L 4 RA 42/03

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 13 RA 178/00
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 RA 42/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 29. November 2002 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 Nr. 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, die Zeit vom 01.07.1965 bis 30.06.1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) festzustellen.

Der am ...1937 geborene Kläger absolvierte zunächst in der Zeit von September 1951 bis August 1954 eine Lehre als Buchhändler und arbeitete in diesem Beruf sodann bis Dezember 1954. Nach einer weiteren Tätigkeit als Hilfshersteller und Hersteller wechselte der Kläger zum 01.01.1960 zum VEB D ... Verlag für G ... L ..., wo er zunächst als Hersteller, Hilfsredakteur und Redakteur der Zeitschrift " ..." tätig war. Ab dem 01.02.1965 bis zum 30.06.1990 war er dann als Absatzleiter des Verlages tätig. In der Zeit von 1960 bis 1965 studierte der Kläger an der Ingenieurschule für Polygraphie " ...". Ausweislich der Ingenieururkunde vom 24.07.1965 war der Kläger berechtigt, ab diesem Zeitpunkt den Titel "Ingenieur" zu führen.

Am 01.04.1978 trat der Kläger der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung bei und entrichtete bis zum 30.06.1990 auf sein monatliches Einkommen bis max. 1.200,00 Mark Beiträge. Eine Versorgungszusage ist dem Kläger bis zum 30.06.1990 nicht erteilt worden.

Der Kläger beantragte unter dem 10.05.1999 bei der Beklagten die Feststellung von Zusatzversorgungsanwartschaften. Der Beklagten lagen dabei die Geburtsurkunde, die Ingenieururkunde, eine Urkunde des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst über die Zuerkennung des Grades eines Diplom-Ingenieurs (Fachhochschule), ein Änderungsvertrag zum Arbeitsvertrag des Klägers, dessen Sozialversicherungsausweise sowie eine Entgeltbescheinigung des ehemaligen Arbeitgebers des Klägers vor. Mit Bescheid vom 30.11.1999 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Die im VEB D ... Verlag für G ... ausgeübte Beschäftigung entspreche zwar der technischen Qualifikation, jedoch sei sie nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder einem gleichgestellten Betrieb ausgeübt worden, wie es die Versorgungsordnung fordere. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 07.12.1999 bei der Beklagten Widerspruch ein. Der VEB D ... Verlag sei wirtschaftlich selbständig mit eindeutigen Produktionsaufgaben auf Basis von staatlich bestätigten Produktionsplänen und Zuteilung von Papiertonnage gewesen. Die Produktionsaufgabe des Verlages habe darin bestanden, technisch-wissenschaftliche Fachliteratur herzustellen. Dass Verlage dem Ministerium für Kultur, Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel, unterstellt gewesen seien, sei rein formalistisch gewesen. Technische Fachverlage, wie der VEB D ... Verlag für G ..., hätten zu den Industrieministerien eine viel engere Beziehung gehabt und hätten folgerichtig ihnen unterstellt werden müssen. Mit Widerspruchsbescheid vom 09.03.2000 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Die im VEB D ... Verlag für G ... ausgeübte Beschäftigung sei nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder einem gleichgestellten Betrieb ausgeübt worden. Die vom Kläger ausgeübte Beschäftigung könne auch keinem anderen Zusatzversorgungssystem nach dem AAÜG zugerechnet werden. Zwar komme eine Zusatzversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen in Betracht, uneingeschränkt berechtigt für diese Zusatzversorgung seien jedoch nur Verlagsleiter gewesen. Die vom Kläger ausgeübte Beschäftigung als Absatzleiter könne nur zu den so genannten Ermessensfällen gerechnet werden. Die fehlende Ermessensentscheidung könne nicht durch eine Ermessensentscheidung nunmehr aus bundesrechtlicher Sicht nachgeholt werden. Der Nachweis eines Anspruchs auf eine Altersversorgung aufgrund eines Einzelvertrages sei nicht geführt worden.

