L 8 RJ 19/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 3 RJ 227/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 RJ 19/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 08.01.2003 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, ob dem Kläger wegen Verfassungswidrigkeit der §§ 22 Abs. 4 und 22 b Fremdrentengesetz höhere Rente zusteht.

Der am 1927 geborene Kläger zog am 20.01.1997 als Spätaussiedler von U, Gebiet L (Sibirien)/Rußland in die Bundesrepublik zu. Zur deutschen Rentenversicherung hat er keine Beiträge entrichtet.

Mit Bescheid vom 30.01.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.07.1998 bewilligte ihm die Beklagte Regelaltersrente ab dem 20.01.1997 in Höhe von (anfänglich) 880,73 DM auf der Grundlage von nach dem Fremdrentengesetz (FRG) berücksichtigungsfähigen Zeiten.

Hiergegen hat der Kläger am 24.08.1998 Klage erhoben.

Mit Beschluss vom 19.03.2001 hat das Sozialgericht den Rechtsstreit hinsichtlich der Kürzung in Rußland zurückgelegter Arbeitszeiten auf fünf Sechstel abgetrennt.

Der Kläger hat vorgetragen, er könne sich nicht damit abfinden, dass die "Kürzungen seiner Rente" rechtens sein sollen. Die pauschale 40%ige Leistungskürzung nach § 22 Abs. 4 FRG in der ab 07.05.1996 geltenden Fassung sowie die Entgeltpunkteobergrenze von 40 für ein Ehepaar nach § 22 b FRG seien verfassungswidrig. Art. 116 Grundgesetz (GG) enthalte nicht nur ein Aufnahmeversprechen, sondern auch ein Integrationsversprechen dahingehend, in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik vergleichbar mit anderen deutschen Staatsbürgern aufgenommen zu werden. Zwar müssten dazu Fremdrentenzeiten nicht vollständig deutschen Rentenbeitragszeiten gleichgestellt werden. Es gehe jedoch nicht an, die Rente eines anerkannten Spätaussiedlers unabhängig von seiner Lebensarbeitsleistung auf ein Sozialhilfeniveau zu beschränken.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 30.01.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.07.1998 dergestalt abzuändern, dass die Entgeltpunkte für die nach FRG anerkannten Zeiten nicht um 40 Prozent gekürzt werden und dass die Rente des Klägers ohne die Obergrenze von 40 Entgeltpunkten für ein Ehepaar neu festgestellt wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, sie halte die Regelung im FRG für verfassungsgemäß.

Mit Urteil vom 08.01.2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das am 24.01.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 03.02.2003 Berufung eingelegt. Er trägt weiterhin vor, die maßgeblichen, von der Beklagten angewandten Vorschriften seien verfassungswidrig. Sie verstießen gegen Art. 116 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG. FRG-Berechtigte würden schlechter gestellt als Stasi- Mitarbeiter; Ehegatten würden schlechter gestellt als Alleinstehende.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 08.01.2003 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 30.01.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.07.1998 zu verurteilen, ihm höhere Rente ohne Kürzung seiner Entgeltpunkte für nach dem FRG anerkannte Zeiten um 40 Prozent sowie ohne Anwendung der Obergrenze von 40 Entgeltpunkten für ein Ehepaar zu gewähren,
hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 GG die Frage vorzulegen, ob § 22 Abs. 4 und § 22 b FRG mit dem Grundgesetz vereinbar sind,
äußerst hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, als Rentenversicherungsträger sei sie an die gesetzlichen Vorschriften gebunden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Der Inhalt dieser Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers und seines Bevollmächtigten verhandeln und entscheiden. Denn in der Ladung bzw. Terminsmitteilung ist auf diese sich aus §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 1, 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ergebende Möglichkeit hingewiesen worden. Der Bevollmächtigte des Klägers hat mit Schriftsatz vom 25.11.2003 mitgeteilt, nicht zum Termin erscheinen zu wollen.

