L 11 AL 78/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 AL 335/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AL 78/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 28.01.1999 insoweit aufgehoben und die Klage abgewiesen, als der Bescheid vom 29.01.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.1997 aufgehoben wurde.
II. Die Beklagte hat dem Kläger außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi), die Rückforderung von 1.315,21 DM Alhi sowie 288,96 DM Krankenversicherungsbeiträgen.

Der 1963 geborene Kläger stand bei der Beklagten seit 1992 im Leistungsbezug. Zuletzt erhielt er vom 21.02.1994 bis 26.10.1994 Anschluss-Alhi. Nach einem Meldeversäumnis wurde ihm Alhi ab 10.11.1994 wieder bewilligt (Bescheid vom 02.02.1995).

Am 20.02.1995 übersandte die Kriminalpolizei N. dem Arbeitsamt N. eine anhand sichergestellter Unterlagen des K. Reinigungsdienstes (N.) gefertigte Liste mit Personen zur Prüfung eines evtl. Leistungsmissbrauchs. In der Liste waren neben dem Kläger u.a. aufgeführt: C. S. und C. F ... Nach den Feststellungen der Kripo erhielt eine mit "B." bezeichnete Person einen zeitlich nicht zuzuordnenden Lohn von 22.787,50 DM. Für die Zeit vom 28.07.1994 bis 03.01.1995 ist für "B." ein Lohn von 8.261,45 DM, zusammen mithin 31.048,95 DM, ausgewiesen. Die Aufzeichnungen über diesen Arbeitnehmer enthalten ab 28.07.1994 jeweils den Arbeitstag, Arbeitsort, Anzahl der gearbeiteten Stunden und den gezahlten Lohn.

Mit Schreiben vom 12.07.1995 gab die Beklagte dem Kläger wegen der beabsichtigten Aufhebung der Leistungsbewilligung Gelegenheit zur Stellungnahme. Davon machte dieser jedoch keinen Gebrauch. Mit Bescheid vom 29.01.1996 hob die Beklagte die Alhi-Bewilligung auf, weil der Kläger mit der Beschäftigung bei dem K. Reinigungsdienst die Kurzzeitigkeitsgrenze überschritten habe und forderte 1.315,21 DM zu Unrecht bezogener Alhi sowie mit weiterem Bescheid vom 29.01.1996 288,96 DM an Krankenversicherungsbeiträgen zurück.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, er habe sich zwar gelegentlich in den Firmenräumen aufgehalten und sei dort auch bei einigen wenigen Büroarbeiten im Rahmen der unentgeltlichen Familienhilfe behilflich gewesen. Die im Bescheid genannten Zeiträume seien jedoch nicht belegt. Vom 03.01.1995 bis 11.01.1995 habe er sich zudem in der Türkei aufgehalten.

Mit Änderungsbescheid vom 31.10.1996 forderte die Beklagte nunmehr 1.329,70 DM Alhi zurück. Sie gab dem Kläger erneut Gelegenheit zur Stellungnahme und wies den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 22.04.1997 zurück. Vom 28.07.1994 bis 21.09.1994, 06.10.1994 bis 12.10.1994 und 15.11.1994 bis 02.01.1995 habe der Kläger in einem die Kurzzeitigkeitsgrenze übersteigenden Arbeitsverhältnis gestanden und sei daher nicht arbeitslos gewesen. Nach Zwischenbeschäftigungen vom 21.09.1994 / 12.10.1994 habe er sich am 22.09.1994 / 13.10.1994 nicht wieder arbeitslos gemeldet, so dass die in der Zeit vom 22.09.1994 bis 05.10.1994 und 13.10.1994 bis 18.10.1994 gezahlten Leistungen wegen fehlender Verfügbarkeit zu Unrecht gewährt worden seien.

Mit Strafbefehl vom 29.02.1996 wurde der Kläger wegen Betrugs zu einer Geldstrafe von 1.000,00 DM verurteilt. Der Strafbefehl wurde rechtskräftig.

