L 6 RJ 384/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 RJ 902/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 RJ 384/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 5. Juni 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1945 geborene Kläger, der keine Berufsausbildung aufweist, hat im Laufe seines Versicherungslebens in den verschiedensten Branchen - zumeist auf Helferebene - zahlreiche, überwiegend kurzfristige Berufstätigkeiten ausgeübt; zuletzt - vom 09.01.1995 bis 01.10.1996 - ist er als Elektronikhelfer beschäftigt gewesen. Seither bezieht der Kläger Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit wegen Arbeitslosigkeit.

Seinen am 19.05.2001 gestellten Antrag auf eine Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10.08.2001 und Widerspruchsbescheid vom 13.11.2001 ab, weil der Versicherte leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts noch vollschichtig bzw. über sechs Stunden täglich verrichten könne.

Die Beklagte stütze sich bei ihrer Entscheidung im wesentlichen auf ein Gutachten des Internisten Dr. H. vom 02.08.2001, der beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen festgestellt hatte:

1. Verschleiß der Wirbelsäule mit Minderbelastbarkeit und Bewegungseinschränkung sowie Schmerzausstrahlungen ohne akuten Wurzelreiz; Hinweis auf Knochenentkalkung; degenerative Veränderungen der Schultergelenke ohne Bewegungseinschränkung.

2. Chronische Bronchitis mit geringergradiger Belüftungsstörung.

3. Leberschädigung; Hinweis auf Schädigung der peripheren Nerven.

Mit der am 6.12.2001 bei der Beklagte eingegangenen Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) verfolgte der Kläger seinen Rentenanspruch weiter. Er begehre Rente wegen Erwerbsminderung, weil er wegen der Pflegebedürftigkeit seiner Ehefrau und wegen der Schäden an seiner Wirbelsäule nicht in der Lage sei, sechs Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Das SG zog die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Akten des Arbeitsamts S. bei und erholte Befundberichte sowie medizinische Unterlagen von den behandelnden Ärzten des Klägers (Gemeinschaftspraxis Fachärzte für Allgemeinmedizin Dres. Z. , M. , M. und M. , Befundbericht vom 13.02.2002; Orthopäde, Rehabilitationswesen Dr. O. , Befundbericht vom 04.04.2002).

Sodann holte das SG von dem Arzt für Orthopädie/Rehabilitationswesen, Sportmedizin, Unfall-H-Arzt Dr. J. ein medizinisches Sachverständigengutachten ein (vom 18.11.2002). Dieser stellte beim Kläger folgende wesentlichen Gesundheitsstörungen fest:

1. Geringe formverbildende Veränderungen der Brustwirbelsäule.

2. Bandscheibenschaden der Lendenwirbelsäule mit Betonung L 2/3 und L5/S1.

3. Periphere Durchblutungsstörungen der Beine.

4. Morbus Dupuytren beidseits mit Zustand nach dreimaliger Operation rechts.

5. Akute Bauchspeicheldrüsenentzündung bei Alkoholabusus.

6. Gicht.

Der Kläger wurde von Dr. J. für fähig erachtet, unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses (insbes. ohne zusätzliche Pausen) leichte, zeitweise auch mittelschwere Arbeiten in geschlossenen, warmen Räumen und mit der Möglichkeit zum Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen mit überwiegendem Sitzen vollschichtig bzw. sechs Stunden und mehr zu verrichten; hierbei sei der Einfluß von Kälte, Nässe oder Zugluft ebenso zu vermeiden wie Stresssituationen (insbesondere Schicht- oder Akkordarbeit). Der Kläger könne viermal täglich mehr als 500 Meter zu Fuß zurücklegen. Weitere Begutachtungen seien nicht erforderlich.

Vom 20.01. bis 10.02.2003 wurde beim Kläger in der M.-Klinik Bad B. ein medizinisches Heilverfahren auf internistischem Fachgebiet durchgeführt. Im Entlassungsbericht vom 11.02. 2003 heißt es, der inzwischen verwitwete Kläger sei bezüglich seines zuletzt ausgeübten Berufs (Elektronikhelfer) als noch arbeitsunfähig entlassen worden. Grundsätzlich - so die "Sozialmedizinische Epikrise" - sei er aber aus internistischer Sicht einsetzbar für leichte bis mittelschwere körperlichen Arbeiten aus wechselnder Körperhaltung. Das Heben und Tragen schwerer Lasten auf Dauer über 15 bis 20 Kilogramm müsse vermieden werden, ebenso ungünstig seien Zwangshaltungen.

