L 1 KR 32/00

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 28 KR 749/98
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 32/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 7. Februar 2000 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist eine Erstattungsforderung in Höhe von 18.639, 65 DM (9530,30 EUR).

Der am X.XXXXXXXX 1949 geborene und am XX.XXXXXXX 2003 verstorbene W. L. (Versicherter) war bis zum 30. November 1996 freiwilliges Mitglied der Beklagten ohne Anspruch auf Krankengeld. Er nahm, in H. wohnhaft, am 1. Dezember 1996 eine – am 10. Juni 1997 beendete - versicherungspflichtige Beschäftigung als Gebäudereinigungshelfer bei der Firma B. KG (Arbeitgeberin) in L. auf. Die Arbeitgeberin meldete ihn am 23. Dezember 1996 zum 1. Dezember 1996 mit den Beitragsgruppen 1/1/1 bei der klagenden Krankenkasse an (Vermerk vom 22. April 1997). Diese bescheinigte der Arbeitgeberin unter dem 23. Dezember 1996 eine bei ihr (auf Grund einer Wahl nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) idF des Art. 1 Gesundheitsstrukturgesetz vom 21. Dezember 1992, BGBl I S 2266, in Kraft ab 1. Januar 1996) bestehende Mitgliedschaft des Versicherten und erteilte diesem am 11. Februar 1997 eine Mitgliedsbescheinigung/Versicherungsbescheinigung, nach deren Inhalt er "vom 1.12.1996 bis laufend" ihr versicherungspflichtiges Mitglied sei.

Anlässlich am 10. Februar 1997 eingetretener Arbeitsunfähigkeit des Versicherten und des erhaltenen Kostenverpflichtungsscheins des Allgemeinen Krankenhauses B., in welchem der Versicherte am 14. Februar 1997 und vom 16. Februar bis 16. März 1997 behandelt wurde, überprüfte die Klägerin ihre Leistungspflicht und gelangte nach Rückfragen bei der Arbeitgeberin und dem Versicherten zur Auffassung, dass dieser das Wahlrecht ihr gegenüber nicht erklärt, sondern lediglich seinen Wunsch, bei ihr versichert zu werden, gegenüber der Arbeitgeberin geäußert habe (telefonische Mitteilung des Versicherten vom 15. April 1997 gegenüber der Klägerin, Schreiben des Versicherten vom 5. Mai 1997 an die Beklagte). Die Klägerin stornierte deshalb mit Bescheid vom 23. April 1997 gegenüber der Arbeitgeberin die Anmeldung zum 1. Dezember 1996 und beschied den Versicherten unter dem 23. April 1997 entsprechend. Dessen hiergegen erhobenen Widerspruch, in welchem er bestätigte, die Arbeitgeberin habe ihn auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin bei der Klägerin angemeldet, wies sie mit bindend gewordenem Widerspruchsbescheid vom 21. August 1997 zurück. Der Versicherte habe das Wahlrecht ihr gegenüber nicht binnen zwei Wochen nach Beginn der versicherungspflichtigen Beschäftigung ausgeübt. Deswegen sei die Arbeitgeberin verpflichtet gewesen, ihn bei der Beklagten anzumelden. Die Ausstellung der Mitgliedsbescheinigung sei zu Unrecht erfolgt. In ihr liege auch kein Verwaltungsakt.

Die Klägerin hatte dem Versicherten am 14. Februar 1997 zwei Trachealkanülen (1.512,45 DM) als Hilfsmittel bewilligt und auch die Krankenhausbehandlungskosten für den 14. Februar 1997 (154 DM) und für die Zeit vom 16. Februar bis 16. März 1997 (15.530,20 DM) übernommen. Außerdem hatte sie dem Versicherten, der vom Sozialamt B. für die Zeit vom 1. April bis 30. Juni 1997 Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten hatte (laut Schreiben des Ortsamts vom 2. Juni 1997 an die Beklagte (Anmeldung eines Erstattungsanspruchs) 2.731, 95 DM), auf seinen Antrag vom 3. Juni 1997 als vorläufige Leistung für die Zeit vom 25. März bis 30. April 1997 Krankengeld (1.443 DM) gewährt. Wegen dieser Leistungen meldete sie mit Schreiben vom 9. Dezember 1997 bei der Beklagten Erstattungsanspruch dem Grunde nach an und konkretisierte ihn mit Schreiben vom 17. Dezember 1997, 7 und 8. Januar, 27. Februar und 8. Mai 1998 auf insgesamt 18.639,65 DM.

