L 3 U 109/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 20 U 707/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 109/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 10.02.2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Klägerin eine berufsbedingte Erkrankung der Atemwege vorliegt und ihr die Beklagte deswegen Leistungen zu gewähren hat.

Die 1955 geborene, aus Bosnien stammende Klägerin lebt seit 1972 in der Bundesrepublik Deutschland und war seit 1986 im Pathologischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) als Laborhilfe beschäftigt. Ihre ab 1989 in Erscheinung getretene Erkrankung der Atemwege führt sie auf ihren beruflichen Umgang mit Formaldehyd und Xylol zurück. Der Beklagten gingen ärztliche Anzeigen über eine Berufskrankheit der Betriebsärztin Dr.K. vom 14.02.1997 sowie des praktischen Arztes Dr. L. vom 17.02.1997 zu. Darin wird eine chronische asthmatische Bronchitis bescheinigt und ein Arbeitsplatzwechsel für unverzichtbar gehalten. Die von der Beklagten daraufhin angestellten Ermittlungen beim Arbeitgeber und bei den behandelnden Ärzten (Dr.Ü. seit 1986; Dr. L. und Dr.B. seit 1990 und Dr.K. seit 1997) belegten Atemwegsbeschwerden bei der Klägerin seit September 1989. Röntgenaufnahmen der Lunge waren am 28.09.1989 gefertigt worden. Der Arbeitgeber teilte mit, eine Umsetzung der Klägerin sei bislang noch nicht gelungen; seit 24.01.1997 sei sie arbeitsunfähig erkrankt. Aus späteren Auskünften im Laufe des sozialgerichtlichen Verfahrens geht hervor, dass die Klägerin bis 26.06.1997 arbeitsunfähig war, anschließend Arbeitslosengeld bezogen hat und mit Wirkung zum 25.01.1999 an das Klinikum G. als Stationshilfe umgesetzt worden war. Die Beklagte zog die ärztlichen Unterlagen der Landesversicherungsanstalt Oberbayern bei, in denen eine Bronchitiserkrankung ab dem Kleinkindalter sowie ein Nikotinabusus erwähnt werden. In einer gewerbeärztlichen Stellungnahme sprach sich Dr.S. am 18.11.1997 gegen einen Zusammenhang zwischen der Atemwegserkrankung und beruflichen Einwirkungen aus. Mit Bescheid vom 04.03.1998 lehnte die Beklagte die Anerkennung und Entschädigung der Bronchitis als Berufskrankheit nach der Nr. 4302 der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung (BKVO) ab. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dieser Erkrankung und der beruflichen Tätigkeit der Klägerin sei nicht zu finden. Nach ärztlicher Ansicht handle es sich um die Auswirkung von Infekten und des Nikotinmißbrauchs, denn die Klägerin rauche nach eigenen Angaben ca. 10 Zigaretten pro Tag. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 02.09.1998).

