S 8 RA 26/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 RA 26/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens

Tatbestand:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer Beitragsnachforderung.

Die Klägerin ist ein Tiefbau-Unternehmen, sie verrichtet Bohr- und Pfahlbohrarbeiten. Im November 1998 fand eine Lohnsteuer-Außenprüfung durch das Finanzamt H statt. Mit Haftungs- und Nachforderungsbescheid vom 01.12.1998 forderte das Finanzamt Lohnsteuer für die Jahre 1995 bis 1998 nach. Dem lag die Feststellung zugrunde, dass die Klägerin bis Mitte 1997 jedem betroffenen Arbeitnehmer täglich 60,00 DM steuerfreie Auslösungen zahlte. Die überhöht steuerfrei gezahlten Beträge seien als steuerpflichtiger Arbeitslohn zu behandeln. Das Finanzamt ging für das Jahr 1995 von einem Betrag in Höhe von 51.324,00 DM, für 1996 von einem Betrag in Höhe von 19.012,00 DM und für 1997 von einem Betrag in Höhe von 6.286,00 DM aus. Eine im September 1998 durchgeführte Betriebsprüfung durch die AOK Rheinland hatte zu keinen Nachforderungen geführt. Mit Schreiben vom 14.09.1998 hatte die AOK Rheinland mitgeteilt, die Überprüfung der Lohn- und Gehaltsunterlagen habe gezeigt, dass die Gesamtsozialversicherungsbeiträge einwandfrei berechnet wurden.

Die Beklagte führte ab April 2002 eine Betriebsprüfung bei der Klägerin durch. Hierdurch erfuhr sie von dem Ergebnis der Lohnsteuer-Außenprüfung. Mit Bescheid vom 18.07.2002 forderte sie für die Jahre 1995 bis 1997 unter Zugrundelegung der genannten Auslösungsbeträge für die Einzugsstelle AOK Rheinland 7.876,96 EUR und für die Einzugsstelle der DAK 7.818,21 EUR nach. Die Sozialversicherungspflicht ergebe sich aus der Steuerpflicht der Auslösungsbeträge. Die Beträge seien nicht verjährt. Es gelte die 30-jährige Verjährung bei vorsätzlicher Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV. Die Klägerin hätte aufgrund des Prüfberichtes der Finanzbehörde Beiträge zahlen oder sich bei der zuständigen Einzugsstelle vergewissern müssen, dass Beitragspflicht nicht vorlag.

Im Widerspruchsverfahren berief die Klägerin sich auf Verjährung. Es gelte die 4-jährige Verjährung gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Sie habe die Beiträge nicht vorsätzlich vorenthalten, weil die Betriebsprüfung der AOK nicht zu Beanstandungen geführt habe.

Mit Bescheid vom 11.02.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach der Rechtsprechung des BSG reiche für die Annahme der 30-jährigen Verjährungsfrist aus, dass der Beitragsschuldner die Beiträge mit bedingtem Vorsatz vorenthalten hat, er also seine Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen habe. Bei der engen Anknüpfung des Beitragsrechts der Sozialversicherung an das Steuerrecht, die jeder Arbeitgeber kenne, wäre es zumindest Pflicht der Klägerin gewesen, bei der zuständigen Einzugsstelle nachzufragen und sich zu vergewissern, dass Beitragspflicht zur Sozialversicherung nicht vorliege. Unterlasse der Arbeitgeber eine solche Anfrage, handele er nicht nur fahrlässig, sondern nehme er bewusst oder zumindest billigend in Kauf, dass Beiträge nicht gezahlt werden. Lediglich fahrlässige Rechtunkenntnis liege dann nicht vor, wenn die Löhne und Gehälter von einer Abrechnungsstelle (z. B. Steuerberater) abgerechnet wurden.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 12.03.2003 erhobene Klage. Die Klägerin hält die Beklagte für die Entscheidung nicht für zuständig, da ihr die alleinige Prüfbefugnis erst 1999 übertragen worden sei. Dies schließe eine Rückforderung für die Jahre 1995 bis 1997 aus. Zudem sei ein Summenbescheid nicht zulässig, die Beklagte habe das Arbeitsentgelt den einzelnen Arbeitnehmern zuordnen müssen. Die Klägerin habe ihre Aufzeichnungspflicht nicht verletzt. Schließlich seien die Ansprüche verjährt, sie habe nicht gewusst, dass für die Auslösungen Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten sind. Zudem verstoße die Rückforderung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben im Sinne des § 242 BGB, weil sie überraschend sei.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 18.07.2002 in der Gestalt des Wider- spruchsbescheides vom 11.02.2003 aufzuheben, soweit darin Sozialversicherungsbeiträge für die AOK in Höhe von 7.876,96 EUR zuzüglich Säumniszuschläge und für die DAK in Höhe von 7.818,21 EUR zuzüglich Säumniszuschläge nachgefordert werden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält sich für zuständig und beruft sich auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