Die Beklagte wies den Erstattungsanspruch mit Schreiben vom 23. Januar und 19. Mai 1998 zurück.

Das Sozialgericht hat der am 22. Juli 1998 erhobenen Leistungsklage durch Urteil vom 7. Februar 2000 stattgegeben. Die Voraussetzungen des § 102 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) lägen vor. Der Versicherte habe das Wahlrecht gegenüber der Klägerin nicht (fristgerecht) ausgeübt. Deshalb sei er von der Arbeitgeberin bei der Beklagten anzumelden gewesen. Dass die Klägerin dem Beigeladenen eine Mitgliedsbescheinigung ausgestellt und eine Krankenversicherungskarte ausgehändigt habe, sei – auch wenn entgegen der Auffassung der Klägerin in der Ausstellung der Mitgliedsbescheinigung ein Verwaltungsakt liege - für die Beurteilung, ob der Erstattungsanspruch bestehe, unerheblich.

Gegen das ihr am 8. März 2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 29. März 2000 eingelegte Berufung der Beklagten.

Sie ist der Auffassung, zuständiger Versicherungsträger für der Versicherten sei die Klägerin gewesen, da die Arbeitgeberin ihn auf seinen Wunsch bei dieser angemeldet habe. Das Wahlrecht nach § 175 SGB V habe auch durch die bevollmächtigte Arbeitgeberin ausgeübt werden können. Indem die Klägerin die Anmeldung und zunächst auch Beiträge entgegengenommen, eine Mitgliedsbescheinigung ausgestellt und dem Versicherten die Krankenversicherungskarte übersandt habe, habe sie zu erkennen gegeben, dass sie sich als zuständige Krankenkasse betrachte. Erst die angefallenen Krankheitskosten hätten sie zur Änderung ihrer Auffassung veranlasst. Die Klägerin habe durch ihr Verhalten gegenüber dem Versicherten und der Arbeitgeberin einen Rechtsschein gesetzt, den sie sich zurechnen lassen und auf Grund dessen sie im Leistungsfall auch eintreten müsse.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 7. Februar 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Für die von ihr für den Versicherten erbrachten Aufwendungen sei die Beklagte zuständiger (vorrangiger) Leistungsträger. Der Versicherte sei am 1. Dezember 1996 nicht ihr Mitglied geworden. Er habe in der gesetzlichen Frist von zwei Wochen sein Wahlrecht ihr gegenüber nicht ausgeübt. Sein gegenüber der Arbeitgeberin geäußerter Wunsch, bei ihr, der Klägerin, versichert werden zu wollen, erfülle diese Voraussetzung nicht. Dies schon deshalb nicht, weil die Anmeldung nach Ablauf der Frist von zwei Wochen nach Beginn des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses erfolgt sei. Die dem Versicherten erteilte Mitgliedsbescheinigung habe bezüglich des Kassenwahlrechts keine rechtlichen Wirkungen entfaltet. Im Übrigen habe sie mit dem Bescheid vom 23. April 1997 gegenüber dem Versicherten eine unanfechtbare Statusentscheidung über das Nichtbestehen einer Pflichtmitgliedschaft bei ihr getroffen.

Wegen des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beteiligten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat der Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) zu Recht stattgegeben. Der Klägerin steht der streitige Erstattungsanspruch, den sie fristgerecht geltend gemacht hat und der nicht verjährt ist (§§ 111, 113 SGB X), zu.

