L 2 U 44/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 4 U 24/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 44/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 05.01.1999 aufgehoben. Der Bescheid vom 24.06.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.1997 wird geändert. Es wird festgestellt, dass die Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule mit chronischen Kopfschmerzen und Schwindel Folge des Arbeitsunfalles vom 05.10.1994 sind. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Heilbehandlung wegen dieser Unfallfolgen zu gewähren. II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob Beschwerden der Klägerin im Nacken-Kopf-Bereich mit Schwindel Folge eines Arbeitsunfalles vom 05.10.1994 sind und, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Heilbehandlung für diese Beschwerden zu gewähren.

Die Klägerin erlitt am 05.10.1994 in Ausübung ihrer Tätigkeit bei der J ... Unfallhilfe einen Verkehrsunfall. Ein von links kommendes Fahrzeug nahm ihr die Vorfahrt und prallte gegen das Fahrzeug der Klägerin. Nach Angaben der Klägerin stellten sich nach dem Unfallereignis Nacken- und Kopfschmerzen ein, die sich gegen Abend verschlechterten. Am Morgen des nächsten Tages habe sie auch einen Tinnitus rechts bemerkt.

Am 06.10.1994 suchte die Klägerin den Durchgangsarzt Dr. W1 ... auf, der einen Klopf- und Druckschmerz im gesamten Halswirbelsäulenbereich fand, ferner eine schmerzbedingte Bewegungseinschränkung in allen Ebenen. Das Röntgen der Halswirbelsäule (HWS) habe einen Fissurverdacht des 3. Halswirbelkörpers erbracht, der sich im Computertomogramm nicht bestätigt habe. Dr. W1 ... diagnostizierte ein HWS-Schleudertrauma.

Einer ärztlichen Unfallmeldung der Fachärztin für Orthopädie Dr. S1 ... vom 30.01.1995 lässt sich entnehmen, dass bei gleichbleibendem Befund ein Röntgenbild verstärkte Uncarthrosen der mittleren HWS ohne Einengung der Foramina intervertebralia erbracht hatte. In einem Arztbericht vom 28.03.1995 führte Dr. K1 ..., Klinik B ... L ..., aus, dass eine Bewegungseinschränkung im HWS-Bereich mit Druckschmerz bestehe. Die Klägerin habe laufende Schmerzen im Bereich des Nackens, Bewegungsschmerz, Schwindelgefühl und Tinnitus angegeben. Diagnostiziert wurde ein HWS-Syndrom und Schleudertrauma. Die Fachärztinnen für HNO N1 .../R1 ...diagnostizierten am 24.04.1995 einen posttraumatischen Tinnitus rechts bei Cervicalsyndrom. Dr. S1 ... beschrieb am 14.05.1995 eine Bewegungsstörung der Kopfgelenke rechts und links bei Druckschmerz und schmerzhafter Vorneige, ferner Kopfschmerz und Ohrgeräusche rechts. Die Behandlung sei noch nicht abgeschlossen und es sei noch nicht absehbar, wie lange sie andauern werde.

Einem Arztbericht der Oberärztin Dr. R2 ... der Klinik "B ..." vom 13.06.1995 lässt sich entnehmen, dass weiterhin einseitige Kopfschmerzen und Ohrgeräusche bestanden.

Auf eine Anfrage der Beklagten teilte die Klägerin am 16.08.1995 mit, dass sie vor ihrem Unfall am 05.10.1994 keine Beschwerden in Form einer eingeschränkten Beweglichkeit der HWS bzw. des Kopfes gehabt habe, ferner keine anfallsartig auftretenden rechtsseitigen Kopfschmerzen und keine dauernden Ohrgeräusche rechts. Auch weitere Ermittlungen der Beklagten ergaben keinen Nachweis von Vorerkrankungen. Dr. W1 ... führte in einem Schreiben vom 22.08.1995 aus, dass die Klägerin bei dem Unfallereignis vom 05.10.1994 eine HWS-Dystorsion erlitten habe. Der Verdacht einer knöchernen Beteiligung habe durch ein CT ausgeschlossen werden können. Vermutlich sei versäumt worden, Unfallfolge und andere evtl. degenerative Erkrankungen zu trennen. Am 30.01.1996 gab Dr. W1 ... ergänzend an, dass er bei der Untersuchung am 06.10.1994 keine degenerativen Erkrankungen festgestellt habe. Auch im CT seien keine degenerativen Veränderungen der HWS beschrieben worden. Er habe von der Orthopädin Dr. S1 ... erfahren, dass die Klägerin schon lange vor dem Unfall wegen degenerativer HWS-Veränderungen behandelt worden sei. Der Verkehrsunfall am 05.10.1994 erscheine ihm als wesentliche Ursache der unmittelbar danach geklagten Beschwerden und des Befundes, da ja in dieser Phase wegen der rezidivierenden Beschwerden der degenerativen Veränderungen keine Arbeitsunfähigkeit vorgelegen habe oder eine aktuelle Behandlung stattgefunden habe.

