L 9 Kr 104/99

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 21 KR 141/98
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 Kr 104/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Februar 1999 wird zurückgewiesen. Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die Kosten einer privatärztlich durchgeführten Schwermetallausleitung zu erstatten bzw. künftig zu übernehmen.

Die 1965 geborene Klägerin ist pflichtversichertes Mitglied der beklagten Krankenkasse. Sie litt nach einem Attest der Ärztin B vom 23. November 1994 an einer Quecksilberallergie, rezidivierender Akne im Gesicht/Halsbereich sowie einer lymphatischen Diathese. Gleichzeitig empfahl die Ärztin, die Amalgamfüllung zu entfernen, um eine Krankheitsausweitung zu vermeiden.

Mit Schreiben vom 28. Juni 1997 - eingegangen bei der Beklagten am 2. Juli 1997 - beantragte die Klägerin, ihr 175,78 DM für zwei privatärztlich durch die behandelnden Ärzte H und L am 29. Mai und 27. Juni 1997 verordnete DMPS-Heyl-Ampullen zu erstatten. Zur Begründung trug sie im Wesentlichen vor: Sie habe 1992 ihre Amalgam-Füllungen durch Gold-Inlays ersetzen lassen. Damals sei eine massive Quecksilberallergie festgestellt worden (1. Allergiepass). Anschließend habe sie 1995/1996 drei weitere Amalgam-Füllungen durch Gold ersetzen lassen. Die gesundheitlichen Störungen seien aber geblieben bzw. hätten sich sogar verschlimmert, da zu keiner Zeit eine Ausleitung des jahrzehntelangen abgelagerten Quecksilbers aus ihrem Körper erfolgt sei. Hinzu gekommen seien weitere Allergien (2. Allergiepass). Nunmehr habe sie sich der dringend notwendigen Quecksilberausleitung unterzogen.

Auf Nachfrage der Beklagten bei den Ärzten H., aus welchen Gründen sie ein privatärztliches Rezept erstellt hätten, teilten diese mit, es habe sich um eine Schwermetallausleitung bei Schwermetallbelastung mit Quecksilber gehandelt.

Mit Schreiben vom 23. August 1997 - eingegangen bei der Beklagten am 26. August 1997 - beantragte die Klägerin Erstattung weiterer Kosten in Höhe von 87,89 DM unter Hinweis auf eine weitere privatärztliche Verordnung der Ärzte H. vom 21. August 1997 für eine DMPS-Heyl-Ampulle. Zugleich übersandte sie eine ärztliche Bescheinigung des Praktischen Arztes Jürgen H. und der Ärztin H. vom 21. August 1997, wonach es sich bei ihr um eine Quecksilberallergie und um eine chronische Schwermetallintoxikation handele, die eine Behandlung mit DMPS zur Verbesserung des Beschwerdebildes unumgänglich mache.

Mit Bescheid vom 27. August 1997 lehnte die Beklagte eine Kostenerstattung mit der Begründung ab, eine Übernahme von Arzneimittelkosten sei nicht möglich, da der behandelnde Vertragsarzt das Arzneimittel DMPS auf Privatrezept verordnet habe. Er habe damit zum Ausdruck gebracht, dass er das Medikament im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung für nicht verordnungsfähig halte.

In ihrem Widerspruch wies die Klägerin auf ihren schlechten Gesundheitszustand und die Notwendigkeit einer Behandlung hin. Auf eine weitere Nachfrage der Beklagten teilten die behandelnden Ärzte der Klägerin mit, dass ein erhöhter Nachweis von Quecksilberwerten erst nach der DMPS-Gabe möglich sei. Es handele sich bei der DMPS-Behandlung um eine Therapie („die Schwermetalle werden ausgeleitet“).

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 1998 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.

Im anschließenden Klageverfahren hat die Klägerin unter Vorlage verschiedener toxikologischer Gutachten und weiterer medizinischer Unterlagen geltend gemacht, das Medikament DMPS sei das einzig wirkungsvolle Mittel zur Ausleitung von Schwermetallen. Seit dem Beginn der Behandlung habe sich ihr Gesundheitszustand stetig verbessert.

Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Urteil vom 26. Februar 1999 abgewiesen, weil die DMPS-Ampullen nicht vertragsärztlich verordnet worden seien. Das Arzneimittel sei nicht auf Kassenrezept verordnet worden und damit habe der Vertragsarzt nicht die Verantwortung für die Behandlung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung übernommen. Deshalb scheide auch ein Anspruch auf zukünftige Kostenübernahme für die DMPS-Ampullen aus, solange das Medikament lediglich auf Privatrezept verordnet werden würde.

