L 15 V 14/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 V 43/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 V 14/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27.02.1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte zu Unrecht eine Mitralklappeninsuffizienz des Ehemanns der Klägerin als Schädigungsfolge abgelehnt hat.

I.

Der am 1921 geborene und am 08.07.1999 verstorbene Ehemann der Klägerin leistete vom 23.08.1940 bis 09.05.1945 Wehr- bzw. Kriegsdienst und befand sich anschließend bis 08.10.1953 in russischer Kriegsgefangenschaft. Er beantragte am 21.11.1953 Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und legte eine Heimkehrerbescheinigung vor, in der als ärztlicher Befund neben "A.U.E.schaden" und "Malaria 1951" auch "z.B. Herz" erwähnt ist. In einer amtsärztlichen Bescheinigung des Gesundheitsamts Lindau vom 16.10.1953 heißt es: "Herz nach links verbreitert. Herzmuskelschaden." Am 11.12.1953 wurde der Ehemann der Klägerin versorgungsärztlich durch Dr.W. untersucht; dabei gab er zur Vorgeschichte eine Splitterverletzung an der Unterlippe 1945, 1950 Dystrophie mit Wasser, 1951/52 Malaria und 1949 Erfrierungen im Gesicht an; er sei während der Kriegsgefangenschaft eineinhalb Jahre lang im Kohlebergbau unter Tage eingesetzt gewesen. Hinsichtlich aktueller Beschwerden klagte er unter anderem über Nervosität, Schlaflosigkeit, Herzbeschwerden und Atemnot. Der Befund des Herzens aufgrund eines EKGs ergab eine leicht beschleunigte Aktion, starke respiratorische Arrhythmie, etwas paukende aber reine Töne. In seiner gutachtlichen Beurteilung vertrat Dr.W. u.a. die Auffassung, die Untersuchung habe keinen Anhalt für eine organische Erkrankung des Herzens und der Lungen ergeben. Entsprechend dem Vorschlag von Dr.W. wurden mit Bescheid vom 30.12.1953 als Schädigungsfolgen anerkannt: "Erschöpfungszustand nach russischer Gefangenschaft, Weichteilnarbe an der Unterlippe"; die MdE wurde mit 50 v.H. eingeschätzt. Nach einer Aufforderung zur Nachuntersuchung im Oktober 1955 teilte der Ehemann der Klägerin mit, er verzichte auf die Rentenbezüge, da er eine Existenz aufgebaut habe und seinen Beruf ausüben könne. Daraufhin wurden mit Bescheid vom 13.12.1955 die Bezüge ab Dezember 1955 eingestellt.