Eine telefonische Nachfrage der Beklagten bei Frau Dr. S1 ... am 14.03.1996 ergab, dass es sich bei den bei der Klägerin vorhandenen Uncarthrosen im Bereich der mittleren HWS um degenerative, altersbedingte Veränderungen handele. Vor dem Unfall sei die Klägerin bei Dr. S1 ... nicht in Behandlung gewesen. Im Schreiben vom 15.03.1996 habe Dr. S1 ... als Diagnose ein posttraumatisches cervicocerphales Syndrom an. Am 18.04.1996 gab sie als Befund einen Klopf- und Druckschmerz im gesamten HWS-Bereich mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung in allen Ebenen an.

Die Fachärztin für Neurologie/Psychiatrie Prof. Dr. G1 ... führte im Schreiben vom 24.05.1996 aus, dass sich die Klägerin wegen eines chronisch-rezidivierend auftretenden Cervikalsyndroms in ihrer ambulanten Behandlung befinde. Nach Angaben der Klägerin habe sie vor dem 05.10.1994 niemals Probleme mit der HWS gehabt. Bei Zustand nach HWS-Schleudertrauma sei davon auszugehen, dass die zu behandelnden Beschwerden ausschließlich als Unfallfolge zu sehen seien. Ein Röntgenbild der HWS vom 09.06.1995 zeige eine regelrechte Form und Höhe der Halswirbelkörper, die Zwischenwirbelräume und Neuroforamina seien normal weit.

Nachdem im weiteren Verlauf nach wie vor Behandlungsbedürftigkeit bestand, beauftragte die Beklagte Prof. Dr. S2 ..., Universität L ..., Zentrum für Chirurgie, mit der Erstellung eines Gutachtens. Im Gutachten vom 06.03.1997 führte Dr. S2 ... zunächst aus, dass es sich bei dem angeschuldigten Ereignis vom 05.10.1994 um eine Distorsion (Zerrung) im Bereich der HWS gehandelt habe. Ein so genanntes Schleudertrauma sei rein vom Unfallmechanismus her nicht möglich, da das die Vorfahrt nicht beachtende Fahrzeug seitlich auf das Fahrzeug der Klägerin aufgefahren sei. Ein Schleudertrauma entstehe in der Regel nur durch einen frontalen Aufprall bei einem Auffahrunfall oder durch das Auffahren auf ein Hindernis. Das von Frau Dr. S1 ... diagnostizierte Cervikalsyndrom habe verschiedene Entstehungsursachen. Eine unfallbedingte Verursachung sei selten. Durch das Unfallereignis vom 05.10.1994 sei es zu einer Distorsion im Bereich der HWS bei einer bereits vorher bestehenden Unkarthrose im Bereich der mittleren Halswirbelsäule gekommen, die sich in schmerzbedingten Bewegungseinschränkungen in allen Ebenen des HWS-Bereiches äußere. Die Verschlimmerung lasse sich vom 05.10.1994 bis 10.05.1995 zeitlich begrenzen.

In einem hals-nasen-ohrenärztlichen Zusatzgutachten vom 12.05.1997 kam Prof. Dr. B1 ... zu dem Ergebnis, dass im HNO-Bereich lediglich ein geringgradiger Tinnitus rechts vorliege. Ein Zusammenhang zwischen diesem Tinnitus und dem Unfall sei wahrscheinlich. Auf eine Nachfrage der Beklagten gab Prof. Dr. B1 ... am 02.06.1997 an, dass sich der Tinnitus habe nachweisen lassen. Die Klägerin habe glaubhaft angegeben, dass der Tinnitus erst nach dem Unfallereignis aufgetreten sei. Als Ursache für das Zustandekommen des Tinnitus müsse die Distorsion der HWS angesehen werden. Seiner Ansicht nach sei der Unfall rechtlich wesentliche Ursache des Tinnitus.

In einem neurologischen Zusatzgutachten vom 03.05.1997 führte Prof. Dr. W2 ... aus, dass es sich aufgrund des Unfallmechanismus mit seitlich auftretender Beschleunigung um eine Distorsion der HWS handele, die zu erheblichen Schmerzen mit eingeschränkter Beweglichkeit der HWS führen könne. Auch vertebragene Kopfschmerzen gehörten durchaus zum Krankheitsbild. Das Beschwerdebild klinge jedoch in der Regel innerhalb von Tagen bis 8 Wochen vollständig ab und heile dann folgenlos aus. Die von der Klägerin geklagten Beschwerden seien unzweifelhaft als Unfallfolgen anzusehen. Fraglich erscheine jedoch die extreme Dauer der Beschwerden. Ein Anhalten der Beschwerden von nunmehr zweieinhalb Jahren setzt eine erhebliche strukturelle Läsion im Bereich der HWS voraus. Solche Veränderungen seien jedoch nicht nachweisbar. Aus neurologischer Sicht könnten die Beschwerden bei unauffälligem neurologischen Befund nicht objektiv nachvollzogen werden. Es bestehe vielmehr der Verdacht auf eine sekundäre psychoreaktive Fixierung des Beschwerdebildes.