Dagegen hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) München Klage erhoben. Das SG hat zunächst den Sachverständigen Dr.W. , Arzt für innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Dieser hat eine weitere Aufklärung der arbeitstechnischen Bedingungen für erforderlich gehalten, die die Firma D. GmbH in Zusammenarbeit mit dem technischen Aufsichtdienst der Beklagten vornahm. Dabei stellte sich heraus, dass die Klägerin weniger bei ihrer Tätigkeit in den Labors als in der Spülküche einer Gefahrstoffbelastung mit Formaldehyd ausgesetzt war. Anhand dieser Erkenntnisse erstellte der Sachverständige Dr.W. am 06.06.2000 sein Gutachten. Er bejahte eine Berufskrankheit nach der Nr. 4302, verursacht durch eine tägliche, zeitweilig über dem MAK-Wert liegende Formalinkonzentration. Die dadurch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätzt er mit 20 v.H. ein. Die Beklagte hat dagegen Einwendungen erhoben und sich auf eine Stellungnahme der Internistin Dr.S. vom 28.11.2000 gestützt. Nach neueren medizinischen Erkenntnissen sei Formaldehyd nicht geeignet, eine Erkrankung der tieferen Atemwege zu verursachen. Diesbezügliche Untersuchungen hätten sich auf Konzentrationen zwischen 0,83 - 2,5 ppm Formaldehyd bezogen. Lediglich in Konzentrationsbereichen über 2,5 ppm habe sich eine Wirkung auf die tieferen Atemwege nicht sicher ausschließen lassen. Zudem würden sich die Atembeschwerden allein aus dem Nikotinabusus der Klägerin erklären lassen. Trotz dieser Einwände hat der Sachverständige Dr.W. in vom SG erbetenen Stellungnahmen vom 05.02.2001 und 04.08.2001 an seiner früheren Einschätzung festgehalten. Das Sozialgericht hat am Arbeitsplatz der Klägerin am 03.12.2001 Augenschein gehalten und die Zeugen M. Z. und M. D. einvernommen. Die Beklagte hat nach dieser Beweisaufnahme die arbeitstechnischen Voraussetzungen anerkannt. Das SG hat zunächst Dr.W. nochmals gehört und mit einer weiteren Untersuchung der Klägerin hinsichtlich einer möglichen Latexallergie beauftragt, welche sich nicht bestätigte. Anschließend hat es ein weiteres Gutachten und zwar von Prof.Dr.D. , Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität E. eingeholt. Der Sachverständige hat am 12.09.2002 die Formaldehyd-Belastung der Klägerin am Arbeitsplatz nur als Gelegenheitsursache für das Auftreten von Atembeschwerden bei einer ansonsten anlagebedingten obstruktiven Atemwegserkrankung eingestuft. Der zuvor gehörte Sachverständige Dr.W. hat sich dieser Einschätzung am 08.11.2002 angeschlossen.

Mit Urteil vom 10.02.2003 hat das SG die auf Anerkennung und Entschädigung der Atemwegserkrankung als Berufskrankheit gerichtete Klage abgewiesen. Es hat sich vor allem auf die überzeugenden, wissenschaftlich begründeten Ausführungen des Sachverständigen Prof.Dr.D. gestützt.

Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und zur Begründung wie zuletzt im Klageverfahren vorgetragen, die Schadstoffbelastung durch ihre berufliche Tätigkeit sei wesentlich höher gewesen, als von den Sachverständigen angenommen. Das SG hätte eine weitere Bestimmung der Belastungen an ihrem früheren Arbeitsplatz vornehmen müssen. Insbesondere hätte sich eine solche Beweiserhebung aufdrängen müssen, weil sie, wie das SG eingeräumt habe , bei Abfüllarbeiten im Alkoholkeller vorübergehend einer höheren Belastung mit Formaldehyd ausgesetzt gewesen sei. Dies sei nachzuholen. Die Beklagte hat hingegen auf die zutreffende Begründung im angefochtenen Urteil hingewiesen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 10.02.2003 sowie den Bescheid vom 04.03.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.09.1998 aufzuheben und eine Atemwegserkrankung als Berufskrankheit nach der Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKVO anzuerkennen und ihr die gesetzlichen Leistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gem. § 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet.

