L 3 P 50/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 23 P 135/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 P 50/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 21.08.2002 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III. Die im April 1995 geborene Klägerin ist als Familienangehörige bei der Beklagten in der sozialen Pflegeversicherung versichert, lebt mit ihrer Mutter in einem gemeinsamen Haushalt und wird von ihr gepflegt. Sie leidet an einem frühkindlichen Hirnschaden mit psychomotorischer Entwicklungsverzögerung, Halbseitenlähmung links, Sehschwäche und Taubheit rechts. Nach vorherigem Bezug von Leistungen entsprechend der Pflegestufe II beantragte die Klägerin im November 2000 die Höherstufung.

Die Beklagte ließ sie darauf im Januar 2001 durch den Arzt des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen - MDK - P untersuchen, der einen Grundpflegemehrbedarf von 41 Minuten ermittelte (Körperpflege: 95 Minuten, Ernährung: 69 Minuten, Mobilität: 81 Minuten, Abzug für Normalbedarf altersentsprechend gesund entwickelter Kinder: 105 Minuten). Mit Bescheid vom 20.02.2001 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Leistungen nach Pflegestufe III ab. Ihren Widerspruch begründete die Klägerin unter Vorlage eines Pflegetagebuches, in dem für eine Woche im April 2001 ein täglich durchschnittlicher Grundpflegebedarf von ca. 400 Minuten aufgezeichnet ist. Nach Einholung einer Stellungnahme nach Aktenlage des Dr. L vom MDK vom 29.06.2001 wies die Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 16.10.2001 mit der Begründung zurück, das für einen Anspruch auf Leistungen nach Pflegestufe III erforderliche Zeitmaß werde bei der Klägerin nicht erreicht.

Mit der am 07.11.2001 erhobenen Klage hat die Klägerin auf das Ausmaß der Entwicklungsverzögerung, ständige Inkontinenz und Bewegungsstörungen, hingewiesen und einen sprachheilpädagogischen sowie einen psychotherapeutischen Bericht vorgelegt; sie befinde sich auf dem Entwicklungszustand eines zweijährigen Kindes.

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des behandelnden Arztes Dr. U und ein Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin und psychotherapeutische Medizin sowie ausgebildeten Krankenpflegers Dr. med. E eingeholt. Dieser ermittelte im Gutachten vom 11.04.2002 einen leistungsrelevanten Grundpflegebedarf von 218 Minuten (Körperpflege: 134 Minuten, Ernährung: 85 Minuten, Mobilität: 89 Minuten, Abzug für Normalbedarf altersentsprechend entwickelter Kinder: 60 Minuten).

Mit Urteil vom 21.08.2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Der Klägerin stünden Leistungen der begehrten Pflegestufe III derzeit (noch) nicht zu, da bei einem berücksichtigungsfähigen Mehrbedarf im Bereich der Grundpflege von 308 Minuten ein Abzug von 82 Minuten an Stelle der vom Sachverständigen Dr. E abgezogenen 60 Minuten an Mehrbedarf für altersentsprechend gesund entwickelte Kinder vorzunehmen sei, so dass das Zeitmaß für Leistungen der Pflegestufe III unterschritten werde. Hierbei hat das Sozialgericht graphisch interpolierte Werte aus den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (a.a.O.: D, 5, III 7., b), Seite 44 der Auflage von Februar 2002, im Folgenden: "Begutachtungsrichtlinien" genannt) zugrunde gelegt. Auf die weitere Begründung wird Bezug genommen.