Gegen das ihr am 3. August 1999 zugestellte Urteil richtet sich die am 3. September 1999 eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Begehren auf Kostenerstattung für das bisher privatärztlich verordnete Medikament DMPS sowie eine künftige Kostenübernahme weiter verfolgt. Die Klägerin rügt, von der Urteilsbegründung überrascht worden zu sein, da das Gericht allein auf das Fehlen eines kassenärztlichen Rezeptes seine Begründung gestützt habe. Daneben trägt sie vor, sie benötige die Arznei zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit. Es könne nicht ihr angelastet werden, wenn ihr behandelnder Arzt das Medikament nur auf Privatrezept verordne. Im Übrigen halte sie ein Systemversagen für gegeben.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Februar 1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. August 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Kosten für die von ihr selbst mit ärztlichem Rezept beschafften 14 Ampullen DMPS-Heyl in Höhe von 1.236,62 DM zu erstatten und die Kosten für künftige Behandlungen zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Der Senat hat die Berufung nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einstimmig durch Beschluss zurückgewiesen, weil sie unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Die Beteiligten hatten Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen.

Sofern die Klägerin anregte, die Sache an das Sozialgericht zurückzuverweisen, weil das Verfahren nach ihrem Dafürhalten an einem wesentlichen Mangel im Sinne von § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG litt, sah der Senat bereits deshalb von einer Zurückverweisung ab, weil die Sache entscheidungsreif war und die Klägerin umfassend Gelegenheit hatte, sich im Berufungsverfahren zu äußern und mit der Rechtsauffassung des Sozialgerichts auseinander zu setzen (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage, § 159 Rdnr. 5a).

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Als Rechtsgrundlage für die Erstattung bereits entstandener Kosten kommt allein § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V) in Betracht. Danach hat die Krankenkasse, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte - wofür hier im Hinblick auf die langjährige Dauer und die Intensität der Beschwerden sowie die Art und Dauer der eingeleiteten Therapiemaßnahmen keine Anhaltspunkte bestehen - oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, die dem Versicherten die für die Beschaffung der Leistung aufgewendeten Kosten zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.

1. Danach kommt eine Kostenerstattung für die selbstbeschafften Leistungen - zumindest für die bis zum 27. August 1997 vorgenommenen DMPS-Ausleitungen (3 DMPS-Heyl-Ampullen zu je 87,89 DM, Rechnungen vom 3. Juni, 27. Juni und 22. August 1997) schon deswegen nicht in Betracht, weil die Klägerin sich die Leistungen selbst beschafft hat, ohne zuvor mit der Krankenkasse Kontakt aufzunehmen und deren Entscheidung abzuwarten (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, BSG SozR 3-2500 § 13 Nrn. 11 und 15). Nach dieser Rechtsprechung und der des erkennenden Senats muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand der rechtswidrigen Ablehnung einer Leistung und dem Nachteil des Versicherten ein Kausalzusammenhang bestehen, ohne den die Bedingung des § 13 Abs. 1 SGB V für eine Ausnahme vom Sachleistungsgrundsatz nicht erfüllt ist. Dies bedeutet, dass Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung nur zu erstatten sind, wenn die Krankenkasse die Leistungsgewährung vorher abgelehnt hatte; ein Kausalzusammenhang und damit eine Kostenerstattung scheidet aus, wenn der Versicherte sich die streitige Behandlung außerhalb des vorgeschriebenen Beschaffungsweges selbst besorgt, ohne sich vorher mit seiner Krankenkasse ins Benehmen zu setzen und deren Entscheidung abzuwarten (BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 15). Erst die Weigerung der Krankenkasse gibt dem Versicherten das Recht, sich die benötigte Behandlung selbst zu beschaffen und die Erstattung der dafür aufgewendeten Kosten zu verlangen. An der von der Rechtsprechung danach verlangten Kausalität zwischen Ablehnung und Selbstbeschaffung der Leistung fehlt es für die drei selbstbeschafften DMPS-Heyl-Ampullen auf der Grundlage der privatärztlichen Verordnungen vom 29. Mai, 27. Juni und 21. August 1997.

2. Die nach der ablehnenden Bescheidung des Kostenerstattungsantrages der Klägerin durch die Beklagte am 27. August 1997 durchgeführten DMPS-Ausleitungsbehandlungen können aber auch deswegen keinen Kostenerstattungsanspruch begründen, weil es an einer ausreichenden ärztlichen Verordnung hierfür fehlt.

