L 12 RA 37/96 W 97

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 7 An 3550/92
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 12 RA 37/96 W 97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. März 1996 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin erstrebt die Gewährung eines höheren Altersruhegeldes unter Berücksichtigung einer Beitragszeit von 1940 bis 1943.

Die am ... 1923 in Auschwitz (Oswiecim) geborene Klägerin ist als Verfolgte des Nationalsozialismus anerkannt (Bescheide des Bayerischen Landesentschädigungsamtes vom 24. Mai 1960 bzw. 11. April 1963). Sie lebt seit Juni 1949 in Israel, dessen Staatsangehörigkeit sie seitdem besitzt.

In den wegen einer Entschädigung für durch die nationalsozialistische Verfolgung erlittenen Schaden an Freiheit bzw. an Körper und Gesundheit geführten Verfahren hatte die Klägerin angegeben, von März 1940 bis Februar 1942 im „Ghetto Chrzanow“ der Freiheit beraubt gewesen zu sein, und dazu entsprechende Erklärungen von T. und S. K. vom 2. Juli 1950 vorgelegt. In einem am 31. Dezember 1958 ausgefüllten Fragebogen hatte die Klägerin u.a. angegeben „61 Monate Freiheitsentziehung von 1940 bis 1945 - Zwangsarbeit u. K.Z.“. Sie hatte ferner schriftliche Erklärungen von L. B. und L. L. vom 16. bzw. 30. März 1959 eingereicht. Darin erklärte L. B., dass sie zusammen mit der Klägerin in den ersten Kriegsjahren „Zwangsarbeit und zwar bei Kreisbaumeister K. Landwirtschaftsarbeiten gemacht (habe)“, worunter jene schon damals gesundheitlich gelitten und über Kreuzschmerzen geklagt habe. L. L. erklärte, dass die Gesundheit der Klägerin während des Krieges und der Haft „infolge der schweren Arbeit und der schlechten Ernährung stark gelitten (habe)“. In einem am 12. Juni 1961 in Tel Aviv ausgefüllten Fragebogen hatte die Klägerin angegeben, von 1940 bis 1945 „Zwangsarbeiten in verschiedenen Lagern“ geleistet zu haben. Ein die Klägerin untersuchender Arzt hatte unter dem 1. März 1962 zu ihrer Vorgeschichte berichtet, dass sie bis zu Beginn der Verfolgung bei einer Tante in Chrzanow geblieben und dann ins Ghetto Chrzanow gekommen sei; „Zwangsarbeit bereits im Ghetto bei Tag und bei Nacht, hungerte und wurde geschlagen“.

Mit Bescheid vom 3. April 1991 erkannte die Beklagte der Klägerin ab 1. Dezember 1988 ein Altersruhegeld zu, dessen Berechnung eine Kindererziehungszeit für die Erziehung des am 25. April 1947 in Bayreuth geborenen Sohnes M. und im Übrigen nach Art. 12 der Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit vom 20. November 1978 (DV/DISVA) nachentrichtete freiwillige Beiträge zugrunde lagen; (weitere) Beitragszeiten hatte die Klägerin nicht geltend gemacht. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch nicht ein.

Am 23. Dezember 1991 machte die Klägerin geltend, dass sie in der Verfolgungszeit „von etwa 1940 bis 1943“ im Ghetto Krenau (Chrzanow) inhaftiert gewesen sei und dort auch „Zwangsarbeiten“ habe leisten müssen; diese Zeiten seien als Versicherungszeiten anzurechnen. Im weiteren Verfahren gab sie ergänzend an, von Januar 1940 bis März 1943 in der Gärtnerei K. (oder K. andere Schreibweise) im Ghetto Krenau Feldarbeit geleistet zu haben. Das Arbeitsentgelt sei ihr nicht erinnerlich.

