S 2 KA 153/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 153/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 93/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Klagerücknahme vom 31.08.2016 Landessozialgericht Essen
Az: L 11 KA 93/15

Unter Abänderung des Abrechnungsergänzungsbescheides vom 24.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2015 bezüglich der Quartale 2/2007 und 4/2007 sowie unter Abänderung der Bescheide über sachlich-rechnerische Berichtigung vom 26.09.2007 (Quartal 2/2007) und 01.04.2008 (Quartal 4/2007) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2015 wird die Beklagte verurteilt, über die Honoraransprüche der Klägerin für die Quartale 2/2007 und 4/2007 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes neu zu entscheiden. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Nachvergütung.

Die Klägerin, ein Krankenhaus, erbringt Leistungen im nicht organisierten Notfalldienst.

Mit Bescheiden vom 26.09.2007 (Quartal 2/2007) und 01.04.2008 (Quartal 4/2007) berichtigte die Beklagte die Abrechnungen der Klägerin sachlich-rechnerisch, indem sie in 2.461 bzw. 2.077 Fällen die EBM-Nr. 01210 unter Zugrundelegung der Leistungslegende in die EBM-Nr. 01218 umwandelte.

Diesen Bescheiden widersprach die Klägerin. Die sachlich-rechnerische Richtigstellung erfolge entgegen dem höchstrichterlich bestätigten Grundsatz der einheitlichen Vergütung für Krankenhäuser und Vertragsärzte auf Basis einer sachwidrigen und nicht systemgerechten im Gegensatz zum Vertragsarztbereich geltenden geringeren Punktzahl im EBM 2000plus. Die Umwandlung der Ziffer 01210 in die Ziffer 01218 beruhe insoweit auf einer rechtswidrigen und unverzüglich zu korrigierenden Regelung des EBM 2000plus. Es werde beantragt, den nachzuzahlenden Betrag zu verzinsen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.04.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Für den Arzt-Patienten-Kontakt im organisierten Notfalldienst seien die Gebührenordnungspositionen (GOPen) 01210 bis 01217 EBM vorgesehen, die GOP 01218 EBM sei für die Notfallbehandlung u.a. von Krankenhäusern berechnungsfähig. Da Krankenhäuser nicht am organisierten Notfalldienst teilnähmen, müsse es in den Quartalen 2/2006 (gemeint: 2/2005) bis 4/2007 bei der Umwandlung in die GOP 01218 EBM bleiben. Soweit sich die Klägerin gegen die Bewertung der GOP 01218 EBM wende, werde auf das gesonderte Widerspruchsverfahren zum Abrechnungsergänzungsbescheid vom 24.06.2014 verwiesen.

Mit diesem Abrechnungsergänzungsbescheid vergütete die Beklagte für die ambulanten Notfallbehandlungen nach der in den Quartalen 2/2005 bis 4/2007 gültigen EBM-Position 01218 unter Abänderung der ergangenen Honorarbescheide die Differenz in der Punktzahlbewertung zur GOP 01210 EBM (300 Punkte) abzüglich eines 10 % Investitionskostenabschlages. Betroffen seien die Quartale, in denen Widerspruch gegen den jeweiligen Honorarbescheid sowie gegen den Abrechnungsergänzungsbescheid aus November/Oktober 2007 eingelegt worden sei. In den Quartalen, in denen kein Widerspruch eingelegt worden sei, erfolge keine Honorarnachvergütung. Dies betraf die Quartale 2/2007 bis 4/2007.

Die Klägerin widersprach dem Abrechnungsergänzungsbescheid. Die Widersprüche für die Quartale 2/2007, 3/2007 und 4/2007 seien fristgerecht erhoben worden.

Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 15.04.2015 gab die Beklagte dem Widerspruch für das Quartal 3/2007 insoweit statt, als eine Nachvergütung in Höhe von 29.254,50 EUR erfolgte. Im Übrigen wies sie die Widersprüche zurück. Hinsichtlich der Punktzahlbewertung der GOP 01218 EBM für die Quartale 2/2005 bis 4/2007 habe das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass Krankenhäuser den Vertragsärzten gleich zu stellen seien. Demgemäß sei für diese Quartale ggf. die Differenz in der Punktzahlbewertung zur GOP 01210 abzüglich eines Investitionskostenabschlages von 10 % nachvergütet worden.

