S 12 KA 535/15

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 535/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 63/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Abweichen von der 20 %-Quote bei einer repräsentativen Einzelfallprüfung mit Hochrechnung kommt jedenfalls dann in Betracht, wenn die Gründe für deren Unterschreitung zumindest auch in der Sphäre des Arztes liegen und er seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkommt (vgl. BSG, Urt. v. 13.08.2014 - B 6 KA 41/13 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 46, juris Rn. 21 f.). Dies muss aber auch für das Nichterreichen der Mindestzahl von 100 Behandlungsfällen gelten. Verletzt der Vertrags(zahn)arzt seine Mitwirkungspflicht, so können die Prüfgremien auf den ihn vorliegenden und erreichbaren Unterlagen die Prüfung vornehmen und auf dieser Grundlage die Schätzung der Unwirtschaftlichkeit vornehmen. Andernfalls hätte es der Vertrags(zahn)arzt in der Hand, durch Verletzung seiner Mitwirkungspflicht u.U. eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit seiner Behandlungsweise zu verhindern.
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Gerichtskosten zu tragen und dem Beklagten die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu ersetzen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Honorarberichtigung wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise und eine sachlich-rechnerische Berichtigung in den Quartalen III/09, IV/09, II/10 und III/10 in Höhe von insgesamt 9.795,22 EUR.

Der Kläger) ist als Zahnarzt zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen.

Der Gemeinsame Ausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in Hessen wählte im November 2010 die Praxis des Klägers bzgl. der Quartale III/09 bis II/10 und im Februar 2011 bzgl. des Quartals III/10 zur Prüfung aus. Daraufhin leitete die Gemeinsame Prüfungsstelle der Zahnärzte und Krankenkassen in Hessen für die streitbefangenen Quartale ein Prüfverfahren ein, worüber sie den Kläger unter Datum vom 24.11.2010 und 02.03.2011 informierte.

Die Prüfungsstelle lud den Kläger unter Datum vom 12.12.2011 unter Beifügung einer Patientenliste mit Patientennamen und der Bitte, Aufzeichnungen für diese vorzulegen, zu einer Prüfsitzung am 15.02.2012 bzgl. der Quartale III und IV/09 sowie II und III/10, an der der Kläger teilnahm.

Der Kläger trug unter Datum vom 25.01.2012 vor, die Fallzahlstatistik sei nicht aussagefähig, da er nur ungefähr 100 Patienten im Quartal behandle, der Durchschnitt aber bei 400 bis 500 Patienten liege. Auch habe er in den letzten Jahren sehr viele Notdienste übernommen.

Die Prüfungsstelle setzte mit Bescheid vom 26.06.2012 bzgl. der Quartale III und IV/09 sowie II und III/10 eine Honorarkorrektur in Höhe von insgesamt 2.652,81 EUR fest und erteilte verschiedene Hinweise. Neben sachlich-rechnerischen Berichtigungen (1.722,62 EUR) nahm sie Honorarberichtigungen wegen Unwirtschaftlichkeit in den Einzelleistungsbereichen Nr. Ä1 (Ber) 430,30 EUR), 8 (ViPr) (281,74 EUR) und 12 (bMF) (218,15 EUR) vor.

Hiergegen legten der Kläger am 27.07.2013 und die Beigeladenen zu 2) bis 7) am 30.07.2013 Widerspruch ein. Zur Begründung führte der Kläger zu Nr. 12 BEMA aus, eine erschwerte Trockenlegung beinhalte den Einsatz von Kofferdam und auch das Legen eines Fadens zur Stillung des subgingivalen Blutungsflusses stelle eine besondere Maßnahme dar. Die Umwandlung der Nr. 45 und 47a BEMA in X1/X3 erscheine willkürlich, da die Entscheidung dafür in vielen Fällen nur im Laufe der klinischen Behandlung getroffen werden könne. Eine Nachkontrolle sei nicht in allen Fällen notwendig. Eine Exz1 könne auch ohne Anästhesie mittels Laser erfolgen oder mit Oberflächenanästhesie. Die Abrechnung der Nr. Ä1 vor der Nr. 03 sei nur ausnahmsweise im Notdienst oder zur prothetischen Beratung erfolgt.