Hat ein Leistungsträger auf Grund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht, ist der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger erstattungspflichtig (§ 102 Abs. 1 SGB X). Vorliegend war die Klägerin nach § 43 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) zur vorläufigen Leistungserbringung verpflichtet. Besteht ein Anspruch auf Sozialleistungen und ist zwischen mehreren Leistungsträgern streitig, wer zur Leistung verpflichtet ist, kann nach Satz 1 dieser Vorschrift der unter ihnen zuerst angegangene Leistungsträger vorläufig Leistungen erbringen, deren Umfang er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt. Er hat Leistungen nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB I zu erbringen, wenn der Berechtigte es beantragt. Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass die Klägerin zu Gunsten des Versicherten Sachleistungen (Krankenhausbehandlung, Hilfsmittel) und auf seinen Antrag Geldleistungen (Krankengeld) erbracht hat. Der Versicherte hatte nach §§ 33, 39, 44 SGB V entweder gegen die Klägerin oder aber gegen die Beklagte Anspruch auf diese Leistungen. Denn er war entweder bei der einen oder bei der anderen dieser Krankenkassen auf Grund seiner am 1. Dezember 1996 aufgenommenen versicherungspflichtigen Beschäftigung versichert (§§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 186 Abs. 1 SGB V).

Vorliegend war die Beklagte für den Versicherten die zuständige Krankenkasse.

Nachdem seine freiwillige Mitgliedschaft bei ihr zum 30. November 1996 geendet hatte, war der Versicherte als ab 1. Dezember 1996 Versicherungspflichtiger Mitglied der von ihm gewählten Krankenkasse (§ 173 Abs. 1 SGB V). Zu den von ihm wählbaren Krankenkassen gehörten sowohl die Klägerin als Ortskrankenkasse seines Wohnorts als auch die Beklagte als Krankenkasse, bei der vor Beginn der Versicherungspflicht eine Mitgliedschaft des Versicherten bestand (§ 173 Abs. 2 Nr. 1 und 5 SGB V). Die Ausübung des Wahlrechts ist gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 SGB V gegenüber der gewählten Krankenkasse zu erklären. Nach § 175 Abs. 3 Satz 1 SGB V in der hier anzuwendenden, bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung (geändert mWv 1. Januar 2002 durch Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung der Krankenkassenwahlrechte vom 27. Juli 2001, BGBl I S 1946) ist das Wahlrecht Versicherungspflichtiger spätestens zwei Wochen nach Eintritt der Versicherungspflicht auszuüben. Die gewählte Krankenkasse hat gemäß § 175 Abs. 2 Satz 1 SGB V nach Ausübung des Wahlrechts unverzüglich eine Mitgliedsbescheinigung auszustellen. Die Mitgliedsbescheinigung ist der zur Meldung verpflichteten Stelle unverzüglich vorzulegen (§ 175 Abs. 2 Satz 2 SGB V a.F.) Wird das Wahlrecht nicht ausgeübt (§ 175 Abs. 3 Satz 2 1. HS SGB V a.F.), hat die zur Meldung verpflichtete Stelle den Versicherungspflichtigen bei der Krankenkasse anzumelden, bei der zuletzt eine Versicherung bestand.