Mit Bescheid vom 24.06.1997 erkannte die Beklagte den Unfall vom 05.10.1994 als Arbeitsunfall an. Unfallfolgen seien eine Zerrung der Halswirbelsäule und geringgradige Innenohrgeräusche rechts. Wesentliche Unfallfolgen lägen nicht mehr vor. Die über den 10.05.1995 hinaus bestehende Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit sei ursächlich auf die im Bereich der unteren Halswirbelsäule vorbestehende Uncarthrose zurückzuführen. Als Folgen des Arbeitsunfalles würden weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung die Uncarthrose im Bereich der mittleren Halswirbelsäule und degenerative spondylotische Veränderungen im Bereich der unteren Brustwirbelsäule anerkannt. Der gegen den Bescheid eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.1997 zurückgewiesen. Am 20.01.1998 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Leipzig (SG) erhoben. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG vom 05.01.2000 hat die Klägerin erklärt, dass sie keine Verletztenrente beanspruche, sondern dass es ihr darum gehe, dass die Beklagte die Kosten für die Heilbehandlung aufgrund der HWS-Zerrung und den Tinnitus übernehme. Mit Urteil vom gleichen Tage hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass eine Heilbehandlung im Bereich der Halswirbelsäule aufgrund des Arbeitsunfalles nicht mehr erforderlich sei, da die von der Klägerin vorgebrachten Gesundheitsstörungen in diesem Bereich wahrscheinlich nicht ursächlich auf dem Arbeitsunfall beruhten. Zwar könne entgegen der Ansicht von Prof. S2 ... ein Schleudertrauma auch durch Seitenkollision hervorgerufen werden. Verletzungen der HWS seien beim Seitenaufprall jedoch selten, da diese über eine gute innere Abstützung gegen seitliche Überbelastungen verfüge. Mit Prof. Dr. S2 ... und Prof. Dr. W2 ... sei davon auszugehen, dass der Unfall eine Zerrung der HWS verursache und diese die vorbestehende Uncarthrose vorübergehend verschlimmert habe. Bei vorübergehender Verschlimmerung sei nach Ablauf der im Einzelfall zu bestimmenden Zeit die Verschlimmerung abgeklungen, also der vor Eintritt der Verschlimmerung bestehende Zustand wieder erreicht. Davon sei vorliegend auszugehen, da seitens des neurologischen Fachgebietes keine objektiven Befunde bestünden und es sich allenfalls um ein Schleudertrauma mit dem Schweregrad I gehandelt haben könne. Bei einem solchen dauere die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit regelmäßig ein bis zwei, drei Wochen, gelegentlich fehle sie sogar dann ganz. Gegen das ihr am 26.01.2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am Montag, den 28.02.2000 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie ausführen lassen, sie leide nach wie vor unter den Folgen des Unfallereignisses vom 05.10.1994.

Das Berufungsgericht hat im Rahmen seiner medizinischen Ermittlungen zunächst einen Befundbericht von Dr. S1 ... vom 13.06.2001 eingeholt, in dem Dr. S1 ... ausführt, dass die Beweglichkeit der HWS bis auf Restbewegungen eingeschränkt sei. Neurologische Ausfälle bestünden nicht. Die akuten Beschwerden hätten sich gebessert. Es sei aber eine chronische Störung der Funktion der oberen HWS verblieben, welche zur Bewegungseinschränkung der HWS, wiederholt zu Schwindel und zu einem chronischen Kopfschmerz führe. Dieser Zustand sei seit 1995 im Wesentlichen unverändert.

Die Beklagte hat ein Gutachten von Dr. G2 ... vom 15.02.2001 vorgelegt. In diesem Gutachten wird zunächst ausgeführt, dass die Klägerin berichtet habe, sie leide ständig unter Kopfschmerzen und Nackenschmerzen. Besonders in der HWS habe sie Beschwerden, auch bestünden Beschwerden bei schnellen Kopfdrehungen und bei Geschwindigkeitsänderungen. Bei Wetterwechsel bestünden verstärkt Beschwerden. Nach dem Röntgenbefund sei die Halswirbelsäule der Klägerin regelrecht aufgebaut und bewege sich harmonisch nach vorn und hinten. Die Bandscheibenräume seien sämtlich normal weit und glatt begrenzt. Auch die kleinen Wirbelgelenke seien unauffällig, der Verschleißgrad sei altersentsprechend. Das MRT der HWS vom 07.02.2002 habe eine normale HWS-Lordose ohne Gefügestörung in Rückenlage ergeben, ferner eine regelrechte Darstellung der Kopfgelenke ohne Hinweis für eine frische Ossäre oder ligamentäre Verletzung. Es liege keine umschriebene Höhenminderung der Bandscheibenräume vor und kein Hinweis für altersunphysiologische degenerative Veränderungen der Bandscheibenfächer. Der Spinalkanal sei normal weit. Der Gutachter hat ausgeführt, dass weder im Rahmen des neurologischen Zusatzgutachtens, noch im MRT, noch bei der Untersuchung anlässlich der Gutachtenserstellung irgendwelche pathologischen Befunde hätten objektiviert werden können, die dem angeschuldigten Unfallereignis zur Last gelegt werden könnten. Auch röntgenologisch sei der Verschleißgrad der Wirbelsäule bestenfalls altersentsprechend gering ausgeprägt. Demnach könne dem Gutachten Prof. S2 ... nur zugestimmt werden, soweit dieses wegen des angeschuldigten Ereignisses allenfalls für einen engbeschriebenen Zeitraum von einer akuten Behandlungsbedürftigkeit ausgehe. Sämtliche fachübergreifenden diagnostischen Maßnahmen hätten keinerlei pathologischen Befund objektivieren können, welchen man kausal mit dem angeschuldigten Unfallereignis in irgendeinen Zusammenhang bringen könne.