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid nicht i.S.v. § 54 Abs. 2 SGG beschwert.

Dabei besteht zwischen den Beteiligten Einigkeit, dass die Beklagte das einfachgesetzliche Fremdrentenrecht korrekt angewandt hat. Fehler sind insoweit nicht ersichtlich; der Kläger hält allerdings die von der Beklagten gesetzeskonform umgesetzten Regelungen für verfassungswidrig. Ihm geht es dabei einerseits um § 22 b FRG (Begrenzung der Entgeltpunkte auf 25 für Alleinstehende, 40 für ein Ehepaar; dazu unten zu 1.) sowie um § 22 Abs. 4 FRG (Vervielfältigung der Entgeltpunkte mit dem Faktor 0,6; dazu unten zu 2.).

Das von der Beklagten fehlerfrei angewandte Fremdrentenrecht ist, wie der Senat bereits mit Urteil vom 10.07.2002 im Verfahren L 8 RJ 3/02 entschieden hat, nicht verfassungswidrig.

1. Nach näherer Maßgabe des § 22 b FRG werden für einen Berechtigten höchstens 25 Entgeltpunkte der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten zugrundegelegt (Abs. 1 Satz 1); für Ehegatten werden die Entgeltpunkte auf insgesamt 40 begrenzt (Abs. 3 Satz 1).

Mit § 22 b FRG hat der Gesetzgeber eine besondere Sozialrente für Spätaussiedler geschaffen, die als Fürsorgeleistung nur dem äußeren Anschein nach noch dem System der gesetzlichen Rentenversicherung zugeordnet ist (BSG vom 30.08.2001 - B 4 RA 87/00 R).

Dies verletzt Art. 14 GG nicht. Bei Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland war für den Kläger keinerlei eigentumsgeschützte rentenrechtliche Position ausgestaltet. Die (im Übrigen erst bei Zuzug gewährte und damit von Vornherein kaum i.S. einer Enteignung entziehbare) Grundsicherung in Form der Spätaussiedlerrente eröffnet als Fürsorgeleistung zur elementaren Existenzsicherung keine grundrechtlichen Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten im Vermögensbereich als eigentumsgeschützte Position (BSG a.a.O.).

Eine gleichheitswidrige Benachteiligung (Art. 3 GG) besteht ebenfalls nicht. Die - nachhaltige - Ungleichbehandlung gegenüber den bis zum 07.05.1996 Zugezogenen legitimiert sich durch die zukunftsbezogene Befugnis des Gesetzgebers zu abweichender Gestaltung und durch die besonderen Verhältnisse des jetzt zu behandelnden Personenkreises. Denn 51 Jahre nach Kriegsende ist die ursprüngliche Zielsetzung des FRG, gerade einen durch Vertreibung eingetretenen Schaden in der Alterssicherung auszugleichen, hinfällig. Es ist nicht mehr ersichtlich, dass in den früheren Vertreibungsgebieten ein deutscher Volkszugehöriger wegen seiner Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum oder zum deutschen Sprach- und Kulturkreis einem Vertreibungsdruck ausgesetzt wäre, der ihn zur Aufgabe seiner Heimat und seiner dort erworbenen Anwartschaften für Alter oder Invalidität und zum Zuzug nach Deutschland zwänge. Der Gesetzgeber war deshalb nicht gehindert, die Alterssicherung für Neuzuzügler durch einen Systemwechsel grundsätzlich anders auszugestalten als für den von der bisherigen Regelung begünstigten Personenkreis und damit den Differenzierungsgrad des allenfalls noch lockeren Zusammenhangs des Zuzugs mit dem Grund der Entschädigung auch in den Rechtsfolgen abzubilden. Auch eine sachwidrige Ungleichbehandlung im Vergleich zu Rentnern im Beitrittsgebiet besteht nicht; insoweit handelt es sich um eine andere Ausgangslage. Denn die Schaffung einheitlicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet nach dem Beitritt hat eine bundesrechtliche Berücksichtigung bisher innegehabter Anwartschaften und Ansprüche erfordert, während es im verbleibenden FRG gerade nicht darum gehen kann, früher im Ausland erworbene "Anwartschaften" zu übernehmen (BSG a.a.O.).