Hiergegen hat der Kläger am 04.04.2000 Klage zum Sozialgericht Leipzig erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt hat. Der Betrieb habe Produktionsaufgaben wahrgenommen. Der Verlag habe technisch-wissenschaftliche Fachliteratur für die Berufs-, Fachschul- und Hochschulausbildung, für die Praxis sowie Forschung und Entwicklung in den Wissens- und Industriezweigen Geowissenschaften, Bergbau, Energiewesen, Metallurgie, Werkstoffe, Chemie und Verfahrenstechnik entwickelt und produziert. Der Druck und die weitere Fertigung der Literatur sei durch die Dienstleistung der Polygraphie an den Verlag erfolgt.

Das Sozialgericht (SG) hat nach mündlicher Verhandlung die Klage mit Urteil vom 29.11.2002 abgewiesen. Die Klage sei zulässig, aber unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Versorgungssystem der technischen Intelligenz sowie auf Feststellung der in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte. Ihm sei für den streitigen Zeitraum weder eine Versorgungszusage erteilt worden, noch habe er eine Tätigkeit ausgeübt, für die ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung vorgesehen gewesen wäre. Die Frage der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem beantworte sich, sofern eine Versorgungszusage nicht erteilt worden sei, danach, ob eine tatsächlich ausgeübte Beschäftigung ihrer Art nach zu denjenigen gehöre, derentwegen entsprechend der Versorgungsordnung und gegebenenfalls weiteren einschlägigen generellen und veröffentlichten Erläuterungen hierzu zu irgendeinem Zeitpunkt ein Versorgungssystem errichtet worden sei. Mit dem AAÜG habe der Gesetzgeber entsprechend den Vorgaben des Einigungsvertrages das Ziel verfolgt, sämtliche Zeiten, in denen Beschäftigungen in der ehemaligen DDR ausgeübt worden seien, und für die ihre Art nach zu irgendeinem Zeitpunkt Versorgungsansprüche aus einem Zusatz- und Sonderversorgungssystem vorgesehen gewesen seien, ab dem 01. Januar 1992 als Pflichtbeitragszeiten in die gesetzliche Rentenversicherung zu übernehmen. Im vorliegenden Fall habe der Kläger keine Versorgungszusage und erst recht keine Bewilligung eines Rechts auf Versorgungsrente erhalten. Die Voraussetzungen der Zugehörigkeit ergäben sich aus der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (GBl. DDR I, S. 844; im Folgenden: VO-AVItech) in Verbindung mit der nach § 5 VO-AVItech erlassenen Zweiten Durchführungsbestimmung vom 24. Mai 1951 (GBl. DDR I, S. 487; im Folgenden: 2. DB). Generell sei dieses Zusatzversorgungssystem errichtet worden für Personen, die berechtigt gewesen seien, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen und die die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausübten, und zwar in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens. Der Kläger sei im streitigen Zeitraum bei keinem VEB beschäftigt gewesen, der nach dem versorgungsrechtlichen Sprachgebrauch der DDR am 30. Juni 1990 als "Produktionsbetrieb" bezeichnet worden sei, weil der Hauptzweck des Betriebes nicht in der industriellen Fertigung von Sachgütern bestanden habe. Da die Sachlage zum 30. Juni 1990 maßgeblich sei, seien die Ende Juni 1990 bestehenden acht Industrieministerien und ihre Verantwortungsbereiche zu berücksichtigen. Die Verlage seien zum Zeitpunkt 30. Juni 1990 keinem dieser Ministerien zugeordnet gewesen, sondern, wie der Kläger selbst ausführe, dem Ministerium für Kultur der DDR. Dies ergebe sich auch aus den beigezogenen Registerakten. Verlage seien auch keine Betriebe gewesen, die durch § 1 Abs. 2 der 2. DB einem volkseigenen Produktionsbetrieb gleichgestellt gewesen seien. Unter die dort genannten Einrichtungen und Betriebe falle ein Verlag nicht.

