B 1 KR 16/00 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 16/00 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Januar 2000 wird zurückgewiesen. Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die Klägerin ist freiwilliges Mitglied der beklagten Ersatzkasse. Sie hielt sich seit Ende 1997 wiederholt in der Privatklinik Z. in B. auf, wo sie insbesondere zur Darmentgiftung, -entschlackung und -reinigung behandelt wurde. Wesentlicher Bestandteil der Behandlung ist die so genannte Colon-Hydro-Therapie (CHT), eine von einem speziellen Gerät gesteuerte Spülung des Dickdarms. Daneben werden auch andere Maßnahmen wie etwa Massagen und Lymphdrainage durchgeführt. Theoretische Grundlage der durchgeführten Maßnahmen und insbesondere der CHT ist die Annahme, dass zahlreiche Krankheitserscheinungen auf einer Vergiftung des Darms beruhen.

Nach einem ersten Aufenthalt Ende 1997 beantragte die Klägerin bei der Beklagten erfolglos die "Bezuschussung" weiterer Behandlungen, die sie nach Ablehnung (Bescheid vom 12. Dezember 1997) vom 10. bis 20. Februar und vom 5. bis 19. Juli 1998 auf eigene Kosten durchführte. Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 1998; Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aachen vom 1. Juli 1998; Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 24. Januar 2000).

Das LSG führt im Wesentlichen aus, die durchgeführte Behandlung sei nach § 135 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) von der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen, so dass für die selbstbeschaffte Leistung auch kein Kostenerstattungsanspruch eingreife. Obwohl die Behandlung in einer sich als Klinik bezeichnenden Einrichtung durchgeführt worden sei, habe es sich um eine ambulante und nicht um eine stationäre Behandlung gehandelt, denn Zimmerpreis und Behandlung seien getrennt berechnet worden und die Arztrechnung enthalte keinen Abschlag nach § 6a Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Der von der Klägerin geltend gemachte Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot, weil sie als freiwillig Versicherte berechtigt sein müsse, auch Nichtvertragsärzte in Anspruch zu nehmen, sei nicht nachvollziehbar.

