L 13 RJ 19/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 11 RJ 252/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 RJ 19/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05. Februar 2003 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im zweiten Rechtszug. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Wiederauszahlung der Regelaltersrente des Klägers.

Der 1928 geborene Kläger lebt in Chile in der Gemeinde Q auf dem früher Colonia D (CD), jetzt Villa B (VB) genannten Gelände. Die Beklagte hatte ihm mit Bescheid vom 18.5.1990 Regelaltersrente bewilligt. Die Zahlung dieser Rente stellte sie durch Bescheid vom 29.9.1997 erstmals ein, da aufgrund der in der CD herrschenden Verhältnisse davon auszugehen sei, dass der Kläger die Zahlungen tatsächlich nicht erhalte. Im anschließenden Klageverfahren verpflichtete das Sozialgericht Düsseldorf die Beklagte durch Urteil vom 6.10.1998, die eingestellte Rentenzahlung wieder aufzunehmen. Berufung und Revision der Beklagten gegen dieses Urteil blieben erfolglos. Ab September 2000 wurde die Rentenzahlung wieder aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt betrug die Höhe der Rente 808,55 DM monatlich.

Mit Schreiben vom 21.5.2002 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten erneuten Einstellung der Rentenzahlung an: Sie sei hierzu aufgrund eines dilatorischen Leistungs- verweigerungsrechtes berechtigt. Aufgrund der Verhältnisse in der CD sei nach wie vor davon auszugehen, dass der Kläger einer auf physischer und psychischer Zwangseinwirkung beruhenden Fremdeinwirkung unterliege, so dass nicht sichergestellt sei, dass ihm die Rente wirklich zufliesse. Er könne jedoch den Gegenbeweis dafür antreten, dass er entgegen den allgemeinkundigen Tatsachen, anders als die anderen Bewohner der CD ausnahmsweise keiner Fremdbeherrschung durch die CD unterliege. Der Kläger teilte hierzu mit, dass er seine Rentenzahlung tatsächlich erhalte und darüber selbständig verfügen könne.

Durch Bescheid vom 11.07.2002 entschied die Beklagte, dass sie die zukünftigen monatlichen Rentenzahlungen ab dem 1.07.2002 vorläufig einbehalten werden. Dies geschehe solange, bis sichergestellt sei, dass die Zahlung an den Kläger zur freien Verfügung ohne Fremdbestimmung erfolgen könne. Aufgrund der bekannten Tatsachen sei nach wie vor davon auszugehen, dass die Bewohner der CD der Fremdbeherrschung unterlägen. Es ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass hier eine Ausnahmesituation vorliege.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 1.10.2002) hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben: Die Rente sei ihm auszuzahlen, denn für die Nichtauszahlung der Rente gebe es keine gesetzliche Grundlage. Die Entscheidung über die Nichtauszahlung der Rente lasse zudem keine auf den Einzelfall bezogene Ermessensentscheidung im Hinblick auf seinen konkreten Fall erkennen. Es werde lediglich eine pauschale Begründung abgegeben. Zudem hätte ihm im Rahmen der Sachaufklärung zumindest die Möglichkeit gegeben werden müssen, zum Beispiel eine Erklärung vor der Deutschen Botschaft oder einer ähnlichen Stelle in Chile abzugeben.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.7.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides zu verurteilen, seine Altersrente wieder auszuzahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat ausgeführt, dass sie aufgrund eines dilatorischen Leistungsverweigerungsrechtes berechtigt sei, die Rente solange nicht auszuzahlen, wie der Antragsteller dem Einfluss der CD unterläge.

Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 5.2.2003 die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Eine Rechtsgrundlage für die Nichtauszahlung der Rente fehle. Insbesondere ergebe sich diese Rechtsgrundlage nicht aus einer Pflichten- kollision. Insoweit schließe sich die Kammer der Rechtsprechung des 13. Senates des BSG (Urteil vom 13.12.2001 - B 13 RJ 67/99 R -) an. Zudem könne sich die Beklagte auf die mögliche Beeinträchtigung der Erfüllungswirkung nur berufen, wenn sie bei entsprechenden Anhaltspunkten zumindest Aufklärungsbemühungen unternommen hätte. Das habe sie nicht getan. Sie habe lediglich ein allgemein gehaltenes Anhörungsschreiben an den Kläger übersandt und trotz entsprechender Anfrage nicht mitgeteilt, wie er konkret die allgemein bestehenden Zweifel ausräumen könne.