Ferner hat der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L1 ... am 11.08.2003 auf Veranlassung des Gerichtes ein neurologisches Zusammenhangsgutachten erstellt. Prof. Dr. L1 ... hat zunächst ausgeführt, dass die Klägerin angegeben habe, seit dem Unfall im Jahre 1994 unter Gesundheitsstörungen (insbesondere Kopfschmerzen) zu leiden. Damit seien auch Einschränkungen im beruflichen Bereich verbunden gewesen, da sie ständiges Autofahren nicht vertrage und deshalb vom ambulanten in den stationären Arbeitsbereich habe wechseln müssen. Seit nunmehr etwa 5 Jahren sei ihr Gesundheitszustand im Wesentlichen unverändert. Es liege nach wie vor eine mäßige Bewegungseinschränkung der HWS vor, die Kopfdrehung sei nur verlangsamt möglich, Kopfbeugen und Kopfneigen nach hinten sei sehr eingeschränkt. Die Kopfschmerzen entwickelten ihr volles Ausmaß innerhalb von ein bis zwei Stunden und hielten dann einen halben bis einen Tag an. Eine starke Kopfschmerzattacke gehe auch mit Übelkeit und Schwindel einher. Der Schwindel zwinge zum Hinsetzen oder Hinlegen. Auslösend neben spontan auftretenden Kopfschmerzen seien lange Autofahrten, plötzliches Bremsen oder Beschleunigen, plötzlicher Wetterumschwung mit Temperatursturz, Stress wirke nicht auslösend. Das Auftreten der Kopfschmerzen sei belastungsabhängig bis drei- bis viermal pro Woche, im Urlaub bei Ruhe bis ein- bis zweimal wöchentlich angegeben worden. Der Tinnitus rechts sei ständig vorhanden. Vor dem Unfall sei die Klägerin nach ihren Angaben nie wegen HWS- oder Kopfbeschwerden in Behandlung gewesen. Der Gutachter fand klinisch-neurologisch einen regelrechten Befund ohne sichere Abweichungen. Hinweise für eine Neigung zu depressiver Reaktionsweise fanden sich ebenfalls nicht. Beim berichten der Krankheitsgeschichte seien keine Anhaltspunkte für Verdeutlichungstendenzen sichtbar geworden. Nach den durchgeführten Untersuchungen und Tests müsse die Kopfschmerzsymptomatik mit Wahrscheinlichkeit als organisch ausgelöst betrachtet werden. Für eine psychoreaktive oder gar gravierende und simmulative Einflussnahme hätten sich keine wahrscheinlichen Anhaltspunkte ergeben. Der Gutachter hat weiter ausgeführt, dass das Beschleunigungstrauma der HWS und die HWS-Distorsion in medizinisch-naturwissenschaftlicher Sicht kontrovers diskutiert würden. Die ehemalige Praxis, eine derartige Unfallverletzung nach der Erdmannschen Stadieneinteilung aus dem Jahre 1973 zu begutachten und zu postullieren, nämlich das bei fehlendem Nachweis knöcherner Verletzungen die Symptomatik innerhalb weniger Monate ausheile, werde durch die tägliche Erfahrung ad absurdum geführt. Bislang seien Weichteilverletzungen zu wenig beachtet worden. Auch Schmerzsyndrome, Befindlichkeitsstörungen und psychoreaktive Störungen würden heute noch ungenügend gutachterlich beachtet und beurteilt. Die Klägerin habe am 05.10.1994 durch seitliche Auffahrt ein Beschleunigungstrauma der HWS bzw. eine HWS-Distorsion erlitten. Die CT-Untersuchung der HWS vom 06.10.1994 habe nur den 3. Halswirbelkörper betroffen und sei damit völlig mangelhaft, da sie weder die gesamte HWS noch insbesondere die Kopfgelenke erfasst habe. Der in der Unfallmeldung vom 30.01.1995 beschriebene Röntgenbefund der HWS entspreche üblichen altersphysiologischen Veränderungen und sei wegen nicht vorbestehender Beschwerden klinisch irrellevant. Es handele sich insoweit nicht um einen Vorschaden, da vor dem Unfall keine klinische Symptomatik bestanden habe. Die HWS-Distorsion bzw. das HWS-Beschleunigungstrauma vom 05.10.1994 hätten ein cervikocerphales Syndrom mit nacken- und rechtsseitigen Kopfschmerz, ein dorsales cervikales Syndrom mit Bewegungseinschränkung der HWS in allen Ebenen und endgradiger Schmerzauslösung, besonders in den oberen Abschnitten der HWS, und einen posttraumatischen Tinnitus rechts zur Folge gehabt. Schmerzausstrahlungen vom Nacken in den rechten Arm hätten nur vorübergehend bestanden. Diese Gesundheitsschäden bestünden seit dem Unfallereignis vom 05.10.1994 weiter. Seit etwa 5 Jahren sei unter ständiger medikamentöser Behandlung der Nacken-Kopfschmerz-Symptomatik eine Besserung eingetreten. Zwischen dem Unfall und den heute noch bestehenden Beschwerden liege zweifelsohne ein Kausalzusammenhang. Dies bestätigten auch alle Berichte der seit dem Unfall behandelnden Orthopädin Dr. S1 ... Nach nunmehr 9 Jahren nach dem Unfall sei es nicht mehr möglich, die unfallbedingten pathogenetischen Abläufe nachzuvollziehen. Hinzu komme, dass initial keine Funktionsaufnahme der HWS und trotz anhaltender Beschwerden innerhalb von vier bis sechs Wochen kein CT bzw. MRT unter Einschluss der Kopfgelenke sowie keine neurologische Untersuchung veranlasst worden seien. Wahrscheinlich vor 7 Jahren stattgefundene Weichteilverletzungen (Bänder, Muskeln) seien nicht mehr nachweisbar. Vorhandene Narben und kleinere Bänderrisse stellten sich nicht mehr dar, könnten aber ohne weiteres nach wie vor im akuten wie chronischen Stadium Schmerzen auslösen. Die ehemalige Forderung nach knöchernen Verletzungen zur Beurteilung der HWS-Verletzung sei heute nicht mehr aufrechtzuerhalten, vielmehr spielten auch funktionelle Verletzungen mit Dauerschaden eine wesentliche Rolle. Folgen seien schmerzhafte Einschränkungen der HWS-Beweglichkeit, Tinnitus und intermitierende halbseitige Kopfschmerzattacken. Eine derartige Symptomatik spreche mit hoher Wahrscheinlichkeit für ein organisch ausgelösten Kopfschmerz, offenbar aus den oberen HWS- und Kopfgelenksabschnitten. Ein durch Analgetika-Abusus ausgelöster Kopfschmerz liege nicht vor, da sich kein Dauerschmerz entwickelt habe. Das Gutachten von Dr. G2 ... berücksichtige die Nacken- und Kopfschmerzen nicht. Auch würden nur fehlende knöcherne pathologische Befunde berücksichtigt und negiert. Das Gutachten spiegele die heutigen medizinisch-naturwissenschaftlichen Kenntnisse des bei der Klägerin vorliegenden Krankheitsbildes nicht wieder und könne deshalb nicht akzeptiert werden. Unfallunabhängige Umstände für den Gesundheitszustand der Klägerin seien nicht erkennbar. Ein möglicher Vorschaden der HWS könne ausgeschlossen werden. Weitere Erkrankungen nach 1994 seien nicht aufgetreten. Eine psychische Erkrankung sei weder im Sinne psychoreaktiver Störungen und Schmerzerlebnisse noch im Sinne von Verdeutlichungstendenzen, Aggravation und Simulation zu erkennen gewesen. Auch ein chronischer Medikamentenabusus sei auszuschließen, da er zu einem ständigen Kopfschmerz führe.

