L 16 RJ 603/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 14 RJ 966/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 RJ 603/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 8. August 2002 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin hat Verschuldenskosten in Höhe von 225,00 Euro zu zahlen. III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Geschiedenen-Witwenrente nach dem Versicherten N. G ...

Die 1925 geborene Klägerin war vom 19.08.1960 bis 20.02.1962 mit dem Versicherten verheiratet. Am 1960 wurde das gemeinsame Kind E. geboren. Die Ehe wurde auf Widerklage der Klägerin am 20.02.1962 aus Verschulden des Versicherten geschieden (Protokoll des Landgerichts München I - LG - vom 20.02.1962). Anlässlich der Scheidung erklärte die Klägerin in einer von beiden Eheleuten und deren Prozessbevollmächtigten unterschriebenen und nach der Verkündung des Scheidungsurteils als Prozessvergleich zum Sitzungsprotokoll genommenen Vereinbarung vom selben Tage, dass sie für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und in jeder Lebenslage auf Unterhalt verzichte. Der Versicherte nahm diesen Verzicht an. Die Klägerin hat nicht wieder geheiratet.

Der Versicherte starb am 31.12.1988. Einen Antrag der Klägerin auf Geschiedenen-Witwenrente nach § 1265 Reichsversicherungsordnung (RVO) vom 20.12.1990 lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 07.02.1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.1991). Die Klägerin habe im letzten Jahre vor dem Tod des Versicherten von diesem keinen Unterhalt erhalten und aufgrund des Unterhaltsverzichts vom 20.02.1962 auch keinen Anspruch auf Unterhalt gehabt. Dieser Bescheid wurde mit Urteil des Sozialgerichts München (SG) vom 19.01.1994 (S 30 Ar 812/91) und Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vom 19.11.1997 (L 16 Ar 169/94) bestätigt. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wurde mit Beschluss des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.04.1998 als unzulässig verworfen.

Am 02.12.1998 beantragte die Klägerin erneut Geschiedenen-Witwenrente nach dem Versicherten mit der Begründung, sie habe 1962 nicht auf Unterhalt verzichtet. Der Unterhaltsverzicht sei gegen ihren Willen erklärt worden. Die Beklagte lehnte diesen Antrag erneut ab (Bescheid vom 03.02.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2000). Sie führte hierzu (u. a.) aus, der Unterhaltsverzicht sei rechtswirksam zu Stande gekommen und stehe auch einer Rentengewährung nach § 243 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) entgegen. Zur näheren Begründung verwies Sie auf die Urteile des SG vom 19.01.1994 und des LSG vom 19.11.1997.

Dagegen hat die Klägerin am 15.06.2000 zum SG Klage erhoben mit der Begründung, sie habe nie auf Unterhalt verzichtet und sei von ihrer damaligen Prozessbevollmächtigten betrogen worden.

Das SG hat die Klage unter Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Widerspruchsbescheides abgewiesen (Urteil vom 08.08. 2002) und der Klägerin Verschuldenskosten auferlegt. Die Klägerin habe keine Tatsachen vorgetragen, die nicht bereits im früheren Verwaltungs- und Gerichtsverfahren vorgetragen und geprüft worden seien. Das SG folge den dort getroffenen Entscheidungen. Auch aus dem jetzt geltenden § 243 SGB VI ergebe sich kein Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente. Diese Norm sei im wesentlich inhaltsgleich mit dem früher geltenden § 1265 RVO.