Gegen die o.a. Bescheide hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und beantragt, den Bescheid vom 29.01.1996 und den Änderungsbescheid vom 31.10.1996 (beide idG des Widerspruchsbescheides vom 22.04.1997) aufzuheben. Das SG hat Frau D. S. - Inhaberin des früheren K. Reinigungsdienstes - als Zeugin uneidlich vernommen. Diese gab an, sie habe die Firma zusammen mit dem Bruder des Klägers geführt. Der Kläger habe nie eine entgeltliche Tätigkeit in der Firma ausgeübt, allenfalls kurz Telefondienst geleistet bzw. einmal Besuch empfangen. Die in den Unterlagen der Kripo mit "B." aufgeführte Person betreffe nicht den Kläger. Sie habe damals viele "B." als (türkische) Schwarzarbeiter beschäftigt und nur deren Vornamen aufgeschrieben.

Mit Urteil vom 28.01.1999 hat das SG die Bescheide vom 29.01.1996 / 31.10.1996 idG des Widerspruchsbescheides vom 22.04.1997 aufgehoben. Es stehe nicht fest, dass der Kläger ab 28.07.1994 eine die Arbeitslosigkeit ausschließende Nebenbeschäftigung ausgeübt habe. So habe die Zeugin S. bekundet, der Kläger sei in der Firma K. Reinigungsdienst nie entgeltlich beschäftigt worden. Die kriminalpolizeilichen Unterlagen enthielten keine nähere Konkretisierung des dort erwähnten "B.". Diese Nichterweislichkeit gehe zu Lasten der Beklagten. Eine Bindungswirkung an die strafgerichtliche Entscheidung bestehe nicht.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und vorgetragen: Hinsichtlich des Änderungsbescheides vom 31.10.1996 werde das Urteil anerkannt, weil die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 4 Sozialgesetzbuch Verwaltungsverfahren (SGB X) bei Erlass des Bescheides abgelaufen gewesen sei. Im Übrigen sei die Aussage der Zeugin, sie habe mehrere Mitarbeiter namens "B." beschäftigt, durch die Aufstellung der Kripo, die auf den eigenen Aufzeichnungen der Zeugin beruhe, widerlegt. Die Zeugin würde sich selbst belasten, wenn sie die Beschäftigung des Klägers einräumte. Der Kläger habe den Strafbefehl akzeptiert und thematisiere das Identitätsproblem erst jetzt.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 28.01.1999 insoweit aufzuheben und die Klage abzuweisen, als der Bescheid vom 29.01.1996 idF des Widerspruchsbescheides vom 22.04.1997 aufgehoben wurde.

Der Kläger beantragt, die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Das SG habe die Aussage der Zeugin zutreffend gewürdigt. Die Unterlagen der Kripo könnten nicht entscheidungserheblich sein, da nicht feststehe, dass sie sich auf den Kläger bezögen. Eine erneute Einvernahme der Zeugin erscheine entbehrlich.

In Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Leistungsakten der Beklagten, auf die Akten der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß § 124 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten zugestimmt haben.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG) und iS des (eingeschränkten) Berufungsantrags begründet, denn das SG hat den Bescheid vom 29.01.1996 idG des Widerspruchsbescheides vom 22.04.1997 zu Unrecht aufgehoben.

Grundlage der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit ist § 45 Abs 1 und 4 SGB X. § 45 Abs 4 SGB X eröffnet die Rücknahme von begünstigenden Verwaltungsakten für die Vergangenheit nur unter den Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X. Von den Tatbeständen des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X kommen im vorliegenden Fall die Nrn 2, 3 in Betracht. Danach darf die Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, wenn sie auf Angaben beruhte, die der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.

Die Alhi-Bewilligungen (18.04.1994 / 02.02.1995) für die Zeiträume 28.07.1994 bis 21.09.1994, 06.10.1994 bis 19.10.1994 und 15.11.1994 bis 02.01.1995 waren rechtswidrig, denn der Kläger hat Alhi zu Unrecht erhalten, weil er nicht mehr arbeitslos war bzw. der Beklagten für Vermittlungsbemühungen nicht mehr zur Verfügung stand.

Nach § 101 Abs 1 Satz 1 AFG in der bis 28.07.1995 geltenden Fassung ist arbeitlos ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht oder nur eine kurzzeitige Beschäftigung ausübt. Kurzzeitig ist eine Beschäftigung, die weniger als 18 Stunden wöchentlich der Natur der Sache nach beschränkt zu sein pflegt oder im Voraus durch einen Arbeitsvertrag beschränkt ist (§§ 102 Abs 1 Satz 1, 242y AFG in der bis 31.12.1997 gültigen Fassung).