Die Beklagte hat hierzu eine Stellungnahme von Dr. M1 ..., Facharzt für Chirurgie, vom 06.11.2003 vorgelegt, in der ausgeführt wird, dass nicht bewiesen sei, dass die Klägerin eine HWS-Beschleunigungsverletzung erlitten habe. Es sei nicht einmal der Nachweis der traumatomechanischen Voraussetzungen für das Zustandekommen einer Distorsionsbelastung der HWS belegt. Um das Vorliegen einer HWS-Beschleunigung annehmen zu können, müsse bindend eine kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung am kollidierten Fahrzeug ermittelt werden. Eine solche Untersuchung habe nicht stattgefunden. Die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung müsse die so genannte Harmlosigkeitsgrenze, also 10 bis 12 km pro Stunde überschreiten. Eine HWS-Beschleunigung sei vorliegend nicht bewiesen. Weiterhin seien bei der retrospektiven Feststellung des Schweregrades zum einen strukturelle Verletzungen auszuschließen, zum anderen die Dauer des Beschwerdeintervalls genau festzuhalten. Nur anhand dieser Kriterien sei überhaupt eine nachträgliche Schweregradeinteilung möglich. Durch umfangreiche Untersuchungen hätten bei der Klägerin Verletzungen im knöchernen oder bindegewebigen Bereich der HWS sowie am Halsmark ausgeschlossen werden können. Dies sei durch Röntgenbefunde, CT und MRT zweifelsfrei belegt. Somit sei das Tragen einer Halskrawatte über einen Zeitraum von vier bis sechs Wochen durch keinerlei medizinischen Befund gerechtfertigt und wirke geradezu bahnend auf die Akzentuierung der Beschwerden, bedingt durch die unfallunabhängige Uncovertebralarthrose. Das Beschwerdebild der Klägerin resultiere aus anlagebedingten und degenerativen Veränderungen. So seien die Dornfortsätze der Wirbelkörper 3, 4 und 5 routimentär angelegt und es bestehe im mittleren Bereich der HWS eine Uncovertebralarthrose. Diese komme als Ursache für die geklagten Beschwerden der Klägerin in Frage, was Prof. Dr. L1 ... an keiner Stelle ernsthaft diskutiert und schon gar nicht in Erwägung gezogen habe. Im Gegensatz zu den Darstellungen des Gutachters könnten auch nach 7 Jahren noch Residuen abgelaufener Unfallverletzungen festgestellt werden, dass sie immer Spuren hinterließen. Die von Prof. Dr. L1 ... als Unfallfolgen aufgeführten Gesundheitsschädigungen seien durch medizinische Befunde nicht belegt, sie beruhten ausschließlich auf semiobjektiven Beobachtungen des Gutachters und auf subjektiven Darstellungen der Klägerin. Die Vielfalt der Entstehungsmöglichkeiten eines cervikocerphalen Syndroms und eines Cervikalsyndroms sowie eines Tinnitus seien nicht einmal ansatzweise ernsthaft vom Gutachter diskutiert bzw. gewertet worden. Vielmehr habe er sich, ohne einen medizinischen Nachweis dazu zu erbringen, von vornherein festgelegt, dass es sich dabei um Unfallfolgen handele, die jeglicher organischer Grundlage entbehrten. Eine psychische Fehlsteuerung habe der Gutachter ausgeschlossen, so dass nur noch der organische Nachweis einer unfallbedingten Schädigung für die Erklärung der vorliegenden Syndrome bleibe, die unfallbedingt nicht erbracht werden könnten. Die Beschwerdesymptomatik der Klägerin resultiere bei fehlenden Strukturverletzungen zweifelsfrei aus den Uncovertebralarthrosen der mittleren HWS, die gerade für cervikale und cervikocephale Syndrome als auslösend nach einheitlicher medizinischer Auffassung gelten.