Die Beklagte ist befugt, Sozialversicherungsbeiträge im Umfang der angefochtenen Bescheide nachzufordern.

Sie ist entgegen der Meinung der Klägerin für die Entscheidung zuständig. Gemäß Art. 2 § 15 c Abs. 1 SGB IV geht die Prüfung bei den Arbeitgebern nach Art. 1 § 28 p SGB IV in der Zeit vom 01.01.1996 bis 31.12.1998 auf die Träger der Rentenversicherung über. Die Betriebsprüfung durch die Beklagte fand im April 2002 statt, so dass sie für die angefochtene Entscheidung formell zuständig war.

Das Übergangsrecht des Art. 2 SGB IV schließt eine Nachforderung innerhalb des nicht verjährten Zeitraumes nicht aus. Zwar wirken die Träger der Rentenversicherung gemäß Art. 2 § 15 c Abs. 5 Satz 2 SGB IV an den Prüfungen nicht mit, soweit in der Übergangszeit die Einzugsstellen prüfen. Indes hat im vorliegenden Fall - wie ausgeführt - die Beklagte außerhalb der Übergangszeit geprüft. Zudem handelt es sich bei der genannten Vorschrift lediglich um eine formelle Zuständigkeitsnorm, die an der materiellen Berechtigung, nicht verjährte Beiträge zur Sozialversicherung nachzufordern, nichts ändert.

Die Beklagte fordert für den streitgegenstandlichen Zeitraum zu Recht Beiträge zur Sozialversicherung.

Diese richten sich nach dem beitragspflichtigen Arbeitsentgelt (§§ 175 Abs. 1 Nr. 1 AFG, 226 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, 162 Nr. 1 SGB VI). Gemäß § 14 Abs. 1 SGB IV sind Arbeitsentgelte alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahme besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Diese Vorschrift wird ergänzt durch die auf § 17 SGB IV gestützte Arbeitsentgeltverordnung - ArEV -. Gemäß § 1 ArEV sind einmalige Einnahmen nur dann nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen, soweit sie lohnsteuerfrei sind.

Die zu der streitbefangenen Nachforderung führenden Auslösungen sind nicht lohnsteuerfrei. Sie sind beitragspflichtiges Arbeitsentgelt (vergl. hierzu. BSG, Urteil vom 18.11.1980 - B 12 KR 59/79 - ).

Der Anspruch auf Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen für dieses Arbeitsentgelt ist nicht verjährt. Denn gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV verjähren Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind.