Der Kläger war mehr als kurzzeitig im genannten Sinne beschäftigt. Dies ergeben die Ermittlungen der Kripo N. , die in der beigezogenen Leistungsakte und in den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth enthalten sind. Danach hat der Kläger in den Zeiträumen 28.07.1994 bis 21.09.1994, 06.10.1994 bis 19.10.1994 und 15.11.1994 bis 02.01.1995 mehr als kurzzeitig gearbeitet.

Gegen die Richtigkeit dieser Unterlagen bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Entgegen der Aussage der Zeugin S. vor dem SG war der Kläger in der Firma K.-Reinigungsdienst gegen Entgelt beschäftigt. So hat die Zeugin noch am 17.09.1994 in einer Arbeits- und Verdienstbescheinigung bestätigt, dass der Kläger seit 5/92 bei ihr in ungekündigter Stellung als Vorarbeiter / Gebäudereiniger tätig sei und der Nettolohn zurzeit (monatlich) 2.200,00 DM betrage. Zwar hat die Zeugin diese Angaben am 12.10.1994 dem Sozialamt gegenüber relativiert und lediglich ab November 1994 eine Beschäftigung des Klägers in Aussicht gestellt. Die Auswertung der Geschäftsunterlagen durch die Kripo N. ergab jedoch eine laufende Beschäftigung des Klägers.

Obwohl die Zusammenstellung der Beschäftigungszeiten lediglich auf den Namen "B." erfolgte, bestehen keine Zweifel, dass damit der Kläger gemeint war. Im Reinigungsunternehmen waren nach den Feststellungen der Kripo N. 21 Personen beschäftigt worden, drei davon mit dem Familiennnamen C. und davon wiederum nur eine mit dem Vornamen B ... Es liegt nahe, dass die Bezeichnung der Person lediglich mit "B." nicht ausgereicht hätte, wenn in der Firma weitere Türken mit diesem Vornamen beschäftigt worden wären. Dies war jedoch nicht der Fall. Die Identität des Klägers ist nämlich nach den Feststellungen der Kripo auch anhand eines Schreibens des K.-Reinigungsdienstes an die Stadt N. und eine Mitteilung der AOK Mittelfranken an den Kläger gesichert.

In dem Zeitraum 13.10.1994 bis 18.10.1994 stand der Kläger der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung, weil er sich nach einer Zwischenbeschäftigung (12.10.1994) nicht wieder arbeitslos gemeldet hat. Die Pflicht zur Arbeitslosmeldung ergibt sich aus § 134 Abs 4 iVm § 105 AFG. Auch nach Zwischenbeschäftigungen besteht diese Pflicht. Hierüber wurde der Kläger durch das Merkblatt für Arbeitslose, dessen Empfang und Kenntnisnahme er unterschriftlich bestätigt hat, hingewiesen. Die Nichtbeachtung des Merkblattes begründet idR grobe Fahrlässigkeit (BSG SozR 5870 Nr 1, Wiesner in von Wulffen, SGB X, 4.Auflage, § 45 Rdnr 24).

Die Beklagte war auch in diesem Fall zur Aufhebung der Leistungsbewilligung berechtigt, denn der Kläger kannte infolge grober Fahrlässigkeit die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes nicht (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X). Darüber hinaus hätte er die Aufnahme der Zwischenbeschäftigung gemäß § 60 Abs 1 Nr 2 SGB Allgemeiner Teil (SGB I) anzeigen müssen, so dass die Aufhebung auch auf § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X gestützt werden kann. Das Unterlassen von Angaben steht unvollständigen Angaben gleich (Wiesner aaO Rdnr 22).

Bei der Rücknahme der Leistungsbewilligungen für die Vergangenheit hatte die Beklagte kein Ermessen auszuüben (§ 152 Abs 2 AFG; Niesel, AFG, 2.Auflage, § 152 Rdnr 17).

Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch der Beklagten auf Alhi ist § 50 SGB X, für den auf Erstattung der Krankenversicherungsbeiträge ist § 157 Abs 3a AFG.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1, 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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