L 16 P 5/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 12 P 209/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 P 5/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Es wird festgestellt, daß das Berufungsverfahren L 16 P 5/02 LSG NRW durch Zurücknahme der Berufung am 30.10.2003 beendet ist. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der klagende Versicherte erhält Pflegegeld für selbstbeschaffte Pflegehilfe nach der Pflegestufe III - zZt 665 EURO je Kalendermonat; er verlangt, daß die beklagte Pflegekasse mit seiner in zweiter Instanz zum Verfahren beigeladenen Pflegeperson, mit Herrn D.B., einen Vertrag zur Sicherstellung der Pflege nach § 77 des Sozialgesetzbuches (SGB) XI abschließt - mit der Folge, daß der Beigeladene, wie ein nach § 71 SGB XI zugelassener Pflegedienst, zu Lasten der beklagten Pflegekasse vom Kläger abgerufene Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von 1432 EURO je Kalendermonat zu erbingen berechtigt wäre. § 77 Abs 1 S. 1 SGB XI lautet:
"Zur Sicherstellung der häuslichen Pflege und hauswirtschaftlichen Versorgung kann die zuständige Pflegekasse einen Vertrag mit einzelnen geeigneten Pflegekräften schließen, soweit und solange eine Versorgung nicht durch einen zugelassenen Pflegedienst gewährleistet werden kann; Verträge mit Verwandten oder Verschwägerten des Pflegebedürftigen bis zum 3. Grad sowie mit Personen, die mit dem Pflegebedürftigen in häuslicher Gemeinschaft leben, sind unzulässig." (Abs 1 S. 1 2. Halbs idF des Gesetzes vom 14.6.1996 BGBl 830)

Der Kläger ist am 00.00.1954 geboren. Er leidet - so der Nervenarzt C in einer Erklärung vom 8.6.1995 - auf dem Boden einer frühkindlichen Hirnschädigung an einer Tetraspastik und bedarf - abgesehen davon, daß er mit einem Rollstuhl versorgt ist und sich damit bewegen kann - bei praktisch allen Verrichtungen der Grundpflege (§ 14 Abs 4 Nr 1 - 3 SGB XI) sowie bei der Hauswirtschaft (§ 14 Abs 4 Nr 4 SGB XI) der Hilfe (Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) vom 17.10.1995). Die Hilfe wird ihm seit 1982 in der eigenen Wohnung in W. zuteil vom beigeladenen Herrn D.B. Bis dahin war der Kläger im Behindertenheim der Evangelischen Stiftung W untergebracht. Er wurde schon dort u.a. von dem noch heute noch bei der Stiftung beschäftigten Herrn D.B. betreut. Dieser ist am 00.00.1951 in E (R/Philippinen) geboren und nach einem von ihm im Verfahren vorgelegten, von der Stiftung mit Datum des 19.2.1997 ausgestellten Zeugnis seit 1975 als Krankenpflegehelfer befaßt
- mit dem Einsatz bei einer Wohngruppe von 18 körperbehinderten/mehrfachbehinderten Erwachsenen, die idR in der dortigen Werkstatt für Behinderte arbeiten
- in Form der Unterstützung der ausgebildeten Fachkräfte
- mit u.a. Hilfestellung etwa beim An- und Auskleiden sowie der allgemeinen Körperhygiene, wie sie u.a. auch beim Kläger anfällt, einschließlich insbesondere des Umsetzens auf die Toilette zwecks Blasenentleerung.