Nach Ansicht der Klägerin sind die bei ihr vorliegenden Beschwerden Folge des Arbeitsunfalles vom 05.10.1994.

Sie beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 05.01.1999 aufzuheben, den Bescheid vom 24.06.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.1997 zu ändern, festzustellen, dass die Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule mit chronischen Kopfschmerzen und Schwindel Folge des Arbeitsunfalles vom 05.10.1994 sind und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Heilbehandlung wegen dieser Unfallfolgen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat sich insbesondere auf die gutachterliche Stellungnahme von Dr. M1 ... vom 06.11.2003 bezogen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Die Beteiligten haben sich mit Schreiben vom 13.06.2001, 15.06.2001 und 21.06.2001 mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin entscheiden, da die hierfür gemäß § 155 Abs. 4, 3 Sozialgerichtsgesetz erforderlichen Einverständniserklärungen vorliegen.

Die zulässige Berufung ist begründet. Die angefochtenen Entscheidungen sind rechtswidrig, soweit in ihnen als Unfallfolge eine Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule mit chronischen Kopfschmerzen und Schwindel nicht als Folge des Arbeitsunfalles vom 05.10.1994 eine hieraus resultierende Pflicht der Beklagten zur Gewährung von Heilbehandlung verneint wird.

Soweit die Klägerin nunmehr Feststellungen der Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule mit chronischen Kopfschmerzen und Schwindel beantragt hat, ohne, wie noch im Verfahren vor dem SG formuliert, aufgrund einer Verschlimmerung der vorbestehenden Uncarthrose im Bereich der mittleren Halswirbelsäule Heilbehandlung zu gewähren, liegt hierin keine Klageänderung. Die Klägerin hat immer deutlich gemacht, dass sie die Feststellung der nunmehr im Antrag genannten Gesundheitsstörungen als Unfallfolge begehrt und dies im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG ausdrücklich bekräftigt. Damit handelt es sich bei der nunmehr vorgenommenen Formulierung des Antrages lediglich um eine Klarstellung und nicht um eine Änderung des Klageantrags (Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 7. Auflage 2002, § 99 Rn. 2a).

Die Klägerin leidet infolge des Arbeitsunfalles vom 05.10.1994 unter einer Bewegungseinschränkung der HWS mit chronischen Kopfschmerzen und Schwindel. Dass die Klägerin bei dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall eine Zerrung der Halswirbelsäule erlitten hat, hat die Beklagte bereits mit insoweit gemäß § 77 SGG bindend gewordenem Bescheid vom 24.06.1997 anerkannt. Soweit Dr. M1 ... in der gutachterlichen Stellungnahme vom 06.11.2003 ausführt, es sei nicht bewiesen, dass die Klägerin bei dem Unfall vom 05.10.1994 eine Distorsion der Halswirbelsäule erlitten habe, ist dies schon angesichts dieser bindenden Feststellung irrellevant. Darüber hinaus hat auch keiner der sonstigen Gutachter im Verfahren bezweifelt, dass die Klägerin bei diesem Unfallereignis eine HWS-Distorsion erlitten habe. Damit ist für die weitere Beurteilung jedenfalls von einer Zerrung der Halswirbelsäule als Primärschaden auszugehen.