Das Gericht geht davon aus, dass die Klägerin die Beiträge vorsätzlich vorenthalten hat:

Für das Eingreifen der 30-jährigen Verjährungsfrist reicht es aus, wenn der Schuldner die Beiträge mit bedingtem Vorsatz vorenthalten hat, er also seine Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat. Vorsatz wird regelmäßig dann vorliegen, wenn für das gesamte typische Arbeitsentgelt überhaupt keine Beiträge entrichtet werden ("Schwarzarbeit"). Vorsatz liegt darüber hinaus auch noch nahe, wenn Beiträge für verbreitete Nebenleistungen zum Arbeitsentgelt nicht gezahlt werden und zwischen steuerrechtlicher und beitragsrechtlicher Behandlung eine bekannte bzw. ohne weiteres erkennbare Übereinstimmung besteht (BSG, Urteil vom 30.03.2000 - B 12 KR 14/99 R -).

Hieraus ergibt sich für die Klägerin mindestens bedingter Vorsatz. Aus dem Bescheid des Finanzamtes H ergibt sich zweifelsfrei, dass die überhöht steuerfrei gezahlten Beträge als steuerpflichtiger Arbeitslohn zu behandeln sind. Damit musste die Klägerin es mindestens für möglich halten, dass es sich auch um sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt handelt. Die Klägerin ist ein Unternehmen mit mehreren Arbeitnehmern, die die grundsätzliche Pflicht, aus gezahlten Löhnen Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten kennt. Hinzu kommt, dass nach dem Vorbringen der Klägerin bei der Lohnsteueraußenprüfung ein Steuerberater eingeschaltet war. Gemäß § 166 Abs. 1 BGB - dessen Rechtsgedanke im Rahmen der Vorsatzprüfung gemäß § 25 Abs. 1 SGB IV zumindest analog anwendbar ist - kommt es für das Kennen oder Kennenmüssen gewisser Umstände bei der Einräumung einer Vertretungsbefugnis nicht auf die Person des Vertretenen, sondern die des Vertreters an. Bei einem Steuerberater ist ohne weiteres davon auszugehen, dass dieser es mindestens für möglich hält, aus Lohnbestandteilen Sozialversicherungsbeiträge zahlen zu müssen.

Vorsatz entfällt auch nicht etwa , weil die AOK einige Monate vor der Betriebsprüfung durch das Finanzamt ebenfalls eine Betriebsprüfung durchgeführt hat und diese beanstandungsfrei verlief. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, dass durchgeführte Betriebsprüfungen keinen Vertrauenstatbestand schaffen. Allein aufgrund des stichprobenartigen Charakters einer Betriebsprüfung ist es ausgeschlossen, diesen eine Wirkung dahingehend beizumessen, dass der Arbeitgeber sich darauf verlassen kann, dass es zu Nachforderungen für bereits geprüfte Zeiträume nicht kommt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 28.04.1987 - B 12 RK 47/85 - m.w.N.). Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die Betriebsprüfung der AOK vor der Betriebsprüfung durch das Finanzamt erfolgte. Damit ist es bereits sachlogisch ausgeschlossen, dass die Klägerin sich darauf verlassen hat, die Feststellungen der AOK gingen den Feststellungen des Finanzamtes vor.

Deshalb verstößt die Nachforderung der Beiträge auch nicht gegen die Grundsätze von Treu und Glauben (BSG, Urteil vom 28.04.1987 a.a.O.).

Die Beklagte war auch berechtigt, den Betrag im Rahmen eines Summenbescheides gemäß § 28f Abs. 2 Satz 1 SGB IV nachzufordern. Nach dieser Vorschrift können Beiträge von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte erhoben werden, wenn ein Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden kann. Dies gilt nicht, soweit ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand festgestellt werden kann, dass Beiträge nicht zu zahlen waren oder Arbeitsentgelt einem bestimmten Beschäftigten zugeordnet werden kann.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt. Grundlage für die Feststellung des sozialversicherungspflichtigen Arbeitsentgeltes ist nur der Haftungsbescheid des Finanzamtes H ,der eine Zuordnung zu einzelnen Beschäftigten nicht ermöglich (vgl. hierzu auch BSG Urteil vom 07.02.2002 - B 6 KA 33/01 R -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 SGG, 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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