Mit Schreiben vom 20.3.1995 teilte der Kläger der beklagten Pflegekasse unter Bezug auf vorangegangene Korrespondenz/Gespräche mit: sein Gefährte, Herr D.B., helfe ihm aus wirklich purer Menschenliebe schon seit fast 13 Jahren 6 - 8 Stunden täglich - neben seinem berufsmäßigen 9 - 11-stündigen Dienst; damit sein Freund ihm auch fürderhin helfen könne, wollten sie, daß Herr D.B. seine berufsmäßige Arbeitszeit auf die Hälfte reduziere und damit in der Hauptsache für ihn da sei; er sei dann auch nicht mehr 9 - 11 Stunden am Tag allein und hätte nicht mehr so große Not mit der Toilette; deshalb beantragten sie, Herrn D.B. ab dem 1.4.1995 im Rahmen der Pflegesachleistung nach der Pflegstufe III als Krankenpflegehelfer einzustellen; es sei richtig, daß die Kasse nach § 13 Abs 3 SGB V gehalten sei, mit nahestehenden Personen des Bedürftigen Pflegeverträge abzuschließen, sofern sich am Ort kein entsprechender Dienst befinde oder dieser nicht in der Lage sei, den Service zu leisten; wenn man einen schweren Unfall gehabt habe, schwer pflegebedürftig sei, Arme und Beine nicht mehr gebrauchen könne, seit langem mit einem Partner zusammenlebe und aufeinander eingestellt sei, wolle man niemanden anders zur Unterstützung haben als den Lebensgefährten - und dies umsomehr, als man Hilfe bei Verrichtungen der Intimsphäre benötige. Der Nervenarzt C bescheinigte dem Kläger mit Datum des 9.6.1995, seit seinem Umzug aus dem Wohnheim in die eigene Wohnung in W. im August 1982 führe der Kläger seinen Haushalt selbst und sei tagsüber 9 bis 11 sowie nachts 7 ½ bis 10 Stunden auf sich allein gestellt. Die Beklagte erwiderte dem Kläger mit Schreiben vom 1.8.1995: man sehe grundsätzlich die Möglichkeit, einen Vertrag mit Herrn D.B. nach § 77 SGB XI abzuschließen; der Gesetzgeber halte aber einen solchen Vertragsabschluß nicht für erforderlich, wenn eine flächendeckende Versorgung gewährleistet sei, wie sie im Fall des Klägers durch ortsansässige Sozialstationen und durch gewerbliche Pflegedienstanbieter gegeben sei; Voraussetzung sei allerdings, daß Herr D.B. einen Nachweis über seine berufliche Qualifikation in einem Krankenpflege- oder Pflegeberuf erbringen könne; dazu bitte die Kasse um Zusendung entsprechender Unterlagen und Referenzen. Dr. F teilte im o.a. Gutachten des MDK vom 17.10.1995 mit: der Kläger habe von 1973 bis 1976 eine Ausbildung zum Bürokaufmann erfahren und anschließend bis 1983 als solcher gearbeitet; er bewohne eine eigene Wohnung (1 Zimmer, Küche, Bad, Zentralheizung, Erdgeschoß): er werde rund-um-die-Uhr gepflegt von Herrn D.B., der zwar eine eigene Wohnung habe und tagsüber berufstätig sei, sich aber meistens auch nachts in der Wohnung des Klägers aufhalte; bei Hilfebedarf könne der Kläger mit dem Elektro-Rollstuhl zur Arbeitsstätte des Betreuers fahren - zB wenn er zur Toilette umgesetzt werden müsse; die tägliche Dauer der Grundpflege betrage mehr als 4 Stunden täglich; Hilfe sei auch mehrfach nachts zu unregelmäßigen Zeiten erforderlich; der Hilfebedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung betrage 27 Stunden wöchentlich. Nachdem bis dahin weitere Unterlagen zur Ausbildung des Beigeladenen nicht eingegangen waren, entschied die Beklagte mit formlosem, an den Kläger adressierten Bescheid vom 23.11.1995: es sei kein Raum für Vertrag mit Herrn D.B.; es gebe im Bereich X-W eine ausreichende Versorgungslage; ein Krankenpflegehelfer zähle nicht unbedingt zu den "geeigneten Pflegekräften" iS von § 77 SGB XI und zudem schließe die "weitgehende häusliche Gemeinschaft" mit Herrn D.B. den Abschluß eines Vertrages aus. Frühere Bevollmächtigte des Klägers wandten ein, Herr D.B. könne die Doppelbelastung nicht mehr auf sich nehmen; es müßte dann ein externer Dienst den Kläger betreuen und da der weder in den frühen Morgenstunden noch nachts komme, sei eine ordnungsgemäße Versorgung nicht mehr gegeben. Die Beklagte ergänzte mit formellem Bescheid vom 5.6.1996, "geeignet" seien Kinder-/Alten/-Krankenpfleger und Krankenschwestern; eine sol che Ausbildung des Herrn D.B. sei nicht nachgewiesen.

