L 11 KA 50/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 26 KA 269/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 50/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 6/04 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 26.03.2002 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Kläger haben die außergerichtlichen Kosten der Beklagten für beide Rechtszüge zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über sachlich-rechnerische Berichtigungen im Quartal I/2000 bei Anästhesie-Leistungen im Zusammenhang mit ambulanten Katarakt-Operationen. Die Kläger sind als Augenärzte in C niedergelassen, zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und führen seit Jahren ambulante Katarakt-Operationen durch. Sie nehmen am Strukturvertrag nach § 73 a SGB V zur Förderung ambulanter krankenhausersetzender Operationen zwischen der Beklagten und den Landesverbänden der Krankenkassen teil (Strukturvertrag) und rechnen ihre Leistungen nach den dort beschriebenen Symbolnummern (SNR) ab. Für Anästhesien ziehen sie die niedergelassene Anästhesistin und Vertragsärztin Frau Dr. L hinzu, die nicht am Strukturvertrag teilnimmt. Der Ablauf ist folgender: Nach den Narkoseprotokollen von Frau Dr. L nimmt diese eine intravenöse Narkose (Infusion eines Schlaf- und Schmerzmittels) und anschließend eine Maskennarkose (Zuführung von Sauerstoff und Lachgas) vor, die sie nach den Nrn. 461 und 462 EBM abgerechnet hat. In der Wirkung dieser Narkose setzen die Kläger eine retrobulbäre Anästhesie des Ganglions an der Hirnbasis, die die Hirnnerven 3 bis 6 ausschaltet und der Aufhebung der Schmerzempfindlichkeit des Augapfels dient (Nr. 452 EBM bzw. SNR 1352 A) und eine Leitungsanästhesie in der Nähe des Kiefergelenkes für die Aufhebung der Lidbeweglichkeit (Nr. 451 EBM bzw. SNR 1353 A).

Mit Frau Dr. L ist ein Rechtsstreit darüber anhängig, ob diese für die von ihr durchgeführte Maskennarkose die Nr. 462 EBM abrechnen kann; die Beklagte hat diese Leistung in die Nr. 461 EBM umgewandelt.

Mit Bescheid vom 26.07.2000 und Widerspruchsbescheid vom 11.10.2000 setzte die Beklagte für das streitige Quartal I/2000 jeweils sechs Mal die Nrn. 451 und 452 EBM bei sonstigen Kostenträgern und drei Mal die SNR 1352 A und 408 Mal die 1353 A für gesetzliche Krankenkassen ab. Zur Begründung führte sie aus, bei primärer Anwendung mehrerer Anästhesie- und/oder Narkoseverfahren nebeneinander sei nur die höchstbewertete Leistung berechnungsfähig, sofern die unterschiedlichen Verfahren die Anästhesie in demselben Versorgungsbereich zum Ziel hätten. Da die Anästhesien durch die zugezogene Anästhesistin durchgeführt und abgerechnet worden seien, könnten die streitigen Gebührennummern und Symbolnummern nicht zusätzlich abgerechnet werden.

Hiergegen haben die Kläger Klage erhoben. Sie haben die Auffassung vertreten, die durch die Anästhesistin verabreichte intravenöse Kurznarkose sei aus formalen Gründen zusätzlich abrechenbar. Vertragspartner des Strukturvertrages seien nur die Kläger, die Anästhesistin habe sich diesem Vertrag nicht angeschlossen und sei demnach an die Abrechnungsbeschränkungen des Vertrages nicht gebunden. Durch die mehreren Anästhesien seien unterschiedliche Versorgungsbereiche betroffen. Zielgebiet der intravenös verabreichten Narkotica und der Maskennarkose sei das Gehirn, um das Bewusstsein der jeweiligen Patienten für eine Dauer von drei bis vier Minuten auszuschalten. Die von den Klägern danach ausgeführten Anästhesien dienten der Aufhebung der Schmerzempfindlichkeit des Augapfels und dem Erreichen der Bewegungslosigkeit der Lider, beträfen also unterschiedliche Versorgungsbereiche.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26.07.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2000 zu verurteilen, die ihnen im Quartal I/2000 abgesetzten Leistungen nach den Nrn. 451 und 452 EBM und den SNRn 1352 A und 1353 A nachzuvergüten.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ursache für die Absetzung der von den Klägern erbrachten Anästhesien sei die Tatsache, dass auch die Anästhesistin Dr. L eine Anästhesie für dieselben Patienten abgerechnet habe. Für die Abrechnung mehrerer Anästhesien bzw. Narkoseverfahren hintereinander enthalte der EBM im Vorspann des Kapitels D eine Regelung, nach der nur die höchstbewertete Leistung berechnungsfähig sei. Selbst die Frau Dr. L nach sachlich-rechnerischer Richtigstellung zugebilligte Abrechnung der Nr. 461 EBM stehe der Abrechnung der von den Klägern erbrachten Anästhesien entgegen, weil die Nr. 461 mit 350 Punkten höher bewertet sei als die Nrn. 451 und 452 EBM bzw. die entsprechenden Symbolnummern.

Mit Urteil vom 26.03.2002 hat das Sozialgericht Dortmund die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die Kläger hätten den Leistungsinhalt der Nrn. 451 und 452 EBM sowie der Symbolnummern 1352 A und 1353 A im Rahmen ihrer Teilnahme am Strukturvertrag vollständig erbracht. Mit der Vergütung ihrer Leistungen seien sämtliche Leistungen im Zusammenhang mit den jeweiligen ambulanten Operationen abgegolten. Mit der Abrechnung der Operations- und Anästhesieleistungen durch den an dem Strukturvertrag teilnehmenden Vertragsarzt komme eine gesonderte Berechnung von Einzelleistungen durch eine hinzugezogene Anästhesistin nicht in Betracht. Mit der Vergütung der Leistungen nach dem Strukturvertrag seien alle im Zusammenhang mit den ambulanten Operationen stehenden Leistungen abgegolten (§ 7 Abs. 4 des Strukturvertrages). Von daher dürfte die nicht an dem Strukturvertrag teilnehmende Anästhesistin Dr. L lediglich im Innenverhältnis von den Klägern eine Vergütung ihrer Tätigkeit verlangen können, was aber nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sei. Der Anwendung der Höchstbewertungsregelung in Kapitel D des EBM sei im Rahmen der Leistungserbringung nach dem Strukturvertrag die Grundlage entzogen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie macht geltend, mit der Regelung des § 7 Abs. 4 des Strukturvertrages sei lediglich ausgesagt, dass der nach dem Strukturvertrag abrechnende Arzt nur die in Anlage 1 vorgesehenen SNR und nicht zusätzliche EBM-Positionen abrechnen könne. Nicht gemeint sei mit dieser Formulierung, dass auch andere Ärzte keine zusätzlichen Leistungen mehr abrechnen könnten. Auch andere Ärzte, wie der Hausarzt im Vorfeld von Operationen, erbrächten präoperative Leistungen, die selbstverständlich nach dem EBM abgerechnet werden könnten. Leistungen nach dem Strukturvertrag könnten nur Ärzte abrechnen, die auch die Voraussetzungen zur Teilnahme am Strukturvertrag erfüllten. Gegen die Richtigkeit der vom SG vertretenen Auffassung spreche auch der Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung. Danach sei es dem Operateur grundsätzlich untersagt, Anästhesien abzurechnen, die nicht er, sondern ein hinzugezogener Anästhesist erbracht habe. Frau Dr. L habe den Leistungsinhalt einer gegenüber den von den Klägern erbrachten Anästhesie höherbewerteten Leistungen vollständig erbracht und damit einen entsprechenden eigenen Vergütungsanspruch erworben. Wenn sich dieser Vergütungsanspruch von Frau Dr. L gegen die Kläger richten würde, müssten die Kläger die Differenz zwischen der Anästhesie, die sie vergütet erhielten und dem Vergütungsanspruch von Frau Dr. L auf die höher bewertete Anästhesie aus ihrem Honoraranspruch für die Operation ausgleichen, was von den Klägern nicht gewollt sei. Die von den Klägern erbrachten Retrobulbäranästhesien nach den Nrn. 451 und 452 EBM bzw. den entsprechenden SRNrn. 1352 bzw. 1353 A seien jedenfalls niedriger bewertet als die der Anästhesistin Frau Dr. L zugestandenen Nrn. 461 EBM, so dass die Beklagte entsprechend der Präambel des Kapitels D EBM nur die höchstbewertete Anästhesie-/Narkoseleistung nach der Nr. 461 EBM vergüten brauche und zu Recht die von den Klägern für die Narkosen abgerechneten Gebührenpositionen abgesetzt habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 26.03.2002 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie befürchten, die Beklagte mache allen behandelnden Ärzte die Vergütung der Anästhesie streitig. Die ihnen gegenüber ausgesprochene Honorarberichtigung sei jedenfalls rechtswidrig, weil die durchgeführten Anästhesien andere Versorgungsbereiche beträfen, nämlich Aufhebung der Schmerzempfindlichkeit des Augapfels und Herbeiführung der Bewegungslosigkeit der Lider.

Weitere Einzelheiten, auch des Vorbringens der Beteiligten, ergeben sich aus den Prozessakten und den Verwaltungsakten der Beklagten, auf die Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 26.03.2002 ist statthaft, zulässig und begründet.

Die Kläger sind durch die angefochtenen Bescheide der Beklagten nicht beschwert, denn diese sind rechtmäßig. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Vergütung der von ihnen erbrachten Anästhesien nach den Nrn. 451/452 EBM und den SRNrn. 1352 A und 1353 A.

Der Senat folgt nicht der im angefochtenen Urteil vertretenen Rechtsauffassung, die Kläger hätten im Rahmen ihrer Teilnahme am Strukturvertrag Anspruch auf Vergütung aller im Rahmen der ambulanten Katarakt-Operationen erbrachten Anästhesieleistungen, also auch der intravenösen Narkose und der Maskennarkose, die die hinzugezogene Anästhesistin Dr. L unstreitig erbracht hat. Die vom Sozialgericht bezogene Vorschrift des § 7 Abs. 4 des Strukturvertrages schließt nicht die Abrechnung von persönlich erbrachten Leistungen anderer Vertragsärzte aus, die diese im Vorfeld, bei der ambulanten Operation oder im Rahmen der Nachbehandlung erbracht haben. Das ist nicht der Regelungsgegenstand des Strukturvertrages. Er begründet Rechte und Pflichten nur für die daran teilnehmenden Vertragsärzte, § 3 des Strukturvertrages. Zwar können auch niedergelassene Anästhesisten daran teilnehmen (§ 3 Abs. 2 des Strukturvertrages), dies trifft für Frau Dr. L nach den Feststellungen des Senates aber nicht zu. Demnach kann die Regelung des § 7 Abs. 4 des Strukturvertrages nicht die Abrechnung von Leistungen anderer Vertragsärzte ausschließen; insofern würde es sich um einen (unzulässigen) Vertrag zu Lasten Dritter handeln. In der Sache ist die von der Beklagten vorgenommene Honorarberichtigung nicht zu beanstanden. Gemäß dem 2. Absatz der Präambel des Kapitels D "Anästhesien/Narkosen" des EBM ist bei primärer Anwendung mehrerer Anästhesie- und/oder Narkoseverfahren nebeneinander nur die höchstbewertete Leistung berechnungsfähig, sofern die unterschiedlichen Verfahren die Anaegesie in demselben Versorgungsbereich zum Ziel haben. Diese Regelung gilt selbstverständlich nicht nur bei der Erbringung mehrerer Anästhesien durch einen Vertragsarzt, sondern auch bei arbeitsteiliger Hinzuziehung weiterer Vertragsärzte, hier Anästhesisten zu ambulanten Operationen. Nach Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der sich der Senat nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage anschließt, sind Vergütungstatbestände entsprechend ihrem Wortlaut auszulegen und anzuwenden. Nur der Wortsinn ist maßgebend und kann nur in engen Grenzen durch eine systematische und/oder entstehungsgeschichtliche Interpretation ergänzt werden. Die damit einhergehende Einschränkung der gerichtlichen Überprüfbarkeit beruht auf der vertraglichen Struktur der Vergütungsregelungen und der Art ihres Zustandekommens. Bei diesen handelt es sich um untergesetzliche Rechtsnormen in Form von Normsetzungsverträgen (BSGE 83, 218, 219 m. w. N.). Die Bestimmungen des EBM werden durch den sachkundig mit Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen besetzten Bewertungsausschuss beschlossen und durch weitere Regelungen ergänzt, die zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vereinbart werden. Der vertragliche Charakter der Vergütungstatbestände soll gewährleisten, dass die unterschiedlichen Interesse der an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligten Gruppen zum Ausgleich kommen und eine sachgerechte inhaltliche Beschreibung und Bewertung der ärztlichen Leistungen erreicht wird. Unter Anwendung dieser Auslegungskriterien ergibt sich, dass die Abrechnung der Nrn. 451 und/oder 452 EBM neben der von der Anästhesistin Frau Dr. L erbrachten und abgerechneten Maskennarkose und/oder Infusionsnarkose nach Nrn. 462 und/oder 461 EBM unzulässig ist. Unbeschadet des Ausgangs des Rechtsstreits zwischen der Beklagten und Frau Dr. L über die Abrechnungsmöglichkeit der Nrn. 462 neben der Nr. 461 EBM ist auf jeden Fall die Nr. 461 EBM mit 350 Punkten höher bewertet als die Nrn. 451 und 452 EBM mit je 150 bzw. 250 Punkten. Es bedarf keiner näheren Begründung, dass die Regelung des Abs. 2 der Präambel zum Kapitel D auch bei Verteilung der Leistungserbringung der verschiedenen Anästhesien auf mehrere Ärzte gilt.

Die von Frau Dr. L und den Klägern primär angewendeten mehreren Anästhesien- und Narkoseverfahren dienten auch demselben Versorgungsbereich. Darunter versteht man die von vornherein geplante Anwendung mehrerer Verfahren für die Bewusstseins- bzw. Schmerzausschaltung (Wezel/Lieboldt, Handkommentar BMÄ, E-GO, GOÄ, 2003). Die von Frau Dr. L durchgeführte intravenöse Narkose und anschließende Kombinationsnarkose mit Maske haben allein den Zweck, durch Ausschaltung des Bewusstseins und Aufhebung der Schmerzempfindlichkeit die anschließend von den Klägern durchgeführten Injektionen zu ermöglichen, nämlich einmal die Injektion in der Nähe des Kiefergelenks und die Injektion am unteren knöchernden Orbita. Dass die Infusionsnarkose und die Kombinationsnarkose mit Maske dabei generell wirken, und nicht nur an den von den Klägern beschriebenen Injektionsorten, verändert nicht den Versorgungsbereich im Sinne des Abschnitts 2 der Präambel. Es kommt auch nicht darauf an, dass die Kläger die von ihnen beschriebene retrobulbäre Anästhesie des Ganglions an der Hirnbasis und die Leitungsanästhesie zur Herbeiführung der Bewegungslosigkeit der Lider an verschiedenen Injektionsorten setzen. Falls insofern andere Versorgungsbereiche vorliegen sollten, ist dies unerheblich, denn die Nebeneinanderabrechnung der Nrn. 451 und 452 EBM durch die Kläger ist nicht im Streit.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 und 193 SGG in der Fassung bis zum 01.01.2002.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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