Mit Schreiben vom 21.09.1976 beantragte Ehemann der Klägerin die Anerkennung seines Herzleidens, wobei er davon ausging, dass dieses bereits früher einmal anerkannt gewesen sei. Zur Begründung legte er insbesondere einen Arztbrief des Kantonsspitals St. Gallen vom 27.12.1973 bei, wonach er sich vom 15.11. bis 21.12.1973 dort wegen einer Endocarditis lenta in Behandlung befunden hatte. In diesem Schreiben heißt es in der Anamnese, der Patient sei acht Jahre in russischer Gefangenschaft gewesen, er könne sich jedoch an keine hochfebrilen Krankheiten mit Gelenksbeteiligung erinnern. Vor drei Wochen seien erstmals nach einer Rückkehr aus den Ferien in Italien Fieberzacken aufgetreten. Es seien vergrünende Streptokokken im Blut und im Rachenabstrich nachgewiesen worden. Durch ein Phonokardiogramm sei eine valvuläre Mitralstenose bestätigt worden. Die Herzaufnahmen hätten unauffällige Befunde gezeigt. Ein weiterer Arztbrief von Dr.S. vom Kantonsspital Zürich vom 10.12.1975 über eine ambulante Untersuchung des Ehemanns der Klägerin bescheinigte eine mittelschwere bis schwere Mi- tralinsuffizienz bei systolischem Prolaps und Rhythmusstörungen sowie eine deutliche Vergrößerung des linken Ventrikels und linken Vorhofs. In seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 19.10.1976 vertrat der Internist Dr.Z. die Auffassung, nach Aktenlage könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Ehemann der Klägerin während der Kriegsgefangenschaft eine Endocarditis durchgemacht habe, auch nicht nachdienstlich in der postdystrophischen Phase. Die Erkrankung sei eindeutig im Anschluss an eine Zahnbehandlung und an einen Urlaub in Italien durch einen frischen Infekt mit vergrünenden Streptokokken aufgetreten, ausgehend von der Mund- bzw. Rachenschleimhaut. Dementsprechend erging am 23.11.1976 ein Bescheid, mit dem der Antrag auf Anerkennung der Mitralinsuffizienz und der Endokarditiden als Schädigungsfolgen sowie auf Gewährung von Versorgung abgelehnt wurde. Gegen diesen Bescheid erhob der Ehemann der Klägerin Widerspruch, dem er ein Schreiben des Internisten Dr.W. vom 08.02. 1977 sowie einen Arztbrief von Dr.S. vom 31.01.1977 beifügte. Dieser war der Ansicht, dass ohne Zweifel für die Entstehung des jetzigen Zustands dem "vorbestandenen Herzfehler aus russischer Kriegsgefangenschaft" eine wesentliche Rolle zukomme. Die Endocarditis habe sich auf der vorgeschädigten Mitralklappe abgespielt und zur schweren Mitralklappeninsuffizienz geführt. Nach versorgungsärztlicher Stellungnahme durch Dr.W. erging am 21.03.1977 ein zurückweisender Widerspruchsbescheid, der bestandskräftig wurde.

Mit Schreiben vom 17.09.1994 beantragte der Ehemann der Klägerin die Anerkennung einer Osteoporose als Schädigungsfolge. Zur Begründung legte er den Operationsbericht des Universitätsspitals Zürich vom 04.11.1980 (Mitralklappenersatz) vor, ferner einen Bericht über die Mitralklappenersatzoperation durch Bioprothese am 13.10.1983; 1979 sei es zum ersten Endocarditis-Rezidiv durch Streptokokkus viridans gekommen, im April 1982 zu einer erneuten Endocarditis nach Zahnbehandlung ohne Antibiotikaprophylaxe wegen Streptokokkus Gruppe D, im Oktober 1982 nochmals zur Endocarditis mit demselben Erreger und im Januar 1983 zur dritten postoperativen Endocarditis, wiederum mit Streptokokkus Gruppe D. Es wurde ein weiterer Operationsbericht vom 26.01.1993 - dritte Herzklappenoperation - übermittelt. Das Versorgungsamt holte zusätzlich einen Befundbericht von Dr.W. vom 22.11.1994 ein. Aus einem Arztbrief vom 16.05.1994 von Dr.S. ergab sich ein damals ausgezeichneter aerober Gesundheitszustand des Ehemanns der Klägerin mit maximaler Belastbarkeit. Am 02.02.1995 wurde der Ehemann der Klägerin versorgungsärztlich durch die Sozialmedizinerin Dr.B. untersucht mit dem Ergebnis, dass am 16.03.1995 ein Bescheid nach § 48 Sozialgesetzbuch, 10. Buch (SGB X), erging, mit dem eine Neufeststellung des Anspruchs auf Versorgung abgelehnt und festgestellt wurde, dass Herzrhythmusstörungen und Osteoporose nicht als Schädigungsfolgen anerkannt werden könnten.

II.