Dem Bericht der Klinik sei zu entnehmen, dass sämtliche medizinischen Einzelmaßnahmen als in ein Gesamtkonzept eingebettete unteilbare Leistung erbracht worden seien, für welche die CHT ein ganz wesentliches Element darstelle. Die Anerkennung dieser Behandlungsmethode sei durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen mit Beschluss vom 24. April 1998 ausdrücklich abgelehnt worden. Der Ausschluss gelte wegen des in § 135 SGB V enthaltenen Verbots mit Erlaubnisvorbehalt im übrigen bereits für die Zeit der ersten hier streitigen Inanspruchnahme durch die Klägerin im Februar 1998. Die Entscheidung des Bundesausschusses sei verfahrensfehlerfrei zustande gekommen. Die Meinungen der interessierten Kreise seien berücksichtigt worden. Die Überprüfung an Hand der Kriterien der "evidenzbasierten" Medizin sei auch dann nicht zu beanstanden, wenn die Naturheilkunde, der die CHT zuzurechnen sei, als besondere Therapierichtung angesehen werde. Der Standard für die wissenschaftliche Beurteilung von unkonventionellen und konventionellen Behandlungsmethoden sei grundsätzlich derselbe, wie auch von Vertretern komplementärmedizinischer Verfahren anerkannt werde. Infolgedessen werde von den Vertretern der Gegenmeinung (Hinweis auf Zuck NZS 1999, 317) zu Unrecht allein auf die Akzeptanz und Resonanz bei den Anhängern der jeweiligen besonderen Therapierichtung abgestellt. Auch in § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V werde nicht eine bestimmte Methode der Erkenntnisgewinnung, sondern lediglich die Berücksichtigung des Erkenntnisstandes der jeweiligen Therapierichtung vorgeschrieben. Unter diesen Umständen habe Zweifeln an der Verbreitung der CHT innerhalb der naturheilkundlich praktizierenden Ärzte nicht nachgegangen werden müssen.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzungen von § 13 SGB V sowie Grundrechtsverstöße. Die Beschränkung der freiwillig Versicherten auf zugelassene Ärzte und Einrichtungen sei willkürlich, weil es für die unterschiedliche Behandlung derselben Erkrankung und derselben Behandlungsmethode bei privat und bei freiwillig Krankenversicherten keine Rechtfertigung gebe. Die Verweigerung der Kostenbeteiligung an der unstreitig zu einer Besserung des Gesamtgesundheitszustands führenden CHT verletze außerdem Art 2 Abs 1 Grundgesetz (GG). Die Behandlung sei für die Klägerin unaufschiebbar iS von § 13 Abs 3 SGB V gewesen, weil sie innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung nicht angeboten werde. Die Ablehnung der Beklagten sei rechtswidrig, weil sie auf die Richtlinien nicht gestützt werden könne. Die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf den Bundesausschuss sei verfassungswidrig, so dass den Richtlinien Normqualität nicht zukomme. Die medizinische Notwendigkeit der angewandten Behandlungsmethode sei ebenso wie die Verbreitung bei den naturheilkundlich tätigen Ärzten im Laufe des Verfahrens ausreichend belegt worden. Die Wirksamkeit beruhe auf der Erfahrung von über 4.000 Ärzten und Ärztinnen in Deutschland; es dürften nicht nur Blindstudien nach schulmedizinischen Grundsätzen gefordert werden. Die Vordergerichte hätten sich nicht ausreichend um Erkenntnisquellen zur Verbreitung der Methode bemüht. Schließlich müsse wegen Art 2 GG auch der Erfolg der Behandlung im Einzelfall berücksichtigt werden.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 24. Januar 2000 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aachen vom 1. Juli 1998 abzuändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 12. Dezember 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Februar 1998 zu verurteilen, die Kosten der stationären Behandlung vom 10. bis 20. Februar 1998 und vom 5. bis 19. Juli 1998 in der Klinik Z. zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Da weder die in Anspruch genommene Klinik noch deren Ärzte zur Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassen seien, sei der geltend gemachte Anspruch unbegründet. Wegen des Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs 3 SGB V beruft sich die Beklagte auf die Richtlinien des Bundesausschusses.

Der im Berufungsverfahren beigeladene Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hält das angefochtene Urteil ebenfalls für zutreffend.

II

Die Revision ist unbegründet. Das LSG hat den geltend gemachten Anspruch im Ergebnis zutreffend verneint.

Als Rechtsgrundlage des erhobenen Anspruchs kommt nur § 13 Abs 3 zweite Fallgruppe SGB V in Betracht. Danach sind dem Versicherten Kosten einer selbstbeschafften Leistung zu erstatten, wenn die Krankenkasse die Leistung zu Unrecht abgelehnt hatte. Da die Klägerin vor der Inanspruchnahme der streitigen Leistung eine ablehnende Entscheidung der Beklagten herbeigeführt hat, kommt es auf das Merkmal der Unaufschiebbarkeit iS von § 13 Abs 3 SGB V in seiner ersten Variante nicht an. Denn dieses Merkmal dient im Interesse der lückenlosen Erfassung aller Fälle der berechtigten Selbstbeschaffung von Leistungen ausschließlich dazu, diejenigen Versicherten zu begünstigen, denen es wegen der Eilbedürftigkeit der Angelegenheit nicht zuzumuten ist, die Krankenkasse einzuschalten oder ihre Entscheidung abzuwarten (in diesem Sinne bereits Senatsurteil vom 25. September 2000 - B 1 KR 5/99 R - SozR 3-2500 § 13 Nr 22 S 105 f); in einem derartigen Fall kann der Anspruch des Versicherten nicht schon daran scheitern, dass er sich vorher nicht mit der Krankenkasse in Verbindung gesetzt hat (zu dieser Voraussetzung Senatsbeschluss vom 15. April 1997 - BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 15). Das Merkmal der Unaufschiebbarkeit verdrängt demgegenüber niemals das Merkmal der Rechtswidrigkeit der Leistungsverweigerung: Trotz Unaufschiebbarkeit hat die Kasse nicht einzustehen, wenn der Versicherte sich eine Maßnahme beschafft hat, die unter jedem Gesichtspunkt (selbst unter demjenigen des Systemversagens) vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen ist.

