L 12 AL 239/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 37 AL 328/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 239/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 271/03 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 08.11.2002 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt im Wege der Überprüfung gemäß § 44 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) die Zahlung von höherem Arbeitslosengeld und höherem Unterhaltsgeld für zurückliegende Zeiträume.

Der Kläger war seit April 1960 als Zivilangestellter bei den britischen Stationierungsstreitkräften beschäftigt. Der Arbeitgeber sprach eine Kündigung zum 31.03.1994 aus. Hiergegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage. Im März 1995 wurde vor dem Landesarbeitsgericht I ein Vergleich geschlossen, wonach das Arbeitsverhältnis zum 30.09.1994 geendet hat. Der Kläger war nach dem 31.03.1994 nicht mehr beschäftigt, bezog allerdings zunächst vom 01.04.1994 bis zum 08.06.1994 Krankengeld.

Am 10.06.1994 meldete er sich erstmals arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 28.07.1994 bewilligte die Beklagte Arbeitslosengeld ab dem 10.06.1994 für 676 Leistungstage. Grundlage der Bemessung war das monatliche Durchschnitteinkommen des Klägers von Oktober 1993 bis März 1994. Sogenannte Einmalzahlungen (Weihnachtsgeld/Urlaubsgeld) blieben unberücksichtigt.

Infolge des arbeitsgerichtlichen Vergleichs zahlte der Arbeitgeber des Klägers wegen eines geltend gemachten Anspruchsüberganges Arbeitsentgelt für die Zeit vom 10.06.1994 bis 16.10.1994 (unter Berücksichtigung einer Urlaubsabgeltung) in Höhe des für diesen Zeitraum gewährten Arbeitslosengeldes an die Beklagte.

Ab 24.06.1996 bezog der Kläger Unterhaltsgeld (Bescheid vom 25.06.1996). Vom 18.03.1997 bis 11.06.1997 bezog er Krankengeld. Anschließend bewilligte die Beklagte ihm Arbeitslosengeld ab 12.06.1997 (Bescheid vom 06.07.1996). Nachdem sie die Zahlung von Arbeitslosengeld zunächst ab 01.01.1998 eingestellt hatte, wurde dem Kläger ab 01.01.1998 erneut Arbeitslosengeld bewilligt (Bescheid vom 05.02.1998). Der Kläger nahm dann an einer weiteren beruflichen Bildungsmaßnahme teil und erhielt ab 01.04.1998 wieder Unterhaltsgeld (Bescheid vom 06.05.1998). Vom 21.01.1999 bis 25.01.1999 erhielt er Verletztengeld und im Anschluss daran ab 26.01.1999 wieder Unterhaltsgeld (Bescheid vom 01.04.1999). Im Anschluss an die berufliche Bildungsmaßnahme erhielt der Kläger ab 01.04.1999 wiederum Arbeitslosengeld (Bescheid vom 21.04.1999). Nach einem Krankengeldbezug vom 31.08.1999 bis 01.11.1999 erhielt er für den 02.11.1999 und 03.11.1999 schließlich wieder Arbeitslosengeld (Bescheid vom 03.01.2000). Damit war der Anspruch auf Arbeitslosengeld erschöpft. Sämtliche Bewilligungsbescheide sind bindend geworden. Ein vom Kläger im Februar 1997 eingelegter Widerspruch wurde mit Widerspruchbescheid vom 03.12.1997 teilweise als unzulässig verworfen, im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen. Ein weiterer Widerspruch des Klägers vom Mai 1999 wegen der Höhe des Arbeitslosengeldes ab 01.04.1999 erledigte sich anderweitig.

Mit Schreiben vom 12.07.2000 beantragte der Kläger unter Hinweis auf seinen Widerspruch vom Februar 1997 rückwirkend die Berücksichtigung von Weihnachts- und Urlaubsgeld bei der Bemessung der bezogenen Leistungen. Mit Bescheid vom 24.08.2000 wies die Beklagte diesen Überprüfungsantrag des Klägers als unbegründet zurück.

Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 04.12.2000 zurückgewiesen. Die Beklagte führte zur Begründung aus, dass zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) - dem 21.06.2000 - die Bewilligungsbescheide bezüglich des Arbeitslosengeldes und des Unterhaltsgeldes bestandskräftig gewesen seien, so dass eine nachträgliche Erhöhung dieser Leistungen nicht in Betracht komme.

Dagegen hat der Kläger am 11.12.2000 vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund Klage erhoben und die Auffassung vertreten, dass der Ursprungsbescheid vom 28.07.1994, mit dem erstmals Arbeitslosengeld bewilligt worden ist, nichtig sei. Die Nichtigkeit folge daraus, dass er seinerzeit noch voll beschäftigt gewesen sei. Sein Arbeitsverhältnis habe nämlich erst zum 30.09.1994 geendet, so dass vorher keine Arbeitslosigkeit vorgelegen habe. Da der erste Bescheid als Berechnungsgrundlage für alle weiteren Bescheide diene, seien auch diese nichtig. Die Beklagte müsse bei einer Neuberechnung des Arbeitslosengeldes die Lohnabrechnungszeiträume bis zum 30.09.1994 berücksichtigen.

In einem Erörterungstermin am 18.09.2001 hat der Kläger erklärt, nur noch höheres Arbeitslosengeld ab 01.01.1997 zu begehren.

In der mündlichen Verhandlung hat er beantragt,

den Bescheid vom 24.08.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.12.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung der entgegenstehenden Bescheide Arbeitslosengeld und Unterhaltsgeld für die Zeit bis zum 03.11.1999 unter Berücksichtigung von Einmalzahlungen und des Arbeitsentgelts bis zum 30.09.1994 zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 08.11.2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es Bezug genommen auf die angefochtenen Bescheide der Beklagten und ergänzend noch folgendes ausgeführt:

Ein höherer Leistungsanspruch des Klägers ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung der aufgrund des Gesetzes zur Neuregelung der sozialversicherungsrechtlichen Behandlung von einmalig gezahlten Arbeitsentgelt (Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz) vom 21.12.2000 getroffenen Regelungen. Soweit sich die Höhe eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld, der vor dem 01.01.2001 entstanden ist, nach § 112 des Arbeitsförderungsgesetzes in der bis. zum 31.12.1997 geltenden Fassung oder nach § 134 Abs. 1 SGB III in der vor dem 01.01.2001 geltenden Fassung richte, seien diese Vorschriften mit der Maßgabe anzuwenden, dass sich das Bemessungsentgelt, das sich vor der Rundung ergibt, ab dem 01.01.1997 um zehn Prozent, höchstens bis zur jeweiligen Leistungsbemessungsgrenze, erhöhe. Die Erhöhung gelte für Ansprüche, über die am 21.06.2000 unanfechtbar entschieden war, vom 22.06.2000 an (§ 434 c Abs. 1 SGB III). Entsprechendes gelte gemäß § 434 c Abs. 3 SGB III auch für Ansprüche auf Unterhaltsgeld. Über den Anspruch des Klägers auf Zahlung von Arbeitslosengeld bzw. Unterhaltsgeld sei am 21.06.2000 bereits unanfechtbar entschieden gewesen. Für die Zeit ab dem 22.06.2000 habe kein Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Unterhaltsgeld mehr bestanden, so dass der Kläger von der Erhöhung des Bemessungsentgelts gemäß § 434 c Abs. 1 und Abs. 3 SGB III ausgenommen sei. Es bestünden auch keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken gegen die in § 434 c SGB III getroffene Regelung. Das BVerfG habe in seinem Beschluss vom 24.05.2000 (1 BvL 1/98,4/98 und 15/99) folgendes ausgeführt:

