L 10 KA 28/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
10
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 17 KA 146/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 KA 28/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28.04.2003 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits und die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Beklagten in beiden Rechtszügen. Der Streitwert für das Verfahren L 10 KA 28/03 wird auf 140.000,- Euro festgesetzt. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der in O als Arzt für Chirurgie niedergelassene und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz.

Mit mehreren Schreiben verlangte er im Jahr 2000 von der Beklagten eine Aufbesserung seines Honorars im Rahmen einer Wiedergutmachung in Höhe von etwa 30 % seines ab dem Quartal I/1996 abgerechneten Honorars. Zur Begründung gab er im Wesentlichen sinngemäß an: Aufgabe der Beklagten sei es, nur medizinisch notwendige Leistungen zu vergüten. Stattdessen habe sie insbesondere im Laborbereich Leistungen vergütet, die aus hamsterradlichen Indikationen veranlasst und erbracht worden seien. Der allgemeinen Mengenausweitung sei sie nicht entgegengetreten. Dadurch seien der Punktwert gesunken und er infolgedessen um sein Honorar gebracht worden.

Die Beklagte lehnte den Antrag auf Wiedergutmachung mit Bescheid vom 12.10.2000 mit der Begründung ab, es bestehe weder Veranlassung noch Rechtsgrund, der Forderung zu entsprechen.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, bereits im vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) geführten Rechtstreit L 11 KA 30/00 darauf hingewiesen zu haben, dass das Unvermögen der Beklagten, die Gesamtvergütung ordentlich zu verteilen und betrügerischen Abrechnungen entschieden entgegenzutreten, mit höherrangigem Recht nicht vereinbar sei. In diesem Rechtsstreit war die u.a. auf das gleiche Vorbringen gestützte Klage des Klägers auf Nachvergütung von in Folge der Budgetierung nicht vergüteter Punkte in den Quartalen III/1994 bis III/1995, sowie I/1996, II/1996 und IV/1996 erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 15.12.1999 - S 33 (25) KA 310/98 - und Urteil des LSG NRW vom 06.09.2000).

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 19.06.2002 zurück: Sie sei in ausreichendem Maße gegen die Mengenausweitung vorgegangen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Vergütung seiner Leistungen mit einem bestimmten Punktwert; er könne auch kein höheres Honorar oder einen höheren Punktwert unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit von Honorarzahlungen an andere Vertragsärzte beanspruchen.

Mit seiner Klage vom 19.07.2002 hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen: Im Laufe seiner Tätigkeit seien die Punktwerte immer mehr verfallen. Die Einführung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) 1996 habe zu einer aus medizinischen Gründen nicht erklärbaren Mengenausweitung geführt; diese habe vielmehr auf wirtschaftlichen Gründen, nämlich dem sog. Drehen des Hamsterrades, beruht. Er habe das Drehen des Hamsterrades nicht mitgemacht und sei durch das Verhalten der anderen Kollegen finanziell bestraft worden. Die Beklagte habe sich das angesehen, aber nichts veranlasst. Sie habe ihre Fürsorgepflicht ihm gegenüber vernachlässigt. Sie hätte ihn darauf hinweisen müssen, welche Folgen die Ausweitung der Leistungen aufgrund des EBM 96 für ihn haben werde. Die Beklagte hätte auch Maßnahmen - z.B. vermehrte Wirtschaftlichkeits- und Plausibilitätsprüfungen - gegen den Punktwertverfall ergreifen müssen. Die durchgeführten Plausibilitätsprüfungen seien nicht ausreichend gewesen. Die Beklagte hätte diese bei jedem Arzt durchführen müssen; dann wäre es niemals zum Hamsterradefekt gekommen. Die Beklagte habe sich deshalb schadensersatzpflichtig gemacht und müsse ihn so stellen, wie er ohne das Betätigen des Hamsterrades durch die anderen Kollegen gestanden hätte.

Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.10.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2002 zu verurteilen, ihm eine Wiedergutmachung, die vom Gericht nach Maßgabe des § 287 ZPO zu schätzen sei, für die Quartale I/1996 bis einschließlich II/1999 zu zahlen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat im Wesentlichen vorgetragen, es sei bereits unklar, auf welche Rechtsgrundlage der Kläger seinen Anspruch stützen wolle. Soweit es ihm darum gehe, unter Hinweis auf die Rechtwidrigkeit von Honorarzahlungen an andere Vertragsärzte einen subjektiven Anspruch auf ein höheres Honorar herzuleiten, fehle es bereits - wie sich u.a. aus dem Urteil des LSG NRW vom 19.08.1992 - L 11 KA 35/90 - ergebe - an der Klagebefugnis.

Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28.04.2003 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es u.a. ausgeführt, die Klage sei zumindest unbegründet, da für das Begehren des Klägers keine Anspruchsgrundlage bestehe. Vertragsärzte könnten keine Ansprüche gegen die Beklagte herleiten, wenn die Punktwerte, mit der die vertragsärztlichen Leistungen vergütet werden, aufgrund einer Mengenausdehnung rückläufig seien. Dies gelte auch dann, wenn die Beklagte einem Punktwertverfall tatenlos - was allerdings nicht der Fall sei - zugesehen hätte. Die Beklagte habe auf die Mengenausweitung durch zahlreiche Plausibilitätsprüfungen und Beteiligung an Wirtschaftlichkeitsprüfungen reagiert. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, bei jedem Arzt Plausibilitätsprüfungen durchzuführen. Zudem könnten mit Plausibilitätsprüfungen nur Falschabrechnungen regressiert werden. Im Übrigen habe die Beklagte ab dem Quartal III/1999 härtere Budgetierungsmaßnahmen eingeführt.

Gegen den am 05.05.2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 04.06.2003 Berufung eingelegt und vorgetragen, sein Anspruch ergebe sich aus § 79 Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. § 42 Abs. 1 - 3 SGB IV. Er habe die Maßnahmen aufgezeigt, die die Beklagte hätte ergreifen müssen, um dem Abrechnungsverhalten der anderen Ärzte und dem damit verbundenen Punktwertverfall entgegen zu treten.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28.04.2003 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Schadensersatz in vom Gericht nach Maßgabe des § 287 ZPO zu schätzender Höhe für die Quartale I/1996 bis einschließlich II/1999 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte, die Akten S 33 (25) KA 310/98 SG Düsseldorf und L 11 AR 6/03 AB LSG NRW sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage mit im Ergebnis zutreffender Begründung abgewiesen.

Allerdings ist der Senat der Auffassung, dass die Zulässigkeit des Rechtsweges (§ 17 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)) nicht gegeben war.

Weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Berufungsrechtszug ist Streitgegenstand der durch bestandskräftige Honorarbescheide bindend festgestellte Honoraranspruch des Klägers für seine vertragsärztlichen Leistungen in den Quartalen I/96 bis II/99. Ausweislich seines Antrags und seines Vorbringens verlangt der Kläger vielmehr Schadensersatz von der Beklagten mir der Begründung, sie sei den ihr obliegenden Amtspflichten nicht nachgekommen. Dies habe zu einem Absinken des Punktwertes und daraus folgend zu einem Schaden in Höhe von etwa 30% seines ihm in den Quartalen I/1996 bis II/1999 zugestandenen Honorars geführt.

Der Kläger hat damit einen Amtshaftungsanspruch i.S.d. § 839 Bürgerliches Gesetzbuch i.V.m. Art. 34 Grundgesetz (GG) geltend gemacht, für den ausschließlich der Rechtsweg zu den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit gegeben ist (z. dazu z.B. BGHZ 81, 21; BGH NJW 2002, 1793; BSG vom 11.08.1994 - 3 BS 1/93 -).