Auf den Widerspruch der früheren Bevollmächtigten des Klägers wies die Beklagte diese mit Schreiben vom 29.11.1996 u.a. darauf hin, daß antragsberechtigt Herr D.B. sei, hinsichtlich dessen Ausbildung die Nachweise fehlten. Die früheren Bevollmächtigten des Klägers legten mit Schreiben vom 21.3.1997 vor:

- eine schriftliche Vereinbarung vom 18.5.1982 zwischen dem Kläger und Herrn D.B., mit welcher Herr D.B. dem Kläger zusicherte, ihm mit dem Einzug in die eigene Wohnung bestmöglich zu helfen, während der Kläger Herrn D.B. zusicherte, daß dieser dafür Pflegegeld erhält
- das o.a. Zeugnis der Evangelischen Stiftung W - Orthopädische Klinik pp - vom 19.2.1997
- Zeugnisse über die Schuljahre des Herrn D.B. von 1967 bis 1971 - mit zuletzt dem Besuch eines "CC Technical Institutes" in City of T
- Zeugnis über den dreisemestrigen Besuch eines "M College" durch Herrn D.B. in den Jahren 1972 - 1974 und die Absolvierung eines "Nursing Auxilliary"-Kurses im dritten Semester 1973/74
- eine Teilnahmebescheinigung einer T-School, daß Herr D.B. beim "Handling" von Fällen im C Doctors Hospital dabei gewesen sei
- einen Nachweis der Beschäftigung des Herrn D.B. als "nursing aid" vom 1.1. bis 30. Juni 1974 beim N General Hospital in M City
- eine Bescheinigung, daß Herr D.B. 1975 ordnungsgemäß beim O N Hospital in E (Provinz R) gemeldet war als "psychiatric aid".

Die Beklagte entgegnete dem Kläger mit Datum des 24.4.1997, das reiche nicht; die Unterlagen ersetzten nicht den Nachweis der Berechtigung, sich hier als Krankenpflegehelfer im Sinne des Krankenpflegegesetzes bezeichnen zu dürfen, wie diese (entsprechend beigefügter Blankourkunde) vom Gesundheitsamt erteilt werde.

Mit Schreiben vom 4.9.1998 meldeten sich neue Bevollmächtigte für den Kläger und für den Beigeladenen unter Vorlage einer Vollmacht des Klägers vom 1.4.1999 und einer Vollmacht des Beigeladenen vom 25.4.1999 und mit der Erklärung, daß sich Herr D.B. den Anträgen des Klägers voll anschließe. Auf die Bitte der Beklagten vom 16.6.1999, die Bescheinigung als Krankenpflegehelfer vorzulegen, antworteten die damaligen Bevollmächtigten des Klägers, das sei nicht erforderlich, man verlange einen rechtsmittelfähigen Bescheid. Mit formellem Bescheid vom 31.8.1999 teilte die Beklagte den damaligen Bevollmächtigten mit, die Kasse könne den vom Kläger beantragten Vertrag für Herrn D.B. nicht anbieten, da nicht einmal der Nachweis zum Führen der Berechtigung der Bezeichnung "Krankenpflegehelfer" vorgelegt worden sei; persönlich und fachlich halte die Kasse nur eine Person für geeignet, die die Berufsbezeichnung "Krankenpfleger" pp führen dürfe. Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den dagegen erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 4.11.1999 - gerichtet an den Kläger - aus den Gründen des angefochtenen Bescheides zurück und ergänzte, bislang habe die Kasse nur mit solchen Personen einen Vertrag nach § 77 SGB XI geschlossen, deren Ausbildungsstandard dem eines Krankenpflegers entsprochen habe, und diese Praxis sei aus Gleichheitsgründen beizubehalten.

Gegen den seinen damaligen Bevollmächtigten am 8.11.1999 zugestellten Widerspruchsbescheid haben diese "namens und in Vollmacht" des Klägers am 3.12.1999 Klage erhoben. In einem Erörterungstermin vom 11.7.2000 hat der Kläger gegenüber dem Sozialgericht (SG) erklärt: er erteile Herrn Rechtsanwalt T. Vollmacht; Herr D.B. halte sich am Tag 2 - 3 Stunden in seiner eigenen Wohnung auf und am Wochenende ganz; am Wochenende sei er regelmäßig bei seinen Eltern; Herr D.B. koche in seiner, des Klägers, Wohnung für beide; er schlafe in der eigenen Wohnung; nur ausnahmsweise schlafe er bei ihm, wenn er es nicht geschafft habe, abends vorher die Blase zu entleeren; das komme unterschiedlich oft vor; sie hätten keine gemeinsame Kasse; meistens könne er nachts durchhalten, ohne zur Toilette zu müssen; wenn ein absoluter Notfall bestehe, könne er mit einem Telefon, das neben seinem Bett stehe, einen Freund anrufen; das komme allerdings selten vor. Die damaligen Bevollmächtigten des Klägers legten alsdann eine schriftliche Vollmacht des Klägers vom 21.7.2000 für die Rechtsanwälte B. pp vor, sowie - ohne Datum - eine "Zustimmungserklärung" des Herrn D.B., mit der dieser mitteilte, er erkläre sein Einverständnis damit, daß der Kläger auch in seinem Namen und für ihn ein Verfahren vor dem SG Dortmund gegen die AOK führe mit dem Ziel, daß ein Pflegevertrag zwischen ihm und der AOK in Bezug auf Pflegeleistungen für den Kläger abgeschlossen werde.

Mit Schriftsatz vom 18.10.2000 haben die damaligen Bevollmächtigten des Klägers erklärt, ergänzend werde mitgeteilt, daß der Zeitaufwand für die tägliche Grundpflege spastikbedingt über 9 Stunden täglich betrage; der Kläger habe bei mehreren Diensten nachgefragt und die in der Anlage beigefügten Antworten bekommen, daß diese nicht in der Lage seien, den täglichen Pflegebedarf des Klägers zu decken.

Der Kläger und Berufungskläger hat vor dem SG beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 5.6.1996 und den Bescheid vom 31.8.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.11.1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, rückwirkend ab 1.4.1995 mit Herrn D.B. einen Vertrag nach § 77 Abs 1 SGB XI zur Sicherstellung seiner häuslichen Pflege zu schließen.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte hat vor dem SG beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, soweit die häusliche Pflege von ihr geschuldet werde, sei diese u.a. aufgrund der Kooperationsvereinbarung zum nächtlichen Rufbereitschaftssystem für X/I sichergestellt.

Das SG Dortmund hat die Klage mit Urteil vom 11. Dezember 2001 abgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt, es könne alles andere offen bleiben, weil Herr D.B. nicht "geeignet" iS von § 77 SGB XI sei, da für ihn nicht die gleiche Ausbildung nachgewiesen sei wie die eines Krankenpflegers oder einer Krankenschwester, und weil er daneben berufstätig und - auch bei nur 4 Stunden täglicher Arbeit für die Stiftung - mit der nach dem Bekunden des Klägers notwendigen weiteren Pflege von 9 Stunden täglich überfordert sei.

Der Kläger hat gegen das Urteil - seinen früheren Bevollmächtigten zugestellt am 9.1.2002 - am 6.2.2002 Berufung eingelegt. Die Bevollmächtigten des Klägers haben vorgelegt
- ein Schreiben des Landrates des F-Kreises vom 19.3.1998 an Herrn D.B.: er bestätige den Eingang des Schreibens des Herrn D.B. vom 17.3.1998, mit dem dieser den am 16.9.1997 gestellten Antrag auf Anerkennung seiner auf den Philippinen erworbenen Ausbildung als Krankenpfleger zurückziehe; seine, des Landrates Ermittlungen hätten ergeben, daß die von Herrn D.B. auf den Philippinen erworbene Ausbildung in der Krankenpflegehilfe nicht als gleichwertig anerkannt werden könne
- ein Schreiben des Klägers an seine früheren Bevollmächtigten vom 1.2.2002: diese möchten dem LSG auseinandersetzen, ... bei ambulanten Pflegediensten müsse nach § 71 SGB XI allein der Leiter eine ausgebildete Fachkraft sein, so daß er bei Inanspruchnahme eines ambulanten Pflegedienstes unter Umständen von einem angestellten Zivildienstleistenden oder einer anderen angelernten Kraft schlechter bedient werde; seit fast nunmehr 20 Jahren pflege ihn Herr D.B. neben seinem 8 ½ bis 11-stündigem Dienst; da solle er ihm nicht mehr helfen können, wenn er seine hauptberufliche Tätigkeit auf 4 Stunden reduziere?; das sei nicht faßbar.

Mit Schriftsatz vom 14.5.2002 haben die früheren Bevollmächtigten des Klägers mitgeteilt, sie verträten den Kläger nicht mehr. Der nunmehrige Bevollmächtigte des Klägers hat geltend gemacht: das SG schließe aus §§ 19 und 71 Abs 3 SGB XI, daß die "geeignete Pflegekraft" iS von § 77 SGB XI eine Ausbildung als Krankenpfleger, Kinder- oder Altenkrankenpfleger nachweisen könne; daraus, daß der Gesetzgeber anders als in § 71 SGB XI in § 77 SGB XI den Ausdruck "Pflegefachkraft" nicht verwende, sei im Gegenteil zu schließen, daß ein bestimmter Ausbildungsabschluß nicht verlangt werden könne; so könnten auch nach BAT etwa Krankenschwestern, die Tätigkeiten von Kinderkrankenschwestern oder Altenpflegerinnen ausübten, als Kinderkrankenschwestern oder Altenpflegerinnen eingruppiert werden; die Qualifikation des Herrn D.B. sei durch das vorgelegte Zeugnis der Orthopädischen Anstalten W nachgewiesen; er stelle insoweit den Antrag, Beweis zu erheben durch Einholung einer Arbeitgeberauskunft über Qualifikation und Gehalt des Herrn D.B.; dieser sei auch wegen der räumlichen Nähe besonders geeignet, dem Kläger zu helfen, der in ständiger Angst lebe, unvorhergesehen die Toilette aufsuchen zu müssen; kein kommerzieller Dienst könne solche unverzügliche Hilfe leisten; ohne diese unverzügliche Hilfe könne es letztlich dazu kommen, daß der Kläger Krämpfe bekomme, welche ohne unverzügliche Entspannungsmittel die Därme durch die Bauchdecke rissen; Herr D.B. sei auch bereit, seine derzeit ganztägig ausgeübte Arbeit bei einem entsprechendem Vertragsabschluß in entsprechendem Umfang zu reduzieren; in der Frage des Vorrangs zugelassener Pflegedienste gemäß § 77 SGB XI werde dieser für verfassungswidrig gehalten; es könne doch nicht sein, daß ein seit Jahren tätiger, geeigneter Pfleger abgelehnt und gleichzeitig ein Pflegedienst beauftragt werde, der unter Umständen einen kurzzeitig umgeschulten Zivildienstleistenden schicke.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte hat entgegnet, der Abschluß eines Vertrages nach § 77 SGB XI sei ausgeschlossen, soweit und solange eine Versorgung durch zugelassene Pflegedienste gewährleistet sei, wie das im streitigen Raum eindeutig der Fall sei.

Mit Fax vom 30.9.2003 hat sich der Berichterstatter mit u.a. dem Hinweis an die Beteiligten gewandt, daß ein solcher Umstieg vom Pflegegeld auf die Sachleistung durch die Änderung des § 77 SGB XI durch das Gesetz vom 14.6.1996 (BGBl 830) grundsätzlich hat verhindert werden sollen (Hinweis auf: BSG in SozR 3-3300 § 77 Nr 1 und 2). Zugleich wurde die Evangelische Stiftung W um eine Auskunft gebeten. Die Stiftung hat mit Schreiben vom 16.10.2003 u.a. geantwortet: das Thema einer Arbeitszeitverkürzung sei mit dem in Dreierschicht tätigen Herrn D.B. bis zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht besprochen worden; eine Reduzierung seiner Arbeitszeit sei jedoch möglich und aufgrund der besonderen Situation und der Lebensgemeinschaft zwischen dem Kläger und Herrn D.B. würde man im konkreten Fall aller Wahrscheinlichkeit nach auch eine Nebentätigkeitsgenehmigung erteilen; man gehe davon aus, daß Herr D.B. aufgrund seiner langjährigen dortigen Tätigkeit durchaus auch in der Lage sei, den Kläger zu pflegen und den Eintritt der Notwendigkeit besonderer Maßnahmen zu erkennen und nach dieser Einsicht zu handeln; Herr D.B. sei dort in die Vergütungsgruppe Kr.IV, Fallgruppe 3, Abschnitt B PVGP zum BAT-KF (verwaltungseigene Ausbildung) eingestuft.

Die Ladung des Beigeladenen zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 30.10.2003 ist mit dem Vermerk zurückgekommen, der Beigeladene sei unter der angegebenen (bis dahin bekannten) Anschrift nicht zu ermitteln. Das Meldeamt hat mit Schreiben vom 10.10.2003 als neue Anschrift des Beigeladenen die Anschrift mitgeteilt, die auch die des Klägers ist.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 30. Oktober 2003 waren neben dem Vertreter der Beklagten der Kläger, sein Bevollmächtigter und der Beigeladene zugegen. In der Sitzunsgniederschrift vom 30.10.2003 ist folgendes vermerkt:

"Der Vorsitzende eröffnet die mündliche Verhandlung. Der Sachverhalt wird vorgetragen. Sodann erhalten die Beteiligten das Wort. Das Sach- und Streitverhältnis wird mit ihnen erörtert. Der Beigeladene erklärt in Übereinstimmung mit dem Kläger:

Der Kläger hat jetzt im selben Haus in der ... Straße eine größere Wohnung als bei Beginn des Verfahrens. Die Wohnung hat eine Größe von 88 qm. Sie hat drei Wohnräume zuzüglich Küche und Bad. Ich selbst bewohne ein eigenes Zimmer und wohne beim Kläger zur Untermiete. Wir haben diese Lösung gewählt, weil sie preisgünstiger ist als das Wohnen in zwei getrennten Wohneinheiten.

Die mündliche Verhandlung wird um 12.25 Uhr für eine Zwischenberatung des Senates unterbrochen. Außerdem soll dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers Gelegenheit gegeben werden, sich mit seinem Mandanten und dem Beigeladenen zu beraten. Die mündliche Verhandlung wird um 12.40 Uhr fortgesetzt. Nach Durchsprache der Sach- und Rechtslage und dem Hinweis des Senats, daß das Urteil des SG Dortmund vom 11.12.2001 zutreffend ist, erklärt der Prozeßbevollmächtigte des Klägers in Übereinstimmung mit seinem Mandanten:

Ich nehme die Berufung gegen das Urteil des SG Dortmund vom 11.12.2001 zurück und erkläre den Rechtsstreit für erledigt.

Beginn des Termins: 11:45 h Ende des Termins: 12:45 h.

Mit Fax vom 12.11.2003 hat der Kläger selbst dem Senat u.a. mitgeteilt: mit der Verfügung vom 30.9.2003 verurteile ihn der Berichterstatter grundsätzlich vor; selbstverständlich gehe es ihm in erster Linie um seine Pflege; der Aspekt des Geldes spiele insofern eine Rolle, daß man von niemandem erwarten könne, die Pflege an ihm für Gotteslohn zu tun; Herrn D.B. stünden über allen Zweifel erhaben die Sachleistung von 1432 EURO zu; bei der Erörterung am 30.10. habe der Senat die Thematik von Arbeitszeiten und Tarifen behandelt; die erläuterten, vorgenannten Fakten sei außen vor geblieben; am Ende der Sitzung habe er gesagt, daß er die Berufung zurücknehme; jedoch die Pause zur Beratung sei für ihn zu kurz für eine Entscheidungsfindung gewesen.

Für den Beigeladenen ist zur mündlichen Verhandlung am 29.1.2004 niemand erschienen. Die Benachrichtigung vom Termin ist ihm am 31.12.2003 in seiner und eines Empfangsberechtigten Abwesenheit durch Einwurf in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten am zugestellt worden. Mit der Terminsnachricht ist darauf hingewiesen worden, daß auch in Abwesenheit der Beteiligten und eines Bevollmächtigten der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Dortmund vom 11. Dezember 2001 zu ändern und nach seinem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

festzustellen, daß das Berufungsverfahren L 16 P 5/02 des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen durch Zurücknahme der Berufung am 30.10.2003 beendet ist.