"( ...)Der Gesetzgeber hat durch geeignete Regelungen sicherzustellen, dass einmalig gezahlte Arbeitsentgelte bei den Lohnersatzleistungen berücksichtigt werden, soweit über deren Gewährung für die Zeit nach dem 01. Januar 1997 noch nicht bestandskräftig entschieden worden ist. Dem Gesetzgeber bleibt es unbenommen, statt einer individuellen Neuberechnung der Altfälle aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität die Bemessungsentgelte pauschal um zehn vom Hundert anzuheben.( ...)." § 434 c SGB III entspreche diesen Vorgaben des BVerfG und erscheine deshalb unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten unbedenklich.

Entgegen der Auffassung des Klägers sei der ursprüngliche Bescheid vom 28.07.1994 nicht nichtig. Der Kläger sei ab 10.06.1994 arbeitslos gewesen. Gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) sei ein Arbeitnehmer arbeitslos, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehe oder nur eine geringfügige Beschäftigung ausübe. Das Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 101 Abs. 1 Satz 1 AFG sei mit dem Arbeitsverhältnis nicht gleichzusetzen. Das Gesetz gehe vielmehr davon aus, dass das Beschäftigungsverhältnis vor dem Arbeitsverhältnis enden und vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch auf Arbeitslosengeld begründet werden könne. Ausreichend sei eine faktische Beschäftigungslosigkeit. Nicht mehr in einem Beschäftigungsverhältnis stehe, wer dem Verfügungswillen eines Arbeitgebers nicht mehr unterliege. Dies sei schon der Fall, wenn der Arbeitgeber eine Verfügungsgewalt über den Arbeitnehmer nicht weiter beanspruche. Arbeitslos sei der Arbeitnehmer daher regelmäßig von dem Zeitpunkt an, zu dem der Arbeitgeber aufgrund einer von ihm ausgesprochenen Kündigung das Arbeitsverhältnis als beendet ansehe (vgl. BSG SozR 4100 § 117 Nr. 16). Der Arbeitgeber habe dem Kläger zum 31.03.1994 gekündigt und insoweit auf sein Direktionsrecht verzichtet. Der Kläger habe sich daraufhin (nachdem er vom 01.04.1994 bis 09.06.1994 Krankengeld bezogen habe) zum 10.06.1994 arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld beantragt. Somit habe bei dem Kläger ab 10.06.1994 Arbeitslosigkeit vorgelegen. Wie sich später durch den arbeitsgerichtlichen Vergleich herausgestellt habe, habe der Kläger noch bis 30.09.1994 einen Anspruch auf Arbeitsentgelt gehabt. Gemäß § 117 Abs. 1 AFG ruhe für diese Zeit der Anspruch auf Arbeitslosengeld. Da der Kläger aber das Arbeitsentgelt zunächst tatsächlich nicht erhalten habe, sei das Arbeitslosengeld gemäß § 117 Abs. 4 Satz 1 AFG auch in der Zeit gewährt worden, in der der Anspruch auf Arbeitslosengeld geruht habe (sogenannte Gleichwohlgewährung). Das Arbeitslosengeld werde nach § 117 Abs. 4 Satz 1 AFG trotz des Ruhens rechtmäßig geleistet (vgl. BSG SozR 4100 § 117 Nr. 23). Da die Leistung von Arbeitslosengeld von Anfang an rechtmäßig gewesen sei, werde auch der Anspruchsbeginn und die Rahmenfrist nicht nachträglich geändert (vgl. BSG SozR 4100 § 117 Nr. 20). Die Beklagte habe daher den Bemessungszeitraum korrekt festgelegt.

