L 2 U 82/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 8 U 177/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 82/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 17. Januar 2002 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten, ob die Gefäßveränderungen mit Durchblutungsstörungen der rechten Hand des Klägers als Berufskrankheit anzuerkennen und zu entschädigen sind.

Der Kläger war von 1972 bis 1993 in Sägewerken beschäftigt und verrichtete dabei, soweit es hier um relevante Belastungen geht, zwischen 1972 und 1984 Arbeiten mit der Motorsäge und ab 1984 an der Gattersäge. 1993 zeigten sich Durchblutungsstörungen der rechten Hand, aufgrund deren der Kläger seine Tätigkeit im Sägewerk aufgab. Der behandelnde Arzt machte hierfür die kontinuierliche Stoßtraumatisierung bei den Arbeiten an der Gattersäge verantwortlich und zeigte der Beklagten ein Thenar-Hammer-Syndrom der rechten Hand als Berufskrankheit an.

Der von der Beklagten als Sachverständige gehörte Handchirurg Dr. S. hielt die Schwingungsbelastungen bei der Arbeit mit der Motorkettensäge für nicht ursächlich für die Gefäßveränderungen, da der Zeitabstand von der letzten Belastung bis zum erstmaligen Auftreten der Gefäßveränderungen untypisch sei. Erkennbare Ursache sei nur die Schlagbelastung der rechten Hand bei den Arbeiten an der Gattersäge. Insoweit liege eine Berufskrankheit nach Nr. 2104 der Anlage zur BKVO vor. Zu dem gleichen Ergebnis kam der von der Beklagten als Sachverständiger gehörte Internist Dr. L ...

Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten ermittelte bei dem Arbeitgeber, bei dem der Kläger seit 1984 gearbeitet hatte, dass an der Gattersäge keine Schlagbelastungen aufgetreten seien. Dr. S. revidierte daraufhin seine gutachterliche Äußerung dahingehend, dass eine Berufskrankheit nicht angenommen werden könne, wenn während der letzten Beschäftigung des Klägers die angenommenen Schlagbelastungen an der rechten Hand oder anhaltende dauernde Vibrationen an den Hebeln nicht aufgetreten seien. Hierzu stellte der Technische Aufsichtsdienst fest, als Führer der Gattersäge sei der Kläger keinen Schwing- und keinen Schlagbelastungen ausgesetzt gewesen. Im Hinblick hierauf empfahl der Gewerbearzt, keine Berufskrankheit anzuerkennen.

Mit Bescheid vom 28.03.1995 verweigerte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nrn. 2103 und 2104 der Anlage zur BKVO und wies den anschließenden Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 07.07.1995 als unbegründet zurück.

Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger die Anerkennung und Entschädigung seiner Erkrankung im Bereich der rechten Hand als Berufskrankheit Nr. 2104 der Anlage zur BKVO beantragt. Das Sozialgericht hat zur Beweiserhebung weitere Ermittlungen des Technischen Aufsichtsdienstes veranlasst und unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers Zeugen zu den Arbeitstätigkeiten des Klägers und den dabei auftretenden Einwirkungen einvernommen. Die Arbeitsplatzvibrationsanalyse, in die auch das Berufsgenossenschaftliche Institut für Arbeitssicherheit einbezogen war, hat ergeben, dass der Kläger in allen seinen Tätigkeiten an der Motorkettensäge und an der Gattersäge eine Beurteilungsschwingstärke von Kr = 9,2 erreicht hatte. Nach den Einschätzungen des Berufsgenossenschaftlichen Instituts für Arbeitssicherheit, Fachbereich 4: Lärm-Vibration, ist eine Gesundheitsgefährdung nach der VDI-Richtlinie 2057 erst nach einer Beurteilungsschwingstärke von Kr = 16,2 über Jahre hinweg gegeben.

Das Sozialgericht hat ein Gutachten der Handchirurgin Dr. W. eingeholt, die das Vorliegen einer Berufskrankheit verneint. Die Vibrationsbelastungen, denen der Kläger bei seinen Arbeiten in den Sägewerken ausgesetzt gewesen sei, hätten ein gesundheitsschädigendes Ausmaß bei weitem nicht erreicht.