Mit Schreiben vom 01.09.1995 begehrte der Ehemann der Klägerin eine Überprüfung, ob sein Herzleiden nicht doch als Schädigungsfolge anerkannt werden könne, da er seinen früheren Lagerarzt ausfindig gemacht habe. Der Beklagte zog daraufhin von Dr.K. S. , der nach seinen Angaben den Ehemann der Klägerin von 1949 bis 1953 in den Straflagern Workuta und Petschorra sowie im Kriegsgefangenenlager Stalinow behandelt hat, einen Befundbericht bei. In diesem Bericht vom 07.12.1995 bestätigte Dr.S. , dass der Ehemann der Klägerin wechselnde Herzbeschwerden mit subfebrilen Temperaturen, eine leichte Verletzung des rechten Fußes mit Phlegmone, die erst nach vier bis fünf Monaten abgeheilt sei und eine Perforation des linken Trommelfells (nach Gewaltanwendung) gehabt habe. Er habe folgende Diagnosen gestellt: hochgradige Dystrophie (nasse Form), infektiöse Endocarditis, Phlegmone rechtes Fußgelenk, Perforation des linken Trommelfells. Seiner Ansicht nach stehe die jetzt bestehende Herzkrankheit im ursächlichen Zusammenhang mit der Kriegsgefangenschaft. Der Versorgungsmediziner Dr.R. sah in diesem Befundbericht keinen Grund für eine Rücknahme des Ablehnungsbescheids vom 23.11.1976, da bei der versorgungsärztlichen Untersuchung im Dezember 1953 keine Zeichen einer organischen Herzerkrankung festgestellt worden seien, sondern lediglich vegetative Störungen in Form von funktionellen Herzbeschwerden. Es sei im Übrigen verwunderlich, dass dem Antragsteller zum Zeitpunkt der Erstbegutachtung das schwerwiegende Krankheitsbild einer Endocarditis während der Kriegsgefangenschaft nicht bekannt gewesen und von ihm nicht vorgebracht worden sei.

Daraufhin erging am 15.03.1996 ein Bescheid, mit dem die Rücknahme des Bescheides am 23.11.1976 abgelehnt wurde. Zur Begründung seines Widerspruchs legte der Ehemann der Klägerin eine erneute Bestätigung von Dr.S. vom 08.01.1996 vor, worin dieser weiterhin die Auffassung vertrat, dass die Mitralklappe des Klägers bereits während der Gefangenschaft geschädigt worden sei. Dieser Auffassung widersprach Dr.B. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13.05.1996, worauf am 10.06.1996 ein zurückweisender Widerspruchsbescheid erging.

Dagegen hat der Ehemann der Klägerin Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Während der russischen Gefangenschaft sei bei ihm - belegt durch die Aussage des damaligen Lagerarztes Dr.S. - eine nachhaltige Herzklappenschädigung aufgetreten, die wesentliche Ursache für die Endokarditiden ab 1973 und die damit zusammenhängende zunehmende Mitralklappeninsuffizienz sowie die daraus resultierende Indikation zum wiederholten Herzklappenersatz gewesen sei. Als Zeugen dafür, dass er gesund in den Krieg gezogen sei, hat der Ehemann der Klägerin, seine Schwester angeboten, dafür, dass er krank aus der Gefangenschaft heimgekehrt sei, ebenfalls seine Schwester sowie den Prozessbevollmächtigten.

Das Sozialgericht hat den Internisten Dr.R. mit der Erstattung eines Gutachtens nach Aktenlage beauftragt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 23.08.1996 einen Kausalzusammenhang verneint, da erwiesen sei, dass die Herzerkrankung 1973 als bakterielle Infektion begonnen habe. Eine Vorerkrankung im Bereich des Herzklappenapparats sei dagegen nicht erwiesen. Die vom Lagerarzt nachträglich mitgeteilte Herzklappenentzündung im Rahmen einer Fußinfektion könne nicht als Beweis gelten.