Mit Bescheid vom 1. Juli 1992 lehnte die Beklagte die Anerkennung der geltend gemachten Zeit als Beitragszeit ab, weil nach dem seinerzeit geltenden Recht Versicherungspflicht in der Rentenversicherung nicht bestanden habe oder bestanden hätte und deshalb Beiträge nicht gezahlt worden seien. Außerdem könnten Beitrags- bzw. Beschäftigungszeiten nicht anerkannt werden, weil diese Zeiten weder nachgewiesen noch ausreichend glaubhaft gemacht seien.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 15. September 1992) hat die Klägerin mit einem an die Beklagte gerichteten und dort am 25. September eingegangenen Schriftsatz, der am 4. November 1992 beim Sozialgericht eingegangen ist, Klage erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass sie vom 1. Januar 1940 bis zum 31. März 1943 in der Gärtnerei K. gearbeitet habe. Ihre Arbeit habe aus Gartenarbeiten wie Pflanzen, Einsammeln der Produkte u.a. bestanden. Sie habe als Bezahlung Bargeld erhalten, an dessen Höhe sie sich jedoch heute nicht mehr erinnern könne, und außerdem Obst und Gemüse, je nach Art der Erträge. Diese Arbeit habe sie bis Ende März 1943, als sie ins Lager verschickt worden sei, ausgeübt, und zwar ganztägig. Diese Arbeitseinsätze, die sie im Ghetto Krenau habe verrichten müssen, seien doch durchaus mit einer Dienstverpflichtung vergleichbar, zu der im letzten Kriege hunderttausende von deutschen Staatsangehörigen herangezogen worden seien. Auch dabei habe es sich um versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gehandelt.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 26. März 1996 abgewiesen, da die Voraussetzungen für die Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses in der fraglichen Zeit nicht glaubhaft gemacht seien. Zwar könne davon ausgegangen werden, dass die Klägerin während ihres Aufenthaltes im Ghetto Chrzanow (Krenau) zu Feld- bzw. Landwirtschaftsarbeiten herangezogen worden sei; dies reiche jedoch nicht aus. Sie selbst habe trotz mehrfacher Aufforderung des Gerichts keine näheren Angaben zum Zustandekommen und zur Ausgestaltung des Beschäftigungsverhältnisses gemacht und keine Beweismittel vorgelegt. Da eine der Zeuginnen im Entschädigungsverfahren (L. B.) diese Arbeiten als „Zwangsarbeit“ bezeichnet habe, bedürfe es für die Behauptung der Entgeltlichkeit dieser Beschäftigung weiterer Beweismittel, um - unabhängig vom Grad der Freiwilligkeit dieser Tätigkeit - ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis feststellen zu können.

Gegen das ihr am 26. April 1996 zugestellte Urteil richtet sich die am 27. April 1996 eingelegte Berufung der Klägerin. Zu deren Begründung wiederholt sie im Wesentlichen ihr früheres Vorbringen und weist auf aus ihrer Sicht vergleichbare Fälle und Entscheidungen des Sozialgerichts Düsseldorf bzw. des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen hin. Sie habe für ihre Arbeit ein Arbeitsentgelt erhalten, an dessen Höhe sie sich allerdings heute nicht mehr erinnere. Sie habe sich die Arbeit „in gewisser Hinsicht wählen (können)“, erinnere sich heute aber nicht mehr daran, „wer ihr dann die spezifische Arbeit (gegeben) und sie dorthin (geschickt habe)“.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. März 1996 sowie den Bescheid der Beklagten vom 1. Juli 1992 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 1992 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihren Bescheid vom 3. April 1991 zu ändern und ihr ab 1. Dezember 1988 höheres Altersruhegeld unter Berücksichtigung auch einer Beitragszeit vom 1. Januar 1940 bis 31. März 1943 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,
die sie für unbegründet hält. Ein auf freiwilligem Willensentschluss beruhendes entgeltliches und damit versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis sei auch unter Berücksichtigung der im Wege der Rechtshilfe durchgeführten Zeugenvernehmung nicht glaubhaft gemacht.

Der Internationale Suchdienst hat am 24. Januar 2000 mitgeteilt, dass die Klägerin „seinerzeit bei einer Befragung“ folgende Angaben gemacht habe: „1930 bis 1940 Schule, Auschwitz, Polish, 1940 bis 1942 Auschwitz, Polish, 1942 bis 1943 Arbeiterin, Chrzanow, 1943 bis 1945 Arbeiterin, KZ Bernsdorf.“ sowie „Beschäftigungsort - und art während des Krieges: KZ Groß Rosen, Häftling.“

Ferner hat auf Ersuchen des Senats der Beth Mischpat ha Schalom (Friedensgericht) in Haifa L. B. und L. L. im Wege der Rechtshilfe als Zeuginnen vernommen; wegen des Ergebnisses der Vernehmung wird auf die (Übersetzungen der) Sitzungsniederschriften vom 16. Mai und 1. Juni 2000 verwiesen. Der Beth Mischpat ha Schalom in Tel Aviv hat mitgeteilt, dass der israelische Bevollmächtigte der Klägerin angegeben habe, dass S. K. (geborene Kl.) und T. G. (geborene Kl.) wegen ihres Gesundheitszustandes nicht in der Lage seien, zur Vernehmung zu erscheinen, und aus diesem Grunde das Rechtshilfeersuchen unerledigt zurückgesandt.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Auskunft des Internationalen Suchdienstes vom 24. Januar 2000, die Sitzungsniederschriften des Beth Mischpat ha Schalom Haifa vom 16. Mai und 1. Juni 2000, die die Klägerin betreffende Einheitsakte der Beklagten (Versicherungs-Nr....) und die sie betreffenden Entschädigungsakten des Bayerischen Landesentschädigungsamtes (2 Bände; StNr. 1911230336) verwiesen. Ferner haben dem Senat die Akten des Sozialgerichts Düsseldorf und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in dem Rechtsstreit der Klägerin mit der Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinprovinz (S 14 J 198/86 bzw. L 14 J 118/92) wegen Zahlung einer Witwenrente sowie die Rentenakten der LVA Rheinprovinz über den verstorbenen Ehemann der Klägerin ... vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann ungeachtet des Ausbleibens der Klägerin oder ihres Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung durch Urteil entscheiden, worauf dieser in der Terminsmitteilung hingewiesen worden ist.

Die zulässige (§§ 143, 144 Abs. 1, 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) Berufung ist unbegründet; das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Senat lässt offen, ob der fristgerechten Erhebung der Klage (§ 87 SGG) und damit ihrer Zulässigkeit entgegenstehen könnte, dass sie nicht an das zuständige Sozialgericht, sondern an die Beklagte selbst gerichtet wurde, wo sie innerhalb der Klagefrist einging. § 91 SGG lässt sich nicht ohne weiteres entnehmen, dass auch der Eingang einer nicht an das zuständige Sozialgericht, sondern an den Versicherungsträger gerichteten Klage bei diesem für die Wahrung der Klagefrist ausreicht. Jedenfalls ist die Klage in der Sache unbegründet.

Die Klage richtet sich richtigerweise dagegen, dass die Beklagte zumindest stillschweigend abgelehnt hat, ihren (Renten-)Bescheid vom 3. April 1991 entsprechend § 44 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB X) zu ändern und die Rente unter Berücksichtigung der jetzt geltend gemachten Beitragszeit neu festzustellen. Nachdem der Klägerin eine Rente zuerkannt worden ist, ist für ein Anerkennungs- oder Vormerkungsverfahren oder für die Herstellung einer Versicherungsunterlage kein Raum mehr, sondern im „Zugunstenverfahren“ zu klären, ob ihr eine höhere Rente zusteht. Dies ist nicht der Fall. Die Beklagte hat bei der Zuerkennung der Rente durch den Rentenbescheid vom 3. April 1991 weder das Recht unrichtig angewandt, noch ist sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Die von der Klägerin behauptete Beitragszeit (nach der Eingliederung auch Chrzanows in das Deutsche Reich eine reichsrechtliche Zeit) ist weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht.

Zum Nachweis der behaupteten Beitragszeit geeignete Versicherungsunterlagen oder andere beweiskräftige Urkunden sind nicht vorhanden. Freilich genügt nach § 1 Abs. 1 der hier noch anwendbaren Versicherungsunterlagen-Verordnung (VuVO) - an dessen Stelle ab dem 1. Januar 1992 der eine entsprechende Regelung treffende § 286 a des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB VI) getreten ist - für die Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen, zu deren Nachweis die Versicherungsunterlagen dienen, dass diese Tatsachen glaubhaft gemacht sind. Dass die Voraussetzungen, unter denen nach § 1 Abs. 1 VuVO die Glaubhaftmachung ausreicht, erfüllt sind, ist hier ohne weiteres zu unterstellen. Das Kartenlager der Landesversicherungsanstalt Schlesien ist vollständig vernichtet. Zumindest überwiegend wahrscheinlich ist auch, dass eine nicht zur Aufrechnung gelangte Quittungskarte - sofern nicht (aus Verfolgungsgründen) überhaupt keine Karte ausgestellt worden sein sollte - beim Arbeitgeber oder der Klägerin oder auf dem Weg zum Versicherungsträger zerstört, verloren gegangen oder unbrauchbar geworden wäre.

Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache nach § 10 Abs. 1 VuVO dann, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Eine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ muss nicht bestehen; gewisse noch verbleibende - auch durchaus „vernünftige“ - Zweifel sind unschädlich. Zur Glaubhaftmachung ist jedoch nicht die „bloße“ Möglichkeit ausreichend, dass sich der fragliche Vorgang wie behauptet zugetragen hat (BSG, Urteil vom 28. November 1957 - 4 RJ 186/56 -, BSGE 6, 142 [144]; Beschluss vom 13. Oktober 1958 - 10 RV 759/56 -, BSGE 8, 159 [160] sowie Urteile vom 11. März 1959 - 1 RA 11/58 -, BSGE 9, 209 [211] und vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 42/80 -, SozR 5070 § 3 Nr. 1). Es muss vielmehr mehr für als gegen den behaupteten Sachverhalt sprechen. Ist weder das Vorliegen noch das Nichtvorliegen einer Tatsche überwiegend wahrscheinlich, ist nicht etwa im Zweifel zugunsten des Anspruchstellers zu entscheiden (BSG, Beschluss vom 4. Juni 1975 - 11 BA 4/75 -, BSGE 40, 40 [42]).

Wie der Senat bereits wiederholt entschieden hat, setzt die Glaubhaftmachung gerade bei lang zurückliegenden Sachverhalten, bezüglich derer sonstige Erkenntnisquellen weitgehend fehlen, zunächst eine in sich stimmige Schilderung der glaubhaft zu machenden Tatsachen durch den Betroffenen selbst voraus. Auch wenn mit Rücksicht auf den Zeitablauf keine übertriebenen Anforderungen an Genauigkeit und Vollständigkeit zu stellen sind, ist gleichwohl erforderlich, dass die Angaben im Wesentlichen widerspruchsfrei sind, bezüglich offensichtlich erheblicher und aufgrund anderer Umstände bekannter Tatsachen keine groben Auslassungen enthalten und den zeitlichen Ablauf der behaupteten Vorgänge im Großen und Ganzen zutreffend wiedergeben. Dabei sind nicht nur die Angaben des Betroffenen im jeweiligen Verfahren, sondern auch seine Erklärungen in anderen Verfahren oder auch außerhalb eines Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens zu berücksichtigen. Im Grunde erst dann stellt sich die Frage der Glaubhaftmachung des vorgetragenen Sachverhalts durch dazu geeignete Mittel.