Darüber hinaus hat die Beklagte im ebenfalls insoweit bindend gewordenen Bescheid vom 24.06.1997 festgestellt, dass die durch die Zerrung der Halswirbelsäule verursachten Kopfschmerzen eine Behandlungsbedürftigkeit bis 10.05.1995 bestanden habe, so dass auch hinsichtlich der bis 10.05.1995 bestehenden Kopfschmerzsymptomatik und deren Behandlungsbedürftigkeit kein Streit besteht.

Zur Überzeugung des Gerichtes steht jedoch weiter fest, dass auch die über den 10.05.1995 hinaus geklagten Gesundheitsbeschwerden rechtlich wesentlich auf das Unfallereignis zurückzuführen sind. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die seit dem Unfallereignis im Wesentlichen gleichbleibenden Beschwerden nach dem 10.05.1995 ihre Ursache auf die im Bereich der unteren Halswirbelsäule vorbestehenden Uncarthrose findet.

Zum einen muss insoweit darauf hingewiesen werden, dass ein Kausalzusammenhang auch dann bestehen kann, wenn vor einem Verkehrsunfall degenerative Veränderungen im Bereich der HWS festzustellen waren, ohne dass sie zu einer klinischen Symptomatik geführt haben. Eine am Maßstab des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung zu treffende richterliche Entscheidung über den Kausalzusammenhang zwischen unfallbedingtem Primärschaden und Folgeschaden hat nicht die Aufgabe, den genauen Wirkungsmechanismus einer Gesundheitsstörung nachzuvollziehen. Eine Gerichtsentscheidung vermag dies in aller Regel auch nicht zu leisten. War der Versicherte vor dem Unfall beschwerdefrei, im Sinne fehlender klinischer Symptomatik also gesund, und steht fest, dass durch den Unfall eine nicht bloß völlig unerhebliche Gesundheitsstörung eingetreten ist, dann sind bei einem nach dem Unfall nachgewiesenen Leidenskontinuum die noch bestehenden Gesundheitsstörungen mit Wahrscheinlichkeit kausal auf den unfallbedingten Primärschaden zurückzuführen, wenn weder für den Unfallzeitpunkt der Nachweis einer so genannten Gelegenheitsursache vorliegt noch in einem späteren Zeitabschnitt neue innere oder unfallunabhängige äußere Ursachen hinzutreten, die eine so überragende Bedeutung haben, dass sie eventuell noch auf vorhandene Unfallfolgen als Ursache für fortbestehende Gesundheitsstörungen völlig in den Hintergrund drängten.

Bei der zum Unfallzeitpunkt 30 Jahre alten Klägerin lagen im Bereich der Halswirbelsäule, wie sich aus sämtlichen röntgen- und sonstigen bildgebenden Befunden ergibt, lediglich altersentsprechend geringe Veränderungen vor. Dr. G2 ... hat diese Veränderungen in seinem Gutachten vom 15.09.2002 als "bestenfalls altersentsprechend gering ausgeprägt" bezeichnet. Eine dem entgegenstehende Feststellung ist von keinem der Gutachter getroffen worden, die die Klägerin untersucht haben. Somit existieren keine Hinweise darauf, dass diese leichtgradigen Verschleißerscheinungen seit ca. Mai 1995 ursächlich gewesen sein könnten für die fortbestehende Kopfschmerzsymptomatik. Damit ist auch nicht wahrscheinlich, dass die über den langen Zeitraum hin weitgehend gleichgebliebenen Funktionsstörungen ab Mai 1995 auf einer geänderten Wesensgrundlage basierten. Die Diskussion eines anderweitigen Kausalzusammenhanges verbietet sich, wenn nicht einmal im Sinne des Vollbeweises innere oder unfallunabhängige äußere Ursachen gesichert sind, die geeignet sind, die jedenfalls zunächst bestehenden unfallbedingten Folgen abzulösen oder völlig in den Hintergrund zu drängen.