Das Sozialgericht hat unter Anwendung der aufgezeigten Vorschriften zu Recht entschieden, dass der Versicherte von der Arbeitgeberin bei der Beklagten als der Krankenkasse, bei der zuletzt eine Versicherung für ihn bestand, anzumelden war, weil er sein Wahlrecht nicht spätestens zwei Wochen nach Eintritt der Versicherungspflicht, also bis zum 15. Dezember 1996, ausgeübt hatte. Der Versicherte hat gegenüber der Klägerin die Ausübung des Wahlrechts nicht fristgerecht erklärt. Sein gegenüber der Arbeitgeberin zum Ausdruck gebrachter Wunsch, bei der Klägerin versichert werden zu wollen, stellt eine Erklärung des Wahlrechts im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht dar. Auch in der nach §§ 28a Abs. 1 Nr. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV), 198 SGB V von der Arbeitgeberin bei Beginn der versicherungspflichtigen (vgl. die Einfügung dieses Wortes mWv 1. Januar 1999 durch Art. 4 des Rentenreformgesetzes vom 16. Dezember 1997, BGBl I S 2998) Beschäftigung erstatteten Meldung des Versicherten gegenüber der Einzugsstelle liegt keine Ausübung des Wahlrechts. Da der Versicherte von der Arbeitgeberin bei der Klägerin erst am 23. Dezember 1996 mit den Beitragsgruppen 1/1/1 angemeldet wurde, war die Frist des § 175 Abs. 3 Satz 1 SGB V a.F. zudem verstrichen, selbst wenn entsprechend der Auffassung der Beklagten, die der Senat nicht teilt, in dieser Anmeldung eine Ausübung der Erklärung des Wahlrechts in Vollmacht des Versicherten gelegen hätte.

Das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 8. Oktober 1998 (B 12 KR 11/98 R, BSGE 83, 48 = SozR 3-2500 § 175 Nr 2) ist für die Rechtsauffassung der Beklagten nicht fruchtbar zu machen. Darauf hat die Klägerin im Schriftsatz vom 28. Juli 2000 mit Recht hingewiesen. Darauf wird Bezug genommen.

Die dem Versicherten erteilte Mitgliedsbescheinigung/Versicherungsbescheinigung steht dem geltend gemachten Erstattungsanspruch nicht entgegen. Aus ihrer Ausstellung kann die Beklagte nicht herleiten, dass der Versicherte bei der Klägerin versichert war und bereits deshalb ein Erstattungsanspruch nicht besteht. Die Mitgliedsbescheinigung nach § 175 Abs. 2 Satz 1 SGB V, die die "gewählte Krankenkasse" nach Ausübung des Wahlrechts unverzüglich auszustellen hat, damit sie (vom Versicherten) der zur Meldung verpflichteten Stelle unverzüglich vorgelegt werden kann, deklariert lediglich die Wahl des Versicherten als allein maßgebenden Akt für die Begründung der Zuständigkeit der Krankenkasse (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht vom 7. April 2000, L 1 B 8/00 KR ER, EzS 90/241). Durch sie wird eine Mitgliedschaft jedenfalls nicht begründet, wenn das Wahlrecht – wie hier – gerade nicht ausgeübt worden ist. Selbst wenn aber, wie das Sozialgericht annimmt, in der Mitgliedsbescheinigung ein den Versicherten begünstigender Verwaltungsakt iSd § 31 SGB X läge (vgl. hierzu BSG vom 21. Mai 1996 – 12 RK 67/94 - , SozR 3-2200 § 306 Nr 2: offen lassend BSG vom 19. Juni 2001 – B 12 KR 37/00 R, SozR 3-2500 § 9 Nr 3), durch den die Klägerin eine potentiell verbindliche Rechtsfolge gesetzt hat, d.h. durch eine Regelung Rechte begründet oder verbindlich festgestellt hat, so wäre dieser Verwaltungsakt durch die vom Beigeladenen nicht angefochtene Statusentscheidung über das Nichtsbestehen einer Mitgliedschaft zur Klägerin (Bescheid vom 23. April 1997, Widerspruchsbescheid vom 12. August 1997) bestandskräftig aufgehoben worden. Das Sozialgericht hat daher im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der von der Klägerin erhobene Erstattungsanspruch durch die dem Versicherten ausgestellte Mitgliedsbescheinigung nicht berührt wird.

Soweit die Beklagte sich im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut von § 175 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Satz 2 (aF) SGB V auf eine ihm entgegenstehende Verwaltungspraxis beruft, wird auf die Ausführungen des Sozialgerichts Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Nach alledem ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der bis einschließlich 1. Januar 2002 geltenden Fassung.

Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn 1 oder 2 SGG nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen dafür fehlen.
Rechtskraft
Aus
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