Infolgedessen besteht der Kostenerstattungsanspruch unabhängig von der Eilbedürftigkeit nur für medizinische Maßnahmen, die ihrer Art nach von den gesetzlichen Krankenkassen als Sachleistungen zu erbringen sind (stRsp des Senats zuletzt aaO S 102; BSGE 86, 54, 56 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 62 mwN). Das gilt auch für den Kostenerstattungsanspruch der freiwillig Versicherten nach § 13 Abs 2 SGB V, der überdies auf Behandlungen durch zugelassene Leistungserbringer beschränkt ist (zu beiden Aspekten vgl nochmals BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 22 S 102 und S 104). Die unter dem zweiten Gesichtspunkt von der Revision erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken sind für die Entscheidung unerheblich, denn die durchgeführte Behandlung gehört schon generell nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung.

Dabei kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen nicht abschließend entscheiden, ob die Klinikaufenthalte überhaupt hinreichend konkret auf eine bestimmte Krankheit bezogen waren, um sie als Behandlung iS von § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V oder als Vorsorgeleistung iS von § 23 Abs 1 SGB V bewerten zu können (zur damit angesprochenen Abgrenzung zwischen Lebensführung und Krankenbehandlung: Senatsurteile vom 16. November 1999 - B 1 KR 9/97 R - SozR 3-2500 § 27 Nr 12 S 64 f - medizinische Fußpflege; und vom 12. März 1996 - 1 RK 33/94 - SozR 3-2500 § 27 Nr 6 S 18 f - Methadon - jeweils mwN; im Verhältnis zur sozialen Eingliederung: Urteil des 6. Senats vom 15. März 1995 - 6 RKa 1/94 - BSG SozR 3-2500 § 118 Nr 1 S 4 f). Nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil hat sich die Klägerin durch einen Vortrag des Klinikleiters Dr. Z. bewegen lassen, diesen aus eigenem Antrieb aufzusuchen und eine längere Behandlung mit wiederholten Klinikaufenthalten zu planen; von einem konkreten Krankheitsbezug oder einer Verordnung/Überweisung durch einen zur Behandlung von Kassenpatienten zugelassenen Arzt ist nicht die Rede. Zum Krankheitsbild referiert das LSG die Behauptung der Klägerin über ein geschwächtes Immunsystem und darauf beruhender Migräne und Allergie. Der Befundbericht der Klinik Z. , auf den das LSG ebenfalls verweist, spricht neben früheren Darmgeschwüren und einem früheren Melanom in erster Linie von einem Hepatoenteropathie-Syndrom sowie von Obstipation, intestinaler Autointoxikation, Migräne und im Zusammenhang mit Toxinausleitungsstörungen von Blasenentzündungen und Vaginitis. Das LSG hat sich diese Feststellungen nicht zu eigen gemacht und sie auch keiner näheren Überprüfung unterzogen. Eine solche liegt jedoch nahe, wenn ein für ein bestimmtes Vorgehen eintretender Arzt ohne Beteiligung anderer Ärzte Krankheitsursachen nennt, für deren Bekämpfung die von ihm befürwortete Methode besonders geeignet erscheint; insofern ist bezeichnend, dass an erster Stelle der Diagnosen ein "Syndrom" genannt wird, dem sämtliche Beschwerden und Krankheitserscheinungen kausal zugeordnet werden. Zweifel am medizinischen Charakter der durchgeführten Maßnahmen werden vor allem auch durch die Mitteilung des LSG geweckt, eine dem Bundesausschuss vorgelegte Stellungnahme sei zum Ergebnis gekommen, die theoretische Grundlage der CHT, die Autointoxikation durch mangelhafte Darmfunktion, sei wissenschaftlich widerlegt. Mangels näherer Kontrolle der Angaben der Klägerin und des behandelnden Arztes zum Beschwerdebild und seinen Ursachen kann insgesamt nicht ausgeschlossen werden, dass die Klinikaufenthalte lediglich der allgemeinen Besserung des Befindens und nicht der gezielten Krankheitsbekämpfung oder -vorsorge dienten (zu dieser Voraussetzung nochmals BSG SozR 3-2500 § 27 Nr 12 S 62; zur Krankheitsfeststellung bei unklaren gesundheitlichen Beschwerden vgl BSGE 85, 56, 57 f = SozR 3-2500 § 28 Nr 4 S 15 f).