Einer abschließenden Entscheidung des Senats bedarf es insoweit nicht. Nach § 17a Abs. 5 GVG ist dem Senat, der über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, die Prüfung verwehrt, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist, weil keiner der Beteiligten die Zulässigkeit des Rechtswegs gerügt hat. Das gilt auch dann, wenn das Gericht der ersten Instanz die Zulässigkeit des Rechtswegs -wie hier - nur stillschweigend bejaht hat (Zöller, Zivilprozessordnung, 24. Auflage, Vorbemerkung zu §§ 17 - 17b GVG, Rdnr. 7).

Davon ausgehend bestehen gegen die Klagebefugnis des Klägers keine Bedenken. Insbesondere ist nicht die von den Beteiligten zitierte Entscheidung des LSG NRW vom 19.08.1992 - L 11 KA 35/90 - heranzuziehen, der ein anderer Sachverhalt, nämlich die Frage der Rechtmäßigkeit eines Honorarbescheides, zugrunde lag.

Der geltend gemachte Anspruch besteht indes nicht.

§ 839 BGB i.V.m. Art 34 GG setzt u.a. voraus, dass die Beklagte (bzw. Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane i.S.d. § 79 SGB V oder mit hoheitsrechtlichen Aufgaben betraute Beschäftigte der Beklagten (s. dazu Palandt, BGB, 62. Auflage, § 839, Rdnr. 29)) eine ihr obliegende Amtspflicht verletzt hat.

Bereits dies ist - ungeachtet der weiteren Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruches - nicht der Fall.

Ob eine Amtshaftung der Beklagten gegenüber dem Kläger, d.h. ihrem als Vertragsarzt ordentlichen Mitglied, aufgrund eines fehlerhaften Honorarverteilungsmaßstabes grundsätzlich überhaupt möglich ist, bedarf keiner Entscheidung. Der Kläger hat weder eine solche fehlerhafte Regelung über die Verteilung der Gesamtvergütung (§ 85 SGB V) dargetan noch ist sie sonst ersichtlich. Im Übrigen dürfte bei derartigen Fallgestaltungen eine Amtshaftung allenfalls in Fällen eines Amtsmissbrauchs, d.h. eines Missbrauchs der Willensmacht der Mehrheit der Vertreterversammlung als willensbildendes Organ der Beklagten zu Lasten der Minderheit, in Betracht kommen (vgl. dazu BGHZ 81, 21). Hierzu ist nichts ersichtlich.

Ungeachtet der Frage, ob die Beklagte faktisch in der Lage ist, ihre Mitglieder oder bestimmte Gruppen von Mitgliedern umfassend zu überwachen, obliegt ihr nicht die Pflicht, einen etwaigen Punktwertverfall durch totale Kontrolle der vertragsärztlichen Tätigkeit zu begegnen, um dem Kläger ein nach seinem Verständnis angemessenes Honorar sicherzustellen.

Der Kläger verkennt die der Beklagten obliegenden Aufgaben (Pflichten), nämlich:

Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben die vertragsärztliche Versorgung in dem in § 73 Abs. 2 SGB V bezeichneten Umfang sicherzustellen (Sicherstellungsauftrag i.S.d. § 75 Abs. 1 SGB V).

Sie haben den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertragsärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht (Gewährleistungsauftrag gem. 75 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz SGB V).

Sie haben die Erfüllung der den Vertragsärzten obliegenden Pflichten zu überwachen und die Vertragsärzte - soweit notwendig - unter Androhung von Disziplinarmaßnahmen zur Erfüllung dieser Pflichten anzuhalten (Überwachungsauftrag und Disziplinarbefugnis gem. 75 Abs. 2 SGB V).

Weder aus diesem Aufgabenkatalog noch aus sonstigen Bestimmungen des SGB V ergibt sich eine Überwachungsverpflichtung der Beklagten in dem von dem Kläger vorgetragenen Sinne.

