93 Abs.1 bis 4 SGB VI, wonach eine LVA- oder BfA-Rente beim Zusammentreffen mit einer Verletztenrente aus der Unfallversicherung teilweise ruht, nicht anzuwenden, wenn die Rente aus der Unfallversicherung ausschließlich nach dem Arbeitseinkommen des Unternehmers berechnet wird. Auch diese Ausnahmeregelung berücksichtigt den grundlegenden Unterschied einer freiwilligen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Unfallversicherung gegenüber der Pflichtmitgliedschaft.

Im Unterschied zum Sozialgericht ist der Senat der Auffassung, dass die freiwillige Versicherung eines Unternehmers in der gesetzlichen Unfallversicherung so viele Elemente einer privaten Versicherung enthält, dass sich die Anwendung des § 65 Abs.1 Nr.1 BVG verbietet. Im Gegensatz zu den kraft Gesetzes gegen Arbeitsunfälle Versicherten - also in erster Linie den abhängig Beschäftigten -, die keinerlei Beiträge entrichten müssen (ihre Beiträge trägt vollumfänglich das sie beschäftigende Unternehmen), hat der freiwillig Versicherte die Beiträge in voller Höhe selbst zu erbringen. Durch die Möglichkeit, innerhalb bestimmter Grenzen die Höhe der Versicherungssumme beliebig zu bestimmen, hat der freiwillig Versicherte unmittelbaren Einfluss sowohl auf die Beitragshöhe als auch auf der Höhe der Leistungen im Versicherungsfall. Hinzu kommt, dass ein wesentlicher Faktor der Beitragsbemessung in der (gesamten) gesetzlichen Unfallversicherung das in den verschiedenen "Gefahrklassen" zum Ausdruck kommende statistische Unfallrisiko der jeweiligen Tätigkeit/Branche ist. Grundsätzlich handelt es sich bei der freiwilligen Unternehmerversicherung der gesetzlichen Unfallversicherung um eine Selbsthilfeeinrichtung der Unternehmer, die - anders als bei abhängig Beschäftigten - nicht auf dem Prinzip der Haftungsersetzung beruht, sondern der Eigenvorsorge dient und deshalb auch einen anderen Leistungscharakter hat (vgl. Entscheidung des BVerfG vom 09.11.1988 a.a.O.; BSG, Urteil vom 14.11.1996, 2 RU 5/96 - SozR 3-2500 § 49 Nr.3).

Es kann dem Sozialgericht auch nicht insoweit gefolgt werden, als es die Zielsetzung des OEG darin sieht, dass dieses nur Opfer entschädigen wolle, bei denen eine Eigenvorsorge in Form einer Versicherung gegen die Folgen einer Gewalttat an ihrer mangelnden Leistungsfähigkeit scheitere. Richtig ist, dass der Staat, dem allein die Verbrechensbekämpfung obliegt, im Falle eines Misserfolgs bei der Gewährung strafrechtlichen Schutzes nach den Grundsätzen des Rechts der sozialen Entschädigung bei Gesundheitsschäden Heilbehandlung oder Geldleistungen nach den Regelungen des Bundesversorgungsgesetzes zu erbringen hat. Diese Leistungspflicht besteht aber grundsätzlich unabhängig davon, ob das Opfer bedürftig ist und ob es Schadensersatzansprüche gegen den Schädiger realisieren kann. Mit Ausnahme des Schmerzensgeldanspruchs ist es Aufgabe des Staates, auf dem Zivilrechtsweg Schadensersatzansprüche gegen den Täter im Rahmen des Regresses geltend zu machen. Die Grundrente steht dem Opfer bzw. den Hinterbliebenen unabhängig von den Einkommens- oder Vermögensverhältnissen zu, wenn eine Gewalttat zu Gesundheitsschäden geführt hat und Versagungsgründe fehlen.

Aus den dargelegten Gründen war daher die Berufung der Klägerinnen erfolgreich; das Urteil des Sozialgerichts war aufzuheben und der Beklagte zur Änderung der angefochtenen Bescheide zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Im Gegensatz zum Sozialgericht (Beschluss vom 06.11.2000) ist der Senat der Auffassung, dass es sich im vorliegenden Fall um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs.2 Nr.1 SGG) handelt. Die Revision war daher zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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