Gegen das am 15.10.2002 zur Post gegebene Urteil hat die Klägerin am 14.11.2002 zu Protokoll des SG - beim LSG eingegangen am 27.11.2002 - Berufung eingelegt. Sie macht nunmehr unter Bezugnahme auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.02.2001 (BvR 12/92), des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 06.02.2001 (VII ZR 16/90) und des Oberlandesgerichts Schleswig-Holstein (OLG) vom 19.12.2000 (8 UF 201/99) geltend, der Unterhaltsverzichts sei verfassungs- und sittenwidrig, da er einseitig nur die Klägerin benachteilige und die Allgemeinheit belaste. Sie habe im Zeitpunkt der Scheidung wegen der Erziehung der gemeinsamen Tochter E. keine Erwerbstätigkeit ausüben können und aufgrund des Unterhaltsverzichts Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen. Der Vereinbarung vom 20.02.1962 sei auch nicht unmissverständlich zu entnehmen, dass und für welchen Zeitraum auf nachehelichen Unterhalt verzichtet werde. Außerdem müsse aufgrund wiederaufgefundener Behandlungsunterlagen (EEG vom 31.05.1967) der im Verfahren L 16 Ar 169/94 gehörte Nervenarzt Dr. L. nochmals zur Geschäfts- und Prozessfähigkeit der Klägerin im Jahr 1962 vernommen werden.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 08.08.2002 und den Bescheid der Beklagten vom 03.02.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr aufgrund des Antrags vom Dezember 1998 Geschiedenen-Witwenrente nach den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.

Die Beklagte beantragte, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten der Beklagten sowie Prozessakten des SG (S 30 Ar 812/91 und S 14 RJ 966/00) und des LSG (L 16 Ar 169/94) beigezogen. Zu Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten und die Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form - und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Geschiedenen-Witwenrente nach dem Versicherten N. G ...

Zur Begründung wird zunächst auf die zutreffenden Gründe des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2002 Bezug genommen (§§ 153 Abs. 1, 136 Abs. 3 SGG). Auf Grund des im Prozessvergleich vom 20.02.1962 wirksam erklärten Unterhaltsverzichts der Klägerin bestand im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten keine Anspruch der Klägerin auf nachehelichen Unterhalt. Dies hat der Senat in dem zwischen den selben Beteiligten ergangenen Urteil vom 19.11.1990 zur Anwendung des § 1265 RVO - auch unter Würdigung der von der Klägerin behaupteten Geschäfts- und Prozessunfähigkeit - ausführlich dargelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Gründe dieser Entscheidung, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, und die dort getroffenen Feststellungen Bezug genommen (vgl. BSG Urteil vom 04.04.1984 - 4 RJ 15/83 -). Aus dem zwischenzeitlichen Inkrafttreten des § 243 SGB VI hat sich keine für die Klägerin günstigere Rechtslage ergeben. Auch nach dieser - insoweit mit § 1265 RVO inhaltsgleichen - Rechtsnorm steht ein wirksamer Unterhaltsverzicht der Entstehung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenrente entgegen (vgl. BSG Urteil vom 21.06.2000 - B 4 RA 66/99 R -).

Zu den jetzt erhobenen Einwänden der Klägerin ist ergänzend folgendes auszuführen: Der Vereinbarung vom 20.02.1962 ist zweifelsfrei zu entnehmen, dass der dort unter Nr. 1 erklärte Verzicht "auf Unterhalt für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und in jeder Lebenslage" (auch) nacheheliche Unterhaltsansprüche der Klägerin umfasst. Die Vereinbarung wurde ausdrücklich "für den Fall der rechtskräftigen Scheidung" getroffen und unmittelbar nach Verkündung des Scheidungsurteils als Prozessvergleich zum Sitzungsprotokoll gegebenen. Für eine zeitliche Begrenzung des Verzichtswillens liegen keine Anhaltspunkte vor. Einer Vernehmung des Nervenarztes Dr. L. zur Frage der Geschäfts- und Prozessfähigkeit der Klägerin bedarf es nicht. Zum einen hat Dr. L. bereits im Verfahren L 16 Ar 169/94 erklärt, dass er erst 1968 - sechs Jahre nach der Scheidung der Klägerin - in die Praxis seiner Frau eingetreten ist und die Klägerin zuvor nicht von seiner Frau behandelt worden ist, so dass er keine Angaben über den Gesundheitszustand der Klägerin im Jahr 1962 machen kann (Schreiben vom 06.03.1996). Zum anderen datiert das von Frau Dr.L. offenbar im Auftrag des damals behandelnden praktischen Arztes Dr. H. erstellte EEG vom 31.05.1967. Es ist nicht ersichtlich, welche Rückschlüsse sich aus einem fünf Jahre nach der Scheidung angefertigten EEG auf den Gesundheitszustand der Klägerin im Jahr 1962 ergeben sollen. Für eine retrospektiv elektroenzephalographisch nachweisbare willensbeeinträchtigende Erkrankung der Klägerin bieten die Akten keinerlei Anhaltspunkte.