Die Beklagte ist zwar verpflichtet, die Abrechnung der Vertragsärzte und Psychotherapeuten vor Weitergabe an die Krankenkassen auf sachlich-rechnerische Richtigkeit (§ 75 Abs. 1 S. 1 SGB V i.V.m. § 45 BMV-Ä bzw. § 34 Abs. 4 und 5 AEKV) und Plausibilität (§ 83 Abs. 2 SGB V) zu überprüfen. Der Umfang dieser Überwachungs- bzw. Prüfungspflicht ist aber eingeschränkt. Die Plausibilitätskontrolle hat insbesondere auf der Grundlage von Stichproben (§ 83 Abs. 2 Satz 1 SGB V) zu erfolgen; auch hinsichtlich der sachlich-rechnerischeren Richtigstellung obliegt der Beklagten kein weitergehender Überprüfungsauftrag. Die Richtigkeit der Angaben auf den Behandlungsausweisen kann nämlich nur in engen Grenzen überprüft werden. Kontrollen sind mit erheblichem Aufwand und unsicheren Ergebnissen verbunden. Das System der Abrechnung beruht deshalb in weitem Maße auf dem Vertrauen, dass der Arzt, der die Richtigkeit seiner Angaben zu versichern hat, die Behandlungsausweise zutreffend ausfüllt bzw. durch sein Personal ausfüllen lässt (s. dazu u.a. BSG, Urteil vom 17.09.1997 - 6 RKa 86/95 - in SozR 3 - 5550 § 35 EKV-Ärzte). Im Übrigen sollen die Abrechnungsfragen im Vergleich zu den - nicht der Beklagten obliegenden - Wirtschaftlichkeitsprüfungen nur eine deutlich untergeordnete Rolle spielen (Steinhilper in Handbuch des Vertragsarztrechts, § 16 Rdnr. 15). Die Wirtschaftlichkeitsprüfungen selbst sehen lediglich Auffälligkeits- und Zufälligkeitsprüfungen (§ 106 Abs. 2 Nr.1 bzw. Nr. 2 SGB V) vor, wobei die Zufälligkeitsprüfung lediglich 2 v.H. der Ärzte je Quartal erfassen muss.

Dafür, dass die Beklagte diesen sich aus ihrem gesetzlichen Auftrag ergebenden Amtspflichten nicht nachgekommen ist, ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte. Dies wird selbst von dem Kläger nicht behauptet. Darüber hinaus gehende Amtspflichten i.S. einer vollständigen Überwachungs- bzw. Kontrollpflicht obliegen der Beklagten nicht.

Die Beklagte hat auch keine Sorgfalts- bzw. Hinweispflichten dadurch verletzt, dass sie den Kläger nicht darauf hingewiesen hat, "welche Folgen die Ausweitung der Leistungen aufgrund des EBM 96 für ihn habe werde". Eine solche individuelle Beratungs- und Betreuungspflicht besteht nicht. Die Beklagte ist ihren (allgemeinen) Hinweispflichten insoweit hinreichend nachgekommen, dass sie alle Vertragsärzte, denen ohnehin aufgrund der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung die Punktwertentwicklung, die gegensteuernden gesetzlichen Maßnahmen und deren Auswirkungen bekannt gewesen müssen, regelmäßig durch Veröffentlichungen z.B. des Honorarverteilungsmaßstabes, der Punktwerte und deren Entwicklungen unterrichtet hat.

Der Streitwert richtet sich nach dem geltend gemachten wirtschaftlichen Interesse. Der begehrte Schadensersatz für die Quartale I/1996 bis II/1999 i.H.v. ca. 30 % des in dieser Zeit abgerechneten Honorars errechnet sich auf der Grundlage des Gesamthonorars. Ausgehend hiervon beläuft sich der Streitwert auf 140.000 Euro.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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