Gegen den am 11.2.2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 21.2.2003 Berufung eingelegt: Sie halte auch nach Auswertung der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 3.4. 2003 - AZ: B 13 RJ 39/02 R - daran fest, dass die vorläufige Einbehaltung der Rentenleistungen zugunsten des Klägers aus materiell-rechtlichen Gründen aufgrund einer Pflichten- kollision zu Recht erfolge. Insoweit nehme sie zunächst Bezug auf ihr erstinstanzielles Vorbringen. Zwar lasse der 13. Senat des BSG in dem o. g. Urteil Zweifel daran erkennen, ob eine auf einer Pflichtenkollision beruhende Obhutspflicht als Rechtsgrundlage für die Nichtauszahlung der Rente herangezogen werden könne. Er lasse es in seiner Entscheidung ausdrücklich offen, ob ein Leistungs- verweigerungsrecht aufgrund einer Pflichtenkollision in Betracht kommen könne. Einer abschließenden Klärung habe es insoweit nach Ansicht des 13. Senates des BSG nicht bedurft, weil in dem zu entscheidenden Fall aufgrund der Tatsachenfeststellung keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Bestehen einer derartigen Pflichtenkollision vorgelegen hätten. Vor diesem Hintergrund stütze sie sich weiterhin auf die Rechtsprechung des 4. Senats des BSG vom 25.1. 2001 - B 4 RA 48/99 R -, wonach bei Vorliegen einer Pflichtenkollision dem Rentenver- sicherungsträger ein einstweiliges Leistungsverweigerungsrecht zustehe und er dies wahrzunehmen habe. Sie mache im Falle des Klägers geltend, dass eine die Obhutspflicht auslösende Pflichtenkollision vorliege, wie sie auch der Entscheidung des 4. Senats des BSG zugrunde gelegen habe. Der Kläger, Bewohner der CD, unterliege fortgesetzt einer auf physischer und psychischer Zwangswirkung beruhenden Fremdbeherrschung, so dass nicht sichergestellt sei, dass ihm die Rente tatsächlich zufließe. Zum Beweis hierfür verweise sie auf den am 13. 11. 2001 im Bundestag eingebrachten Entschließungsantrag mehrerer Abgeordneter und Fraktionen, in dem u. a. auf die fortdauernden Menschenrechtsverletzungen hingewiesen werde. Der Antrag zeige, dass sich an den Verhältnissen in der CD - verglichen mit dem am 25.1.2001 vom 4. Senat des BSG entschiedenen Fall - nichts geändert habe.

Weiterhin stütze sie sich für diese Behauptung auf ein Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 22. 3. 2002, wonach sich an der Situation in der CD nichts grundlegend geändert habe.

Bis zum heutigen Tage sei daher unverändert davon auszugehen, dass die Bewohner der CD die ihnen zustehenden Rentenleistungen nicht erhalten bzw. nicht frei hierüber verfügen können. Das von ihr als Zeugen für die Behauptung, dass der Kläger als Bewohner der CD nicht frei über die ihm zustehenden Rentenbeträge verfügen kann, benannte Ehepaar T sei Anfang des Jahres 2003 aus der CD (Villa B) geflüchtet und habe sich laut Mitteilung der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Santiago de Chile zunächst im Rahmen eines Opfer- und Zeugenschutzprogrammes der chilenischen Staatsanwaltschaft an einem vertraulich gehaltenen Unterbringungsort ca. 400 km südlich von Santiago auf gehalten. Zwischenzeitlich habe sich das Ehepaar T in Deutschland niedergelassen. Gegenüber der Botschaft hätten die Eheleute T zum Ausdruck gebracht, dass sie über die geleisteten Rentenzahlungen nie hätten verfügen können, sondern die Schecks nur gegenzeichnen und anschließend der Leitung der CD hätten übergeben müssen.