Nach § 1226 Satz 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO [in der seinerzeit geltenden Fassung]) wurden u.a. „Arbeiter“ versichert, sofern sie gegen Entgelt (§ 160 RVO) beschäftigt wurden. Voraussetzung für den Eintritt der Versicherungspflicht und das Zustandekommen eines Versicherungsverhältnisses war das Bestehen eines dem Austausch wirtschaftlicher Werte dienenden, durch jeweils eigene - „freiwillige“ - Entschlüsse der daran Beteiligten (Arbeitgeber und Arbeitnehmer) begründeten Beschäftigungsverhältnisses. Für die Frage, ob eine nach diesen Kriterien rentenversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt oder nicht, sind die Beweggründe, die jemanden zur Aufnahme der Beschäftigung veranlassen, ohne Bedeutung. Ebensowenig steht der Annahme einer „freiwilligen“ Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses entgegen, dass eine Person zwangsweise ortsgebunden ist, namentlich sich in einem Ghetto aufhalten muss oder anderen Freiheitsbeschränkungen unterliegt. Kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis, sondern nicht versicherte Zwangsarbeit liegt demgegenüber vor, wenn die Arbeit unter obrigkeitlichem bzw. gesetzlichem Zwang verrichtet wird, wie beispielsweise in Zwangsarbeits- oder Konzentrationslagern (dazu näher die sog. „Ghetto-Urteile“ des BSG vom 18. Juni 1997 - 5 RJ 66/95 -, BSGE 80, 250 [255] = SozR 3-2200 § 1248 Nr. 15 und - 5 RJ 68/95 -, vom 14. Juli 1999 - B 13 RJ 61/98 R und 71/98 R - sowie vom 21. April 1999 - B 5 RJ 48/98 R -). Es ist nicht schlechthin ausgeschlossen und wird von der Beklagten zu Recht auch nicht grundsätzlich infrage gestellt, dass nach der Eingliederung polnischer Gebiete, insbesondere Ost-Oberschlesiens in das Deutsche Reich im Oktober 1939 und der Einführung der reichsrechtlichen Vorschriften über die Sozialversicherung mit Wirkung ab 1. Januar 1940 durch die Verordnung über die Einführung der Reichsversicherung in den in die Provinz Schlesien eingegliederten ehemals polnischen Gebieten vom 16. Januar 1940 (sog. Schlesien-Verordnung) Juden dort nach den zuvor genannten Kriterien versicherungspflichtigen Beschäftigungen (weiterhin) nachgingen oder solche aufnahmen. Ebenso gewiss ist freilich andererseits - wie auch die Angaben der Klägerin selbst belegen - dass gerade Juden (aber womöglich auch andere Polen) zu bestimmten, insbesondere niedrigen bzw. erniedrigenden Arbeiten gezwungen wurden, für die sie auch kein Entgelt erhielten. Unter diesen Umständen folgt aus der Verrichtung einer Arbeit allein nicht zwangsläufig, dass ihr ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zugrunde lag. Dies ist vielmehr im Einzelfall glaubhaft zu machen (BSG, Urteil vom 21. April 1999 - B 5 RJ 48/98 R -), und zwar unabhängig davon, ob sich der Betroffene zu dieser Zeit in einem (geschlossenen) Ghetto aufhalten musste oder nicht.

Dass die Klägerin „freiwillig“ aus eigenem Willensentschluss ein derartiges Beschäftigungsverhältnis eingegangen ist, wofür sie ein Entgelt erhielt, ist nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht überwiegend wahrscheinlich. Sie selbst hat trotz ausdrücklicher Aufforderung sowohl durch das Sozialgericht wie auch durch den Senat nicht geschildert (oder nicht schildern können), wie das „Beschäftigungsverhältnis“ zustande kam und wie es im Einzelnen ausgestaltet war. Auch die im Wege der Rechtshilfe vernommenen Zeuginnen haben dazu nichts Näheres bekunden können. L. L. konnte sich lediglich erinnern, dass die Klägerin Gartenarbeiten verrichtete, aber nicht an weitere Einzelheiten. L. B. hat ausgesagt, dass die Klägerin Erdarbeiten bzw. landwirtschaftliche Arbeiten verrichtet habe, wobei es sich um „Zwangsarbeit“ gehandelt habe. Bei der Arbeit, für die sie keinen Lohn erhalten hätten, seien sie bewacht worden. Die Richtigkeit dieser Schilderung zieht die Klägerin selbst nicht in Zweifel. Aber auch wenn Zweifel insbesondere an der Bewertung der Arbeit als „Zwangsarbeit“ veranlasst wären, wäre dadurch nicht das Gegenteil überwiegend wahrscheinlich.

Weitere Ermittlungsmöglichkeiten bestehen nicht. Es kann dahinstehen, ob die Klägerin durch ihren israelischen Bevollmächtigten die Vernehmung zweier weiterer Zeuginnen, deren Anschriften schließlich ermittelt werden konnten, vereitelt hat. Jedenfalls sind diese Zeuginnen für das Gericht nicht mehr erreichbar, nachdem das um Rechtshilfe ersuchte israelische Gericht von deren Vernehmung Abstand genommen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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