L 1 KR 126/13

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 6 KR 1482/10
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 126/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. August 2013 wird dahingehend abgeändert, als die Beklagte zur Zahlung von Zinsen erst ab dem 16. September 2011 verurteilt wird. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Auch die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die restliche Vergütung einer Krankenhausbehandlung.

Der am xxxxx 1956 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte J. wurde unter anderem wegen einer subcapitalen Humerusfraktur rechts nach einem Krampfanfall in der Zeit vom 18. November bis 21. Dezember 2009 stationär im Krankenhaus des Klägers behandelt (Hauptdiagnose ICD-10: S42.22; diverse Nebendiagnosen). Der intelligenzgeminderte Versicherte hat seit Jahren ein Anfallsleiden nach durchgemachter Meningitis und verfügt über einen zuerkannten Grad der Behinderung von 100. Der Kläger berechnete für die Behandlung unter dem 7. Januar 2010 die DRG I41Z (Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung bei Krankheiten und Störungen am Muskel-Skelett-System), die sich unter anderem aufgrund der kodierten Prozedur 8-550.1 (Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung, mindestens 14 Behandlungstage und 20 Therapieeinheiten) ergab. Der Rechnungsbetrag belief sich auf EUR 7.362,02.

Die Beklagte hielt der Abrechnung entgegen, die Prozedur 8-550.1 setze ein Mindestalter des Patienten von 60 Jahren voraus, an dem es vorliegend fehle, und zahlte am 5. Juli 2010 lediglich EUR 6.527,38.

Hinsichtlich des streitigen Restbetrages hat die Klägerin am 1. Oktober 2010 Klage erhoben und vorgetragen, die Beklagten habe es versäumt, den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer Prüfung zu beauftragen, sodass sie mit medizinischen Einwendungen ausgeschlossen sei. Für die Annahme, dass nur über 60jährige Versicherte eine geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung erhalten könnten, gebe es keine Grundlage. Es komme insoweit vielmehr auf das biologische Alter an, das bei dem Versicherten weit fortgeschritten gewesen sei. Da jedenfalls der unstreitige Teil der Rechnung am 29. Januar 2010 fällig gewesen sei, habe die Beklagte auch Zinsen in Höhe von EUR 141,43 hierauf zu zahlen.

Die Beklagte hat an ihrer Auffassung festgehalten, dass erst Patienten ab dem 60. Lebensjahr zum Personenkreis gehörten, die eine geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung erhalten könnten. Der bei dem Versicherten erforderliche höhere Betreuungsaufwand sei nicht altersbedingt, sondern infolge seiner Schwerbehinderung eingetreten. Hierfür sei das Zusatzentgelt ZE 20009-36 "Versorgung von Schwerbehinderten" in Höhe von EUR 1.428 gezahlt worden.

Das Sozialgericht hat von dem Kläger die Krankenakte angefordert, die am 28. August 2011 eingegangen ist, und sodann ein Gutachten des Internisten Dr. M. vom 12. Dezember 2011 sowie zwei ergänzende Stellungnahmen vom 28. Februar 2012 und 6. Mai 2012 eingeholt. Daraufhin hat es die Beklagte mit Urteil vom 5. August 2013 verurteilt, an die Klägerin EUR 976,07 nebst 5 Prozent Zinsen auf EUR 834,64 seit dem 29. Januar 2010 zu zahlen. Es hat ausgeführt, die Kodierung des OPS 8.550-1 sei zu Recht erfolgt, denn auf ein starres Mindestalter sei für den Begriff der Geriatrie nicht abzustellen.