Der Ehemann der Klägerin hat sich diesem Gutachten nicht angeschlossen und zur Begründung eine gutachtliche Stellungnahme des Allgemeinmediziners Dr.H. vom 12.09.1996 vorgelegt. Ausgehend von einer Phlegmone am rechten Fußgelenk und einer bakteriellen Mittelohrentzündung mit Perforation des linken Trommelfells hat Dr.H. eine infektiöse Endocarditis während der Gefangenschaft für erwiesen angesehen, die nicht ausgeheilt sei und zunächst geruht habe. Ab 1971 habe eine Streptokokken-Dauerinfektion die vorgeschädigte Mitralklappe weiter geschädigt. Der Ehemann der Klägerin hat daneben ein Schreiben des Dr.S. vom 07.10.1996 übersandt, in dem dieser unter anderem die Vermutung äußerte, dass der Ehemann der Klägerin während der Gefangenschaft eine rheumatische Endocarditis durchgemacht habe. Diese Erkrankung könne spontan unter Narbenbildung abheilen, was zu einer leichten Einengung der Mitralklappen- oberfläche (Stenose) führe.

In einer vom Sozialgericht eingeholten ergänzenden Stellungnahme hat Dr.R. am 21.10.1996 dargelegt, dass bei Klinikeintritt im November 1973 ein normaler Herzbefund, bei Entlassung im Dezember 1973 der Nachweis eines Mitralklappenfehlers (durch entsprechende Geräusche) dokumentiert worden sei. Ein früherer Herzklappenschaden sei lediglich möglich, nicht jedoch wahrscheinlich.

Das Sozialgericht hat anschließend auf Antrag des Ehemannes der Klägerin nach § 109 SGG ein Gutachten von Dr.S. eingeholt. In seinem Gutachten vom 14.08.1997 ist dieser bei der Auffassung geblieben, dass der Ehemann der Klägerin während der Gefangenschaft wahrscheinlich eine nichtbakterielle Entzündung einer Herzklappe durchgemacht habe, wobei unerheblich sei, ob damals ein Prolaps vorgelegen habe oder nicht. Die Entzündung sei mit Narbenbildung spontan abgeheilt; der jetzige Zustand sei Schädigungsfolge.

Am 17.09.1997 hat die Kardiologin Dr.L. für den Beklagten versorgungsärztlich zu der Problematik Stellung genommen und ausgeführt, durch den Operationsbericht vom 04.11.1980 sei nachgewiesen, dass der ersten dokumentierten Endocarditis ab November 1973 ein Mitralklappenprolaps mit degenerativ veränderter Mitralklappe zugrunde gelegen habe. In dem OP-Bericht heiße es wörtlich: "Die Mitralklappe ist degenerativ verändert und wird in toto entfernt. Keine Vegetationen, keine Verkalkung." Bereits im Echokardiogrammbefund von 1975 sei ein systolischer Prolaps des posterioren Segels beschrieben. In der medizinischen Wissenschaft sei bekannt, dass ca. die Hälfte aller wegen Mitralinsuffizienz operierten Patienten einen Mitralklappenprolaps aufwiesen, dessen Ursache unbekannt sei. In diesen Fällen seien die Klappensegel übergroß durch myxomatöse Umwandlung der Kollagenfasern. Auskultatorisch könne das Syndrom stumm bleiben. Der Befund einer Herzverbreiterung durch Röntgentoraxaufnahme im Oktober 1953 durch das Gesundheitsamt Lindau könne fehlerhaft sein, wenn - wie dies häufig geschehe - bei der Aufnahme vom Patienten nicht maximal eingeatmet werde. Thorakale Missempfindungen seien bei Mitralklappenprolaps typisch. Psychovegetativ labile Personen würden besonders darunter leiden. Eine rheumatische Endocarditis trete nur nach einer Streptokokkeninfektion im Nasen-Rachen-Raum, nicht am Fuß auf. Außerdem fehle eine postentzündliche Narbenbildung laut OP-Bericht von 1980.