Gegen das am 12.02.2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 26.02.2003 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er sein Begehren weiter verfolgt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 29.11.2002 und den Bescheid der Beklagten vom 30.11.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2000 aufzuheben und die Bekalgte zu verurteilen, ihm die Beschäftigungszeit vom 01.07.1965 bis 30.06.1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz nach Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG sowie seine während dieser Zeit erzielten Entgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat die Registerakte des VEB D ... Verlag für G ... beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Registerakte des VEB D ... Verlag für G ... Bezug genommen, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 30.11.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2000 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in

seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch, die Zeit vom 01.07.1965 bis 30.06.1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz festgestellt zu erhalten.

Einzige Anspruchsgrundlage für dieses Begehren ist § 8 Abs. 2, Abs. 3, Satz 1 und Abs. 4 Nr. 1 AAÜG. Nach diesen Vorschriften hat die Beklagte als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme der Anlage 1 Nr. 1 bis 26 zum AAÜG den Berechtigten den Inhalt der Mitteilung nach Abs. 2 der Vorschrift durch Bescheid bekanntzugeben. Dies beinhaltet die Mitteilung der Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem, das hieraus erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen, die Arbeitsausfalltage sowie nach Anwendung von §§ 6 und 7 AAÜG die sich daraus ergebenden tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung einer besonderen Beitragsbemessungsgrenze. Im vorliegenden Fall ist jedoch § 8 AAÜG, wie insgesamt das AAÜG, auf den Kläger nicht anwendbar.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt das Gesetz für "Ansprüche und Anwartschaften", die auf Grund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. "Erworben worden sind" in diesem Sinne aus der Perspektive des am 01.08.1991 in Kraft getretenen AAÜG (Art. 3 RÜG) vom 25.07.1991 (BGBl. I S. 1606) Versorgungsanwartschaften auch, wenn Nichteinbezogene rückschauend nach den Regeln der Versorgungssysteme, soweit sie auf Grund des Einigungsvertrages vom 31.08.1990 (BGBl. II S. 889) Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 9 am 03.10.1990 zu sekundärem Bundesrecht geworden waren, praktisch und rechtsgrundsätzlich im Regelfall am 30.06.1990 (vgl. Anl. II Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt III Nr. 8; § 22 Rentenangleichungsgesetz vom 28.6.1990, GBl. I S. 495) hätten einbezogen werden müssen. Dies wäre der Fall, wenn sie - ohne erfolgte Einzelfallregelung (Versorgungszusage, Einzelentscheidung, Einzelvertrag) - auf Grund der am 30.06.1990 gegebenen Sachlage nach der am 31.07.1991 gebotenen bundesrechtlichen Sicht einen Rechtsanspruch auf eine Versorgungszusage nach den Regelungen der Versorgungssysteme unter Beachtung des Gleichheitsgebotes gehabt hätten (BSG , Urteil vom 31.07.2002 - B 4 RA 21/02 R -; Urteil vom 10.04.2002 - B 4 RA 56/01 R -; Urteil vom 09.04.2002 - B 4 RA 31/01 R -). Schließlich wird nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG eine Versorgungsanwartschaft fingiert, wenn in der DDR zu irgend einem Zeitpunkt einmal eine durch Einzelfallregelung konkrete Aussicht bestand, im Versorgungsfall Leistungen zu erhalten, diese Aussicht (Anwartschaft) aber auf Grund der Regelungen der Versorgungssysteme vor dem 01.07.1990 wieder entfallen war (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 10.04.2002 - B 4 RA 34/01 R -, m.w.N.).