Die Prüfung habe ergeben, dass im Quartal 3/2007 keine Nachvergütung erfolgt sei, obwohl ein fristgerechter Widerspruch gegen den Abrechnungsbescheid vorgelegen habe. Insoweit habe dem Widerspruch stattgegeben werden können. Die Widersprüche gegen die Quartale 2/2007 und 4/2007 hätten sich gegen die Bescheide über sachlich-rechnerische Berichtigungen (Umwandlung der GOP 01210 bis 01217 in die GOP 01218) gerichtet. Hierzu werde auf das gesonderte Widerspruchsverfahren verwiesen.

Hiergegen richtet sich die am 08.05.2015 erhobene Klage.

Die Klägerin ist der Ansicht, eine Anfechtung der Honorarbescheide sei zur Durchsetzung der Nachvergütungsansprüche nicht notwendig gewesen. Nach dem Meistbegünstigungsprinzip seien Schriftsätze, Anträge und Rechtsbehelfe so auszulegen, dass das Begehren möglichst weitgehend zum Tragen komme. Die Widersprüche der Klägerin hätten sich erkennbar auf die gesamte Honorarabrechnung und nicht nur auf die sachlich-rechnerische Richtigstellung bezogen. Ihr sei es stets darum gegangen, dass ihr eine gleichwertige Vergütung zu jener der Vertragsärzten nachträglich gewährt werde. Zum damaligen Zeitpunkt habe sie nicht wissen und erkennen können, dass die Anpassung der Vergütung durch den Bewertungsausschuss nicht durch eine Streichung der GOP 01218 EBM erfolgen würde und somit die Abrechnung der GOP 01210 richtig gewesen wäre, sondern durch eine Aufwertung der GOP 01218 auf das Niveau der GOP 01210. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass sie die GOP 01210 EBM in toto hätte streichen können, ohne eine Umwandlung vorzunehmen. Sie habe diesen Weg, der ihrer gängigen Verwaltungspraxis entspreche, gewählt und sei hieran gebunden. Im Übrigen habe die Beklagte nach dem Urteil des BSG vom 15.08.2012 - B 6 KA 38/11 R - Vertrauensschutz zu prüfen, wenn vor Veröffentlichung dieser Entscheidung ein Honorarbescheid nicht angefochten worden sei. Hier seien die Honorarbescheide für die Quartale 2/2007 und 4/2007 lange vor dieser Entscheidung bestandskräftig geworden. Der Klägerin könne es nicht zum Nachteil gereichen, dass die Beklagte bis zur Einführung von Regelleistungsvolumina sachlich-rechnerische Berichtigungen im Wege eigener Bescheide vollzogen habe, während solche Berichtigungen nunmehr als sog. Regelwerksaktionen Bestandteil des Honorarbescheides seien.

Die Klägerin beantragt,

1.) den Abrechnungsergänzungsbescheid der Beklagten vom 24.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2015 aufzuheben, soweit die Widersprüche hinsichtlich der Quartale 2/2007 und 4/2007 zurückgewiesen werden, und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes neu zu bescheiden;

2.) die Bescheide der Beklagten über sachlich- rechnerische Berichtigungen bezüglich der Quartale 2/2007 vom 26.09.2007 und 4/2007 vom 01.04.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt ihre Entscheidungen.

Die alleinige Anfechtung der Bescheide über sachlich-rechnerische Richtigstellung ohne Anfechtung der Honorarbescheide könne nicht zu einer Honorarnachvergütung führen. Die Klägerin habe die GOP 01210 EBM in Ansatz gebracht, deren Abrechnung ihr nach der Leistungslegende verwehrt sei. Konsequenz wäre deren Streichung gewesen. Lediglich unter dem "Gedanken des Entgegenkommens" ohne Rechtsanspruch habe die Beklagte eine Umwandlung in die zutreffende GOP 01218 EBM vorgenommen. Diese rechtmäßige Umwandlung sei von der Frage der konkreten Vergütungshöhe rechtlich zu trennen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da diese rechtswidrig sind. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Neubescheidung.

Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass Krankenhäuser bei der Vergütung von Notfallleistungen nicht gegenüber Vertragsärzten schlechter gestellt werden dürfen. Lediglich eine an § 120 Abs. 3 Satz 2 SGB V anknüpfende pauschale Honorarminderung in Höhe von 10 % bei öffentlich geförderten Krankenhäusern hat das BSG akzeptiert (BSG, Urteile vom 17.09.2008 - B 6 KA 46/07 R und B 6 KA 47/07 R -). Zutreffend hat die Beklagte deshalb auf der Grundlage des rechtskräftig gewordenen Beschlusses des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 16.12.2009 (dazu LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.05.2013 - L 24 KA 4/10 KL -) mit dem Abrechnungsergänzungsbescheid vom 24.06.2014 für die betroffenen Quartale 2/2005 bis 4/2007 dem Grunde nach auch zugunsten der Klägerin Nachvergütungen vorgenommen.

Das hätte auch für die Quartale 2/2007 und 4/2007 geschehen müssen. Der Umstand, dass die Honorarbescheide für diese Quartale nicht angefochten worden sind, steht dem Anspruch auf Nachvergütung nicht entgegen.

In seinem Urteil vom 15.08.2012 - B 6 KA 38/11 R - RdNrn. 13-16 hat das BSG zur Vereinheitlichung seiner Rechtsprechung - unter Modifikation seiner in früheren Entscheidungen getroffenen Aussagen - nunmehr klargestellt, dass für die gerichtliche Klärung von gesonderten Feststellungen (Bemessungsgrundlagen, Budgets, RLV), Teilelementen und Vorfragen zur Bestimmung des Quartalshonorars nur dann und solange Raum ist, als die jeweiligen Quartalshonorarbescheide noch nicht bestandskräftig sind. Dies gilt auch dann, wenn entsprechende Feststellungen durch gesonderten Verwaltungsakt erfolgt sind. Dabei hat das BSG darauf hingewiesen, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen ggf. zu prüfen hätten, ob Vertragsärzten, die im Vertrauen auf die (ältere) Rechtsprechung des Senats von einer gleichzeitigen Anfechtung der Honorarbescheide abgesehen hätten, Vertrauensschutz zu gewähren sein könne. Hierfür bestehe ggf. Veranlassung, weil durch die nicht einheitliche Rechtsprechung des Senats Rechtsunsicherheit eingetreten sein könne und zudem die grundlegenden Ausführungen des Senats im Beschluss vom 17.08.2011 - B 6 KA 30/11 B - nicht veröffentlicht worden seien, sodass hiervon keine Kenntnis habe genommen werden können. Dies gelte jedenfalls für Honorarbescheide, bei denen vor Veröffentlichung der Entscheidung des Senats vom heutigen Tag Bestandskraft eingetreten sei.

Die Honorarbescheide für die hier streitigen Quartale 2/2007 und 4/2007 datieren lange vor der Entscheidung des BSG vom 15.08.2012. Im Zeitpunkt der Erteilung dieser Honorarbescheide war weder absehbar, dass das BSG Jahre später die Forderung nach einer Anfechtung der Honorarbescheide für eine Vielzahl von Fallsituationen erheben würde, noch war absehbar, wie sich die höchstrichterliche Rechtsprechung zur unterschiedlichen Honorierung von Notfallleistungen durch Krankenhäuser und Vertragsärzte verhalten würde und wie der (Erweiterte) Bewertungsausschuss im Falle erkannter Rechtswidrigkeit anschließend einen rechtmäßigen Zustand herstellen würde. Die rechtstatsächliche Entwicklung zeigt das mit Deutlichkeit. Nachdem das BSG in seinen Entscheidungen vom 17.09.2008 - B 6 KA 46/07 R und B 6 KA 47/07 R - die Rechtswidrigkeit der unterschiedlichen Punktzahlhöhe der Nr. 01210 EBM (500 Punkte für den Ordinationskomplex im organisierten Notfalldienst) gegenüber der Nr. 01218 EBM (200 Punkte für die Notfallbehandlung von ( ) Krankenhäusern) in der vom 01.04.2005 bis 31.12.2007 geltenden Fassung gerügt hatte, hat der Bewertungsausschuss ab 01.01.2008 zwar die Punktzahlhöhe der Nrn. 01210 und 01218 EBM angeglichen (405 Punkte), zugleich aber neue Zusatzpauschalen für die Besuchsbereitschaft im Notfall bzw. im organisierten Notfalldienst (Nrn. 01211, 01215, 01217 und 01219 EBM ) geschaffen. Auch diese hat das BSG für rechtswidrig erkannt (Urteile vom 12.12.2012 - B 6 KA 3/12 R und B 6 KA 4/12 R -). Nunmehr erfassen die Notfallpauschalen nach den Nrn. 01210, 01212, 01214, 01216 und 01218 EBM sowohl den organisierten Not(-fall)dienst als auch nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte, Institute und Krankenhäuser.