Der Ehemann der Klägerin hat sich hierzu unter Vorlage einer weiteren Stellungnahme des Dr.H. vom 21.01.1998 geäußert, wonach die Mitralklappe nach zwei schweren Endokarditisschüben 1973 und 1979 bei der Operation so extrem verändert gewesen sei, dass der OP-Bericht von 1980 nicht als beweiskräftig angesehen werden könne. Die Aussage von Dr.S. dürfe nicht in Zweifel gezogen werden. In einem ebenfalls vom Ehemann der Klägerin vorgelegten Schreiben des Dr.S. vom 02.02.1998 hat auch dieser der Argumentation von Dr.L. widersprochen und die Mitralklappeninsuffizienz weiterhin auf eine marantische Endokarditis im Straflager (Dystrophie mit Wassersucht) zurückgeführt, wobei Selbstheilung immer unter Narbenbildung eingetreten sei. Eine myxomatöse Umwandlung der Herzklappensegel habe nicht stattgefunden.

Am 27.02.1998 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich zur Begründung vor allem auf das Gutachten von Dr.R. gestützt.

Hiergegen hat der Ehemann der Klägerin Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und sein bisheriges Vorbringen im Wesentlichen wiederholt. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts dürften die Angaben des Dr.S. nicht mit der Begründung in Zweifel gezogen werden, er hätte eine Endokarditis in Gefangenschaft nicht überlebt. Dies sei ihm dank seiner ganz außergewöhnlichen Konstitution gelungen.

Der Senat hat unter anderem Unterlagen des Gesundheitsamts Lindau über Röntgenuntersuchungen (Tbc-Fürsorge) von Oktober 1966, März 1967 und April 1967 beigezogen. Der Befund der letztgenannten Untersuchung ist von Dr.K. als Aortenherz mit Linksverbreiterung gewertet worden; nach einem Herzfehler sei zu fahnden.

Der Beklagte (Versorgungsärztin Dr.L.) hat sich in der Stellungnahme vom 23.03.1999 dieser Diagnose nicht angeschlossen und im Übrigen seine Auffassung bekräftigt, dass die Mitralklappeninsuffizienz des Ehemannes der Klägerin nicht Folge einer narbigen Verziehung der Klappe, sondern eines ausgeprägten Mitralklappenprolaps bei degenerativen Veränderungen sei.

Der Ehemann der Klägerin hat unter Bezugnahme auf eine Auskunft des Dr.S. erwidert, der Mitralklappenprolaps sei nicht Folge degenerativer, sondern entzündlicher Veränderungen nach Endocarditiden.

Nach dem Tod ihres Ehemanns am 08.07.1999 hat die Klägerin, die bis dahin mit diesem in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat und von ihm unterhalten worden ist, den Rechtsstreit weitergeführt.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 27.02.1998 sowie des Bescheides/Wider- spruchsbescheides vom 15.03./10.06.1996 zu verurteilen, den Bescheid/Widerspruchsbescheid vom 23.11.1976/21.03.1977 zurückzunehmen, als Schädigungsfolge bei ihrem verstorbenen Ehemann "Zustand nach Herzklappenentzündung mit Narbenbildung an der Mitralklappe" anzuerkennen und ihr als Rechtsnachfolgerin Beschädigtenrente nach einer MdE von 90 v.H. vom 01.01.1991 bis 31.07.1999 zu gewähren.

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27.02.1998 zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der vom Senat beigezogenen Beschädigtenakte des Beklagten sowie die Sozialgerichtsakten erster und zweiter Instanz einschließlich der Schriftsätze der Beteiligten und der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nach §§ 143 ff., 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG - zulässig, erweist sich jedoch nicht als begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht die angefochtenen Bescheide des Beklagten bestätigt, wonach im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 SGB X die Ablehnung der Anerkennung einer Herzklappeninsuffizienz mit Bescheid vom 23.11.1976 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 21.03.1977 nicht zurückgenommen wurde.