Da der Kläger zu keinem Zeitpunkt in der DDR eine Versorgungszusage (Art. 19 Satz 1 Einigungsvertrag), keinen Einzelvertrag mit der konkreten Aussicht hatte, bei Eintritt des Versorgungsfalls Leistungen zu erhalten, und auch insoweit keine Rehabilitierungsentscheidung vorliegt, können die Vorschriften des AAÜG mithin auf ihn nur Anwendung finden, wenn ihm aus bundesrechtlicher Sicht nach den Gegebenheiten der DDR, d.h. nach den insoweit vom Einigungsvertrag noch partiell übernommenen Regelungen der Versorgungssysteme - wären diese unter Beachtung des Gleichheitsgebotes umgesetzt worden - eine Anwartschaft auf eine Versorgung am 30.06.1990 hätte eingeräumt werden müssen. Wenn er also - wäre der Versorgungsfall zu diesem Zeitpunkt eingetreten - zum 01.07.1990 im (jetzt) rechtstaatlichen Umfeld ("kraft Gesetzes") Leistungen aus dem Versorgungssystem hätte beanspruchen können. Dies wäre der Fall gewesen, wenn der Kläger nach den Regelungen des Versorgungssystems "obligatorisch" im Sinne einer "gebundenen Verwaltung" - ohne Ermessensspielraum des Versorgungsträgers - in den Kreis der Versorgungsberechtigten hätte einbezogen werden müssen, weil die abstrakt-generellen Voraussetzungen hierfür insoweit am 30.06.1990 erfüllt waren (vgl. BSG, Urteil vom 31.7.2002 - B 4 RA 21/02 R -). Demgegenüber waren auch aus bundesrechtlicher Sicht diejenigen nicht einbezogen, die nach den einschlägigen Versorgungsordnungen, Durchführungsbestimmungen oder sonstigen Regelungen der ehemaligen DDR lediglich durch Einzelvertrag oder Einzelentscheid oder Ermessensentscheidung hätten einbezogen werden können; denn eine derartige (Ermessens-)Entscheidung, die auch der Erzeugung politischen und gesellschaftlichen Wohlverhaltens diente, könnte allein aus der Sicht der DDR und nach deren Maßstäben getroffen werden. Mangels sachlich objektivierbarer, bundesrechtlich nachvollziehbarer Grundlage kann eine solche Ermessensentscheidung aber nicht rückschauend ersetzt werden (vgl. BSG vom 31.07.2002, a.a.O.; Urteil vom 10.04.2002 - B 4 RA 10/02 R -).

Gemessen an diesen Vorgaben steht dem Kläger der streitbefangene Anspruch nicht zu. Im Hinblick auf den streitigen Zeitraum kommt eine Anspruchsberechtigung des Klägers nur nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG in Betracht, denn aus bundesrechtlicher Sicht hatte der Kläger am 30.06.1990 keine Versorgungsanwartschaften im oben genannten Sinn "erworben", sodass er nicht unter den Anwendungsbereich des AAÜG fällt. Der Kläger hätte am 30.06.1990 aus bundesrechtlicher Sicht auch keinen "fiktiven" Anspruch auf die Erteilung einer Versorgungszusage nach den insoweit maßgeblichen Vorschriften der AVItech gehabt. Die relevanten Vorschriften der AVItech ergeben sich aus den Texten der VO-AVItech und der 2. DB; demgegenüber hat die 1. DB nur historisch-heuristische Bedeutung für die Auslegung (vgl. BSG, Urteil vom 09.04.2002 - B 4 RA 31/01 R -). Gem. § 1 VO-AVItech in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB hängt ein Anspruch auf Einbeziehung in die AVItech in persönlicher, sachlicher und betrieblicher Hinsicht im Wesentlichen von drei Voraussetzungen ab: die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz war generell eingerichtet für Personen, die (1) zum einen berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen, zum anderen (2) die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben, und zwar (3) in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (vgl. BSG, Urteil vom 09.04.2002 - B 4 RA 41/01 R -).