Auch wenn es sich um Krankenbehandlung gehandelt haben sollte, ist eine Kostenerstattung ausgeschlossen, weil Qualität und Wirksamkeit der in der Klinik Z. durchgeführten Maßnahmen nicht dem für die gesetzliche Krankenversicherung in § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V geforderten allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Das gilt unabhängig davon, ob entsprechend dem auch im Berufungsverfahren aufgenommenen Antrag der Klägerin von einer stationären oder im Anschluss an das LSG von einer ambulanten Behandlung auszugehen ist. Infolgedessen kann dahinstehen, ob eine Einordnung als ambulant überhaupt in Betracht kommt, wenn der Patient die Kostenübernahme für eine "stationäre" Behandlung in einer "Klinik" ausdrücklich beantragt, die den Namen des leitenden Arztes trägt und die auf eine im selben Hause durchgeführte Behandlungsmethode spezialisiert ist. Der Senat bezweifelt, ob demgegenüber der Hinweis durchgreift, die Leistungen seien ohne den nach § 6a GOÄ vorgeschriebenen Abschlag für stationäre Durchführung in Rechnung gestellt worden, zumal die in Bezug genommene Rechnung wiederholt eine Gebührennummer für "Visite im Krankenhaus" enthält. Das weitere Argument des LSG, der Umfang der ärztlichen Leistungen sei vom Wunsch des Patienten bestimmt worden, unterstreicht die Zweifel daran, dass es sich überhaupt um Krankenbehandlung gehandelt hat, ist aber für die Qualifizierung als ambulant oder stationär unergiebig.

Letztlich kann dahinstehen, welche rechtlichen Gesichtspunkte für diese Entscheidung ausschlaggebend sind oder ob weitere Sachaufklärung erforderlich wäre (zur Abgrenzung von stationären zu ambulanten Entbindungen vgl Senatsurteil vom 9. Oktober 2001 - B 1 KR 15/00 R, zur Veröffentlichung bestimmt). Denn das Klagebegehren ist im einen wie im anderen Fall unbegründet, weil die Prüfung, ob eine Behandlungsmethode zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehört, zwar für den ambulanten und den stationären Bereich auf unterschiedlichen Wegen erfolgt, aber hier zum selben Ergebnis führt.

Die Feststellung, dass eine (ambulante) vertragsärztliche Behandlung dem geforderten Versorgungsstandard entspricht, obliegt nach dem Gesetz nicht der einzelnen Krankenkasse und - von dem Sonderfall eines "Systemversagens" abgesehen - auch nicht den Gerichten, sondern dem Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen nach § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V in der hier maßgebenden Fassung des 2. GKV-Neuordnungsgesetzes (2. GKV-NOG vom 23. Juni 1997, BGBl I 1520) in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 5 SGB V Empfehlungen ua über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben hat. Dadurch wird nach der ständigen Rechtsprechung des Senats der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (vgl nochmals BSGE 86, 54, 56 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 62 mwN). Auf die verfassungsrechtlichen Einwände gegen die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf den Bundesausschuss ist das Bundessozialgericht (BSG) bereits in anderen Urteilen eingegangen; die Revision hat hierzu keine neuen Gesichtspunkte aufgezeigt, so dass auf die früheren Ausführungen verwiesen wird (BSGE 81, 73, 80 ff = SozR 3-2500 § 92 Nr 7 S 55 ff; BSGE 82, 41, 46 ff = SozR 3-2500 § 103 Nr 2 S 15 ff).