Angesichts dieser Entwicklung muss es für die Nachvergütungsansprüche ausreichen, wenn nur die Bescheide über die sachlich-rechnerischen Berichtigungen angefochten worden sind. Formal war der Klägerin in den streitbefangenen Quartalen die Abrechnung der in Ansatz gebrachten GOP 01210 EBM zwar verwehrt gewesen. Insofern hat das BSG jedoch in seinen Urteilen vom 12.12.2012 - B 6 KA 3/12 R und B 6 KA 4/12 R - (jeweils RdNr. 13) ausgeführt, zwar habe die Beklagte vordergründig zu Recht die von dem klagenden Krankenhaus abgerechneten Leistungen nach Nr. 01211, Nr. 01215, Nr. 01217 und Nr. 01219 EBM 2008 richtig gestellt - d.h. unvergütet gelassen -, weil die Leistungsvoraussetzungen nicht erfüllt würden. Die Regelungen des EBM 2008 über die Vergütung der Notfallbehandlungen stünden jedoch mit höherrangigem Recht nicht in Einklang, weil die in den genannten Gebührenordnungspositionen geregelte gesonderte Vergütung der Besuchsbereitschaft eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung der von Vertragsärzten im organisierten Not(fall)dienst auf der einen und von Krankenhausambulanzen auf der anderen Seite erbrachten Notfallbehandlungen darstelle. Dies führe zur Rechtswidrigkeit der Bescheide. Diese Rechtsprechung gilt ohne Weiteres auch für die vorliegende, vordergründig zu Recht vorgenommene Berichtigung der Nr. 01210 EBM 2000plus.

Soweit die sachlich-rechnerischen Berichtigungen in den vom BSG am 12.12.2012 entschiedenen Fällen - B 6 KA 3/12 R und B 6 KA 4/12 R - jeweils in den Honorarbescheiden und nicht in getrennten Bescheiden verfügt worden sind, bedeutet das nicht, dass auch vorliegend die Honorarbescheide hätten angefochten werden müssen. Eine solche Forderung wäre hier lediglich formaler Natur. Die Klägerin hat in ihren Widersprüchen gegen die Berichtigungsbescheide vom 26.09.2007 (2/2007) und 01.04.2008 (4/2007) deutlich gemacht, dass sie auf einer Gleichbehandlung der Vergütung für die Notfallleistungen mit den Vertragsärzten bestehe. Wenn dann wenige Wochen später die Honorarbescheide ergangen sind (ca. 25.10.2007 bzgl. des Quartals 2/2007; ca. 25.04.2008 bzgl. des Quartals 4/2007), kann jedenfalls aus Vertrauensschutzgründen der vorprozessual nicht rechtsanwaltlich vertretenen Klägerin nicht abverlangt werden, mit derselben Begründung auch noch die Abrechnungsbescheide anzufechten.

De Beklagte wird nunmehr über die Nachvergütung für die Quartale 2/2007 und 4/2007 neu zu entscheiden haben. Das bedeutet konkret, dass der Klägerin dem Grunde nach ein Anspruch auf Nachvergütung zusteht und lediglich über die Höhe eine Entscheidung zu treffen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
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