Sie rege ferner an, den Kläger in die Botschaft einzuladen und persönlich anzuhören, ohne dass hierbei die Möglichkeit der Kontrolle oder Einflussnahme für die CD oder deren Bevollmächtigte bestehe. An dem Gespräch solle ein geeigneter Arzt (z. B. Psychologe) teilnehmen, der ggf. Stellung dazu nehmen könne, ob Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der Kläger einer physischen oder psychischen Zwangswirkung unterliege. Es sei sicherzustellen, dass der Kläger ohne Begleitung, d. h. auch ohne irgendeinen Bevollmächtigten, erscheine und allein angehört werde.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05. Februar 2003 zu ändern und die Klage abzuweisen, hilfsweise Beweis zu erheben durch Vernehmung der Eheleute T zu der Behauptung, dass die Bewohner der Villa B (ehemalige Colonia D) und damit auch der Kläger nicht selbständig über ihre Renteneinkünfte verfügen können.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Berufung gerade auch im Hinblick auf die jüngste Rechtsprechung des 13.Senats des BSG für unbegründet. Sein Bevollmächtigter legt ein persönliches Schreiben des Klägers vom 18.10.2003 vor. Danach ist der Kläger bereit, seine Angaben vor einem Vertreter der deutschen Botschaft zu wiederholen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakten und der Verwaltungsakten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat auf die Anfechtungsklage zu Recht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Weiterzahlung der Rente verurteilt.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig (§ 54 Abs. 4 SGG). Die Anfechtungsklage ist gegeben, weil die Beklagte die Einstellung der Rentenzahlung durch Verwaltungsakt (§ 31 SGB X) verfügt hat (vgl. dazu BSG, Urteile vom 3.4.2003- B 13 RJ 39/02 R- und vom 13.12.2001 - B 13 RJ 67/99 R). Die Beklagte hat nicht nur inhaltlich eine Regelung im Sinne des § 31 SGB X über die Einbehaltung der laufenden Rente getroffen , sondern auch die äußere Form eines mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Verwaltungsaktes gewählt und den Widerspruch sachlich beschieden.

Der Senat bejaht hier auch das Rechtsschutzinteresse für die mit der Anfechtungsklage verbundene Leistungsklage. Im Regelfall würde zwar die Aufhebung der in das Recht des Betroffenen eingreifenden Verfügung ausreichen, weil der Betroffene dann aufgrund des früheren Bewilligungsbescheids einen Anspruch auf Auszahlung der Rente hat. Unter Berücksichtigung der Vorgeschichte dieses Verfahrens und weil sich die Beklagte wohl weiterhin unter Bezugnahme auf das Urteil des 4. Senats des BSG vom 25. 1. 2001 für berechtigt hält, die Auszahlung der Rente des Klägers ggfs. auch ohne Erteilung eines Verwaltungsakts zu verweigern, ist die mit der Anfechtungsklage verbundene Leistungsklage als zulässig anzusehen (vgl. auch dazu BSG Urteil vom 3.4.2003 -B 13 RJ 39/02 R-).

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid vom 11.7.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides ist rechtswidrig, weil eine Rechtsgrundlage für die Einbehaltung der laufenden Rente fehlt, jedenfalls aber ein Ermessensfehler vorliegt.

Wegen des Grundsatzes des Gesetzesvorbehalts (Art 20 Abs. 3 GG, § 31 SGB I), der bei jedem wesentlichen Eingriff in bestehende Rechtspositionen zu beachten ist, ist die Beklagte ohne eine rechtliche Grundlage nicht berechtigt, dem Kläger die bindend zugesprochenen Rentenansprüche vorzuenthalten (ausführlich dazu BSG, Urt. vom 13.12.2001- B 13 RJ 67/99 R). Zutreffend hat das Sozialgericht festgestellt, dass es für die Einbehaltung der laufenden Rente an einer Eingriffsgrundlage fehlt.

Das BSG hat im Urteil vom 13.12.2001 - B 13 RJ 67/98 R- auf mögliche Fallgestaltungen hingewiesen, bei denen nach § 372 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) eine Hinterlegung von Geld zulässig sein könnte. Wie in dem vom BSG (a.a.O.) entschiedenen Falle ist eine derartige Fallgestaltung auch hier nicht gegeben. Weder liegen Anhaltspunkte für eine Geschäfts- unfähigkeit des Klägers vor, noch hat die Beklagte vorgetragen, es bestehe die Möglichkeit, dass der Kläger seine, die Zahlungsweise der Rente betreffende Willenserklärungen (vgl § 47 SGB I) nach §§ 119 ff BGB anfechten und geltend machen könne, dass er die Rentenbeträge nicht erhalten habe. Im Gegenteil trägt er durch seinen Prozessbevollmächtigten gerade vor, er erhalte die Rentenzahlungen und könne über sie verfügen.