Art. 116 GG ist ebenfalls nicht verletzt. Denn er bestimmt nicht, dass die soziale Sicherung der einreisenden Volksdeutschen gerade in der gesetzlichen Rentenversicherung und ferner nach Inhalt und Umfang so zu erfolgen hat, als hätten sie im Inland zu den Lasten der deutschen Rentenversicherung beigetragen. Die Norm begründet lediglich einen Status als Deutscher; aus ihr lässt sich keine wie auch immer geartete Pflicht der deutschen Rentenversicherungsträger zu Leistungen mit Beitragsrelevanz oder etwa eine verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers herleiten, auf Kosten der Beitragszahler Rechte gegen diese Träger zu schaffen (BSG a.a.O.).

Aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) ergibt sich schließlich ebenfalls keine Rechtspflicht zu einem Tätigwerden des Gesetzgebers gerade in der mit der Klage begehrten Weise. Dessen Vorgaben wären erst dann verletzt, wenn den Neuzuzüglern nicht mehr das soziale Sicherungsniveau gegeben würde, das allen anderen gewährleistet ist, die kein eigenes Vermögen und keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung im Inland aufgebaut bzw. getragen haben. Soweit jedoch die "Fürsorgerente" für Spätaussiedler das Sozialhilfeniveau des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) unterschreiten sollte, sind Betroffene durch das BSHG geschützt. Zudem ist die Fürsorgerente so ausgestaltet, dass sie im Einzelfall in der deutschen Rentenversicherung originär erworbene Rechtspositionen stützen kann (BSG a.a.O.). Sofern der Kläger Art. 116 GG ein weiterreichendes "Integrationsversprechen" mit der Folge entnehmen will, dass (im Ausland) zurückgelegte Beitrags- und Beschäftigungszeiten in einem angemessenen Verhältnis zur erbrachten Lebensarbeitsleistung berücksichtigt werden müssten, so kann der Senat dem nicht folgen. Das BSG hat (a.a.O.) die "Spätaussiedlerrente" nach § 22 FRG zutreffend als reine Fürsorgerente charakterisiert, da bezogen auf die FRG-Zeiten keinerlei Vorleistung des Rentenbeziehers in die deutsche Rentenversicherung erbracht worden ist. Im Falle einer fürsorgeweise erbrachten Grundsicherung aber besteht für eine Differenzierung nach früherer Stellung im Beruf, erbrachter Lebensarbeitsleistungs usw. kein Anlass. Im Übrigen sichert die Sozialhilfe nach dem BSHG im Bedarfsfall den notwendigen Mindestbedarf, soweit sonstige Fürsorgeleistungen wie z.B. die "Spätaussiedlerrente" diesen Bedarf nicht decken sollten. Es ist jedoch - gerade unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung - nicht einsehbar, dass im Rahmen der Fürsorgerenten für Spätaussiedler eine Differenzierung mit Rücksicht auf die Lebensarbeitsleistung zwingend sein soll, wenn z.B. ehemals Selbständige, die durch berufliches oder sonstiges Schicksal im Alter einkommens- und vermögenslos geworden sind, ohne Rücksicht auf ihre individuellen beruflichen Lebensanstrengungen einheitlich nach dem Bedarf entsprechend dem BSHG fürsorgemäßig versorgt sind.