Zum gegenteiligen Ergebnis kommt der auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG gehörte Sachverständige Prof. Dr. F ... Ihm erscheint die berufsbedingte Exposition mit jahrelangen Arbeiten an vibrierenden Werkzeugen geeignet und wahrscheinlich, die Gefäßveränderungen hervorzurufen. Nach der vorliegenden Arbeitsplatzvibrationsanalyse des TAD hätten scheinbar Frequenzen im Bereich von 20 bis 1000 Hz bzw. von 33,3 bis 50 Hz vorgelegen, die nach ihm vorliegenden Unterlagen zu Verursachung von Vibrationsschäden geeignet seien. In Ermangelung konstitutioneller Faktoren für Durchblutungsstörungen beim Kläger könnten durchaus bei Personengruppen, eventuell in Kombination mit weiteren expositionellen Ursachen die beim Kläger gefundenen Durchblutungsstörungen manifest werden. Er schätzt die hierdurch hervorgerufene MdE auf 30 v.H. und ab dem Tag seiner Untersuchung auf 20 v.H.

Demgegenüber hat die Beklagte eingewendet, der Kläger erfülle die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Annahme vibrationsbedingter Durchblutungsstörungen nicht, medizinisch fehle es an der zeitlichen Kohärenz, nachdem 1984 die letzte Vibrationsexposition gewesen sei und das Krankheitsbild 1993 aufgetreten sei. Zudem lägen beim Kläger mittlerweile auch Gefäßveränderungen an der unbelasteten linken Hand vor. Der Technische Aufsichtsdienst hat eingewendet, der Sachverständige stütze sich auf ein Merkblatt aus dem Jahre 1979. Dort seien die von der Maschine abgebenen Schwingungsfrequenzen genannt, die jedoch nicht identisch seien mit der Frequenz, die beim Versicherten wirksam werde. Die in Zusammenarbeit mit den BIA ermittelte Beurteilungsschwingstärke bedeute eine erhebliche Unterschreitung des empfohlenen Richtwertes von Kr = 16,2. Bei Einhaltung dieses Richtwertes sei davon auszugehen, dass keine Gesundheitsgefährdungen im Hand-Arm-Bereich aufträten.

Mit Urteil vom 17. Januar 2002 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Für das Vorliegen einer vibrationsbedingten Durchblutungsstörung an der Hand nach Nr. 2104 der Anlage zur BKVO fehle es an den notwendigen arbeitstechnischen Belastungen, wie sich aus den Berechnungen des TAD und des BIA ergeben habe. Dasselbe ergebe sich unter medizinischen Gesichtspunkten aus dem Gutachten der Sachverständigen Dr. W ... Der Sachverständige Prof. Dr. F. habe zu Unrecht das Vorliegen der notwendigen arbeitstechnischen Voraussetzungen angenommen.

Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt und beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 17. Januar 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28.03.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.07.1995 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, seine Erkrankung im Bereich der rechten Hand als Berufskrankheit nach Nr. 2104 anzuerkennen und nach einer entsprechend dem Gutachten des Prof. Dr. F. vorgeschlagenen MdE zu entschädigen.

Er stützt sich auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. F. und führt mit Verweis auf das beigefügte Merkblatt zur BK Nr. 2104 (Bekanntmachung des BMA vom 10.07.1979 im Bundesarbeitsblatt 7/8/1979) aus, dieser Arzt habe neue Erkenntnisse ins Feld geführt, die entscheidend seien und den geltend gemachten Entschädigungsanspruch begründeten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Ver- handlung waren die Akte der Beklagte und die Akte des Sozial- gerichts Landshut in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet, denn die Erkrankung des Klägers im Bereich der rechten Hand ist keine Berufskrankheit nach Nr. 2104 der Anlage zur BKVO. Es fehlt an einer beruflich bedingten Vibrationsbelastung des Klägers, die zur wesentlichen Mitverursachung von Durchblutungsstörungen an den Händen ausreichend gewesen wäre.

Die Entscheidung über den Rechtsstreit richtet sich auch im Berufungsverfahren nach den bis 31.12.1996 geltenden Vorschriften der RVO, weil sowohl die geltend gemachte Gesundheitsstörung vor dem 01.01.997 eingetreten ist, als auch die Aufgabe der potenziell verursachenden Tätigkeit vor diesem Zeitpunkt geschehen ist und erstmals über einen Leistungsanspruch ebenfalls vor diesem Zeitpunkt zu entscheiden war (§ 212 SGB VII).