Der Kläger war zwar durch seine berufliche Ausbildung berechtigt, den Titel eines Ingenieurs zu führen, so dass er - ausgehend von dieser beruflichen Qualifikation - grundsätzlich in das Versorgungssystem der technischen Intelligenz gemäß § 1 Abs. 1 der 2. DB hätte aufgenommen werden können. Denn § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB bestimmte, dass als Angehörige der technischen Intelligenz im Sinne des § 1 der VO-AVItech Ingenieure, Konstrukteure, Architekten und Techniker aller Spezialgebiete wie Ingenieure und Techniker des Bergbaus, der Metallurgie, des Maschinenbaus, der Elektrotechnik, der Feinmechanik und Optik, der Chemie, des Bauwesens und Statiker galten; ferner gehörten hierzu Werkdirektoren und Lehrer technischer Fächer an den Fach- und Hochschulen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 der 2. DB).

Im Hinblick auf die am maßgeblichen Stichtag "30.06.1990" ausgeübte Tätigkeit des Klägers als Absatzleiter des VEB D ... Verlag für G ... L ... scheitert ein fiktiver bundesrechtlicher Anspruch auf Einbeziehung und damit auch die Feststellung von Systemzeiten jedoch daran, dass der Kläger weder eine ingenieur-technische Tätigkeit ausübte noch - wie bereits vom Sozialgericht zutreffend ausgeführt - in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens bzw. einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt war, wie es nach den Bestimmungen der Versorgungsordnung erforderlich gewesen wäre. Die Tätigkeit eines Absatzleiters umfasst die Lösung ökonomisch-kaufmännischer Aufgaben, nicht hingegen ingenieur-technischer Tätigkeiten im engeren Wortsinn. Selbstverständlich geht der Senat davon aus, dass ein Absatzleiter über ingenieur-technisches Verständnis und über Kenntnisse zu den jeweiligen betrieblichen Abläufen verfügen muss. Diese Voraussetzungen führen jedoch nicht dazu, die Tätigkeit eines Absatzleiters als ingenieur-technische Tätigkeit i.S. der Versorgungsordnung zu qualifizieren.

Zudem verlautbart der Text der vorgenannten Vorschriften zwar nicht abschließend die Kriterien, nach denen positiv bestimmt werden könnte, ob ein bestimmter Betrieb ein volkseigener Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens gewesen ist. Der Text lässt jedoch hinreichend deutlich erkennen, welche Betriebstypen keinesfalls der AVItech zugeordnet waren. Der versorgungsrechtlich maßgebliche Betriebstyp ist durch die drei Merkmale "Betrieb", "volkseigen" und "Produktion (Industrie, Bauwesen)" gekennzeichnet. Er erfasst nach dem letzten maßgeblichen Sprachgebrauch der DDR nur volkseigene Produktionsbetriebe der Industrie und des Bauwesens, war also nicht nur auf den Ausschluss privater Betriebe gerichtet (vgl. BSG, Urteil vom 09.04.2002 - B 4 RA 41/01 R -). Dieses Verständnis fügt sich in den historischen Kontext der DDR-Verhältnisse zwanglos ein.