Die Vereinbarung über den Verzicht auf nachehelichen Unterhalt war auch nicht nach § 72 Satz 3 EheG wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Der Unterhaltsverzicht ist nicht bewusst zu Lasten Dritter, insbesondere eines Sozialhilfeträgers oder der 1960 geborenen Tochter E. , vereinbart worden. Zum Zeitpunkt der Vereinbarung war weder gewollt (BSGE 74,9) noch objektiv erkennbar (BGH a.a.O.), dass die Klägerin (erst) infolge des Unterhaltsverzichts zwangsläufig sozialhilfebedürftig werden würde. Die Klägerin war im Zeitpunkt der Vereinbarung lediglich vorübergehend arbeitslos. Wie im Urteil vom 19.11.1997 dargelegt, war sie dagegen von März 1961 bis 14.02.1962 und vom 20.10.1962 bis zum erneuten Beginn des Mutterschutzes im Mai 1963 berufstätig. Eine durch Kindesbetreuung bedingte Erwerbslosigkeit trat erst mit der - zum Zeitpunkt der Vereinbarung nicht vorherzusehenden - nachehelichen Geburt einer weiteren Tochter (R.) im Juni 1963 ein. Demgegenüber beruhen die von der Klägerin zitierten Entscheidungen des BGH und des OLG gerade darauf, dass die betroffene Ehefrau wegen der Kindererziehung nicht erwerbstätig sein konnte. Das Urteil des BVerfG betraf den Abschluss eines Ehevertrages durch eine schwangere, unverheiratete und erwerbstätige Frau als Voraussetzung für die Bereitschaft des Kindsvaters zur Eheschließung, wobei die Frau sowohl auf nachehelichen Unterhalt als auch teilweise auf Kindesunterhalt verzichtete. Diese Sachlage ist mit einem Verzicht auf nachehelichen Unterhalt in einer Scheidungsvereinbarung bei bestehender beiderseitiger Erwerbstätigkeit der Ehegatten, wie er hier vorliegt, nicht vergleichbar. Für eine Schutzbedürftigkeit der Klägerin vor einer einseitigen Dominanz des Versicherten liegen keine Anhaltspunkte vor. Selbst wenn der Verzicht aus Sicht der Eheleute eine Voraussetzung für das Schuldeingeständnis des Versicherten gewesen sein sollte, ist nicht ersichtlich, dass sich die Klägerin hinsichtlich der Scheidung in einer Zwangslage befunden hat, die den Verzicht - isoliert oder im Gesamtzusammenhang der Scheidungsvereinbarung - als Ausdruck einer einseitigen Dominanz des Versicherten erscheinen lassen könnte. Da die Klägerin bereits vor Vereinbarung des Unterhaltsverzichts berufstätig war, spricht auch nichts für eine nachhaltige Verschlechterung der Betreuungssituation der gemeinsamen Tochter E. durch die (weitere) Berufstätigkeit der Klägerin nach der Scheidung (vgl. BSG Urteil vom 16.06.1994 - 13 RJ 23/93 -). Auf die Betreuungssituation nach der Geburt der Tochter R. und die Frage, ob der Versicherte der leibliche Vater dieses Kindes ist, kommt es danach nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 192, 193 SGG. Der Klägerin waren auch für das Berufungsverfahren Verschuldenskosten aufzuerlegen, da Sie trotz Hinweises auf die unveränderte Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung auf einer erneuten Entscheidung über den bereits erfolglos bis zum BSG geltend gemachten Leistungsanspruch bestanden hat.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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