Die Beklagte kann hier die Rechtsgrundlage für ihren Verwaltungsakt auch nicht aus einer Pflichtenkollision herleiten. Der erkennende Senat macht sich insoweit die Bedenken des BSG im Urteil vom 3.4.2003- B 13 RJ 39/02 R- zueigen. Das BSG führt dort aus: "Indem die Beklagte die verfügte Nichtauszahlung der Rente auf das Bestehen einer Pflichtenkollision stützt, erscheint bereits zweifelhaft, ob in einem förmlichen Verwaltungsverfahren eine wie immer geartete Pflichtenkollision als Rechtsgrundlage für einen Eingriff in eine bestehende Rechtsposition den strengen Anforderungen genügen kann, die sich aus dem Vorbehalt des Gesetzes ergeben. Aus § 2 und § 17 Abs. 2 SGB I dürfte sich eine die Pflichtenkollision auslösende Obhutspflicht, die der Zahlungspflicht entgegenstehen könnte, schon deshalb nicht herleiten lassen, weil das vorhandene rechtliche Instrumentarium zur Konfliktlösung ausreicht. So stehen dem Rentenversicherungsträger zur Überwachung der Zahlungsvoraussetzungen für die bewilligte Leistung insbesondere die §§ 60 ff SGB I zur Verfügung (Urteil des Senats vom 5. April 2000 - B 5 RJ 38/99 R - BSGE 86, 107 = SozR 3-1200 § 2 Nr 1). Ist ein Rentenversicherungsträger aus tatsächlichen Gründen gehindert, die Rente auszuzahlen, ist in erster Linie § 10 der Verordnung über die Wahrnehmung von Aufgaben der Rentenversicherungsträger und anderer Sozialversicherungsträger durch den Rentendienst der deutschen Bundespost POSTDIENST (Postrentendienstverordnung - PostRDV) vom 28. Juli 1994 (BGBl I 1867) einschlägig, der das Verfahren bei nicht ausführbaren Zahlungen regelt (vgl. dazu auch §§ 119 f SGB VI sowie Senatsurteil vom 13. Dezember 2001, a.a.O.). Soweit sich über das vorhandene gesetzliche Instrumentarium hinaus gleichwohl ein Bedarf für weitere, die Zahlungspflichten betreffende Einschränkungen ergeben sollte, wäre es Sache des Gesetzgebers, entsprechende Regelungen zu erlassen."

Auch wenn, wie die Beklagte zutreffend anmerkt, das BSG die abschließende Klärung der Problematik der fraglichen Existenz einer aus einer Pflichtenkollision abgeleiteten Rechtsgrundlage im Urteil vom 3.4.2003 letztlich für nicht erforderlich gehalten hat, weil im zu entscheidenden Falle eine Pflichtenkollision jedenfalls nicht vorgelegen habe, hält der erkennende Senat die Ausführungen des BSG nicht nur für zutreffend und überzeugend, sondern auch für eindeutig.

Selbst wenn man die Möglichkeit eines Leistungs- verweigerungsrechtes aufgrund einer Pflichtentenkollision unterstellen würde, wäre der angefochtene Bescheid rechtswidrig, weil die Beklagte sich ohne konkrete auf den Kläger bezogene Ermittlung für ihr Leistungsverweigerungsrecht auf die nach ihrer Ansicht bekannten Lebensumstände berufen hat und bei ihrer Entscheidung kein Ermessen ausgeübt hat.