Der Unfall vom 05.10.1994 war auch keine so genannte Gelegenheitsursache für die nach wie vor bestehenden Gesundheitsstörungen. Auch wenn nicht feststeht, mit welcher Geschwindigkeit die Fahrzeuge der Klägerin und ihres Unfallgegners aufeinander prallten, kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem Auffahrunfall um keinen Bagatellunfall handelte. Dies ergibt sich schon aus der langandauernden, auch von der Beklagten anerkannten Zeit der Arbeitsunfähigkeit (06.10.1994 bis 30.12.1994 und 03.04.1995 bis 10.05.1995). Einen Hinweis darauf, dass es sich nicht um einen Bagatellunfall handelte, gibt auch die Angabe der Klägerin, dass ihr Fahrzeug bei dem Zusammenstoß mit dem Volvo einen Totalschaden erlitten habe. Angesichts der nur leicht ausgeprägten Verschleißerscheinungen im Bereich der Halswirbelsäule der Klägerin kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die HWS der Klägerin schon vor dem Unfall so schwer geschädigt gewesen sei, dass die Auslösung akuter Erscheinungen aus diesem Zustand heraus nicht besonderer in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurft habe, sondern dass jedes alltäglich vorkommende Ereignis im selben Zeitraum die Erscheinung ausgelöst hätte. Hieraus folgt in Übereinstimmung mit den Feststellungen der Beklagten im Bescheid vom 24.06.1997, dass die bei der Klägerin nach dem Unfallereignis aufgetretene Kopfschmerzsymptomatik auf den Unfall zurückzuführen ist.

Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass allein ein zeitliches Zusammentreffen von Unfallereignis und Beschwerden nicht zwingend im Sinne der Wahrscheinlichkeit für einen Kausalzusammenhang spricht. In einem solchen zeitlichen Zusammenhang liegt jedoch immer ein Indiz für einen Kausalzusammenhang (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 08.03.1997 - 2 RU 23/96 -, Urteil des Senates vom 20.02.2003 - L 2 U 81/99 -).

Wenn ein bestimmtes Krankheitsbild nach bisherigen Erfahrungen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit alsbald ausheilt, kann dies zwar gegebenenfalls dazu führen, einen Kausalzusammenhang zwischen unfallbedingtem Primärschaden und weiteren Gesundheitsstörungen nicht mehr als hinreichend wahrscheinlich anzusehen, wenn nicht im Einzelfall ergänzend besondere Gesichtspunkte ersichtlich sind, die doch für einen Kausalzusammenhang sprechen. Wenn sich aber das ursprüngliche unfallbedingte Krankheitsbild eines Versicherten nicht wesentlich verändert, ist darüber hinaus bei dem zu diskutierenden Verletzungsmechanismus eine signifikante Zahl von abweichenden Krankheitsverläufen gibt, kann allein daraus, dass nach dem traumatologischen Erfahrungsschatz Distorsionen einige Wochen nach dem Unfall folgenlos ausheilen (z.B. Gutachten von Prof. Dr. S2 ... vom 06.03.1997) nicht gefolgert werden, dass dieser statistische Regelverlauf so ausgeprägt ist, dass er fast als gewiss angenommen werden kann. Prof. Dr. L1 ... hat in seinem Gutachten vom 11.08.2003 darauf hingewiesen, dass insoweit in der medizinischen Literatur und Wissenschaft kontrovers diskutiert wird.

Der Beklagten ist zuzugeben, dass das Gutachten von Prof. Dr. L1 ... nicht erklären kann, aus welchen medizinischen Gründen die Gesundheitsstörungen der Klägerin fortbestehen. Jedoch ist dies rechtlich unerheblich, wenn für das Krankheitsbild zum einen keine anderen Umstände im Sinne des Vollbeweises gesichert sind und zum anderen diese Umstände, soweit sie bestehen, auch nicht mit Wahrscheinlichkeit allein wesentlich die fortdauernden Gesundheitsstörungen verursacht haben. Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ist ein Kausalzusammenhang nicht nur dann mit Wahrscheinlichkeit belegt, wenn es in der medizinischen Wissenschaft ein allgemein anerkanntes Erklärungsmodell gibt, obwohl ein Kausalzusammenhang im Einzelfall durchaus für möglich gehalten wird und andere als möglich in Betracht kommende Ursachen ausgeschlossen werden können. In diesen Fällen spricht mehr für als gegen einen Kausalzusammenhang. Gewissheit in dem Sinne, dass der Kausalzusammenhang medizinisch-wissenschaftlich positiv belegt und unbestreitbar sein muss, verlangt der Prüfungsmaßstab der Wahrscheinlichkeit nicht. Es genügt, dass andere innere und nachfolgende äußere unfallunabhängige Ursachen ihrerseits nur mit Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können, wenn zugleich daneben gewichtige Indizien für einen Zusammenhang sprechen. Für einen Zusammenhang sprechen hier zum einen die Beschwerdefreiheit vor dem Unfall, zum anderen die frühzeitig nach dem Unfall auftretenden und für das so genannte Schleudertrauma typischen Beschwerden und die Fortdauer der Beschwerden ohne längeres und beschwerdefreies Intervall bei allgemein möglichen atypischen Beschwerdeverlauf (also schon Urteil des Senates, a.a.O.).

Aus der Feststellung der Unfallfolgen erfolgt - unter der Voraussetzung der bestehenden Behandlungsbedürftigkeit - die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von Heilbehandlung (§ 214 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch - SGB VII - i.V.m. § 547, 557 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung - RVO - für Zeiträume bis zum 31.12.1996, § 26 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4, § 27 SGB VII für die Zeit ab 01.01.1997). Nach diesen Vorschriften haben Versicherte Anspruch auf Heilbehandlung wegen der infolge eines Arbeitsunfalles eingetretenen Gesundheitsschäden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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