L 3 U 19/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 U 210/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 19/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 57/04 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 20. Dezember 2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

I.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte verpflichtet ist, die Wirbelsäulenbeschwerden der Klägerin als Berufskrankheit (BK) nach der Nummer 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) zu entschädigen.

Die 1968 geborene Klägerin übt seit dem 03.04.1989 den Beruf einer Altenpflegerin aus. Ihre Wirbelsäulenbeschwerden führt sie auf diese berufliche Tätigkeit zurück. Mit Schreiben vom 14.06.2000 beantragte sie Leistungen wegen einer BK. Der Beklagte zog ärztliche Berichte bei. In Arztbriefen des Orthopädisch-Chirurgischen Zentrums C. vom 10.06.1999 und 16.05.2000 werden eine Reihe orthopädischer Gesundheitsstörungen aufgeführt, wie ein fehlstatisches Wirbelsäulensyndrom bei Über- bzw. Fehlbelastung und ein Halswirbelsäulensyndrom neben Beschwerden im Bereich der Extremitäten, welche auf eine Meniskuserkrankung und eine Patelladysplasie zurückgeführt wurden. Die Klägerin schilderte in der Anlage zu ihrem Schreiben vom 17.07.2000 detailliert die ihr als Altenpflegerin abverlangten Tätigkeiten, welche ihrer Meinung mit Heben und Tragen schwerer Lasten verbunden seien. Der Beklagte holte Auskünfte der verschiedenen Arbeitgeber ein und beauftragte seinen Technischen Aufsichtsdienst (TAD), zu den beruflichen Belastungen der Klägerin Stellung zu nehmen. Am 31.01.2001 bejahte der TAD das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK nach der Nr. 2108. Der Klägerin sei schweres Heben und Tragen bei ihrer Tätigkeit als Altenpflegerin abverlangt worden. Der Beratungsarzt des Beklagten, Dr.B. , meinte am 18.06.2001, es würden sich keine Hinweise für einen relevanten lumbalen Bandscheibenschaden erkennen lassen. Die geklagten Beschwerden seien auf dem Boden einer Bindegewebeschwäche und Kapselbandlaxität bei allgemeiner leichter Skelettdysplasie vordergründig myofibrotischer sowie psychogener Natur. Es bestehe kein Anlass, eine Berufskrankheit nach der Nr. 2108 anzunehmen. Der Gewerbearzt Dr.D. stimmte dieser Auffassung am 06.08.2001 zu. Mit Bescheid vom 21.09.2001 lehnte es der Beklagte ab, der Klägerin wegen ihrer Wirbelsäulenbeschwerden eine Entschädigung wegen einer BK zu gewähren. Er wies auf die vorbezeichneten ärztlichen Stellungnahmen hin. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 05.07.2002).

Dagegen hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Regensburg Klage erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, bei ihrer Tätigkeit als Altenpflegerin sei ihr täglich das Heben und Tragen von Lasten über 25 Kilo abverlangt worden. Andere als berufsbedingte körperlich belastende Tätigkeiten habe sie nie verrichtet. Ihre Wirbelsäulenbeschwerden seien daher ausschließlich auf ihre berufliche Tätigkeit zurückzuführen. Ihr stehe eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 20 vH zu. Mit Gerichtsbescheid vom 20.12.2002 hat das SG nach Anhörung die auf Entschädigung gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es sich auf die im Urkundenbeweis verwertete Stellungnahme des Beratungsarztes Dr.B. bezogen. Danach seien keine Bandscheibenbeschwerden im lumbalen Bereich vorhanden. Im Vordergrund stünden die Beschwerden an der Halswirbelsäule sowie im Schulter-, Hüft- und Kniegelenksbereich. Diese Verteilung der Skelettbeschwerden zeige die Veranlagung der Klägerin zu degenerativen Veränderungen. Ein Indiz dafür, dass die berufliche Belastung zu bandscheibenbedingten Veränderungen im Lendenwirbelsäulenbereich geführt habe, lasse sich nicht erkennen.

Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und sich zur Begründung auf Berichte ihrer behandelnden Ärzte Dres.W. und andere bezogen. Sie hat angeregt, ein Gutachten von Amts wegen einzuholen. Der Senat hat die einschlägigen Röntgenaufnahmen beigezogen und den Orthopäden Dr.F. beauftragt, ein Gutachten nach Aktenlage oder - falls er dies für erforderlich halte - nach ambulanter Untersuchung zu erstatten. Am 23.05. 2003 hat der Sachverständige ausgeführt, eine bandscheibenbedingte Erkrankung im eigentlichen Sinne liege bei der Klägerin nicht vor. Es handle sich bei ihr nur um eine Protrusion im untersten Lendenwirbelkörper, ohne dass sich zu irgendeinem Zeitpunkt eine neurologische Symptomatik gezeigt hätte. Zudem fehle es am altersvorauseilenden Zustand der Lendenwirbelsäule und am belastungskonformen Schadensbild. Der Senat hat der Klägerin am 02.06.2003 anheimgestellt, im Hinblick auf die negative Beweislage zu erklären, ob sie die Berufung zurücknehmen wolle. Am 29.07.2003 hat sie einen Arztbrief der orthopädischen Gemeinschaftspraxis Dres. V. und andere vom 25.06.2003 vorgelegt. Darin wird über einen Kraftverlust der Klägerin im rechten Bein berichtet, welcher als diskrete Achillessehnenreflexabschwächung rechts ohne Paresen zu deuten sei und auf Grund der bekannten Bandscheibenprotrusion bei L 5/S 1 als S-1-Irritation rechts zu bezeichnen sei. Da Dr.F. seine Beurteilung nach Aktenlage abgegeben habe, habe er die inzwischen aufgetretene neurologische Beeinträchtigung nicht berücksichtigt. Es werde daher um eine erneute Begutachtung von Amts wegen gebeten. Der Senat hat am 30.07.2003 erklärt, er beabsichtige nicht, ein weiteres Gutachten von Amts wegen einzuholen; falls die Klägerin von ihrem Recht nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gebrauch machen wolle, werde ihr aufgegeben, bis spätestens 01.09.2003 einen Arzt zu benennen und einen Kostenvorschuss in Höhe von 1.500,00 Euro einzuzahlen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14.10.2003 hat die Klägerin beantragt, Dr.E. mit der Erstattung eines Gutachtens nach § 109 SGG zu beauftragen.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Gerichtsbescheids vom 20.12.2002 und des Bescheids vom 21.09.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.07.2002 zu verurteilen, ihre Wirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheit nach der Nr.2108 der Anlage 1 zur BKVO anzuerkennen und zu entschädigen; hilfsweise sei ein Gutachten nach § 109 SGG von Dr.E., B., einzuholen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts gemäß § 136 Abs.2 SGG auf den Inhalt der Akte des Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet.