Die bei der Klägerin durchgeführten Maßnahmen sind von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, weil es sich um eine neue Behandlungsmethode handelt. Hierunter versteht die Rechtsprechung ein medizinisches Vorgehen, dem ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das es von anderen Therapieverfahren unterscheidet und seine systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (BSGE 88, 51, 60 = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 S 19 mwN). Das LSG hat unwidersprochen festgestellt, dass die verschiedenen Einzelmaßnahmen unselbständige Teile einer einheitlichen unteilbaren Therapieleistung sind, die insbesondere durch die CHT ihr Gepräge erhält. Das wird durch die von der Klägerin vorgelegten Veröffentlichungen des Klinikleiters, Dr. Z. , und durch die Berufung auf die theoretischen Grundlagen der "Therapie nach Dr. F.X. Mayr" bestätigt. Die Methode ist auch "neu" iS des § 135 Abs 1 SGB V, da sie sich sowohl hinsichtlich der Deutung der Krankheitssymptome als auch hinsichtlich des therapeutischen Vorgehens von bisher anerkannten Methoden unterscheidet und ihre wichtigsten Elemente, die CHT und die "Organbehandlung", im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen nicht aufgeführt sind.

Mangels Empfehlung seitens des Bundesausschusses für Ärzte und Krankenkassen in den einschlägigen Richtlinien durfte die von der Klägerin selbst beschaffte Behandlung von den Krankenkassen als Sachleistung nicht gewährt werden; daran scheitert auch ein Kostenerstattungsanspruch. Der Bundesausschuss hat die CHT durch Beschluss vom 24. April 1998 in die Liste der von der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossenen Behandlungsmethoden aufgenommen und sich dabei ausweislich der vorbereitenden Stellungnahme von Dr. B. vom März 1998 auch mit den theoretischen Grundlagen der "Therapie nach Dr. F.X. Mayr" befasst. Aus diesem Grund ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, dass der Beschluss des Bundesausschusses seinem Gegenstand nach jedenfalls das wesentliche Element der von der Klägerin in der Klinik Z. in Anspruch genommenen Behandlung betrifft; der Senat kann unentschieden lassen, ob die übrigen Maßnahmen zusammen mit der Wasseranwendung wegen des gemeinsamen Denkansatzes als "Colon-Hydro-Therapie im weiteren Sinne" oder als eigenständige übergreifende Behandlungsmethode aufzufassen sind, die eine eigene Befassung des Bundesausschusses rechtfertigen würde.

In zeitlicher Hinsicht erfasst die in Rede stehende Ergänzung der Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB-RL) die streitbefangenen Behandlungen vom 10. bis 20. Februar und vom 5. bis 19. Juli 1998 jedoch nicht, denn sie ist erst am 26. Juli 1998 in Kraft getreten (BAnz Nr 136 vom 25. Juli 1998). Für die Beurteilung eines Kostenerstattungsanspruchs für eine selbstbeschaffte Behandlung kommt es auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Behandlung an (BSG SozR 3-2500 § 135 Nr 12). Zwar wird das (untergesetzliche) Recht durch den Bundesausschuss definiert; für die Rechtswirkung ist aber der Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der entsprechenden RL und nicht derjenige der Beschlussfassung entscheidend (zur Maßgeblichkeit des Veröffentlichungszeitpunkts unter Vertrauensschutzgesichtspunkten vgl BSGE 81, 86, 99 f = SozR 3-2500 § 87 Nr 18 S 95 f). Vor seinem In-Kraft-Treten stellt der Beschluss keine gültige Rechtsgrundlage für eine Ablehnung dar, so dass die Krankenkasse ihre Entscheidung nur auf das Verbot des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V stützen darf. Abgesehen vom Beanstandungsrecht des Bundesministers für Gesundheit könnte der Ausschuss seine Entscheidung zu diesem Zeitpunkt auch selbst noch revidieren. Mit dem Charakter der Richtlinien als untergesetzliche Rechtsnorm wäre es unvereinbar, wenn sie auf Behandlungen anwendbar wären, die vor ihrem In-Kraft-Treten durchgeführt worden sind.

