L 5 RJ 81/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 2 RJ 338/01 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 81/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 20. November 2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen. -

Tatbestand:

Streitig ist eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die 1950 im vormaligen Jugoslawien geborene Klägerin ist kroatische Staatsangehörige mit dortigem Wohnsitz. In Deutschland war sie vom 29.06.1973 bis 31.08.1978 (63 Monate) versicherungspflichtig als Montiererin in der Produktion von Elektrouhren beschäftigt. In ihrer Heimat sind Versicherungszeiten von 1980 bis 1981 und von 1982 bis 31.12.1998 bescheinigt. Dort erhält sie gemäß Antrags vom 01.09.1999 eine Invalidenpension.

Die Beklagte ließ auf den Rentenantrag vom 01.09.1999 hin zur Leistungsfähigkeit der Klägerin eine prüfärztliche Beurteilung des Dr.D. (12.10.2000) erstellen. Dieser diagnostizierte: Herzleistungsminderung bei koronarer Herzerkrankung und Bluthochdruck, Übergewicht bei Fettstoffwechselstörungen, Glucoseintoleranz, Gallenblasenentfernung 1988, Verschleißerscheinungen der Kniegelenke sowie neurotische Störung und hielt die Klägerin für in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig tätig zu sein in leichten Arbeiten bei Ausschluss von häufigem Bücken, überwiegend einseitiger Körperhaltung und besonderem Zeitdruck sowie Tätigkeiten zu ebener Erde. Er berücksichtigte dabei die beigezogenen Behandlungsberichte aus der Heimat, insbesondere nach den stationären Aufenthalten im Mai sowie Juli/August 1995 wegen transmuralen Myokardinfarktes, vom Januar 1996 wegen Angina pectoris und Bluthochdrucks einschließlich der nachfolgenden Kontrolluntersuchungen, in der Klinik für Psychiatrie/O. und das ärztliche Gutachten des kroatischen Versicherungsträgers (Zagreb 13.04.2000), in welchem das Leistungsvermögen der Klägerin auf unter zweistündig eingestuft wurde. Der Einschätzung des Dr.D. folgend lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 02.11.2000 den Rentenantrag der Klägerin ab im Wesentlichen mit der Begründung, sie könne trotz der gesundheitlichen Defizite auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig leichte Arbeiten unter nur qualitativen Einschränkungen ausüben. Ein hiergegen gerichteter Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 22.02.2001), weil nach einer weiteren Einschätzung des Dr.D. (16.01.2001) die neuerlich vorgelegten Befunde keine andere Leistungsbeurteilung ergeben hatten.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Landshut (SG) hat die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab Antragstellung zu leisten. Das SG hat unter Berücksichtigung weiterer aktueller Behandlungsberichte aus der Heimat der Klägerin sowie unter Berücksichtigung aktueller laborchemischer, radiometrischer, elektrokardiographischer, sonographischer, röntgenologischer und augenärztlicher Untersuchungen ein psychiatrisches Gutachten der Dr.M. (18.11.2002) sowie ein sozialmedizinisches Gutachten der Dr.T. (19.11.2002) eingeholt. Dr.M. hat diagnostiziert:

Dysthymie, Angststörung mit Agoraphobie, Essstörung mit Bulimie, sowie HWS-abhängige Beschwerden mit sensiblen Wurzelreizerscheinungen C7 rechts.

Sie hat die Klägerin gleichwohl für fähig erachtet, leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, ohne Zeitdruck, ohne Nacht- und Wechselschicht sowie ohne Publikumsverkehr vollschichtig zu verrichten. Dr.T. hat diagnostiziert:

Koronare Herzerkrankung, Zustand nach Herzinfarkt 5/95, Bluthochdruck, bronchitische Beschwerden, Adipositas mit Fettleber, wirbelsäulenabhängige Beschwerden bei Überlastung, Fehlhaltung und degenerative Veränderungen, Kniegelenksbeschwerden, Dysthymie, Angststörung mit Agoraphobie, Essstörung sowie als Nebenbefunde: Gastritis, psoriasiforme Hautveränderungen der behaarten Kopfhaut, Ohrenentzündung, rezidivierende Pyelonephritis und Zustand nach Trichinose, Anämie.

Sie hat die Klägerin für nicht mehr in der Lage gesehen, ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Arbeiterin einer Uhrenfabrik auszuüben, jedoch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Tätigkeiten in häufig wechselnder Haltung, in geschlossenen wohltemperierten Räumen ohne besondere nervliche Belastung sowie ohne Nacht- und Wechselschicht sowie Publikumsverkehr vollschichtig zu verrichten.

Dem folgend hat das SG mit Urteil vom 20.11.2002 die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, auf welchen sie mangels Berufsschutzes zumutbar verwiesen werden könne, noch vollschichtig unter nur qualitativen Einschränkungen tätig sein.

Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und im Wesentlichen behauptet, sie sei gesundheitlich nicht in der Lage, dem vom SG angenommenen Leistungsbild zu entsprechen, was auch ihre Hausärztin sowie die übrigen Ärzte in der Heimat so sähen. Sie hat sich insoweit bezogen auf ein Attest der Dr.M. mit den Diagnosen angina pectoris non stabilis, hypertonia arterialis, Status post trichinelosis et infarctus myocardi.

Der Senat hat ein Sachverständigengutachten der Internistin Dr.L. nach persönlicher Untersuchung der Klägerin (03.08. 2003) eingeholt. Diese hat diagnostiziert: Zustand nach Trichinose 1985, chronisch rezidivierende Pyelonephritis, Adipositas Grad II, koronare Herzkrankheit, blande chronische Bronchitis, Dysthymie, Angststörung mit Agoraphobie und Essstörung, Verdacht auf Helicobacter-assoziierte Gastritis, Psoriasis, chronisch rezidivierende Ohrenentzündug, chronisch rezidivierendes HWS- und LWS-Syndrom sowie deutliche mediale Gonarthrose bei O-Beinfehlstellung. Trotz dieser Gesundheitsstörungen hat sie als zumutbar angesehen körperliche leichte Arbeiten aus wechselnder Körperhaltung mit Positionswechsel in geschlossenen Räumen vollschichtig unter Vermeidung von Heben und Tragen, länger anhaltenden Fehlhaltungen der Wirbelsäule, Kopfarbeiten, besonderen Belastungen der Kniegelenke, Kälte, Nässe, Zugluft, Rauch, Staub und Reizgasexposition, von Arbeiten, die das Tragen von Gehörschutz erfordern sowie von besonderen psychischen Belastungen wie erhöhtem Zeitdruck, Nacht- und Wechselschicht. Dem hat die Klägerin widersprochen und ein weiteres Attest der Dr.M. (23.09.2003) vorgelegt, das im Wesentlichen die bekannten Diagnosen wiederholt hat.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des SG Landshut vom 20.11.2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 02.11.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gemäß Antrags vom 01.09.1999 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Landshut vom 20.11.2002 zurückzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 25.11.2003 waren die Verwaltungsakten der Beklagten. Auf diese Akten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Klägerin erfüllt die gesundheitlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente nicht. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 02.11.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2001 ist damit ebensowenig zu beanstanden wie das Urteil des SG Landshut vom 20.11.2002.

Der streitige Rentenanspruch richtet sich nach den §§ 43, 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.), weil er auch Zeiten vor diesem Datum erfasst. Die ab 01.01.2001 geltende Neuregelung (n.F.) durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (vom 20.12.2000 - BGBl.I S 1827) ist heranzuziehen, falls ein Rentenanspruch am 31.12.2000 nicht bestanden hätte, aber für die nachfolgende Zeit in Betracht käme (vgl. § 300 Abs.1, 2 SGB VI).

Nach § 43 Abs.2 SGB VI a.F. sind berufsunfähig Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die den Kräften und Fähigkeiten der Versicherten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Nicht berufsunfähig ist, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach § 240 SGB VI n.F. haben Versicherte, die - wie die Klägerin - vor dem 02.01.1961 geboren sind, bei Vorliegen von Berufsunfähigkeit einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Die Definition der Berufsunfähigkeit weicht vom früheren Recht nur insoweit ab, als nach § 240 Abs.2 Satz 4 SGB VI n.F. berufsunfähig nicht ist, wer - ungeachtet der jeweiligen Arbeitsmarktlage - eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann. Erwerbsunfähigkeit setzt nach § 44 Abs.2 SGB VI a.F. ebenso wie eine volle Erwerbsminderung im Sinne des neuen Rechts (§ 43 Abs.2 Satz 2 SGB VI n.F.) eine gegenüber der Berufsunfähigkeit noch weiter herabgesetzte Erwerbsfähigkeit voraus.

Vollschichtiges Leistungsvermögen in einer zumutbaren Tätigkeit schließt somit nach alter und neuer Rechtslage den streitigen Rentenanspruch regelmäßig aus (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Bayer. Landessozialgericht Urteil vom 07.10.2003 - L 5 RJ 701/01; BSG Urteil vom 09.04.2003 - B 5 RJ 34/02 R).

Ausgangspunkt bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist der bisherige Beruf der Versicherten, also regelmäßig die in Deutschland zuletzt auf Dauer verrichtete Tätigkeit (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr.158; SozR 3-2200 § 1246 Nrn.54, 61 jeweils mit weiteren Nachweisen).