Der Ausdruck "Betrieb" lässt erkennen, dass es sich um eine Organisationsform handeln musste, die im Wirtschaftsrecht der DDR unter den Oberbegriff "Wirtschaftseinheit" fiel. Als Wirtschaftseinheiten verstand man in der DDR solche "Organisationsformen der sozialistischen Volkswirtschaften, die geschaffen wurden, um als warenproduzierende Glieder der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und Kollektive sozialistischer Werktätiger wirtschaftliche Leistungen zu erbringen, und die zu diesem Zweck auch über entsprechende Leitungsbefugnisse verfügen" (vgl. Autorenkollektiv unter Leitung von Heuer, Wirtschaftsrecht, Staatsverlag der DDR, Berlin 1985, Seite 65 und 75; BSG, Urteil vom 09.04.2002 - B 4 RA 41/01 R -). Soweit von "warenproduzierenden" Gliedern gesprochen wird, kann davon ausgegangen werden, das der Ausdruck "Ware" nicht nur im Sinne von Sachgütern zu verstehen ist, sondern sowohl materielle als auch immaterielle Güter umschreibt, da ansonsten Dienstleistungsbetriebe keine Betriebe im Sinne des DDR-Rechts gewesen wären. Bezogen auf den Betrieb erfasste der Ausdruck "Warenproduktion" in der DDR letztlich jede Form von wirtschaftlicher Tätigkeit (BSG, Urteil vom 09.04.2002 - B 4 RA 41/01 R -). Trotz systembedingter Abweichungen entspricht diese Bedeutung des Ausdrucks "Betrieb" weitgehend dem marktwirtschaftlichen Verständnis; danach ist der Betrieb die organisatorische Einheit von persönlichen, sächlichen und materiellen Mitteln zur fortgesetzten Verfolgung eines "technischen" Zwecks. Ausgehend vom staatlichen Sprachgebrauch der DDR hat der Ausdruck "Betrieb" im Rahmen des Versorgungsrechts nur die Bedeutung, dass er wirtschaftsleitende Organe ausschließt (deswegen deren Gleichstellung in § 1 Abs. 2 der 2. DB; vgl. BSG, Urteil vom 09.04.2002 - B 4 RA 41/01 R -).

Eine weitere Eingrenzung erfolgt durch das Merkmal "volkseigen". Dadurch beschränkt sich der Anwendungsbereich der AVItech auf Betriebe, die auf der Basis des gesamtgesellschaftlichen Volkseigentums gearbeitet haben, der wichtigsten Erscheinungsform des sozialistischen Eigentums (vgl. BSG, Urteil vom 09.04.2002 - B 4 RA 3/02 R -). Ausgeschlossen waren damit nicht nur Betriebe, die auf der Grundlage von Privateigentum wirtschafteten, sondern auch solche, für die die beiden anderen Formen des sozialistischen Eigentums kennzeichnend waren, nämlich das genossenschaftliche Gemeineigentum und das Eigentum gesellschaftlicher Organisationen der Bürger (vgl. BSG, Urteil vom 09.04.2002 - B 4 RA 41/01 R -).

Schließlich erfolgte eine weitere Begrenzung auf (volkseigene) "Produktionsbetriebe" (der Industrie und des Bauwesens). Die Maßgeblichkeit des Merkmals "Produktionsbetrieb" folgt unmittelbar aus § 1 Abs. 2 der 2. DB. Dass es dabei auf Produktionsbetriebe nur der "Industrie" und des "Bauwesens" ankommt, ergibt sich mit Blick auf die Produktionsbetriebe der Industrie u. a. schon aus der Einbeziehung des Ministeriums für Industrie in § 5 der VO-AVItech und für die Produktionsbetriebe des Bauwesens aus der sprachlichen und sachlichen Gegenüberstellung von "Produktionsbetrieben der Industrie und des Bauwesens" einerseits und allen anderen "volkseigenen Betrieben" andererseits, welche die DDR spätestens ab den 60er Jahren und jedenfalls am 30.06.1990 in ihren einschlägigen Gesetzestexten vorgenommen hatte (vgl. BSG, Urteil vom 09.04.2002 - B 4 RA 41/01 -).