Das Fehlen einer Entscheidung des Bundesausschusses über den therapeutischen Nutzen sowie die medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der bei der Klägerin angewandten Behandlungsmethode schließt eine Kostenerstattung durch die Beklagte aus. Die Rechtswidrigkeit der Leistungsverweigerung ließe sich als sog Systemmangel nur mit der rechtswidrigen Untätigkeit des Bundesausschusses begründen (vgl BSGE 86, 54, 60 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 66 f; BSGE 88, 51, 61 f = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 S 21); ob der Bundesausschuss bei seiner am 26. Juli 1998 in Kraft getretenen Entscheidung die Vorgaben des höherrangigen Rechts beachtet hat, ist - entgegen der dem angefochtenen Urteil zu Grunde gelegten Auffassung - auf den Anspruch der Klägerin ohne Einfluss. Ein Systemmangel liegt nach der zitierten Rechtsprechung dann vor, wenn die Entscheidung des Bundesausschusses trotz Erfüllung der für die Überprüfung einer neuen Behandlungsmethode notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen willkürlich oder aus sachfremden Erwägungen unterblieben oder verzögert worden wäre. Dafür ist bezüglich des Therapiekonzepts der Klinik Z. nichts vorgetragen oder ersichtlich. Die Einwände der Revision sind nicht geeignet, um den zum Behandlungszeitpunkt fehlenden Beschluss des Bundesausschusses als rechtswidrige Untätigkeit erscheinen zu lassen. Denn weder das Ausmaß der Verbreitung noch die statistisch nicht näher belegten positiven Erfahrungen mit dieser Therapiemethode sind Kriterien dafür, dass das Anerkennungsverfahren von den antragsberechtigten Stellen oder dem Bundesausschuss selbst nicht ordnungsgemäß betrieben worden wäre. Vielmehr kommt es nach der Rechtsprechung des Senats auf die Verbreitung nur an, wenn eine rechtswidrige Untätigkeit zu bejahen bzw zu unterstellen ist (BSGE 81, 54, 66 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 22 f); für Heilverfahren, deren generelle Wirksamkeit statistisch nicht nachgewiesen ist, sind die gesetzlichen Krankenkassen grundsätzlich nicht leistungspflichtig (BSGE 76, 194, 199 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5 S 12), so dass auch dieser Gesichtspunkt keinen Anlass für ein Verfahren vor dem Bundesausschuss geboten haben kann.

Sollte es sich, wofür vieles spricht, bei den Klinikaufenthalten der Klägerin um stationäre Behandlungen im Rechtssinne gehandelt haben, bestünde gleichwohl kein Kostenerstattungsanspruch. § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V würde dann zwar nicht eingreifen, weil er auf die vertragsärztliche Versorgung beschränkt ist und demnach stationäre Behandlungen mit neuen Methoden nicht von der Leistungspflicht ausschließt. Der Versorgungsstandard des § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V gilt jedoch für alle Leistungsbereiche der gesetzlichen Krankenversicherung. Er wird auch im stationären Bereich durch den anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse definiert, wie der 3. Senat des BSG im Urteil vom 19. November 1997 ausdrücklich klargestellt hat (BSGE 81, 182, 187 f = SozR 3-2500 § 109 Nr 5 S 39 f). Danach gehört nur das zum medizinischen Standard und damit zum Anspruch des Versicherten gemäß § 28 Abs 1 SGB V, über dessen Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit - etwa in ärztlichen Leitlinien - gesicherte medizinische Erkenntnisse vorliegen.

Da das Gesetz für die Anwendung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus anders als in der vertragsärztlichen Versorgung keinen Erlaubnisvorbehalt vorgesehen hat, haben im Streitfall die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit darüber zu befinden, ob Qualität und Wirksamkeit der jeweiligen Methode dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Nach der Rechtsprechung des Senats ist das nur der Fall, wenn über ihre Zweckmäßigkeit in den einschlägigen medizinischen Fachkreisen Konsens besteht (BSGE 84, 90, 96 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 18 f). Die Behandlung muss sich in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Fällen als erfolgreich erwiesen haben, was in der Regel durch wissenschaftlich einwandfrei geführte Statistiken belegt sein muss. Da es auf den Nachweis der generellen Wirksamkeit ankommt, kann die Leistungspflicht der Krankenkasse nicht damit begründet werden, dass die Therapie im konkreten Einzelfall erfolgreich gewesen sei und es unter der Behandlung zu einer Besserung des Gesundheitszustandes gekommen sei (nochmals BSGE 76, 194, 198 f = SozR 3-2500 § 27 Nr 5 S 11 f).