Nach § 44 Abs.1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, zurückzunehmen, soweit bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

Die Überprüfung des Ablehnungsbescheids aus dem Jahr 1976 hat nicht dazu geführt, dass aufgrund neuer Tatsachen oder Erkenntnisse oder neuer Beweismittel von der Unrichtigkeit der Vorentscheidung ausgegangen werden müsste. Es ist nicht nachgewiesen, dass die Mitralklappeninsuffizienz des Ehemannes der Klägerin mit Wahrscheinlichkeit i.S. von § 1 Abs.3 BVG Folge einer durch Kriegsgefangenschaft herbeigeführten gesundheitlichen Schädigung war. Dies wäre nur dann der Fall, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen würde, dass die Herzklappe des Ehemanns der Klägerin durch eine Endokarditis während der Kriegsgefangenschaft geschädigt worden ist und dass diese "Vorschädigung" der Mitralklappe mit Wahrscheinlichkeit eine wesentliche (annähernd gleichwertige) Teil-Ursache für die Ansiedlung von Krankheitserregern gerade in diesem Bereich und damit mitursächlich für die ab 1973 wiederholt aufgetretenen, durch Streptokokken verursachten Endokarditiden und eine daraus resultierende Zunahme der Mitralklappeninsuffizienz war, die zu einem mehrmaligen Mitralklappenersatz zwang.

Der Senat hält jedoch ebenso wie das Sozialgericht die Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr.R. in seinem internistischen Gutachten vom 23.08.1996, aber auch die im Wege des Urkundenbeweises verwertbaren Ausführungen der Versorgungsärztin Dr.L. vom 17.09.1997 und 23.03.1999 für überzeugend, wonach nicht erwiesen ist, dass die Herzklappenerkrankung des Ehemannes der Klägerin auf Erkrankungen während der Kriegsgefangenschaft zurückzuführen ist; vielmehr bahnte sich erst ab 1973 mit der ersten bakteriellen Endokarditis das Herzleiden des Ehemanns der Klägerin an. Die von dem ehemaligen Lagerarzt Dr.S. im Dezember 1995 bestätigten Erkrankungen während der russischen Kriegsgefangenschaft, nämlich hochgradige Dystrophie (nasse Form), infektiöse Endokarditis, Phlegmone am rechten Fußgelenk sowie wechselnde Herzbeschwerden mit subfebrilen Temperaturen, stimmen in keiner Weise mit den Angaben des Klägers über seine Erkrankungen während des Wehrdienstes bzw. der Kriegsgefangenschaft bei der ersten versorgungsmedizinischen Untersuchung im Dezember 1953 und bei späteren anamnestischen Befragungen überein; auch die Tatsache, dass bei der versorgungsärztlichen Untersuchung am 11.12.1953 kein organischer Herzfehler festgestellt, sondern erstmals am 22.01.1973 durch Dr.W. ein Herzgeräusch und am 04.12.1975 durch Dr.S. ein Mitralklappenfehler mit entsprechenden Herzklappengeräuschen diagnostiziert wurden, spricht mehr gegen als für eine durch Erkrankungen während der Kriegsgefangenschaft herbeigeführte Mitralklappenschädigung. Hinzu kommt, dass aufgrund des Operationsberichts des Kantonsspitals Zürich vom 04.11.1980 davon auszugehen ist, dass die Mitralklappe des Klägers zwar degenerativ verändert war, ohne Vegetationen oder Verkalkungen aufzuweisen. Narben, die entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen Dr.S. nach Abheilung einer in der Gefangenschaft aufgetretenen rheumatischen oder marantischen Endokarditis zwingend hätten zurückbleiben müssen, wurden aber nicht beschrieben. Bedeutsam erscheint auch, dass dem ersten aktenkundigen Echokardiogrammbefund vom 10.12.1975 keine Anhaltspunkte für eine bestehende entzündliche Mitralklappenveränderung zu entnehmen sind, statt dessen ein eindeutiger Nachweis eines systolischen Prolaps des posterioren Segels. Ferner sind die übrigen von Dr.S. bescheinigten Erkrankungen während der Kriegsgefangenschaft (Dystrophie, Phlegmone, Trommelfellverletzung) nach den überzeugenden Darlegungen von Dr.R. und auch der Versorgungsärztin Dr.L. im Allgemeinen nicht geeignet, eine Herzklappenerkrankung herbeizuführen. Die Hinweise auf ein mögliches Herzleiden in der Heimkehrerbescheinigung und der Bescheinigung des Gesundheitsamtes Lindau aus dem Jahre 1953 sind - insbesondere im Hinblick auf die Ergebnisse des versorgungsärztlichen Gutachtens vom 23.12.1953 - nicht in ausreichendem Maße beweiskräftig.