Das Urteil ist dem Kläger am 29.11.2002 zugestellt worden. Am 24.12.2002 hat er dagegen Berufung eingelegt. Zur Begründung verweist er auf den Beschluss des BVerfG vom 11.01.1995 sowie darauf, dass dem ersten Bescheid vom 28.07.1994 ein falscher Bemessungszeitraum zugrunde gelegen habe. Soweit der Kläger im Berufungsverfahren zunächst auch die Neuberechnung der Arbeitslosenhilfe begehrte, hat er daran ausweislich seines Antrages nicht mehr festgehalten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 08.11.2002 zu ändern und nach seinem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend. Ergänzend führt sie aus: Da sämtliche überprüften Bescheide vor Erlass und Veröffentlichung des Beschlusses des BVerfG vom 24.05.2000 bestandkräftig geworden seien, greife - verfassungsrechtlich einwandfrei - die Regelung des § 330 Abs 1 SGB III ein.

Diese Regelung werde bestätigt durch § 434c Abs. 1 Satz 2 SGB III für Ansprüche, über die am 21.06.2000 (dem Tag der Wirksamkeit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts) bereits unanfechtbar entschieden worden sei, so dass ab 22.06.2000 die Neuregelung des § 434c Abs. 1 Satz 1 SGB III eingreife. Alle bereits bestandskräftig ergangenen Bescheide über das Arbeitslosengeld sollten für die Zeit vor dem 22.06.2000 nicht mehr angetastet werden. Es sei lediglich eine Neuregelung zugelassen worden für unanfechtbar ergangene Bescheide, soweit sie nach dem Wirksamwerden des Beschlusses des BVerfG, d.h. nach dem 21.06.2000, erteilt worden seien. Zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger jedoch kein Arbeitslosengeld mehr bezogen. Dieses habe er letztmalig am 03.11.1999 erhalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig aber unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Soweit der Kläger noch höheres Unterhaltsgeld begehrt, ist die Klage bereits unzulässig gewesen, denn er hat in dem Erörterungstermin am 18.09.2001 ausdrücklich erklärt, nur noch höheres Arbeitslosengeld ab dem 01.01.1997 zu begehren.

Im Übrigen ist der Kläger durch den Bescheid vom 24.08.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.12.2000 nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in seinen Rechten verletzt, denn die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, unter Abänderung bindender Bescheide dem Kläger höheres Arbeitslosengeld zu gewähren.

Der Senat schließt sich der überzeugenden Begründung der angefochtenen Entscheidung an und sieht gem. § 153 Abs. 2 SGG von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Zur Ergänzung weist der Senat darauf hin, dass die Rechtsauffassung des SG der Rechtsprechung des BSG entspricht. In zwei Urteilen vom 25.03.2003 hat das BSG ausgeführt, dass die allgemeinen Regeln der §§ 44, 48 SGB X über die Korrektur von bestandskräftigen Verwaltungsakten neben den speziellen Übergangsvorschriften des § 434 c Abs. 1 SGB III keine Anwendung finden, soweit es im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG vom 24.05.2000 um höheres Arbeitslosengeld wegen bisher nicht berücksichtigter Einmalzahlungen geht (BSG Urteile vom 25.03.2003, - B 7 AL 106/01 R - und - B 7 AL 114/01 R -). Auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch, der bei Pflichtverletzungen eines Sozialleistungsträgers in Betracht kommen kann, ist wegen § 434 c Abs. 1 SGB III ausgeschlossen (BSG Urteil vom 25.03.2003, - B 7 AL 106/01 R -).

Durch Rechtsprechung des BSG ist des weiteren geklärt, dass eine Gleichwohlgewährung nach § 117 Abs. 4 AFG nicht die Neuberechnung des Leistungsanspruchs zur Folge hat, wenn die Beklagte später Entgeltzahlungen aufgrund eines Anspruchsüberganges vom Arbeitgeber erhält. Deshalb ist entgegen der Auffassung des Klägers auch der Bemessungszeitraum nicht nachträglich neu zu bestimmen (vgl. BSG SozR 3 - 4100 § 117 Nr. 17).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die in § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG genannten Voraussetzungen nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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