Gesicherte Erkenntnisse über die Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit der durchgeführten Behandlung und ihrer theoretischen Grundlage sind weder von der Revision benannt, noch haben sich dafür im Laufe des Verfahrens sonstige Anhaltspunkte ergeben. Die von der Klägerin vorgelegten zahlreichen Zeitschriftenaufsätze oder Interviews des Klinikleiters Dr. Z. beschreiben lediglich die durchgeführten Maßnahmen und die Heilerfolge in einzelnen Fällen; eine statistische Auswertung gibt es nicht. Die vom LSG beigezogenen umfangreichen Unterlagen erwähnen keine kontrollierte klinische Studie oder stellen ausdrücklich ihr Fehlen fest. Die dem Therapiekonzept zu Grunde liegende Kausalannahme einer Autointoxikation durch mangelhafte Darmfunktion wird in der für den Bundesausschuss erarbeiteten Stellungnahme von Frau Dr. B. unter Hinweis auf die einschlägige Literatur zumindest in Frage gestellt, so dass der Bundesausschuss die CHT als nicht hinreichend wirksam und damit unzweckmäßig von der Anwendung in der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen hat. Von einem wissenschaftlichen Konsens über die Zweckmäßigkeit der Methode kann bei dieser Sachlage keine Rede sein.

Ohne ausreichenden Nachweis von Qualität und Wirksamkeit der eingesetzten Methode verhilft auch der Gesichtspunkt der besonderen Therapierichtung der Klage nicht zum Erfolg. Auch wenn man die außer der Darmspülung bei der Klägerin erbrachten Leistungen iS eines weiten Verständnisses der CHT zurechnet, weil sie auf dieselbe Krankheitserklärung zurückgehen, handelt es sich bei der CHT nicht um eine besondere Therapierichtung. Wie der Senat entschieden hat, ist mit dem Begriff der Therapierichtung nicht eine einzelne alternative oder unkonventionelle Behandlungsmethode, sondern ein umfassendes, zur Behandlung verschiedenster Erkrankungen bestimmtes therapeutisches Konzept gemeint, das auf der Grundlage eines von der naturwissenschaftlich geprägten "Schulmedizin" sich abgrenzenden weltanschaulichen Denkansatzes größere Teile der Ärzteschaft und weite Bevölkerungskreise für sich eingenommen hat (Urteil vom 16. September 1997 - BSGE 81, 54, 72 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 28). Diesen Anforderungen genügt die in der Klinik Z. praktizierte Behandlungsweise ersichtlich nicht, da sie zwar eine eigene Auffassung zur Krankheitsentstehung und -behandlung vertritt, anders als die in § 34 Abs 2 Satz 3 SGB V beispielhaft genannten Therapierichtungen der Homöopathie, der Phytotherapie und der Anthroposophie aber jedenfalls keine nennenswerte Resonanz in Bevölkerung und Ärzteschaft gefunden hat.

Die Behandlungsmethode kann auch keiner anderen besonderen Therapierichtung zugeordnet werden. Das gilt insbesondere für die vom LSG angenommene Zugehörigkeit zur Naturheilkunde. Der Senat lässt weiterhin offen, ob er sich der in einer früheren Entscheidung des BSG (BSGE 73, 66, 72 = SozR 3-2500 § 2 Nr 2 S 8) enthaltenen Bewertung der Naturheilkunde als besondere Therapierichtung anschließen könnte (siehe bereits BSGE 81, 54, 71 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 27 f; zweifelnd BSGE 85, 56, 63 = SozR 3-2500 § 28 Nr 4 S 21). Darauf kommt es letztlich nicht an. Zwar werden im Rahmen der CHT möglicherweise naturheilkundliche Elemente verwendet - das Therapiekonzept als solches fußt aber nicht auf der Naturheilkunde. Naturheilkunde ist, wie schon die Bezeichnung verdeutlicht, ein Sammelbegriff für natürliche Heilweisen. Die ärztliche Weiterbildung für den Erwerb der Zusatzbezeichnung "Naturheilverfahren" beinhaltet die Vermittlung von Kenntnissen über "die Anregung der individuellen körpereigenen Ordnungs- und Heilkräfte durch Anwendung nebenwirkungsarmer oder nebenwirkungsfreier natürlicher Mittel" (Abschnitt II Nr 11 der Muster-Weiterbildungsordnung nach den Beschlüssen des 95. Deutschen Ärztetags, Sonderdruck DÄ 1992). Es geht um eine Behandlung, die insbesondere bei vegetativen Störungen der Körperfunktionen heilend wirken soll, gegen die es in der Medizin keine spezifischen Heilmethoden gibt. Eine eigene, von anderen Therapierichtungen abweichende Theorie der Krankheitsentstehung ist damit nicht verbunden.