Gegen das am 20.09.2002 zugestellte Urteil richtet sich die am 01.10.2002 eingelegte Berufung, mit der angenommen wird, der Abzug für den Grundpflegebedarf altersentsprechend gesund entwickelter Kinder sei vom Gutachter, nicht vom Gericht zu schätzen. Er sei auch nicht nach den Tabellen der Begutachtungsrichtlinien, sondern nach Maßgabe der Ermittlungen des SG Dortmund (Urteil vom 19.10.1999, - S 39 P 56/97 -) vorzunehmen. Innerhalb der Richtlinien hätten der Sachverständige wie auch das Sozialgericht die falschen Werte abgelesen. Für Einzelverrichtungen habe der Sachverständige zu geringe Zeitansätze gewählt. So seien 12 Minuten täglich für das Kämmen der Haare der Klägerin nicht ausreichend, tatsächlich werde sie 45 Minuten lang gekämmt. Die Zeitansätze für Ankleiden und Auskleiden seien ebenso bei Weitem zu niedrig wie der Zeitansatz für die mundgerechte Zubereitung der Nahrung. Hierfür benötige die Mutter 30 Minuten, das Doppelte des vom Sachverständigen angesetzten Wertes. In dessen angesetzten 15 Minuten sei nicht einmal Fleisch zu garen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 21.08.2002 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.02.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2001 zu verurteilen, ihr Leistungen nach der Pflegestufe III ab November 2000 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte folgt den Zeitansätzen des Sachverständigen Dr. E mit der Modifikation, dass diese Zeitansätze sehr großzügig seien. Bei Zugrundelegung einer linearen Abnahme des Normalhilfebedarfs altersentsprechend entwickelter Kinder in den Jahren von 6 bis 12 werde die Schwelle zur Pflegestufe III zwar nicht gegenwärtig, jedoch in absehbarer Zukunft erreicht. Unter Zugrundelegung der Werte aus dem Gutachten des MDK vom 12.02.2001 mit dem dort ermittelten Gesamthilfsbedarf in Höhe von 206 Minuten werde die Klägerin mit etwa 11 1/2 Jahren die Pflegestufe III erreichen.

Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme des Dr. E vom 02.01.2003 eingeholt, zu deren Inhalt auf Bl. 154 PA ff., wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes auf den Inhalt der Prozessakten im Übrigen sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 20.02.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2001 Ansprüche der Klägerin auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach Pflegestufe III zu Recht abgelehnt hat. Die Voraussetzungen waren bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens als dem für die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auf. 2002, § 54 Rdnr. 34 m.w.N.) nicht erfüllt.

Der Anspruch auf Leistungen nach der Pflegestufe III setzt voraus, dass Pflegebedürftigkeit im Sinne von § 14 SGB XI in dem durch § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und § 15 Abs. 3 Nr. 3 SGB XI bestimmten Umfange vorliegt. Schwerstpflegebedürftig sind danach Personen, die bei der Körperpflege, bei der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Dabei muss der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe III mindestens 5 Stunden betragen, wobei auf die Grundpflege mindestens 4 Stunden entfallen müssen. Bei Kindern ist dabei allein der zusätzliche Hilfebedarf im Verhältnis zu einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend (§ 15 Abs. 2 SGB XI). Zur Grundpflege gehören nach § 14 Abs. 4 Nrn. 1-3 SGB XI die bei der Körperpflege, Ernährung und Mobilität anfallenden Verrichtungen; die hauswirtschaftliche Versorgung umfasst nach § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI Einkaufen, Kochen, Wohnungsreinigung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung sowie das Beheizen.

Diese Voraussetzungen waren für den gesamten zu betrachtenden Zeitraum nach den Einschätzungen sämtlicher in das Verfahren eingeschalteter Sachverständiger nicht erreicht. Der Senat schließt sich den im Wesentlichen auf die Zeitansätze des Sachverständigen Dr. E gestützten Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils an und sieht insoweit von einer wiederholenden Darstellung ab (§ 153 Abs. 2 SGG -Sozialgerichtsgesetz-). Berufungsvortrag und neue Erkenntnisse im Berufungsverfahren, insbesondere der Inhalt der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen Dr. E vom 22.05.2002, geben keine Veranlassung zu einer abweichenden Einschätzung. Weder das im Grundpflegemehrbedarf geforderte Zeitmaß von 240 Minuten noch das Gesamtmaß der (Mehr-)Zuwendung von 300 Minuten werden erreicht.

Dabei kann die Kritik der Beklagten an den ihrer Ansicht nach großzügigen Zeitansätzen des Gutachters Dr. E dahinstehen, da auch nach der Summe der von ihm ermittelten Werte von 308 Minuten für die zeitliche Zuwendung im Bereich der Einzelverrichtungen nach Abzug des altersentsprechenden Mehrbedarfs Pflegestufe III nicht erreicht wird.