Wegen des Sachverhalts im übrigen wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze in beiden Rechtszügen verwiesen. Außer der Streitakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen: ein Band Verwaltungsakten der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Obgleich für den Beigeladenen zur mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist, konnte der Senat verhandeln und entscheiden, denn der Beigeladene ist - mit Hinweis auf diese Möglichkeit - ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung am 29.1.2004 geladen worden (§ 153 Abs 1 iVm § 110 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), § 126 SGG; BSG in SozR Nr 5 zu § 110 SGG). Es bestand kein Anlaß, die mündliche Verhandlung zu vertagen. Der Kläger und der Beigeladene haben um Terminsverlegung nicht ersucht und die Beteiligten hatten hinreichend Gelegenheit, sich schriftsätzlich rechtliches Gehör zu verschaffen.

I.

Der Bevollmächtigte des Klägers, dessen Erklärungen der Kläger sich zurechnen lassen muß (§ 73 Abs 3 S. 2 SGG), hat die Berufung gegen das Urteil des SG Dortmund vom 11.12.2001 am 30.10.2003 - mit dem Einverständnis der Klägers - zurückgenommen. Danach ist ein Antrag auf eine Sachentscheidung nicht mehr zulässig (BSGE 14, 138, 141 = SozR Nr 3 zu § 156 SGG; für die Klagerücknahme: BSG SozR Nr 9 zu § 102 SGG). Die Zurücknahme bewirkt gemäß § 156 Abs 2 S. 1 SGG den Verlust des Rechtsmittels, und der Senat konnte daher nur die Feststellung treffen, daß das zuvor bei ihm anhängige Berufungsverfahren durch Zurücknahme der Berufung am 30.10.2003 beendet ist. Dem Berufungsgericht ist es danach verwehrt, die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide und des die Bescheide bestätigenden Urteils des SG Dortmund vom 11.12.2001 zu überprüfen, denn der Verlust des Rechtsmittels bewirkt, daß das Urteil des SG rechtskräftig geworden ist; die Rechtskraft bewirkt, daß das Urteil die Beteiligten bindet, soweit über den Streitgegenstand entschieden ist (§ 141 Abs 1 SGG); und Gegenstand der Entscheidung des SG vom 11.12.2001 waren die Bescheide der Beklagten vom 5.6.1996, 31.8.1999 und 4.11.1999 sowie der vom Kläger erhobene und vom SG verneinte Anspruch, daß die beklagte Pflegekasse rückwirkend ab dem 1.4.1995 mit Herrn D.B. einen Vertrag nach § 77 Abs 1 SGB XI zur Sicherstellung der häuslichen Pflege des Klägers schließt. Die vom Kläger erfolglos angefochtenen Bescheide sind mit der Zurücknahme der Berufung gemäß § 77 SGG für die Beteiligten in der Sache bindend geworden.

II.

Die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung, die der Bevollmächtigte des Klägers am 30.10.2003 in Übereinstimmung mit dem Kläger abgegeben hat, konnte auch nicht nach allgemeinen Grundsätzen, Grundsätzen des BGB, nach den Wiederaufnahme- und/oder Restitutionsregeln der §§ 179 ff SGG und 578 ff ZPO oder nach anderen Vorschriften mit Erfolg in Zweifel gezogen oder beseitigt werden. Unabhängig davon, daß die Irrtumsanfechtung einer Prozeßerklärung nach Rechtsprechung und vorherrschender Lehre unzulässig ist (vgl. Bundessozialgericht (BSG) Beschl vom 24.4.2003 - B 11 AL 33/03 B - mit Hinw. auf BSG vom 19.3.2002 - B 9 V 75/01 B = HVBG-INFO 2002, 2150 und vom 6.4.1960 - 11/9 RV 214/57 = SozR Nr 3 zu § 119 BGB), und unabhängig davon, daß eine Nichtigkeit der Rücknahmeerklärung selbst dann nicht angenommen wird, wenn diese Erklärung aufgrund einer "Überrumpelung" durch das Gericht oder infolge einer unrichtigen Belehrung über die Prozeßaussicht abgegeben worden ist (vgl. BSG Urt.v. 24.4.1980 - 9 RV 16/79 und Urt.v. 6.4.1960 - 11/9 RV 214/57 = SozR Nr 3 zu § 119 BGB), ist hier ein einschlägiger Sachverhalt nicht vom Kläger vorgetragen oder sonst erkenntlich geworden.