Gerade aus einer These zur Krankheitsentstehung bezieht aber die hier in Rede stehende Behandlungsweise ihre Rechtfertigung, indem sie postuliert, dass die unterschiedlichsten Krankheitserscheinungen auf eine gestörte Darmfunktion und eine daraus erwachsende Vergiftung des Organismus zurückzuführen seien. Aus diesem Erklärungsmodell ergibt sich die Diagnose der Autointoxikation und zugleich der erwartete Heilungserfolg durch Darmreinigung und -entschlackung. Hängt der Nutzen einer Behandlung in dieser Weise im Wesentlichen von der Tragfähigkeit der Diagnose ab, so kann das Behandlungskonzept als Ganzes nur dann einer besonderen Therapierichtung zugerechnet werden, wenn gerade auch die grundlegenden Hypothesen zur Krankheitsverursachung Teil des Denkansatzes dieser Therapierichtung sind. Das ist jedoch nicht der Fall. Soweit die Darmreinigung mit Wasser und natürlichen Zusätzen ohne chemische Substanzen sowie mit dem dafür entwickelten, besonders schonend arbeitenden Gerät durchgeführt wird, mag die Methode in der Tat der Naturheilkunde zuzurechnen sein, wie das LSG unter Hinweis auf Stellungnahmen der Bundesärztekammer und des Zentralverbandes der Ärzte für Naturheilverfahren angenommen hat; da die Darmreinigung das zentrale Element der CHT darstellt, mag es auch gerechtfertigt sein, die fragliche Technik vereinfachend mit dem Namen der "Colon-Hydro-Therapie" zu belegen. Für die Einordnung der Behandlungsmethode als Ganzes ist damit aber nichts gewonnen, denn sie darf nicht losgelöst vom theoretischem Ansatz der Methode erfolgen.

Da sich die von den Befürwortern der CHT vertretene These zur Krankheitsentstehung auf keine besondere Therapierichtung stützen lässt, gelten keine anderen als die schon erörterten Kriterien für die Zweckmäßigkeit der angewandten Behandlungsmethode. Insoweit hat der Senat bereits in anderem Zusammenhang entschieden, dass eine Therapie, deren Nutzen in hohem Maße von der sie tragenden Erklärung der Krankheitsursache und der darauf beruhenden Diagnose abhängt, nur dann dem Zweckmäßigkeitserfordernis des Gesetzes entspricht, wenn die bei der Bewertung der Krankheitsursachen zu Grunde gelegten Annahmen mit den allgemein anerkannten Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft in Einklang stehen (Urteil vom 6. Oktober 1999 - BSGE 85, 56, 62 = SozR 3-2500 § 28 Nr 4 S 20 f). Wie bereits ausgeführt, ist die Ausgangsthese von der krankheitsverursachenden Wirkung einer bei Störungen der Darmfunktion angenommenen Vergiftung und Schwächung des Immunsystems keine in der medizinischen Wissenschaft gesicherte Erkenntnis. Außerdem ist mit dem behaupteten Ursachenzusammenhang noch nicht belegt, dass wiederholte Darmspülungen die Darmfunktion dauerhaft verbessern und deshalb zum Heilungseffekt beitragen könnten. Mangels hinreichender Nachweise für einen Nutzen der in der Klinik Z. angewandten Behandlungsmethode kann der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin auch dann nicht begründet werden, wenn von einer stationären Behandlung ausgegangen wird.

Da das LSG die Berufung demnach zu Recht zurückgewiesen hat, war auch die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved