L 14 RJ 612/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 7 RJ 141/02 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 RJ 612/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 RJ 20/04 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 27. November 2002 wird zurückgewiesen.
II. Die Klage auf Gewährung von Altersrente des 60jährigen Erwerbsgeminderten wird abgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1943 geborene Kläger, ein Bosnier mit Wohnsitz in der Republik Bosnien-Herzegowina, hat nach eigenen Angaben den Beruf des Schlossers erlernt und war in der Bundesrepublik Deutschland als Schlosser bzw. Monteur tätig. Er hat in der Bundesrepublik vom Januar 1969 bis Dezember 1974 sowie vom November 1992 bis Juni 1997 insgesamt 125 Kalendermonate an Versicherungszeiten zurückgelegt. Dabei war er von November 1992 bis August 1993 als angelernter (dreimonatige Anlernzeit) Fenstermonteur nach Auskunft des Arbeitgebers, Firma S. , R. , tätig. Vom Arbeitgeber A. , W. , war keine Auskunft mehr über die Beschäftigung ab Januar 1994 zu erhalten. In seiner Heimat sind vom Juli 1958 bis April 1992 mit Unterbrechungen insgesamt 286 Kalendermonate an Versicherungszeiten nachgewiesen.

Dem am 13.03.1998 gestellten Rentenantrag war ein ärztliches Gutachten der Invalidenkommission in S. vom 19.01.1998 beigegeben, wonach der Kläger wegen depressiven Syndroms, chronisch obstruktiver Bronchitis mit Emphysem mittelschweren Grades sowie arthrotischen lumbalen Schmerzsyndroms nur mehr weniger als zwei Stunden täglich einsatzfähig sei. Beigegeben war auch ein Arztbericht des Praktischen Arztes Dr. J. vom 27.02.1997 mit der Diagnose "Depressionen mit ausgeprägten Somatisierungstendenzen seit ca. 1996" sowie vom Neurologen und Psychiater Dr. S. , beide R. , vom 21.04.1997, wonach sich der Kläger wegen depressiven Syndroms seit Mai 1996 in ambulanter Behandlung mit medikamentöser Therapie befinde. Daraufhin ließ die Beklagte den Kläger vom 19. bis 21.03.2001 in der Gutachterstelle Regensburg untersuchen. Unter Berücksichtigung von Röntgenaufnahmen des Thorax und der Lendenwirbelsäule, EKG und Belastungs-EKG, Lungenfunktionsprüfung und Laboruntersuchungen diagnostizierte der Arzt für Psychiatrie Dr. A. eine depressive Verstimmung bei sozialer Problematik und - entsprechend den geringgradigen Abnutzungserscheinungen im LWS-Bereich - wirbelsäulenbezogene Beschwerden bei altersüblichen Abnützungserscheinungen. Er beurteilte den Kläger als Schlosser und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für leichte bis mittelschwere Arbeiten zeitlich uneingeschränkt für einsetzbar.

Unter Übernahme von Diagnosen und Leistungsbeurteilung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 02.05.2001 den Rentenantrag ab, da der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Der Widerspruch blieb erfolglos (zurückweisender Widerspruchsbescheid vom 21.01.2002).

Mit der Klage verfolgte der Kläger sein Rentenbegehren weiter, da die Invalidenkommission seine Leistungsunfähigkeit festgestellt habe und die Untersuchung durch die Beklagte unzureichend gewesen sei. Insbesondere sei ein Arztbericht des damals behandelnden Dr. S. einzuholen und weiter zu ermitteln. Vorgelegt wurde ein Bericht der Augen- und HNO-Klinik (mit Audiogramm) und der Psychiatrischen Klinik T. jeweils vom Februar 2002. Das Sozialgericht forderte von Dr. S. einen Befundbericht an, der einen Bericht über eine Computertomographie des Gehirns vom 29.05.1996 beigab. Es beauftragte den Internisten und Radiologen Dr. R. nach Aktenlage, die Leistungsfähigkeit des Klägers zu beurteilen. Im Gutachten vom 04.07.2002 diagnostizierte dieser eine leichte depressive Verstimmung, ein degeneratives Lendenwirbelsäulen-Syndrom, eine Bronchitisneigung sowie Schwerhörigkeit rechts mit Tinnitus. Er arbeitete heraus, dass seit der Begutachtung der Invalidenkommission hinsichtlich des Wirbelsäulenbefundes und des bronchitischen Geschehens eine Befundbesserung dokumentiert sei und ersah den Kläger in der Lage, noch vollschichtig leichte und ruhige Arbeiten in geschlossenen und temperierten Räumen ausführen zu können. Nicht zumutbar seien Arbeiten mit Heben und Tragen schwerer Lasten, in gebückter Arbeitsweise, mit Zwangshaltungen, mit nasskalter Witterungsexposition, unter Aussetzen von Rauch- und Chemikaliendampfeinwirkungen sowie Tätigkeiten mit Stresswirkung. Abschließend stellte er fest, dass weitere Gutachten nicht erforderlich seien, da das Leistungsbild von Facharztbefunden beurteilt worden sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 27.11.2002 wies das Sozialgericht die Klage ab.

Mit dem Rechtsmittel der Berufung rügt der Kläger eine unzureichende Sachaufklärung. So hätte das Sozialgericht einen Arztbericht des Dr. J. einholen müssen, zumal dieser ihn zeitnah zum Rentenantrag behandelt habe. Auch hätte es der Einholung eines nervenfachärztlichen Gutachtens aufgrund persönlicher Untersuchung bedurft. Im Übrigen hätte sich das Sozialgericht hinsichtlich seines Berufsbildes nicht mit den Ermittlungsergebnissen der Beklagten begnügen dürfen.

Der Senat fragte beim Arbeitsamt W. nach der Existenz bzw. dem gegenwärtigen Betriebssitz der A. GmbH und erhielt unter dem 02.06.2003 zur Antwort, dass die Firma seit September 1997 nicht mehr existiere.

Kurz vor Terminsladung reichte der Kläger ein Audiogramm der HNO-Klinik T. vom 02.07.2003 ein, zu dem der Ärztliche Dienst der Beklagten die Auffassung vertrat, dass sich hieraus kein grundsätzlich neuer medizinischer Gesichtspunkt von quantitativer Leistungsrelevanz ergebe und bereits als Bericht vom 26.02.2002 im Gutachten des Dr. R. berücksichtigt sei.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid vom 27.11.2002 des Sozialgerichts Landshut aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.05. 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2002 zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.04.1998 zu gewähren; hilfsweise ihm Altersrente wegen Schwerbehinderung/Erwerbsminderung ab 01.06.2003 zu gewähren; hilfweise den Rechtsstreit zur Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens auf psychiatrischem Gebiet durch persönliche Untersuchung des Klägers zu vertagen, auch unter der Fragestellung, ob eine HNO-ärztliche Zusatzbegutachtung erforderlich sei.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen und die Klage abzuweisen.

Dem Senat lagen zur Entscheidung die Rentenakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vor. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird wegen der Einzelheiten, insbesondere im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerseite, hierauf Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 ff. des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber unbegründet. Zugleich war die im Berufungsverfahren erstmals gestellte Klage auf Gewährung von Altersrente des 60jährigen Erwerbsgeminderten abzuweisen.

Nach dem zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung noch in der Fassung bis zum 31.12.2000 gültigen § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI a.F.) erhält Rente wegen Berufsunfähigkeit, wer vor Eintritt die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hat und berufsunfähig ist (§ 43 Abs.1 SGB VI a.F.). Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeit, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs unter besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können ... Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs.2 SGB VI a.F.).

Erwerbsunfähig sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt ... Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 44 Abs.2 SGB VI a.F.).

Zwar hat der Kläger die allgemeine Wartezeit und auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Rentenanspruch erfüllt. Der Senat konnte jedoch auch nach dem Vorbringen im Berufungsverfahren das Vorliegen einer Erwerbsminderung, insbesondere im Sinne des Eintritts des Versicherungsfalles der Berufsunfähigkeit nicht bejahen.

Nach dem Ergebnis der Sachermittlungen im Verwaltungsverfahren und der Beweiserhebung im Gerichtsverfahren liegen beim Kläger keine berentungsrelevanten Gesundheitsstörungen vor. Die von der Ärztekommission in S. im Januar 1998 als die Leis- tungsfähigkeit erheblich herausgestellten Beeinträchtigungen haben sich anlässlich der Begutachtung durch die Beklagte im Rahmen einer dreitägigen Abklärung nicht bestätigen lassen. Von dem in der Heimat noch diagnostizierten "chronischen lumbalen Schmerzsyndrom", das bereits in der Epikrise als "Symptome" dieses Syndroms abgeschwächt war, konnten die deutschen Ärzte nach röntgenologischer Abklärung lediglich geringfügige altersübliche Abnützungserscheinungen feststellen bei regelrechtem neurologischen Befund und unbeeinträchtigtem Reflexverhalten in der klinischen Überprüfung. Die noch in S. als chronisch-obstruktive Bronchitis mit Emphysem und spirometrisch einhergehend mit ventilatorischer Insuffizienz mittelschweren Grades beschriebene Beeinträchtigung erwies sich im Lungenfunktionslabor in Regensburg im März 2001 als völlig normal ohne jede mechanische Lungenventilationsstörung bei ebenfalls in der Norm liegenden arteriellen Blutgasanalysen. Psychisch konnte der Facharzt Dr. A. im Rahmen der dreitägigen Untersuchung in Deutschland das Vorliegen eines depressiven Syndroms nicht bestätigen, sondern lediglich eine apellativ depressive Verstimmung festhalten bei eingehender Exploration in der Landessprache. In der vorausgehenden Behandlung in der Bundesrepublik in den Jahren 1996/1997 wird durch die Dres J. und S. von depressiver Verstimmung berichtet bei unauffälligem EEG und altersentsprechendem CT des Gehirns. Es fand lediglich eine ambulante Behandlung statt mit medikamentöser Therapie. Auch in der Heimat (Februar 2002) stellte sich der Kläger wiederum nur in der Ambulanz der Psychiatrischen Klinik in T. vor, wobei festgehalten ist, dass "leichte Symptome der depressiven Symptomatologie dominieren". Nach Auffassung des Senats ist es nicht zu beanstanden, dass das Sozialgericht lediglich eine Aktenlage-Begutachtung angeordnet hat, zumal der aufgerufene Sachverständige Dr. R. abschließend feststellte, dass eine weitere medizinische Abklärung nicht erforderlich erscheine bei Facharztberichten, die das Leistungsbild beurteilen ließen. Auch für den Senat stellte sich die Notwendigkeit weiterer Beweisaufnahmen nicht. Es ist für den Senat nur verantwortbar, eine erneute Begutachtung auf Kosten des Steuerzahlers zu veranlassen, wenn fundierte Befunde vorgelegt werden, aus denen sich ergibt, dass die bisherige Beurteilung der Gesundheitsstörungen unschlüssig ist oder deutlich eine Verschlimmerung von Beeinträchtigungen dargetan wird, die ohne weiteres fachärztlicher Überprüfung bedürfen. In diesem Sinne ist von der Kläger-Seite überhaupt nichts dargetan worden. Der kurz vor Terminierung eingereichte HNO-Bericht vom 02.07.2003 entspricht dem vom 26.02.2002 und war bei der Überprüfung durch Dr. R. ausreichend berücksichtigt, wobei er in die allgemeinen sachlichen Leistungseinschränkungen Spezialtätigkeiten, "die ein beidseits besonders gutes Hörvermögen voraussetzen", nicht einmal aufgenommen hatte. Für den Senat ist deshalb die Schlussfolgerung des Ärztlichen Dienstes der Beklagten nachvollziehbar, dass sich aus diesem neuesten Befund eine Änderung der bisherigen vollschichtigen Leistungsbeurteilung nicht ableiten lässt. Erst recht nicht war der Hinweis auf eine erneute Begutachtung angedeutet.

Damit verbleibt es auch nach dem Ergebnis im Berufungsverfahren bei dem schon durch das Sozialgericht herausgearbeiteten verbliebenen Leistungsvermögen für jedenfalls leichte Arbeiten mit gewissen sachlichen Einschränkungen, aber quantitativ uneingeschränkt. Mit diesem vollschichtigen Leistungsvermögen ist der Kläger jedoch nicht berufsunfähig. Denn auch nach der Überzeugung des Senats genießt der Kläger keinen Berufsschutz. Die Bemühungen, das Arbeitsleben des Klägers zuletzt in der Bundesrepublik aufzuklären, haben sich auch nach den Ermittlungen des Senats als ergebnislos erwiesen. Damit gelten die Regeln der objektiven Beweislast: Die Unerweislichkeit einer Qualifizierung hat der Kläger zu tragen.

Nachdem schon keine Erwerbsminderung in der Gesetzesfassung bis 31.12.2000 vorliegt, besteht erst recht für den Kläger kein Anspruch auf geminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 43 Abs.1 SGB VI (n.F. ab 01.01.2001), da hierfür ein Absinken des Leis- tungsvermögens unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes unter sechs Stunden täglich vorausgesetzt wird.

Die erstmals im Berufungsverfahren geltend gemachte Klage auf Gewährung einer Altersrente des 60jährigen Erwerbsgeminderten war abzuweisen, da sie nicht zulässig ist. Da die Beklagte in die Klageänderung nicht eingewilligt hat, konnte sie der Senat nicht als sachdienlich ansehen. Wie sich aus den vorangegangenen Ausführungen unmissverständlich ergibt, liegt nach Auffassung des Senats beim Kläger noch keine Erwerbsminderung vor. Diese wäre jedoch Tatbestandsvoraussetzung für die begehrte Altersrente. Im Übrigen fehlt eine zugrundeliegende Verwaltungsentscheidung.

Nach alldem war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen und die Klage abzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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