Aus § 5 der VO-AVItech wie auch aus § 1 der 1. DB ergeben sich somit zwei Forderungen für die Bedeutung des Wortes "volkseigener Produktionsbetrieb" in § 1 Abs. 2 der 2. DB: es muss sich bei dem betroffenen Betrieb erstens um einen VEB handeln, der organisatorisch dem industriellen Produktionssektor der DDR-Planwirtschaft zugeordnet war; ferner muss zweitens der verfolgte Hauptzweck des VEB auf die industrielle Fertigung, Fabrikation, Herstellung bzw. Produktion von Sachgütern ausgerichtet gewesen sein. Dem betrieblichen Anwendungsbereich der AVItech unterlagen als "Produktionsbetriebe" somit nur VEB der Industrie, d.h. solche VEB, die als Hauptzweck industrielle Fertigung von Sachgütern betrieben (vgl. BSG, a.a.O.). Gleiches gilt für einen volkseigenen Produktionsbetrieb im Bauwesen. Industrie und Bauwesen waren in der DDR die "führenden" Produktionsbereiche (vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.). Auf ihre Unterscheidung von den "anderen Bereichen der Volkswirtschaft" wurde auch in den Regelungen zu den VEB, Kombinaten und VVB Wert gelegt (z.B. § 16 der "Verordnung über die Bildung und Rechtsstellung von Kombinaten" vom 18.10.1968; GBl. DDR II Nr. 121 Seite 963; § 2 der Kombinatsverordnung 1973 und § 41 Abs. 1 der Kombinatsverordnung 1979). Dort werden ausdrücklich die VEB in den Sektoren Industrie und Bauwesen den Sektoren Handel, Dienstleistungen, Landwirtschaft sowie allen anderen Bereichen der Volkswirtschaft gegenübergestellt. Auch nach dem Sprachgebrauch der DDR waren daher volkseigene Produktionsbetriebe nur solche dieser beiden Wirtschaftsbranchen Industrie und Bauwesen. Hieraus folgt somit, dass es auch für die Bejahung eines volkseigenen Produktionsbetriebes des Bauwesens im Sinne der 2. DB erforderlich ist, dass der Betrieb als seinen Hauptzweck Bautätigkeiten ausführte.

Dies zugrunde gelegt, war der Beschäftigungsbetrieb des Klägers am 30.06.1990 nicht dem industriellen Produktionssektor der Planwirtschaft der DDR organisatorisch zugeordnet. Wie der Kläger selbst bestätigt und wie sich auch aus den vom Kläger im sozialgerichtlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen und der vom Senat beigezogenen Registerakte ergibt, war der VEB D ... Verlag für G ... der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel des Ministeriums für Kultur unterstellt und gehörte gerade daher nicht zu einem Industrieministerium.

Für die Frage, ob eine Beschäftigung in einer von der Versorgungsordnung der AVItech erfassten Beschäftigungsstelle ausgeübt worden ist, ist aber als entscheidendes Prüfungskriterium die Klärung der Frage maßgeblich, welchem staatlichen Leitungsorgan der jeweilige Beschäftigungsbetrieb (zum Stichtag 30.06.1990) unterstellt war (vgl. BSG, Urteil vom 10.04.2001 - B 4 RA 10/02 R -). Eine solche Prüfung wäre entbehrlich, wenn alle Betriebe, deren Hauptzweck die industrielle Produktion von Sachgütern gewesen war, zu den volkseigenen Produktionsbetrieben zählen würden, die dem Geltungsbereich der VO-AVItech unterfallen. Gründe, die die ehemalige DDR veranlasst haben könnten, einen Betrieb, der Produktionsaufgaben erfüllte, nicht einem Industrieministerium als staatlichem Leitungsorgan zu unterstellen, sind bei der Anwendung bundesrechtlicher Vorschriften, die sich ausschließlich an den faktischen Gegebenheiten der DDR, wie sie am 02.10.1990 bestanden haben, orientieren, unerheblich. Eine Prüfung, ob der Beschäftigungsbetrieb des Klägers wegen seines Hauptzwecks möglicherweise auch einem Industrieministerium hätten unterstellt werden können, hat danach auszuscheiden.