Die Beklagte hat dagegen am 2. September 2013 Berufung eingelegt und wiederholt ihre Auffassung, dass der damals 53jährige Versicherte kein geriatrischer Patient gewesen sei. Er sei intelligenzgemindert und schwerbehindert gewesen, sodass die Beklagte neben der DRG I75A (Schwere Verletzungen von Schulter, Arm, Ellenbogen, Knie, Bein und Sprunggelenk mit CC) das Zusatzentgelt ZE 20009-36 "Versorgung von Schwerbehinderten" in Höhe von EUR 1.428 gezahlt habe. Im Vordergrund der Behandlung habe die weitere Therapie der subcapitalen Humerusfraktur gestanden, mithin einer Erkrankung, die keine geriatrietypische Multimorbidität voraussetze. Bereits aus der Gesetzesbegründung zu § 39 Abs. 1 S. 3 SGB V (BT-Drs. 14/5074 S. 117) ergebe sich, dass für die Beurteilung des Rehabilitationsbedarfs auch das Lebensalter neben der Multimorbidität des Patienten von Bedeutung sei. Auch nach der Definition des geriatrischen Patienten in der ambulanten Versorgung sei der Versicherte nicht als geriatrisch zu bezeichnen, denn dort werde ein Lebensalter ab dem vollendeten 70. Lebensjahr vorausgesetzt. Ebenso wenig falle der Versicherte unter die Definition der Arbeitshilfe zur geriatrischen Rehabilitation der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR e.V.), die ein höheres Lebensalter ("in der Regel 70 oder älter") voraussetze, wobei Abweichungen von diesem strikten Kriterium möglich seien, jedoch einer Begründung bedürften. Schließlich sei die Rechnung gar nicht fällig geworden, denn der Kläger habe es versäumt, seiner Informationspflicht aus § 301 Abs. 1 Nr. 3 SGB V nachzukommen und darzulegen, welcher spezielle Grund für die Aufnahme des weit unter 70jährigen Versicherten in der Geriatrie bestanden habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. August 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und hält daran fest, dass ein festes Mindestalter für eine Behandlung in der Geriatrie nicht existiere. Insbesondere sei ein solches Mindestalter auch nicht der streitigen Abrechnungsbestimmung zu entnehmen, obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, bei den Mindestmerkmalen ein "Alter größer 60 Jahre" einzufügen. Da dies nicht geschehen sei, könne das kalendarische Alter keine Rolle spielen. Darüber hinaus sei die Beklagte schon deshalb mit ihren Einwendungen ausgeschlossen, weil sie den MDK nicht eingeschaltet habe. Schließlich habe Dr. M. vollkommen zu Recht darauf hingewiesen, dass der Versicherte biologisch stark vorgealtert sei.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die Krankenakte des Klägers Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) Berufung ist nicht begründet. Die Klage ist als echte Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) zulässig und – bis auf einen geringen Teil der Zinsforderung – auch begründet.

Rechtsgrundlage des geltend gemachten restlichen Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), § 17b Abs. 1 Satz 10 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und § 7 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) in Verbindung mit der hier maßgeblichen Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2009 (Fallpauschalenvereinbarung 2009 – FPV 2009) sowie dem am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Vertrag Allgemeine Bedingungen Krankenhausbehandlung vom 19. Dezember 2002 zwischen der H. Krankenhausgesellschaft e.V. und unter anderem der Beklagten (Vertrag nach § 112 SGB V). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entsteht die – dem Grunde nach hier nicht streitige – Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch den Versicherten (BSG, Urteil vom 18.09.2008 – B 3 KR 15/07 R – Juris). Nach § 7 S. 1 KHEntgG werden die allgemeinen Krankenhausleistungen gegenüber den Patienten oder ihren Kostenträgern mit verschiedenen, in den Nummern 1 bis 8 abschließend aufgezählten Entgelten abgerechnet. Hier geht es um die Abrechnung von Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog (§ 7 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 9 KHEntgG), der FPV 2009.

Der in Anlage 1 zur FPV 2009 enthaltene Fallpauschalenkatalog ist nach Fallgruppen (DRG) geordnet. Maßgebliche Kriterien für die Zuordnung eines Behandlungsfalles zu einer DRG sind die Hauptdiagnose, die Nebendiagnosen, eventuelle den Behandlungsverlauf wesentlich beeinflussende Komplikationen, die im Krankenhaus durchgeführten Prozeduren sowie weitere Faktoren (Alter, Geschlecht etc.). Die Diagnosen werden mit einem Code gemäß der vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebenen Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (hier: 10. Revision, Version 2009 – ICD-10; § 301 Abs. 2 S. 1 SGB V) verschlüsselt. Die Prozeduren werden nach dem ebenfalls vom DIMDI herausgegebenen Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS, hier: Version 2009) kodiert. Aus diesen Codes wird sodann zusammen mit den weiteren für den Behandlungsfall maßgeblichen Faktoren unter Verwendung einer bestimmten vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) zertifizierten Software ("Grouper") die entsprechende DRG ermittelt (sog. "Groupierung"), anhand derer die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet wird (hierzu ausführlich: BSG, Urteil vom 18.09.2008 a.a.O.).

Der Kläger hat hiernach zu Recht die DRG I41Z abgerechnet und dabei insbesondere – was zwischen den Beteiligten allein streitig ist – zutreffend die Prozedur 8-550.1 nach dem OPS 2009 kodiert.

Die Beklagte kann dagegen nicht einwenden, dass eine geriatrische Behandlung des seinerzeit nur 53jährigen Versicherten schon wegen seines Alters ausgeschlossen war. Abrechnungsbestimmungen sind streng nach ihrem Wortlaut auszulegen (z.B. BSG, Urteil vom 14.10.2014 – B 1 KR 26/13 R - Juris) und die in den Hinweisen zum OPS 8-550* genannten Mindestmerkmale enthalten eine solche Altersgrenze nicht. Zu Recht weist der Kläger darauf hin, dass die Festlegung eines Mindestalters in den Mindestmerkmalen des OPS 8-550* problemlos möglich gewesen wäre, aber nicht erfolgt ist.

Auch der Begriff der Geriatrie zwingt nicht zur Annahme eines kalendarischen Mindestalters. Der Senat hat hierzu bereits in seinem – durch Revision angegriffenen – Urteil vom 20. Februar 2014 (L 1 KR 34/12) Folgendes ausgeführt:

"In Fachkreisen existieren unterschiedliche Definitionsansätze, die jedoch alle nicht auf ein starres Mindestalter, sondern im Wesentlichen auf die für ältere Menschen typische Multimorbidität abstellen.

So ist nach der Definition der European Union Geriatric Medicine Society vom 3. Mai/6. September 2008 die Geriatrische Medizin eine medizinische Spezialdisziplin, die sich mit den körperlichen, mentalen, funktionellen und sozialen Bedingungen der akuten, chronischen, rehabilitativen, präventiven Behandlung und Pflege – auch am Lebensende – befasst. Die Gruppe der Patienten wird mit einem hohen Grad von Gebrechlichkeit und aktiven Mehrfach-Erkrankungen asszoziiert, die einen ganzheitlichen Behandlungsansatz erfordern. Weiter heißt es, die Geriatrische Medizin sei nicht spezifisch altersdefiniert, sie behandele jedoch die typische Morbidität älterer Patienten. Die meisten Patienten seien allerdings über 65 Lebensjahre alt (zitiert nach: http://de.wikipedia.org/wiki/Geriatrie).

Eine Expertenkommission der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie und der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie hat 1991 zur Definition des Faches Geriatrie "17 Dimensionen" erarbeitet (Wissensmodifikation bei den Ärzten, Multimorbidität, Risikoerkennung, Senile Demenz, Einwilligungsfähigkeit und Schutz von Rechten, Psychosomatische Zusammenhänge, Hierarchisierung, Rehabilitation, Irreversibilität, Todesnähe, Polarität, Weiterversorgung, Umfeldbezogenheit, Angehörigenarbeit, Konsiliarwirkung, Interdisziplinarität, strukturell-organisatorischer Umbruch). Eine feste Altersgrenze enthalten diese nicht.

In dem vom Arbeitskreis Klinische Geriatrie der Ärztekammer Berlin erarbeiteten "Geriatriekonzept Berlin" aus dem Jahr 2010 heißt es ausdrücklich, geriatrische Patienten definierten sich nicht primär über das Lebensalter ("kalendarisches Alter"), sondern über eine charakteristische multifaktorielle Problemkonstellation bei einem gealterten Organismus ("biologisches Alter"). Geriatrische Patienten seien daher entweder definiert durch eine geriatrietypische Multimorbidität und ein höheres Lebensalter (überwiegend 70 Jahre oder älter), wobei die chronische geriatrietypische Multimorbidität vorrangig vor dem kalendarischen Alter zu sehen sei oder durch ein Alter 80+.

Aus all diesen Definitionen wird deutlich, dass die für Geriatriepatienten charakteristische Multimorbidität zwar typischerweise bei deutlich älteren Menschen vorkommt, es aber auch denkbar ist, dass ein jüngerer Patient aufgrund bestimmter Faktoren so stark vorgealtert ist, dass er die Kriterien erfüllt."