Der Kläger meint lediglich, die Wirksamkeit der von ihm abgegebenen Erklärung deshalb beseitigen zu können, weil die Pause zur Beratung für ihn zu kurz gewesen sei für eine Entscheidungsfindung. Weder der Kläger noch sein Bevollmächtigter haben das in der Sitzung vom 30.10.2003 zum Ausdruck gebracht. Selbst wenn aber die dem Kläger seinerzeit eingeräumte Zeit zur Beratung mit seinem sachkundigen Bevollmächtigten und dem Beigeladenen von 12 Uhr 25 bis 12 Uhr 40 zu kurz für den Kläger gewesen sein sollte, könnte dies nicht dazu führen, die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung in Zweifel zu ziehen, denn der Kläger muß, wie schon angesprochen, die Prozeßführung seines sachkundigen Bevollmächtigten, der die Rücknahme erklärt hat, für und gegen sich gelten lassen. So besehen hätte nicht einmal eine vorübergehende Störung der Geistestätigkeit, die den Kläger unmittelbar vor oder während der Rücknahmeerklärung prozeßunfähig gemacht hätte, eine Nichtigkeit der durch den Prozeßbevollmächtigten abgegebenen Erklärung bewirken oder den Kläger zum Widerruf der Erklärung seines Bevollmächtigten berechtigen können (so das BSG im o.a. Urteil vom 24.4.80 - 9 RV 16/79).

Ohnehin würde aber selbst eine objektiv "zu kurze" Zeit zum Überlegen allein auch für einen nicht anwaltlich vertretenen Kläger weder einen Anfechtungs- noch einen Wiederaufnahmegrund begründen können. Konnte dies danach auch nicht mehr erheblich sein, so ist es aber auch wenig nachvollziehbar, daß der Kläger die ihm seinerzeit eingeräumte Zeit zur Entscheidungsfindung im Nachhinein als zu kurz bezeichnet: der Kläger und sein Bevollmächtigter haben sich am 30.10.2003 nicht nach nur nach 15-minütiger Beratung zu der Rücknahmeerklärung verstanden, sondern

nachdem man seit mehr als 8 Jahren über die Dinge korrespondiert hatte,
nachdem das SG die Klage mit Urteil vom 11.12.2001 aus Gründen der Ausbildung und (Über)belastung des Herrn D.B. abgewiesen hatte,
nachdem der Berichterstatter mit Fax vom 30.9.2003 nebst Anschreiben an die Evangelische Stiftung W zu erkennen gegeben hatte, daß ein Vertragsabschluß nicht notwendig an Ausbildung und Qualifikation des Beigeladenen, wohl aber mit Wahrscheinlichkeit letztlich jedenfalls an seiner Überbelastung scheitern müsse, nachdem der Kläger und sein Bevollmächtigter hinreichend Gelegenheit hatten, das Fax vom 30.9.2003 und die Vielzahl der darin angesprochenen weiteren Bedenken zu besprechen,
nachdem der gesamte Senat die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 76 Abs 1 SGB XI breit mit den Beteiligten erörtert hatte - und dabei u.a. auch die Frage, ob der Kläger überhaupt das ihm vom SG zugebilligte Recht hatte, namens des Beigeladenen für diesen einen Vertragsabschluß zu fordern -
und nachdem der Senat nach Beratung mit den ehrenamtlichen Richtern darauf hingewiesen hatte, daß ihm die Berufung des Klägers trotz seiner Betroffenheit unter allen Gesichtspunkten außer dem der Qualifikation des Beigeladenen deutlichst entfernt schien von einer Aussicht auf Erfolg.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs 1 und 4 SGG.

Es bestand kein Anlaß, die Revision zuzulassen, denn weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) noch weicht das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ab und beruht auf dieser Abweichung (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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