Zutreffend hat das SG bereits festgestellt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung ihrer Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule als Berufskrankheit nach der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO i.V.m. §§ 9, 56 des Siebten Sozialgesetzbuchs (SGB VII) hat. Der Senat konnte die Frage, ob ein Antrag auf Entschädigungsleistungen wegen einer BK nach der Nr. 2108 oder ein Antrag auf Feststellung einer solchen BK zutreffend sei, solange die Klägerin ihren als belastend angeschuldigten Beruf nicht bzw. nicht vollständig aufgegeben hat, dahinstehen lassen. Denn es liegen auch die sonstigen Voraussetzungen für die Anerkennung der vorgenannten BK nicht vor. Nach der Nr. 2108 gelten als BK bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Der Anspruch der Klägerin scheitert bereits daran, dass bei ihr keine bandscheibenbedingte Erkrankung im eigentlichen Sinne zu finden ist. Als eine solche wird eine Erkrankung der Lendenwirbelsäule definiert, wenn dem morphologischen Substrat eines Bandscheibenverschleißes die klinische Symptomatologie einer Nervenwurzelirritation oder -läsion zugeordnet werden kann. Hierauf weist Dr.F. zutreffend hin. Der Senat macht sich seine Auffassung zu eigen. Danach ist festzustellen, dass der Bandscheibenverschleiß im Falle der Klägerin sehr geringgradig ausgeprägt und auf das letzte Segment der Lendenwirbelsäule begrenzt ist. Zudem besteht er lediglich in einer Protrusion, welche im Lebensalter der Klägerin in praktisch jedem neuroradiologischen Befund beschrieben wird. Ein dem Alter vorauseilender Verschleißprozess ist demnach nicht feststellbar. Dies bestätigen im Wesentlichen auch die behandelnden Orthopäden Dres.V. und andere in dem von der Klägerin vorgelegten Bericht vom 25.06.2003, der mit dem Ergebnis der neuroradiologischen Untersuchung der radiologischen Gemeinschaftspraxis C., Dres.M. und von P. vom 27.02.2003 übereinstimmt. Danach konnte lediglich eine diskrete Achillessehnenreflexabschwächung rechts bei ansonsten völlig unauffälligen Befunden festgestellt werden. Das Beschwerdebild wurde als S-1-Irritation rechts bezeichnet. Eine gymnastische Behandlung wurde für ausreichend erachtet. Damit bestätigt sich die Beurteilung von Dr.F. , dass die Protrusion bislang nicht zu einer Nervenwurzelkompression geführt hat. Bei der Klägerin ist darüber hinaus auch kein belastungsadaptives Krankheitsbild an der Lendenwirbelsäule zu erkennen. Es liegen keine altersvorauseilenden degenerativen Veränderungen vor. Belastungsadäquate Veränderungen sind solche, die sich im Bereich der Lendenwirbelsäule in von unten nach oben abnehmender Intensität einschließlich einer überschießenden Randspornbildung am Übergang von der Brust- zur Lendenwirbelsäule darstellen. Bei der Klägerin sind Beschwerden hingegen vor allem im Bereich der Halswirbelsäule zu finden, also in einem Skelettbereich, der von den Belastungen durch schweres Heben und Tragen nicht betroffen ist. Die darüber hinaus bei der Klägerin anzutreffenden Probleme im Bereich der Schultern, Hüften und Knie deuten zudem auf eine gering ausgeprägte Stammmuskulatur und damit auf eine anlagebedingte Minderbelastung hin. Zur Überzeugung des Senats, der sich im Wesentlichen auf die Ausführungen von Dr. F. stützt, steht damit fest, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung und Entschädigung einer BK nach der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO i.V.m. § 9 und § 56 SGB VII nicht vorliegen.

Dem erst in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag, Dr.E. nach § 109 SGG zu hören, brauchte der Senat nicht zu entsprechen. Dieser Antrag war, nachdem der Senat mit Schreiben vom 30.07.2003 auf das Antragsrecht nach § 109 SGG hingewiesen und eine Frist zur Benennung eines Arztes bis 01.09.2003 gesetzt hatte, verspätet i.S.d. § 109 Abs.2 SGG. Danach kann das Gericht einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Entscheidung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht wurde. Dass der Rechtsstreit nicht in der bereits anberaumten mündlichen Verhandlung am 14.10.2003 hätte erledigt werden können, wenn dem Antrag der Klägerin stattgegeben worden wäre, bedarf keiner weiteren Erörterung. Dass der Antrag aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist, ergibt sich daraus, dass der Klägerin eine Frist bis 01.09.2003 gesetzt und sie zur mündlichen Verhandlung am 19.09.2003 geladen worden war. Einen Grund, weshalb sie nicht in der Lage gewesen sei, einen entsprechenden Antrag rechtzeitig, d.h. so, dass eine Vertagung vermieden worden wäre, zu stellen, hat die Klägerin nicht genannt. Ihre Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG Regensburg vom 20.12.2002 war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht kein Anhalt (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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