Der Senat hält an dieser Auffassung auch weiterhin fest und geht daher davon aus, dass es sich auch dann um einen geriatrischen Patienten handeln kann, wenn dieser – trotz jüngeren Lebensalters – aufgrund einer alterstypischen Multimorbidität biologisch entsprechend vorgealtert ist. Diese Voraussetzungen hat der Versicherte im vorliegenden Fall erfüllt, wie sich aus der Krankenakte und dem Gutachten von Dr. M. vom 12. Dezember 2011 nebst ergänzenden Stellungnahmen ergibt.

Das Gericht durfte die von dem Kläger zur Verfügung gestellten Behandlungsunterlagen, die Grundlage des Sachverständigen-Gutachtens sind, verwerten. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Kläger seine Obliegenheit, die für die Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung erforderlichen Informationen der Beklagten zu übermitteln (§ 301 SGB V), erst mit der Überlassung der Behandlungsunterlagen an das Sozialgericht erfüllt hat. Die Informationsübermittlung vom Krankenhaus an die Krankenkasse korrespondiert mit der Prüfberechtigung der Krankenkasse. Das Krankenhaus hat dementsprechend zutreffend und vollständig alle Angaben zu machen, die zur Überprüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung erforderlich sind. Dabei entspricht es sowohl den gesetzlichen Vorgaben des § 301 SGB V als auch den eigenen Interessen des Krankenhauses, der Krankenkasse die entsprechenden Sachverhalte vollständig und nachvollziehbar mitzuteilen, die es zu seiner Auslegung der Abrechnungsvorschriften veranlasst haben (BSG, Urteil vom 14.10.2014 – B 1 KR 25/13 R – Juris). Vorliegend hätte es indes ergänzender Informationen bedurft, um die Abrechnung der hier streitigen OPS 8-550.1 bei einem nur 53jährigen Versicherten plausibel zu machen. Diese Informationen lagen erst bei Eingang der Krankenakte beim Sozialgericht vor; vorher war der Vergütungsanspruch nicht fällig (vgl. BSG, Urteil vom 21.03.2013 – B 3 KR 28/12 R – Juris).

Der Versicherte war biologisch stark vorgealtert, sodass die Abrechenbarkeit des streitigen OPS keinen Bedenken begegnet. Dr. M. hat hierzu ausgeführt, bei dem Versicherten habe langjährig ein Anfallsleiden aufgrund durchgemachter Meningitis bestanden und er sei mittelgradig intelligenzgemindert. Aufgrund dieser gravierenden Vorerkrankungen und des langjährigen Krankheitsverlaufs sei er psychisch, körperlich und sozial biologisch mehr als zehn Jahre vorgealtert gewesen. Krankheit im Alter mit drohender Pflegebedürftigkeit bedeute meistens, dass eine Akuterkrankung im Alter aufgetreten sei, und zwar auf dem Boden bereits bestehender chronischer Erkrankungen und der nachlassenden Ressourcen des alten Menschen. Genau dieser Prozess habe bei dem Versicherten mehr als zehn Jahre früher als bei anderen Menschen eingesetzt. Die typischen Merkmale von Krankheit im Alter mit Inkontinenz, Instabilität und Stürzen, Inkompetenz und Immobilität seien bei ihm vorhanden gewesen.

Der Senat hält diese Ausführungen für nachvollziehbar und überzeugend und schließt sich ihnen an. Die inhaltlichen und formalen Voraussetzungen der OPS 8-550.1 sind ebenfalls erfüllt, wie Dr. M. bestätigt hat und was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist.

Zu keiner anderen Beurteilung führt der Einwand der Beklagten, dass im Vordergrund der Behandlung die weitere Therapie der subcapitalen Humerusfraktur gestanden habe, wobei es sich um eine Erkrankung handele, die keine geriatrietypische Multimorbidität voraussetze. Vielmehr wird die Notwendigkeit einer geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung typischerweise durch eine Akuterkrankung ausgelöst, die auf dem Boden bereits vorhandener alterstypischer Erkrankungen zu Komplikationen führt. So war es auch hier, denn bei dem Versicherten hatte sich aufgrund des Krampfanfalls mit Rhabdomyolose (Muskelzerfall) ein Immobilisationssyndrom entwickelt, das im Rahmen der geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung therapiert wurde.