Den das gesamte Verfahren durchziehenden Vorstellungen der Klägerin zu wesentlich höheren Zeitansätzen insbesondere im Bereich des An- und Auskleidens sowie in der Körperpflege, namentlich beim Kämmen, kann nicht gefolgt werden. Was den angegebenen Mehrbedarf beim An- und Auskleiden angeht, hält der Senat die Darstellungen des Sachverständigen Dr. E in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 02.01.2003 für realistisch und in der Höhe adäquat. Danach erscheint ein Hilfebedarf beim An- und Auskleiden von 44 Minuten auch in Anbetracht der funktionellen Einschränkung des Stütz- und Bewegungsapparates der Klägerin ausreichend berücksichtigt. Innerhalb dieses Zeitraums sei ein adäquates Eingehen auf die psychische Befindlichkeit gleichfalls möglich. Die weit höheren Zeitangaben der Klägerin bzw. ihrer Mutter erscheinen vor diesem Hintergrund deutlich überhöht und wenn überhaupt, dann vor dem Hintergrund nachvollziehbar, dass sie ihrem Interesse an der raschen Erledigung der Grundpflegeverrichtungen gegenüber der Tochter nicht den nötigen Nachdruck verleihen. Hinsichtlich des geforderten Zeitansatzes von 45 Minuten (täglich!) für das Kämmen, hält der Senat in medizinisch-pflegerischer Hinsicht gleichfalls die Ausführungen des Sachverständigen Dr. E für plausibel und verlässlich. Sein Zeitansatz von 3 x 4 Minuten täglich erscheint auch bei langen Haaren, die offen getragen werden, als ausreichend. Bei 3 x täglichem Kämmen kann nachhaltiges Verfilzen der Haare verhindert werden, auch wenn dieses durch vermehrten Aufenthalt zu ebener Erde gefördert wird. Die von der Klägerseite angegebenen 35 - 45 Minuten sind - auch insoweit macht sich der Senat die Einschätzung von Dr. E zu eigen - durch emotionale Zuwendung über das Kämmen erklärlich. Auch abgesehen von dieser pflegerisch/ medizinischen Argumentation erscheint dem Senat der geforderte Zeitansatz für das Kämmen unter Beachtung von Ziel- und Rahmenbedingungen der Versicherung nach dem SGB XI schon im rechtlichen Ansatz unvertretbar. Die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Pflegeversicherung nach dem SGB XI ist durch die Höhe des jeweils verfügbaren Beitragsaufkommens, das der Gesetzgeber durch die Festlegung der Beitragssätze bestimmt, limitiert. Dem tragen vielfältige Regelungen des SGB XI selbst sowie anderer Gesetze, beispielsweise durch Subsidiaritätsbestimmungen Rechnung (u.a. §§ 44 SGB VII, 35 BVG, 68 ff. BSHG, 40 SGB V, 34 Beamtenversorgungsgesetz, 9 ff. SGB VI). Innerhalb des SGB XI wird eine Begrenzung durch die strenge Koppelung des Begriffs der für die Leistungshöhe entscheidenden Pflegebedürftigkeit an bestimmte Verrichtungen des § 14 Abs. 4 SGB XI erreicht. Dieser gesetzgeberisch eingeschlagene Weg, die Beitragsbelastung auch mit Hilfe der Definition der Pflegebedürftigkeit selbst in Grenzen zu halten, liegt im Rahmen seines verfassungsrechtlich unantastbaren politischen Gestaltungsspielraumes (BVerfGE 96, 330, 342, zuletzt zum Ausschluss des Mehrbedarfes durch demenzbedingte Fähigkeitsstörungen, geistige Behinderungen oder psychische Erkrankungen: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22.05.2003 - 1 BvR 1077/00 -, NZS 2003, 535 ff.). Vor diesem Hintergrund kann bei der Bemessung des zulässigen Zeitansatzes für die jeweilige Einzelverrichtung nicht allen Wünschen und Bedürfnissen der zu Pflegenden wie auch der Pflegepersonen entsprochen werden. Das zulässige Ausmaß des Zeitansatzes ist vielmehr auch mit dem Ziel zu bestimmen, in möglichst vielen Fällen mit dem beschränkten Finanzvolumen die Ziele der Versicherungen nach dem SGB XI, nämlich den Erhalt des selbständigen und weitestgehend selbst bestimmten Lebens im häuslichen Umfeld (§§ 2,3 SGB XI) effektiv zu fördern. Hiermit ist es unvertretbar, im Einzelfall die von der Klägerin gewünschten 35 bis 45 Minuten an Haarpflege zu berücksichtigen. Wie bei anderen Grundpflegeunterstützungen ist vielmehr auch beim Haarekämmen nur das Zeitmaß berücksichtigungsfähig, das zum Erhalt des möglichst selbständigen und selbstbestimmten Lebens, das der Würde des Menschen entspricht (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB XI), dient. Der vom Sachverständigen Dr. E gewählte Zeitansatz von 3 x täglich je 4 Minuten für die Haarpflege trägt diesen Vorgaben großzügig Rechnung. Darüber hinausgehender Bedarf ist nicht berücksichtigungsfähig; er mag besonderen emotionalen oder ästhetischen Bedürfnissen der Klägerin bzw. ihrer sie pflegenden Mutter entspringen, verlässt aber den Rahmen des SGB XI.