Nach Auffassung des Senats ist es nach den ärztlich dokumentierten Angaben des Ehemanns der Klägerin 1953 bis 1973 und den zahlreichen Befunden über den Verlauf der Herzerkrankung wahrscheinlich, dass sich die Mitralinsuffizienz degenerativ, ausgehend von einem Mitralklappenprolaps zusammen mit einer Reihe von Streptokokkeninfektionen ab 1973 entwickelt hat. Dieses Ergebnis stimmt auch mit den Erkenntnissen der neueren medizinischen Begutachtungsliteratur (Fritze 1996, 5. Auflage, S.446) zur Ätiologie und Pathogenese der Mitralinsuffizienz überein, wonach sich das primäre Mitralklappenprolaps-Syndrom als häufigster ätiologischer Faktor erwiesen habe. Nach Auffassung des Senats kann es jedoch hier dahingestellt bleiben, ob die nachgewiesenen Endokarditisinfektionen (Dr.R.) oder der Mitralklappenprolaps (Dr.L.) in erster Linie für die Mitralklappeninsuffizienz verantwortlich zu machen sind oder ob beide Faktoren gleich bedeutsam waren. In jedem Fall hat die insbesondere von Dr.S. in seinem Gutachten vom 14.08.1997 vertretene Auffassung, dass die Herzklappe des Ehemanns der Klägerin wahrscheinlich bereits durch eine nichtbakterielle rheumatische oder marantische mit Narbenbildung abgeheilte Entzündung während der Kriegsgefangenschaft geschädigt worden sei und dadurch eine Angriffsfläche für spätere Endokarditiden gebildet hätte, den Senat nicht überzeugt; denn dann hätten sich narbige Veränderungen der Mitralklappe entweder 1975 im Echokardiogramm oder 1980 bei der operativen Entfernung nachweisen lassen müssen. Selbst wenn - wie Dr.H. im Januar 1998 ausführte - die 1980 operativ entfernte Mitralklappe durch die schweren Endokarditisschübe so extrem verändert gewesen wäre, dass eine Differenzierung, welche Klappenveränderung zu welchem Zeitpunkt stattgefunden habe, nicht mehr möglich war, ergibt sich auch daraus, dass ein objektiver Nachweis über den Eintritt einer Herzschädigung während der Kriegsgefangenschaft nicht geführt werden konnte. Die von Dres.S. , H. und S. vertretene Auffassung stellt somit lediglich eine Möglichkeit für die Verursachung der Mitralklappenerkrankung des Ehemanns der Klägerin dar; im erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit bewiesen ist sie damit jedoch gerade nicht. Der Nachweis der Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidungen konnte somit nicht erbracht werden.

Insgesamt hat das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren keine neuen Erkenntnisse erbracht, die die Unrichtigkeit der Vorentscheidungen belegen könnten, so dass sich der Beklagte zu Recht auf die Bindungswirkung bisheriger Entscheidungen berufen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (vgl. § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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