Mit Urteil vom 05.06.2003 wies das SG die Klage ab. Im Hinblick auf sein vollschichtiges berufliches Leistungsvermögen, das sich aus dem Gutachten Dr. J. und aus dem Entlassungsbericht der M.-Klinik Bad B. ergebe, sei der Kläger nicht erwerbsgemindert, so dass er keinen Anspruch aus den §§ 43, 240 SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung habe.

Am 07.07.2003 ging die Berufung des Klägers gegen dieses ihm am 18.06.2003 zugestellte Urteil beim Bayer. Landessozialgericht ein. Zur Begründung trug er vor, die Pankreaskopfzyste habe sich noch nicht zurückgebildet; es sei nicht auszuschließen, dass sie sich vergrößere, was regelmäßige Kontrollen erfordere. Auch sei ein Narbenbruch festgestellt worden, der beobachtet und später operiert werden müsse. Die Bauchspeicheldrüsenentzündung sei im Übrigen keine Folge eines erhöhten Alkoholkonsums, sondern sei auf einen Rückfluß von Galle und Bauchspeicheldrüsensekret in die Bauchspeicheldrüse zurückzuführen. Die bei seiner Erkrankung erforderliche Diät könne er neben einer Berufstätigkeit nicht einhalten.

Der Senat hat die Klageakte des SG Augsburg sowie die Verwaltungsakten der Beklagten beigezogen und die Beteiligten darauf hingewiesen, dass er den Rechtsstreit für entscheidungsreif erachte.

Der in der mündlichen Verhandlung nicht anwesende und auch nicht vertretene Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 05.06.2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10.08.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm aufgrund seines Antrags vom 19.05.2001 eine Rente wegen Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Akte des Bayer. Landessozialgerichts sowie auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Urteil des SG Augsburg vom 05.06.2003 ist nicht zu beanstanden, weil der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Vorliegend sind die §§ 43, 240 SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung anzuwenden, weil der Antrag nach dem 31.03.2001 gestellt worden ist, vgl. § 300 Abs.1 und 2 SGB VI.

Gemäß § 43 Abs.1 Satz 1 SGB VI ist eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, dass der Versicherte im Sinn vom § 43 Abs.1 Satz 2 SGB VI teilweise erwerbsgemindert ist, d.h. wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Hierbei ist nach § 43 Abs.3 SGB VI die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die vom Gesetz geforderte zeitliche Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens liegt beim Kläger noch nicht vor. Er kann nämlich unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses (insbesondere ohne zusätzliche Pausen) leichte, zeitweise auch mittelschwere Arbeiten in geschlossenen, warmen Räumen und mit der Möglichkeit zum Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen mit überwiegendem Sitzen vollschichtig bzw. sechs Stunden und mehr verrichten; hierbei ist der Einfluß von Kälte, Nässe oder Zugluft ebenso zu vermeiden wie Stresssituationen (insbesondere Schicht- oder Akkordarbeit), Heben und Tragen schwerer Lasten auf Dauer über 15 bis 20 Kilogramm sowie Zwangshaltungen. Beschränkungen des Anmarschweges zur Arbeitsstätte liegen nicht vor, weil der Kläger die durchschnittlich erforderlichen Fußwege zurücklegen kann (vgl. hierzu BSG SozR 3-2200 § 1247 RVO Nr.10).

Dieses berufliche Leistungsvermögen des Klägers ergibt sich vor allem aus dem vom SG eingeholten überzeugenden Gutachten des Arztes für Orthopädie/Rehabilitationswesen, Sportmedizin, Unfall-H-Arzt Dr. J. wie auch aus dem Entlassungsbericht der M.-Klinik Bad B ... Hierdurch ist das im Verwaltungsverfahren erholte Gutachten des Internisten Dr. H. im Wesentlichen bestätigt worden.