In § 13 Abs. 1 SGB V ist ausgesprochen, dass der Anspruch auf Kostenerstattung an die Stelle des Anspruchs auf die Sachleistung tritt. Ein entsprechender Sachleistungsanspruch der Klägerin kann grundsätzlich nur dadurch begründet werden, dass ein Vertragsarzt das Arzneimittel auf Kassenrezept verordnet und damit die Verantwortung für die Behandlung übernimmt. Denn die §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 31 SGB V begründen keine unmittelbar durchsetzbaren Ansprüche auf Versorgung mit irgendwelchen Arzneimitteln schlechthin, sondern ausfüllungsbedürftige Rahmenrechte. Der Versicherte kann ein bestimmtes Mittel erst beanspruchen, wenn es ihm in Konkretisierung des gesetzlichen Rahmenrechts vom Vertragsarzt als ärztliche Behandlungsmaßnahme verschrieben wird (BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 13 m.w.N.). Das ist in § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V dadurch klargestellt, dass alle ärztlichen Verordnungen zum Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung erklärt werden; dass der Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln von einer ärztlichen Verordnung abhängig ist, ergibt darüber hinaus aus dem systematischen Zusammenhang der §§ 15 Abs. 1 sowie 31 mit § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V. Auf diese rechtlichen Zusammenhänge hat das Sozialgericht bereits zutreffend hingewiesen.

Für den Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V gilt grundsätzlich nichts anderes: Das Recht zur Selbstbeschaffung reicht nur soweit, wie es zur Überwindung der den Anspruch begründenden Lücke in der Versorgung des Versicherten (Systemversagen) erforderlich ist. Da sich der Versicherte ohne ärztliche Bestätigung der Notwendigkeit des Arzneimittels zu Lasten der Krankenkasse nicht versorgen kann, ist die ärztliche Verordnung auch im Rahmen des § 13 Abs. 3 SGB V erforderlich; denn nach dem letzten Halbsatz des § 13 Abs. 3 SGB V muss die Leistung „notwendig“ gewesen sein. Im Falle des § 13 Abs. 3 2. Alternative SGB V kann auf der Verwendung eines Rezeptformulars der gesetzlichen Krankenkasse nur dann nicht bestanden werden, wenn das angebliche Systemversagen gerade darin besteht, dass die Sachleistung nicht erbracht und deshalb ein Kassenrezept nicht ausgestellt werden darf. Dies ist hier jedoch nicht der Fall, weil DMPS-Heyl den Angaben des Herstellers in der „Roten Liste 1997 - Ziffer 13 006“ als Arzneimittel zur Therapie einer Vergiftung mit Quecksilber, einer chronischen Vergiftung mit Blei sowie als Mittel zur Elimination von Arsen, Kupfer, Antimon, Chrom und Kobalt arzneimittelrechtlich zugelassen ist und insoweit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet und angewendet werden darf. Deshalb ist für eine Kostenerstattung wegen eines Systemversagens bei der Anwendung dieses Medikaments im Rahmen seiner Zulassung kein Raum (so bereits Beschluss des Senats vom 29. September 1999 - L 9 KR 157/97 -). Eine Verordnung und Anwendung dieses Arzneimittels außerhalb seiner arzneimittelrechtlichen Zulassung begründet indes keinen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 2. Alternative SGB V. Wie der Senat in seinem Urteil vom 25. November 1998 - L 9 Kr 53/96 - entschieden hat, kommt eine Versorgung der Versicherten mit Fertigarzneimitteln im Sinne des § 4 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) nicht in Betracht, wenn und soweit ihnen die erforderliche Zulassung zum Verkehr gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG fehlt. Diese Rechtsauffassung hat das BSG in seinem Urteil vom 23. Juli 1998 (SozR 3-2500 § 31 Nr. 5) anlässlich eines Rechtsstreits über die Kostenerstattung für ein anderes Fertigarzneimittel (Jomol) bestätigt.

Vorliegend spricht auch nichts dafür, dass die behandelnden Ärzte H. versäumt haben könnten, die Klägerin darüber aufzuklären, dass eine vertragsärztliche Versorgung außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden sollte. Für einen solchen Aufklärungsmangel hätte die Beklagte zwar nach den Grundsätzen des Systemversagens gegebenenfalls einzustehen (BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 4). Hierfür hat die Klägerin aber selbst nichts Konkretes vorgetragen; im Übrigen musste ihr durch die direkte Begleichung der Medikamentkosten auch bewusst gewesen sein, dass sie sich eine Leistung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung verschaffte.

Mithin scheidet auch eine künftige Übernahme von Kosten für das DMPS-Medikament aus, solange sich die Klägerin dieses nur privatärztlich verordnen lässt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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