Der VEB D ... Verlag für G ... war auch einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie und des Bauwesens nicht gleichgestellt. Denn gemäß § 1 Abs. 2 der 2. DB waren den volkseigenen Produktionsbetrieben nur gleichgestellt wissenschaftliche Institute; Forschungsinstitute; Versuchsstationen; Laboratorien; Konstruktionsbüros; technische Hochschulen; technische Schulen; Bauakademien und Bauschulen; Bergakademie und Bergbauschulen; Schulen, Institute und Betriebe der Eisenbahn, Schifffahrt sowie des Post- und Fernmeldewesens; Maschinen-Ausleih-Stationen und volkseigene Güter, Versorgungsbetriebe (Gas, Wasser, Energie); Vereinigungen volkseigener Betriebe, Hauptverwaltungen sowie Ministerien. Aus dieser Aufzählung ist hinreichend deutlich ersichtlich, dass der VEB D ... Verlag für G ... hierzu nicht zählt.

Der Kläger hat auch keinen "fiktiven" bundesrechtlichen Anspruch (siehe oben) auf Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der DDR (AVIwiss) wegen seiner Tätigkeit als Absatzleiter des VEB D ... Verlag für G ...

Maßgeblich ist insoweit die "Verordnung über die Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der Deutschen Demokratischen Republik" vom 12.07.1951 (GBl. DDR Nr. 85, Seite 675 - VO-AVIwiss -). Gemäß § 2 Abs. 1 der VO-AVIwiss gelten als Angehörige der wissenschaftlich tätigen Intelligenz (a) hauptberuflich tätige Hochschullehrer, Leiter und hauptberuflich tätige Wissenschaftler an den Akademien, Instituten, wissenschaftlichen Bibliotheken und Museen und sonstigen wissenschaftlichen Einrichtungen sowie Verlagsleiter, Chefredakteur, Cheflektoren sowie (b) Verwaltungsdirektoren an Akademien, Universitäten, Hochschulen und bedeutenden wissenschaftlichen Einrichtungen, Herstellungsleiter in bedeutenden volkseigenen Verlagen und (c) besonders qualifizierte Feinmechanikermeister, Mechanikermeister, Präparatoren, Garteninspektoren und Gartenmeister an Universitäts- und Hochschuleinstituten sowie an anderen bedeutenden wissenschaftlichen Einrichtungen. Gemäß § 6 der VO-AVIwiss waren wissenschaftliche, künstlerischer, pädagogische und medizinische Einrichtungen der DDR im Sinne des § 1 der Verordnung wissenschaftliche und künstlerischer Akademien, Universitäten und Hochschulen, Forschungsinstitute, wissenschaftliche und künstlerischer Bibliotheken, Kunstsammlungen und Museen und ihnen entsprechende künstlerisch-wissenschaftlich Einrichtungen, öffentliche Theater- und Kulturorchester (einschließlich solcher von Organisationen, soweit sie von der staatlichen Kommission für Kunstangelegenheiten anerkannt sind), künstlerischer Einrichtung des Films und des Rundfunks in der DDR, alle Einrichtungen des öffentlichen Bildungs- und Erziehungswesens sowie alle Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens.

Dies zugrundegelegt, scheitert ein Anspruch des Klägers bereits daran, dass er am maßgeblichen Stichtag 30.06.1990 weder Verlagsleiter noch Cheflektor noch Herstellungsleiter in einem bedeutenden volkseigenen Verlag gewesen ist, sondern Absatzleiter des Verlages; der übrige, nach der Versorgungsordnung berechtigte Personenkreis scheidet ersichtlich aus.

Da der Kläger somit am 01.08.1991 keine Versorgungsanwartschaft im Sinne des § 1 AAÜG "erworben" hatte, mithin das AAÜG auf den Kläger bereits keine Anwendung findet (siehe oben), hat er erst recht gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit im Versorgungssystem gemäß § 5 AAÜG.

Nach alledem war die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

Der Senat hat die Revision im Hinblick auf den Beschäftigungsbetrieb des Klägers am 30.06.1990 und dessen Unterstellung unter das Ministerium für Kultur wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 SGG) zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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