Beim Kläger liegen folgende wesentlichen Gesundheitsstörungen vor:

1. Geringe formverbildende Veränderungen der Brustwirbelsäule.

2. Bandscheibenschaden der Lendenwirbelsäule mit Betonung L 2/3 und L5/S1.

3. Periphere Durchblutungsstörungen der Beine.

4. Morbus Dupuytren beidseits mit Zustand nach dreimaliger Operation rechts.

5. Pankreatitis mit Duodenalstenose, Gastrojejunostomie.

6. Cholezystitis mit Cholezystektomie und Hämatomausräumung.

7. Gicht.

Durch diese Gesundheitsstörungen wird das berufliche Leistungsvermögen des Klägers nur qualitativ, nicht jedoch quantitativ eingeschränkt. Der Vortrag des Klägers in seiner Berufungsbegründung konnte den Senat nicht zu einer erneuten medizinischen Begutachtung veranlassen. Daß die während des Heilverfahrens festgestellte Pankreaskopfzyste sich noch nicht zurückgebildet hat, deren Vergrößerung in der künftigen Entwicklung nicht auszuschließen ist und somit regelmäßige Kontrollen erforderlich sind, stellt keine negative Veränderung dar. Mit eben diesem Befund ist der Kläger im Entlassungsbericht für vollschichtig leistungsfähig erachtet worden; die im Entlassungsbericht festgestellte vorläufige Arbeitsunfähigkeit bezog sich nur auf die frühere Berufstätigkeit des Klägers als Elektronikhelfer. Der Narbenbruch bedarf derzeit nur der Beobachtung; dass er später ggf. operiert werden muss, sagt über das derzeitige Leistungsvermögen nichts aus; schweres Heben oder Tragen ist ohnehin ausgeschlossen. Die Ursächlichkeit für die Bauchspeicheldrüsen- entzündung ist für das berufliche Leistungsvermögen ohne Belang. Die Notwendigkeit einer Diät war den Ärzten der M.-Klinik aufgrund des Krankheitsbildes des Klägers klar; es ist auch eine Ernährungsberatung durchgeführt worden. Es wäre im Entlassungsbericht vermerkt worden, wenn aufgrund der notwendigen Rücksichten bei der Ernährung Behinderungen in der Berufstätigkeit vorlägen.

Beim Kläger liegt auch weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, die die Benennung einer konkreten Berufstätigkeit erforderlich machen würde, die der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ausüben könnte.

Ob dem Kläger ein Arbeitsplatz tatsächlich vermittelt werden könnte - maßgeblich ist hierfür das Gesamtgebiet der Bundesrepublik Deutschland -, ist rechtlich unerheblich, da bei min- destens sechs Stunden täglich leistungsfähigen Versicherten der Arbeitsmarkt als offen anzusehen ist und das Risiko der Arbeitsvermittlung von der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung und nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung zu tragen ist; dementsprechend bestimmt § 43 Abs. 3 VI, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer - wie der Kläger - unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, und dass hierbei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist (vgl. zum Vorstehenden sinngemäß den Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996 - GS 2/95 = SozR 3-2600 § 44 SGB VI Nr.8).

Da der Kläger nicht teilweise erwerbsgemindert ist, ist er erst recht nicht voll erwerbsgemindert im Sinn der noch strengeren Vorschrift des § 43 Abs.2 SGB VI.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 Abs.1 SGB VI, weil er nicht im Sinn des zweiten Absatzes dieser Vorschrift berufsunfähig ist. Nach § 240 Abs.2 SGB VI sind nämlich nur solche Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist (Satz 1). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst hierbei alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (Satz 2). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Satz 4). Die hier genannten Tatbestandsmerkmale der Berufsunfähigkeit liegen beim Kläger nicht vor. Der Kläger kann nämlich nach seinem beruflichen Werdegang als ungelernter Arbeiter auf alle Berufstätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verwiesen werden, soweit sie den qualitativen Einschränkungen seiner beruflichen Leistungsfähigkeit Rechnung tragen, und er kann diese Arbeiten - vgl. oben - mehr als sechs Stunden täglich verrichten.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Augsburg vom 05.06.2003 war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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