Die Berufung der Klägerin kann deshalb nicht zum Erfolg führen, weil ihre Erkrankung, eine obstruktive Atemwegserkrankung, keine Gesundheitsstörung ist, welche nach dem derzeitigen medizinischen Wissensstand generell auf den Einfluss von Formaldehyd zurückzuführen ist. Dies hat Prof.Dr.D. eingehend dargestellt und mit neuesten Literaturrecherchen belegt. Der Berufsstoff Formaldehyd steht zwar im Verdacht, krebserzeugend zu sein. Dass er geeignet wäre, eine obstruktive Atemwegserkrankung hervorzurufen, ist hingegen eher ausgeschlossen als wahrscheinlich. Eine obstruktive Atemwegserkrankung kann durch Formaldehyd schon deshalb nicht verursacht werden, so führt Prof.Dr.D. aus, weil dieser Stoff sofort Reizungen der oberen Luftwege, wie Augenreizungen, Nasenbrennen, Nasenlaufen, Husten und Brennen im Kehlkopf und in der Luftröhre erzeuge, wodurch die Substanz bereits in den oberen Schleimhäuten abreagiert werde und so keine nenneswerten Konzentrationen den Tracheobronchialbaum erreichen könnten, um dort Schaden anzurichten. Damit sei die aus den 80iger und frühen 90iger Jahren stammende These, Formaldehyd könne beim Menschen ein Asthma bronchiale auf allergischem oder nicht allergischem Weg hervorrufen, weitgehend widerlegt. Zwar könnten Expositionen gegenüber höheren Konzentrationen von Formaldehyd Atemwegsreaktionen auslösen, was aber nicht gleichzusetzen sei mit der Verursa- chung oder Mitverursachung einer chronischen Atemwegserkrankung. Es müsse zwischen der Verursachung einer obstruktiven Atemwegserkrankung und der Auslösung akuter Atemwegsreaktionen unterschieden werden. Hier sei auch zu berücksichtigen, dass die anfallsartige Verengung der Atemwege als Asthma bronchiale und die chronische Verengung als chronische Atemwegserkrankung oder chronische Bronchitis bezeichnet würden. Die Bereitschaft, auf Reize mit einer Verengung der Atemwege zu reagieren, sei bei jedem Menschen vorhanden. Bei Personen mit nachgewiesener obstruktiven Atemwegserkrankung komme es lediglich rascher zu Verengungsreaktionen mit vorübergehendem vermehrten Husten und ev. auch mit Atemnot. Solche Reaktionen seien auch bei der Klägerin beschrieben worden und lägen glaubhaft vor. Sie seien aber als Gelegenheitsursache i.S. einer Auslösung von Symptomen zu bewerten. Ihnen komme kein ursächlicher Faktor für die Entstehung der Erkrankung selbst zu. Auf Grund der derzeitigen wissenschaftlichen Literatur könne nicht belegt werden, dass die Exposition gegenüber Formaldehyd, gleich welcher Dosis, gehäuft obstruktive Atemwegserkrankungen verursache, mitverursache oder bestehende Atemwegserkrankungen richtungweisend verschlimmere. Dieser gesicherten wissenschaftlichen Auffassung schließt sich der Senat an.

Aus diesem Grunde ist es ohne Bedeutung, ob die Klägerin, wie sie meint, höheren Expositionen von Formaldehyd ausgesetzt war, als bisher nachgewiesen bzw. von den Sachverständigen angenommen. Die von der Klägerin hierzu angeregte Beweisaufnahme ist obsolet.

Die Klägerin kann ihren Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung ihrer Atemwegserkranung als Berufskranheit auch nicht auf die Stellungnahme des Dr.W. vom 08.11.2002 stützen. Sie interpretiert seine Aussage falsch, wenn sie meint, Dr.W. habe sich der Meinung von Prof.Dr.D. nur insoweit angeschlossen, als eine in der Größenordnung des MAK-Wertes liegende Exposition nicht geeignet sei, eine obstruktive Atemwegserkrankung zu erzeugen. Denn im nachfolgenden Absatz erklärt er, da Prof.Dr.D. auch nach arbeitsmedizinischer Erkenntnis keine wesentlich höhere Exposition annehme, komme er zu dem Schluss, dass mehr gegen als für eine berufliche Verursachung der ob- struktiven Atemwegserkrankung spreche. Diese Aussage kann nur so verstanden werden, dass er sich der arbeitsmedizinischen Erkenntnis anschließt, wonach Formaldehyd bereits in den oberen Atemwegen abreagiert wird und deshalb keine bedeutenden Konzentrationen mehr in den tieferen Atemtrakt gelangen können. Im Übrigen wies die Gewerbeärztin Dr.S. bereits darauf hin, dass neuere wissenschaftliche Untersuchungen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Formaldehydexposition in der Größe von 0,83 - 2,5 ppm und einer obstruktiven Atemwegserkrankung ausschließen konnten; lediglich bei einer Belastung über 2,5 ppm habe ein solcher Zusammenhang nicht sicher ausgeschlossen werden können. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass ein positiver Nachweis des ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Formaldehydexposition größer als 2,5 ppm und einer obstruktiven Atemwegserkrankung nicht geführt werden kann, weil keine entsprechenden Erkenntnise vorliegen. Ein solcher positiver Beweis wäre aber erforderlich, um eine Berufskrankheit anerkennen zu können. Somit sieht der Senat keinen Widerspruch der ärztlichen Meinungen. Ein Anspruch der Klägerin auf Anerkennung und Entschädigung ihrer Atemwegserkrankung als Berufskrankheit nach § 9 des 7. Sozialgesetzbuchs (SGB VII) i.V.m. der Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKVO ist demnach nicht zu begründen. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG München vom 10.02.2003 war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG genannten Gründe vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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