Soweit der Kläger einen Verstoß gegen Art. 6 GG wegen der Begrenzung der Entgeltpunkte auf 40 für ein Ehepaar sieht, folgt dem der Senat ebenfalls nicht. Denn auch bei Ehepaaren wird der Mindestbedarf ggf. jedenfalls über Leistungen nach dem BSGH gedeckt. Eine über diesen Mindestbedarf hinausgehende fürsorgeweise Versorgung kann jedoch von Verfassungs wegen auch unter dem Gesichtspunkt des besonderen Schutzes der Ehe nicht gefordert werden. Im Übrigen liegt auf der Hand, dass Ehepaare im Vergleich zu Alleinstehenden durch gemeinsames Wohnen und Wirtschaften aus einem Topf pro Person weniger finanziellen Grundbedarf haben; dem hat der Gesetzgeber durch Zuerkennung von 20 statt (bei Alleinstehenden) 25 Entgeltpunkten pro Person angemessen in der gebotenen Pauschalierung Rechnung getragen.

2. Nach § 22 Abs. 4 FRG werden die zur Ermittlung der Rentenbemessungsgrundlage nach Maßgabe der Abs. 1 bis 3 der Vorschrift gebildeten Entgeltpunkte mit dem Faktor 0,6 vervielfältigt. Der Senat lässt dahinstehen, ob angesichts des Ergebnisses zu 1. eine etwaige Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 4 FRG ohne Auswirkung bliebe. Denn im Falle des Klägers sind verfassungswidrige Auswirkungen von § 22 Abs. 4 FRG schon aus anderen Gründen nicht denkbar:

Die Rechtsprechung des BSG erscheint zur Frage einer Verfassungswidrigkeit der Vorschrift ohnehin nicht einheitlich. Der 5. Senat scheint im Ausland erworbene Rechtspositionen für die Alterssicherung von Vornherein nicht in den Schutzbereich des Art. 14 GG hineinzuziehen, selbst wenn FRG-Zeiten mit hiesigen Beitragszeiten zusammenfallen. Letztlich hat er die Frage jedoch offengelassen, weil anderenfalls das Eigentum jedenfalls entsprechend hätte beschränkt werden dürfen (BSG vom 01.12.1999 - B 5 RJ 26/98 R).

Der 4. Senat des BSG nimmt allerdings bei Zusammentreffen von FRG- Zeiten mit originären Bundesgebietsbeitragszeiten ein insgesamt eigentumsgeschütztes Anwartschaftsrecht auf Altersrente an, bei dem die einzelnen rechtlichen Elemente nicht losgelöst voneinander wie selbständige Rechte oder Ansprüche bewertet werden könnten. Dementsprechend hat der 4. Senat in mehreren Vorlagebeschlüssen i.S.v. Art. 100 GG (vom 16.12.1999 - B 4 RA 18/99 R und 49/98 R) § 22 Abs. 4 FRG zur Normenkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht gestellt. Damit unterfällt nach Ansicht des 4. Senates auch ein FRG-Zeiten-Anteil im Versicherungskonto dem Eigentumsschutz. Ob dieser Ansicht zu folgen ist, kann im Falle des Klägers allerdings dahinstehen. Denn auch der 4. Senat des BSG verzichtet für einen Eigentumsschutz nicht auf einen nicht unerheblichen eigenen Leistungsanteil in Form von im Bundesgebiet erworbenen Beitragszeiten. Dem Kläger fehlt jedoch jegliche eigene Beitragsleistung zur deutschen Rentenversicherung; er hat nach seinem Zuzug in die Bundesrepublik unmittelbar Altersrente beantragt. Jedenfalls in solchen Fällen besteht für verfassungswidrige Auswirkungen des § 22 Abs. 4 FRG auch nach Ansicht des 4. Senates des BSG kein Anhaltspunkt.

3. Sind verfassungswidrige Auswirkungen des Fremdrentenrechts im Falle des Klägers unter keinem Gesichtspunkt vorhanden, kommt die hilfsweise beantragte Vorlage zur Normenkontrolle an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 GG nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Anlass zur Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG besteht nicht. Insbesondere stellen sich keine grundsätzlichen Rechtsfragen i.S.v. Nr. 1 der Vorschrift, weil das BSG zu allen verfassungsrechtlichen Erwägungen bereits Stellung genommen hat.
Rechtskraft
Aus
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