Ebenso wenig ergibt sich eine andere Beurteilung daraus, dass im Vergütungssystem für Krankenhausleistungen ein Zusatzentgelt für die Versorgung von Schwerstbehinderten (ZE 2009-36) in Höhe von EUR 1.438 vorgesehen ist, welches das Krankenhaus im vorliegenden Fall auch abgerechnet hat. Ausweislich der zwischen den Beteiligten geltenden Budgetvereinbarung Somatik 2009 hat dieses Zusatzentgelt folgende Voraussetzungen:

1. Vorliegen eines Schwerbehindertenausweises mit einem Grad der Behinderung in Höhe von 100 und den Merkzeichen G und H und 2. Vorliegen einer der folgenden Diagnosen: - F70.1 leichte Intelligenzminderung - F71.1 mittelgradige Intelligenzminderung - F72.1 schwere Intelligenzminderung - F73.1 schwerste Intelligenzminderung - F07.2 organisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma - F06.8 sonstige näher bezeichnete organische psychische Störung - F07.1 postenzephalitisches Syndrom

Hiernach sind die Definitionen eines schwerstbehinderten Patienten und eines geriatrischen Patienten nicht deckungsgleich. Die für das ZE 2009-36 vorausgesetzten Diagnosen (Intelligenzminderung, organisches Psychosyndrom, organische psychische Störung oder postenzephalitisches Syndrom) müssen bei einem älteren Menschen keineswegs vorliegen. Es ist auch nicht erkennbar, dass ein Patient, der unter die Definition des ZE 2009-36 fällt, grundsätzlich und typischerweise von einer geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung profitieren könnte. Unter frührehabilitativen Gesichtspunkten werden Patienten mit geriatrietypischer Multimorbidität, die nach einem Akutereignis (insbesondere Schlaganfall oder hüftnaher Fraktur) längere Zeit bettlägerig waren, behandelt. Längere Bettlägerigkeit führt zu Muskel- und Knochenabbau mit entsprechendem Kräfteverlust, was zur Abnahme der Selbständigkeit und Alltagskompetenz führen kann, z.B. zu bleibender Gangunsicherheit oder gar zur Unfähigkeit, im häuslichen Bereich weiterzuleben. Das multiprofessionell zusammengesetzte und interdisziplinär arbeitende Team der Geriatrie entwickelt für diese Patienten ein ganzheitliches Behandlungskonzept, um die erlittenen Einbußen so weit wie möglich zu beseitigen und dem Patienten die Rückkehr in die gewohnte Lebensumgebung zu ermöglichen (Markus Borchelt, Konstantin Hatzopoulos und Norbert Wrobel, Projekt: Online-Kodierleitfaden Altersmedizin 2008 in: http://www.geriatrie-drg.de/dkger/main/kodierleitfaden-2008.html). Eine derartige Situation liegt in Fällen des ZE 2009-36 nicht bzw. jedenfalls nicht regelhaft vor; vielmehr dient dieses Zusatzentgelt nur der Abgeltung des erhöhten pflegerischen Aufwandes bei dem dort genannten Personenkreis. Auch wenn es – wie hier – Fälle geben mag, in denen beim Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen sowohl eine geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung als auch das ZE 2009-36 abgerechnet werden kann, ist dies jedenfalls nicht der Regelfall und schließt sich demnach gegenseitig nicht aus.

Schließlich führen auch die übrigen Argumente der Beklagten nicht zu einer anderen Beurteilung. Soweit sie darauf verweist, dass nach der Gesetzesbegründung zu § 39 SGB V für die Beurteilung des Rehabilitationsbedarfs neben der Multimorbidität auch das Lebensalter von Bedeutung sei, hat dies mit der Frage der Abrechenbarkeit der OPS 8-550* nichts zu tun. Ebenso wenig können Rückschlüsse daraus gezogen werden, dass für die hausärztliche geriatrische Versorgung ausdrücklich ein Lebensalter ab vollendetem 70. Lebensjahr bestimmt ist, denn die OPS 8-550* enthält eine solche ausdrückliche Altersgrenze gerade nicht. Soweit die Beklagte die Definition der BAR e.V. zitiert, ergibt sich aus dem Zitat selbst, dass Ausnahmen von der Altersgrenze möglich sind.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 12 und 14 des zwischen den Beteiligten geltenden Vertrages nach § 112 SGB V. Der Zinsanspruch ist hier jedoch erst ab 16. September 2011 gegeben, da der Vergütungsanspruch erst mit dem Eingang der Behandlungsunterlagen beim Sozialgericht – am 25. August 2011 – fällig geworden ist.

Der Senat hat die Revision gegen das Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
Saved