Maßgeblich für die Klägerin ist somit die Tätigkeit als Montiererin in einer Elektrofabrik. Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich insoweit um eine ungelernte Tätigkeit. Berufsunfähigkeit der Klägerin liegt deshalb nicht bereits dann vor, wenn sie diese Tätigkeit nicht mehr ausüben kann, sondern wenn gesundheitliche Gründe die Klägerin daran hindern, auch andere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben, die ihr sozial zumutbar sind und für die sie fachlich geeignet ist.

Da die Klägerin, wie vom Sozialgericht zutreffend festgestellt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt sozial zumutbar verwiesen werden kann und sie für ungelernte Tätigkeiten fachlich geeignet ist (zur Wertigkeit des bisherigen Berufes und zur Verweisbarkeit nach dem von der Rechtsprechung entwickelten Mehrstufenschema vergleiche BSG Urteil vom 16.11.2000 - B 13 RJ 79/99 R mit weiteren Nachweisen), liegt wegen des vollschichtigen Leistungsvermögens Berufsunfähigkeit nicht vor.

Nach den überzeugenden Feststellungen der Dr.L. , Dr.T. und Dr.M. bestehen bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen:

- chronisch rezidivierende Pyelonephritis (schwerer Schub 1990) bei unauffälligen sonographischen Nierenbefunden und Nierenretensionswerten,

- Adipositas Grad II bei vermehrter Fetteinlagerung in die Leber, Hyperlipidämie sowie essentiellem Bluthochdruck Stadium I,

- koronare Herzkrankheit nach akutem Vorderwandinfarkt am 03.05.1995 mit komplikatonslosem Verlauf bei fehlendem sicherem Anhalt für eine koronare Minderdurchblutung bei leichter körperlicher Belastung (50-75 W), atypische thorakale Beschwerden im Rahmen Dysthymie und psychosomatischen Beschwerden, bei normalem Echokardiographiebefund sowie ohne Anhalt für hämodynamisch relevante Herzrhythmusstörungen,

- blande chronische Bronchitis ohne Lungenfunktionseinschränkung,

- Dysthymie, Angststörung mit Agoraphobie sowie Essstörung,

- Verdacht auf Helicobacter-assozierte Gastritis,

- Psoriasis

- chronisch rezidivierende Ohrenentzündungen ohne relevante Beeinträchtigung des Gehörs,

- chronisch rezidivierendes HWS- und LWS-Syndrom bei mittelgradigen degenerativen Veränderungen und Fehlhaltungen sowie

- deutliche mediale Gonarthrose bei O-Beinfehlstellung.

Trotz dieser Erkrankungen ist die Klägerin noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Tätigkeiten in geschlossenen wohltemperierten Räumen bei wechselnder Körperhaltung überwiegend im Sitzen mit gelegentlichem Positionswechsel ohne schweres Heben und Tragen, länger anhaltende Fehlhaltungen der Wirbelsäule, Überkopfarbeiten, besondere Belastungen der Kniegelenke sowie unter Ausschluss von Kälte, Nässe, Zugluft, Rauch, Staub oder Reizgasexposition und Arbeiten mit Gehörschutz sowie ohne besondere psychische Belastungen wie erhöhten Zeitdruck, Nacht- und Wechselschicht ganztags auszuüben.

Diesen überzeugenden Diagnosen und Leistungseinschätzungen der Sachverständigen schließt sich der Senat an, weil alle drei Sachverständige die Akten vollständig ausgewertet, eine eigene Anamnese erstellt, Befunde erhoben, die Befunde selbst beurteilt unter Ausschluss von Verdeutlichungstendenzen, die zusätzliche apparative Diagnostik genutzt sowie den Schweregrad der Erkrankungen ermittelt und schließlich das Restleistungsvermögen mit Blick auf die rentenrechtliche Fragestellung zutreffend beurteilt haben. Sie haben insbesondere auch das Vorbringen der Klägerin und das zur Berufungsbegründung vorgelegte Attest der Dr.M. berücksichtigt und in Relation zu ihren eigenen Feststellungen überzeugend bewertet. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Attest der Dr.M. vom 23.09.2003, welches im Wesentlichen die bekannten Diagnosen wiederholt, aber keine Ausführungen zu den Auswirkungen der Diagnosen auf die Leistungsfähigkeit der Klägerin enthält.

Besondere Leistungseinschränkungen liegen nicht vor; die Wegefähigkeit ist nicht relevant eingeschränkt. Die Klägerin ist damit weder berufs- noch erwerbsunfähig nach der bis 31.12.2000 geltenden Rechtslage, noch ist sie erwerbsgemindert im Sinne der ab 01.01.2001 gültigen Rechtsnormen.

Die Berufung bleibt damit im vollen Umfang ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz - SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.2 und 3 SGG).
Rechtskraft
Aus
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