Will man die Einbehaltung der Rente als im Gesetz nicht ausdrücklich geregeltes Instrumentarium dann zulassen, wenn die zur Verfügung stehenden gesetzlich normierten Möglichkeiten ( s. o.) nicht geeignet sind oder nicht ausreichen und anders nicht verhindert werden kann, dass fremde Personen (hier z.B. die Führung der ehemaligen CD) sich gegen den Willen eines unterdrückten und seiner Freiheit beraubten Berechtigten in den Besitz der Rente setzen, muss man verlangen, dass die Voraussetzungen für diese (fraglichen) Sonderbefugnisse im Einzelfall geprüft und festgestellt worden sind. Der 4. Senat des BSG führt dazu im Urteil vom 25.1.2001 - B 4 RA 48/99 R - auf das die Beklagte sich beruft, aus: Wenn der Versicherungsträger aufgrund bestimmter Tatsachen den dringenden Verdacht habe, dass ein Fremdzugriff auf die Rente vorliege, müsse er unverzüglich aufklären, ob der Verdacht unbegründet ist oder die widerrechtliche Fremdbeeinflussung gegeben ist. An dieser Aufklärung der Fremdeinwirkung habe der Berechtigte - soweit überhaupt möglich- gemäß §§ 60 bis 65a SGB I mitzuwirken. Die vom 4. Senat des BSG angenommene Obhutspflicht entstehe, sobald aufgrund der Vorermittlungen für den Träger der dringende Verdacht oder die Gewissheit eines Fremdeingriffs feststehe. Die Beklagte hat hier aber jegliche Vorermittlung unterlassen. Sie konnte durch die bloße - pauschale - Behauptung einer Pflichtenkollision ohne entsprechende individuelle Prüfung der aktuellen Verhältnisse des Klägers in der Villa C auch nicht den Kläger mit der objektiven Beweispflicht belasten (Wenn man dem 4.Senat des BSG insoweit überhaupt folgen möchte), zumal der Kläger im Anhörungsverfahren Stellung genommen hatte, ohne dass ihm ein konkreter Weg zur Erfüllung der von der Beklagten aufgestellten Anforderungen bezeichnet oder auch nur angedeutet worden wäre.

Der Beweisantrag der Beklagten zielt nun darauf, die maßgeblichen Umstände nachträglich zu ermitteln. Es spricht hier bereits viel dafür, dass es sich dabei um einen Ausforschungsbeweis oder einen Antrag auf Ermittlungen "ins Blaue" handelt. Ob in zweiter Instanz ein hinreichender Anfangsverdacht für Ermittlungen im Einzelfall dargelegt worden ist, kann der Senat aber dahin gestellt sein lassen, denn der angefochtene Verwaltungsakt ist bereits (auch) deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte ihr Ermessen nicht ausgeübt hat.

Die Entscheidung der Beklagten, trotz eines durch bestandskräftigen Bescheid anerkannten Rentenanspruchs des Klägers die Rente vorläufig nicht auszuzahlen, bedarf zur Überzeugung des Senats der Ausübung des Ermessens. Bereits die Versagung nach §§ 60 ff. SGB I, die alternativ in Betracht gekommen wäre, ist eine Ermessensentscheidung. Wenn die Beklagte von dem Instrument der Versagung keinen Gebrauch machen will oder meint, es sei nicht ausreichend oder nicht geeignet und sie auf die von ihr aus der Obhutspflicht hergeleitete Berechtigung, die Auszahlung zu verweigern zurückgreifen will, muss es sich auch hierbei zumindest um eine Entscheidung handeln, die einer Ermessensabwägung bedarf. So hat auch der 4. Senat in der Entscheidung vom 25.1.2001 - B 4 RA 48/99 R -, auf welche die Beklagte sich maßgeblich stützen möchte, ausgeführt, dass im Falle einer Pflichtenkollision der Träger nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden habe, ob er der Zahlungspflicht oder der Obhutspflicht zur Sicherung des Eigentum den Vorrang gebe. Im angefochtenen Verwaltungsakt fehlt aber ebenso wie im Widerspruchsbescheid die Wiedergabe von Erwägungen zur Mittelwahl und zur Abwägung von Vor- und Nachteilen der denkbaren Maßnahmen (vgl. §§ 35,39 SGB X). Der Fehler liegt hier in der Nichtausübung des Ermessens. Selbst wenn man in der Wahl der Einbehaltung der Rente anstelle der Versagung eine Auswahlentscheidung sehen wollte, würde es an der erforderlichen Begründung im Verwaltungsakt fehlen und läge, weil die Beklagte den individuellen Sachverhalt nicht aufgeklärt hatte, ein Ermessensfehlgebrauch vor, denn eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung ist nur unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände möglich.

Die mit der Anfechtungsklage zulässig verbundene Leistungsklage ist bereits deshalb begründet, weil der Kläger nach Aufhebung der angefochtenen Bescheide Anspruch auf Auszahlung der Rente entsprechend dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 18.5.1990 hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden.
Rechtskraft
Aus
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