Nicht zu prüfen war, ob die Durchblutungsstörungen an der rechten Hand des Klägers durch Schlagbelastungen in der versicherten Tätigkeit (Hypothenar-Hammer-Syndrom) verursacht wurden. Eine entsprechende Erkrankung findet sich in der Liste der Berufskrankheiten (Anlage zur BKVO) nicht. Hier käme allenfalls eine Entschädigung wie eine Berufskrankheit nach § 551 Abs.2 RVO in Betracht. Über einen entsprechenden Entschädigungsanspruch müsste die Beklagte, die insoweit anstelle des grundsätzlich allein berufenen Verordnungsgebers nach § 551 Abs.1 Satz 2 RVO tätig würde, im Einzelfall und ausdrücklich entscheiden, bevor eine entsprechende gerichtliche Überprüfung stattfinden könnte. An einer solchen Entscheidung der Beklagten fehlt es hier.

Für die Annahme einer vibrationsbedingten Durchblutungsstörung an der rechten Hand des Klägers nach Nr. 2104 der Anlage zur BKVO fehlt es an dem notwendigen Maß der Vibrationsbelastung in der versicherten Tätigkeit des Klägers. Dies ergibt sich aus den Ermittlungen des Sozialgerichts und der Beklagten über die einzelnen Arbeitsverrichtungen des Klägers in seiner versicherten Tätigkeit, über das Maß der damit verbundenen Vibrationsbelastungen und über die Belastungen, die nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand erforderlich sind, um eine Gesundheitsgefahr in Gestalt drohender Durchblutungsstörungen an den Händen zu verursachen. Die Ermittlungen waren erschöpfend und ihr Ergebnis ist vom Kläger auch nicht in Frage gestellt worden. Nicht in Frage gestellt sind auch die fachkundigen Darstellungen über das für eine Gesundheitsgefahr notwendige Maß an Vibrationsbelastungen. Von medizinisch sachverständiger Seite wird diese Einschätzung übernommen von der vom Sozialgericht gehörten Gutachterin Dr. W ... Bezüglich der Vibrationsbelastung hat der von der Beklagten gehörte Sachverständige Dr.S. ohnehin von vorneherein angenommen, dass sie nicht kausal für die Durchblutungsstörungen an der rechten Hand des Klägers sein könnten.

Der abweichenden Einschätzung des Sachverständige Prof. Dr. F. ist das Sozialgericht zu Recht nicht gefolgt. Zu Unrecht geht die Berufung davon aus, sein Gutachten enthalte neue Erkenntnisse, die den Ursachenzusammenhang zwischen den Vibrationsbelastungen und den Durchblutungsstörungen begründen würden. Der Sachverständige stützt sich im Gegenteil auf alte Erkenntnisse, wenn er das amtliche Merkblatt aus dem Jahre 1979 als Argumentationsgrundlage heranzieht. Die von ihm herangezogenen Ausführungen in dem betreffenden Merkblatt sind einerseits zwar richtig, andererseits aber unzureichend. Richtig, insoweit aber auch von den anderen Sachverständigen und vom Technischen Aufsichtsdienst der Beklagten zugrunde gelegt, ist, dass die als potenziell gesundheitsgefährend anzusehenden Vibrationen mit Frequenzen hauptsächlich im Bereich von etwa 20 bis 1000 Hz beobachtet werden. Damit ist jedoch, worauf der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten hinweist, lediglich der in Betracht kommende Frequenzbereich abgesteckt, nichts jedoch über das Maß der Belastungen ausgesagt, das als ausreichend zur Begründung eines Ursachenzusammenhanges angesehen werden muss. Der Sachverständige Prof. Dr. F. stellt weder die vom Technischen Aufsichtsdienst der Beklagten angegebenen wissenschaftliche Erkenntnisse bezüglich der notwendigen Dosisbelastung in Frage, noch nennt er selbst eine nach seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen erforderliche Mindestdosis.

Die Berufung hatte deshalb keinen Erfolg.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger in beiden Rechtszügen nicht obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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