L 9 KR 2/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 75 KR 57/99
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 2/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. September 2000 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Kostenerstattung für eine im Jahre 1998 durchgeführte ambulante medizinische Rehabilitationsmaßnahme.

Die im Jahre 1934 geborenen Kläger sind Eheleute, sie leiden seit mehreren Jahren an verschiedenen orthopädischen Beschwerdebildern. Seit dem Ende der siebziger Jahre zumindest leidet die Klägerin an chronischen Lendenwirbelsäulenproblemen und nahm deshalb in den Jahren 1979, 1981 und 1983 an Rehabilitationsmaßnahmen teil. Nachdem die Gelenkbeschwerden seit 1998 wieder zugenommen hatten, wurden gleichwohl an ihrem Wohnort keine weiteren Therapiemaßnahmen durchgeführt, da die Klägerin Medikamente wie etwa Voltaren nicht verträgt und ihr balneopysikalische Behandlungsmaßnahmen nicht sinnvoll erschienen. Der Kläger leidet seit seiner Jugend an rezidivierenden Lumboischialgien und seit 1991 an Gonalgien. Außerdem bestehen bei ihm jedenfalls seit dem Jahr 1992 Knieschädigungen. Er wurde deshalb mit dem Medikament Diclofenac 50 behandelt.

Am 24. August 1998 verordnete der behandelnde Arzt für Innere Medizin Dr. R den Klägern jeweils Rehabilitationsmaßnahmen mit einer Kurdauer von drei Wochen am Kurort B. Für die Klägerin gab er als Diagnosen „Polyarthrosen, Wirbelsäulen-Syndrom“ und für den Kläger „Wirbelsäulen-Syndrom, Gonalgien und rezidivierende Lumboischialgien“ an. Am 31. August 1998 beantragten die Kläger bei der Beklagten die verordnete Rehabilitationsmaßnahme. Nachdem am 7. September 1998 (für den Kläger) und 14. September 1998 (für die Klägerin) Stellungnahmen des behandelnden Arztes Dr. R bei der Beklagten eingegangen waren, erhielt diese am 17. September 1998 eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin e.V. (MDK), in der die Rehabilitationsmaßnahme nicht befürwortet wurde, weil aus den Unterlagen nicht ersichtlich sei, welche Therapie vor der Rehabilitationsmaßnahme versucht worden sei. Mit Bescheiden vom 21. September 1998 lehnte daraufhin die Beklagte nach vorangegangener telefonischer Ablehnung die Gewährung einer ambulanten Vorsorgekur der beantragten Art mit der Begründung ab, es seien nicht alle Therapiemöglichkeiten ambulant am Wohnort ausgeschöpft worden.

Am selben Tag, dem 21. September 1998, traten die Kläger den bereits vor Antragstellung gebuchten Kuraufenthalt in B an, der bis zum 16. Oktober 1998 andauerte. Hierbei fielen für die Klägerin insgesamt 458,00 DM an Kosten für 12 Massagen und 10 Bewegungsbäder an sowie für den Kläger 308,00 DM für sechs Massagen und 10 Bewegungsbäder. Diese waren den Klägern auf Privatrezept verordnet worden und ergänzten die von der Beklagten am Kurort im Wege der Sachleistung erbachte Versorgung der Kläger mit Medikamenten und Fangopackungen. Diese teils privat- und teils kassenärztliche Versorgungspraxis beruhte nach Angaben der Kläger auf einer Absprache der am Ort ansässigen Ärzte.

Am 20. Oktober 1998 legten die Kläger gegen die Bescheide vom 21. September 1998 Widerspruch ein. Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte eine Stellungnahme des Dr. R vom 12. Dezember 1998 sowie eine am 27. Januar 1999 eingegangene Stellungnahme des Arztes für Chirurgie Dr. B ein.

Am 30. Januar 1999 haben die Kläger bei dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben mit dem Ziel, eine Erstattung der vorgenannten Kosten sowie jeweils einen Kurkostenzuschuss in Höhe von 315,00 DM pro Person zu erhalten. Erst nach Klageerhebung hat die Beklagte die Widersprüche jeweils mit Widerspruchsbescheiden vom 30. März 1999 zurückgewiesen: In B habe ein reichhaltiges Behandlungsangebot zur Verfügung gestanden, welches die Kläger vorrangig hätten ausschöpfen müssen.

Das Sozialgericht Berlin hat Befundberichte Dr. B sowie Dr. R eingeholt. Am 15. Mai 2000 hat der Arzt für Orthopädie und Rheumatologie Prof. Dr. Sp ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet. Darin hat er u.a. ausgeführt, es könne nicht beantwortet werden, ob ortsständige Maßnahmen ausgereicht hätten.

Durch Urteil vom 8. September 2000 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Die Voraussetzungen des allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V) seien nicht erfüllt. Weder habe eine unaufschiebbare Leistung vorgelegen, noch habe die Beklagte die Leistung zu Unrecht abgelehnt. Nach § 40 Abs. 1 SGB V könne eine Rehabilitationsmaßnahme nur dann gewährt werden, wenn bei den Versicherten eine ambulante Krankenbehandlung nicht ausgereicht habe. Vorliegend sei nicht feststellbar, dass eine ambulante Krankenbehandlung in B nicht ausgereicht habe. Die Nichterweislichkeit dieser Tatsache gehe zum Nachteil der Kläger, zumal diese die Rehabilitationsmaßnahme erst am 31. August 1998 bei der Beklagten beantragt und zugleich drei Wochen später die Kur angetreten hätten.

Gegen dieses ihnen am 30. Dezember 2000 zugestellte Urteil haben die Kläger am 8. Januar 2001 Berufung zum Landessozialgericht Berlin eingelegt. Sie halten die Argumentation des Sozialgerichts, insbesondere soweit sie sich auf die Nichterweislichkeit der Tatsachen beziehe, für rechtsfehlerhaft. Vor diesem Hintergrund seien auch die gewählten Beweisfragen an den Sachverständigen nicht nachvollziehbar.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. September 2000 sowie die Bescheide der Beklagten vom 21. September 1998 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 30. März 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihnen die Kosten für die in der Zeit vom 21. September bis zum 16. Oktober 1998 in B durchgeführten Massagen und Bewegungsbäder zu erstatten sowie den Kurkostenzuschuss zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung, insbesondere auch hinsichtlich der Bewertung der materiellen Beweislast, für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, welche im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Zwar bedarf die Berufung der - vorliegend durch das Sozialgericht nicht ausgesprochenen - Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 1.000,00 DM nicht übersteigt. Vorliegend bewegen sich zwar die Beschwerdegegenstände hinsichtlich der beiden Kläger jeweils unterhalb dieser Grenze, weil sowohl die Behandlungskosten als auch der Kurkostenzuschuss zusammengenommen jeweils den Betrag von 1.000,00 DM nicht übersteigen. Jedoch ist der Beschwerdewert beider Kläger zusammenzurechnen, weil sie als Streitgenossen gemeinsam Klage erhoben haben und das Sozialgericht über diese Klagen auch durch ein Urteil entschieden hat; in diesen Fällen ist der Beschwerdewert aller Streitgenossen zusammenzurechnen (Meyer-Ladewig, SGG, § 144 Rdnr. 17).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzten die Kläger nicht in ihren Rechten, weil die geltend gemachten Ansprüche nicht bestehen.

Als Rechtsgrundlage für den Kostenerstattungsanspruch kam allein § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Nach dieser Vorschrift hat die Krankenkasse Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Die erste Alternative - die Unaufschiebbarkeit der Leistung - ist vorliegend schon deswegen nicht erfüllt, weil die Erkrankung der Kläger bereits längere Zeit angedauert hatte und in dieser Zeit jedenfalls nicht intensiv therapiert worden war. Es ist weder von den Klägern geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich, dass im vorliegenden Fall eine besondere Dringlichkeit bestand, die die Leistungsgewährung unaufschiebbar gemacht hätte.

Auch die zweite Alternative dieser Vorschrift - die unrechtmäßige Ablehnung einer Leistung und die darauf beruhende Kostenverursachung - ist nicht erfüllt. Abgesehen davon, dass alles für die Richtigkeit der Einschätzung des Sozialgerichts spricht, wonach die Ablehnung der Kurgewährung nicht zu Unrecht erfolgte, fehlt es jedenfalls an der Kausalität zwischen der Ablehnung einerseits und der Entstehung der Behandlungskosten andererseits, weil die Kläger die Leistung - die ambulanten Rehabilitationsmaßnahmen in B - in Anspruch genommen haben, ohne die - im Ergebnis dann ablehnende - Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten. Zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand der rechtswidrigen Ablehnung einer Leistung und dem Nachteil des Versicherten muss ein Kausalzusammenhang bestehen, ohne den ein Kostenerstattungsanspruch nicht an die Stelle eines Sachleistungsanspruchs treten kann. Dies bedeutet, dass Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung nur zu ersetzen sind, wenn die Krankenkasse die Leistungsgewährung vorher abgelehnt hatte. Ein Kausalzusammenhang und damit eine Kostenerstattung scheiden aus, wenn der Versicherte sich die streitige Behandlung außerhalb des vorgeschriebenen Beschaffungsweges selbst besorgt, ohne sich vorher mit seiner Krankenkasse ins Benehmen zu setzen und deren Entscheidung abzuwarten. Erst die Weigerung der Krankenkasse gibt dem Versicherten das Recht, sich die benötigte Behandlung selbst zu beschaffen und die Erstattung der dafür aufgewendeten Kosten zu verlangen. An dieser Kausalbeziehung zwischen Ablehnung und Selbstbeschaffung der Leistung fehlt es vorliegend. Zwar haben die Kläger die Kurgewährung noch vor Beginn der Maßnahme beantragt, sie haben aber mit der Maßnahme begonnen, ohne die Ablehnungsbescheide der Beklagten abzuwarten. Die Ablehnungsbescheide sind am 21. September 1998 erlassen worden, am selben Tag begannen die Kläger bereits mit ihrer ambulanten Rehabilitation in B. Zwar kann nicht mehr festgestellt werden, wann die Ablehnungsbescheide den Klägern zugegangen sind, doch jedenfalls erfolgte der Zugang und damit auch die Bekanntgabe der Bescheide erst nach Beginn der Rehabilitationsmaßnahme. Selbst wenn die Bescheide noch am Tag ihres Erlasses - dem 21. September 1998 - in den Verantwortungsbereich der Kläger gelangt sein sollten, wäre diese Bekanntgabe erst nach der bereits am selben Morgen begonnenen Rehabilitationsmaßnahme erfolgt. Schon dieser zeitliche Zusammenhang - die Inanspruchnahme der Leistung vor wirksamer Beantragung bei der Beklagten - zerstört den Kausalzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Kostenentstehung. Hieran ändert sich auch nichts durch die schon vor Reiseantritt erfolgte telefonische Ablehnung, denn die Kläger hatten den Kuraufenthalt schon vor Durchführung des Verwaltungsverfahrens bei der Beklagten gebucht und dadurch ihre Entschlossenheit zur Durchführung der Maßnahme unabhängig von einer Entscheidung der Beklagten dokumentiert.

Dieser Einschätzung steht auch nicht entgegen, dass die Rehabilitationsmaßnahme noch bis zum 16. Oktober 1998 andauerte und damit teilweise zeitlich nach den Ablehnungsbescheiden vom 21. September 1998 erfolgte, denn für beide Kläger war die Rehabilitationsmaßnahme von Anfang an als Behandlungseinheit konzipiert, auf die sich die Ablehnung der Leistung insgesamt erstreckte und die auch aus Sicht der Kläger als einheitlicher Behandlungsvorgang zu betrachten war. Dies ergibt sich daraus, dass die Kläger ihrem Antrag auf Kurgewährung eine Verordnung des behandelnden Arztes Dr. R beigefügt hatten, der die Rehabilitationsmaßnahme auf eine dreiwöchige Dauer auslegte. Dadurch, dass die Kläger mit der Inanspruchnahme der fest geplanten Gesamtfolge von Behandlungen begannen, ohne den Ablehnungsbescheid der Beklagten abzuwarten, haben sie deutlich gemacht, dass die Kostenentstehung nicht auf eine Ablehnung der Beklagten zurückzuführen war, sondern gänzlich unabhängig von der Entscheidung der Beklagten in jedem Fall durch die Kläger veranlasst werden sollte. Dies schließt nach den vorgenannten Kriterien eine Kostenerstattung aus.

Darüber hinaus sind die von den Klägern geltend gemachten Kosten für die Massagen und Bewegungsbäder auch deswegen nicht erstattungsfähig, weil diese Leistungen auch im Wege der Sachleistungsgewährung hätten erbracht werden können und dies eine - nachrangige - Kostenerstattung ausgeschlossen hätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision war nicht zuzulassen, denn Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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