Ein Mehransatz für die Nahrungszubereitung ist gleichfalls nicht möglich. Die der Berufung zugrundeliegende Argumentation zeigt das Missverständnis auf, dass sämtliche der Nahrungsaufnahme vorangehenden Arbeiten Grundpflegeverrichtungen seien. Dies ist nicht der Fall. Zur als Grundpflegeverrichtung berücksichtigungsfähigen mundgerechten Zubereitung der Nahrung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) zählen vielmehr nur die letzten der Nahrungsaufnahme vorhergehenden Maßnahmen wie Zerkleinern, Trennen nicht essbarer Bestandteile, Herauslösen von Knochen und Ähnliches (Urteile des BSG vom 19.02.1998 - B 3 P 5/97 R -; vom 31.08.2000 - B 3 P 14/99 R -). Alle vorhergehenden Zubereitungsstadien, auch wenn sie auf einen aus Diätnahrung folgenden Mehraufwand zurückzuführen sind, rechnen zum Kochen als Bestandteil der hauswirtschaftlichen Versorgung (Udsching, SGB XI, 2. Auflage 2000, Rdnr. 30 zu § 14 m.w.N.).

Auch bei dem von Dr. E für vertretbar gehaltenen Gesamtaufwand von Unterstützungen im Bereich der Grundpflege von 308 Minuten täglich durchschnittlich wird das untere Maß für den Anspruch auf Leistungen nach Pflegestufe III zu keinem Zeitpunkt innerhalb des entscheidungserheblichen Zeitraumes erreicht, da insoweit nicht der bei der Klägerin vorliegende Gesamtbedarf den Umfang der Pflegebedürftigkeit bestimmt, sondern nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes nur der im Verhältnis zu einem gesunden gleichaltrigen Kind gegebene zusätzliche Hilfebedarf (§ 15 Abs. 2 SGB XI).

Die hierzu erforderliche Bestimmung des Normalbedarfes altersgleicher Kinder kann nicht alleine durch Messung oder Einschätzung des Sachverständigen vorgenommen werden:

Soweit an Stelle konkreter Zeitmessungen Schätzungen vorgenommen werden, liegt dieses grundsätzlich noch im Rahmen zulässiger richterlicher Beweiserhebung, jedenfalls solange die Schätzung nicht über das "Ob", sondern nur über die Höhe der Leistung entscheidet. Im Zivilprozessrecht ist die gerichtliche Schätzung in erster Linie bei der Ermittlung der Schadenshöhe von Bedeutung, vor allem wenn nach dem - näher darzulegenden - pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts voraussichtlich auch eine Beweisaufnahme keine eindeutige Klärung bringen würde; in einem derartigen Fall ist aber zunächst die Grundlage der Schätzung sorgfältig zu ermitteln und dann eine Schätzung anzustellen, die auf sachlichen und zutreffenden Erwägungen und Abwägungen beruhen muss. Nach § 202 SGG i.V.m. § 287 Zivilprozessordnung (ZPO) ist die Schätzung eines Schadensumfangs auch im Sozialgerichtsprozess zulässig (BSG, Urteil vom 28.05.2003 - B 3 P 6/02 R - m.w.N.). Insbesondere ist es auch bereits als zulässig angesehen worden, - auf anderem Wege ordnungsgemäß festgestellten - Pflegebedarf kranker und behinderter Kinder demjenigen gesunder Kinder gegenüberzustellen und dabei den - nach § 15 Abs. 2 SGB XI für die Pflegestufe allein maßgeblichen - Mehrbedarf zu schätzen (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 9 und 10; BSG SozR 3-2500 § 53 Nr. 7). Der Senat sieht jedoch davon ab, von dieser Möglichkeit eigener Schätzung Gebrauch zu machen und zieht die Tabellenwerte der Begutachtungsrichtlinien (a.a.O.) heran, nicht dagegen die mit der Berufungsbegründung postulierten Ermittlungsergebnisse des SG Dortmund, a.a.O ... Die in den Begutachtungsrichtlinien enthaltenen, nicht endgültig evaluierten Erfahrungswerte können vorerst mangels besserer Erkenntisse ohne Rechtsfehler angewendet werden, wobei in geeigneten Fällen, insbesondere bei geistig gesunden Kindern, eine konkrete Schätzung alleine des jeweiligen Mehrbedarfs nicht ausgeschlossen ist (BSG, Urteile vom 29. April 1999 - B 3 P 7/98 R -, vom 26.11.1998 - B 3 P 20/97 R - SozR 3 3300, § 14 Nr.9). Der Abzug beträgt hiernach zu Beginn des streitigen Zeitraumes im Oktober 2000 für die damals 5 1/2 jährige Klägerin zwischen 90 und 105 Minuten, für den Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Urteiles für die damals gut 6 1/2 jährige Klägerin etwa 85 Minuten und gegenwärtig für die nun 7 1/2 jährige Klägerin immer noch 75 Minuten. Die Rahmenwerte ergeben sich hierbei nach der Tabelle aus der Addition der für die Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität jeweils vorgesehenen Einzelrahmen, nicht, wie es offensichtlich die Klägerin unternommen hat, aus dem Ablesen eines Einzelwertes für einen Unterstützungsbereich. Den für die Gruppe der 6 - 12 jährigen Kinder vorgesehene Rahmen von 105 bis 0 Minuten durch Interpolation auszufüllen, erscheint dem Senat angebracht im Interesse der bundesweiten Gleichbehandlung aller Pflegebedürftigen. Zur konkreten Ermittlung der Zwischenwerte bieten sich neben der vom Sozialgericht unternommenen graphischen Ermittlungen namentlich die arithmetische Aufteilung in 6 bzw. 7 Jahrgangsgruppen mit dem Ausgangswert von 105 Minuten für 6 jährige und dem Endwert von 0 bzw. 15 Minuten für 12 jährige Kinder an, je nachdem, ob man die Tabelle so versteht, dass bei Erreichung des 12. oder aber des 13. Lebensjahres kein Regelbedarf mehr vorliegt. Welcher Ermittlungsweise der Vorzug zu geben ist, kann allerdings dahinstehen, da zum Einen nach allen Ermittlungsmethoden ein Abzug von mehr als 68 Minuten (82, 87,5, 90 Minuten) vorzunehmen ist, was jeweils zur Unterschreitung des Untermaßes für den Mindestbedarf im Bereich der Grundpflegeverrichtungen von 240 Minuten führt (308 - x Minuten) und zum Anderen auch die Summe des sonach berücksichtigungsfähigen Grundpflegebedarfes und des Mehrbedarfes im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung nicht die gleichfalls maßgebliche Schwelle des Gesamtpflegebedarfes von 300 Minuten überschreitet. Hierbei ist - § 15 Abs. 2 SGB XI - wiederum nur der im Verhältnis zu einem altersentsprechend gesund entwickelten Kind feststellbare Mehrbedarf an hauswirtschaftlicher Versorgung, nach den Ermittlungen von Dr. E also bei der Klägerin etwa 30 Minuten, in Ansatz zu bringen. Der Pauschalansatz nach den Richtlinien für Kinder bis zum vollendeten 8. Lebensjahr (a.a.O.) ist nach der auch vom Senat zugrunde gelegten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht zulässig (BSG SozR 3 3300 § 14 Nr. 10).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Ein Grund zur Zulassung der Revision nach § 160 SGG besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
Saved