Der Beklagte wies mit Beschluss vom 28.04.2015, ausgefertigt am 15.09.2015, den Widerspruch des Klägers bzgl. der Quartale III und IV/09 sowie II und III/10 als unbegründet zurück. Dem Widerspruch der Verbände der Krankenkassen gab er statt. Er setzte die Honorarkürzung auf insgesamt 9.795,22 EUR fest, wovon auf eine sachlich-rechnerische Berichtigung 246,11 EUR, auf den KCH-Bereich aufgrund einer repräsentativen Einzelfallprüfung mit Hochrechnung 9.322,43 EUR und die PAR-Behandlung (1 Behandlungsfall) 226,68 EUR entfielen.

Hiergegen hat der Kläger am 19.10.2015 die Klage zum Az.: S 12 KA 535/15 erhoben. Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die Kammer mit Beschluss vom 11.11.2015 - S 12 KA 636/15 ER - abgelehnt.

Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor, der Bescheid sei offensichtlich rechtswidrig. Es sei die Antragsfrist gemäß der Prüfvereinbarung nicht eingehalten worden. Die Prüfungsstelle habe den Prüfbescheid nicht innerhalb der Verwirkungsfrist erlassen. Seine Praxisbesonderheiten seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Er habe die Leistungen ausreichend begründet, womit sich der Beklagte nicht auseinandersetze. Er benötige die 100-Fall Statistik, die auch die Quartale vor und nach dem Prüfzeitraum erfasse, die ZE-, PAR-, KFO- und KB-Statistiken und alle zur Prüfung relevanten Statistiken und Unterlagen. Die Behauptung des Beklagten, dass ihm die angeforderten Behandlungsfälle nicht vorgelegt worden sei, könne nicht nachvollzogen werden. Dies werde bestritten. Die 20 %-Quote werde nicht erfüllt. Soweit die Behandlungsfälle nicht vorgelegt worden sein sollten und die erforderliche Anzahl nicht erreicht werde, müsse der Beklagte andere Maßnahmen ergreifen.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 28.04.2015 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, zur Auffüllung auf 100 Behandlungsfälle habe er weitere Behandlungsfälle bei dem Kläger angefordert. Der Kläger sei aber seiner Anforderung nicht nachgekommen. Dies könne sich nicht zugunsten des Klägers auswirken. In den Quartalen IV/10 und I/11 habe er keine statistische Einzelfallprüfung mit Hochrechnung, sondern eine statistische Prüfung von Einzelleistungen durchgeführt. Eine Mindestprüfzahl sei hierfür nicht erforderlich.

Die Beigeladenen zu 2), 3), 5) und 6) beantragen,
die Klage abzuweisen.

Die übrigen Beteiligten haben sich zum Verfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

Mit Beschluss vom 22.10.2016 hat die Kammer die Beiladung ausgesprochen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte sowie der Verfahrensakte zum Az.: S 12 KA 635/16 ER Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragszahnärzte und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragszahnarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Sie konnte dies trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beigeladenen zu 1), 4) und 7) tun, weil diese ordnungsgemäß geladen worden sind.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 28.04.2015 ist rechtmäßig. Er war daher nicht aufzuheben. Die Klage war abzuweisen.

Zur Begründung verweist die Kammer auf die Ausführungen des Beklagten im angefochtenen Widerspruchsbescheid des Beklagten (§ 136 Abs. 3 SGG).

Ergänzend hält sie an ihren Ausführungen im rechtskräftigen Beschluss vom 11.11.2011 fest. Der Kläger hat weder hierzu Stellung genommen noch sonst die Klage weiter begründet.

Besondere Fristen für eine Prüfung stellt die Prüfvereinbarung (PV) nicht auf, was die Kammer bereits mit Urteil vom 27.11.2013 - S 12 KA 419/13 - juris (rechtskräftig) entschieden hat.

§ 5 PV unterscheidet zwischen Zufälligkeitsprüfung (Abs. 2) und Auffälligkeitsprüfung (Abs. 3). Die Zufälligkeitsprüfung erfolgt aufgrund der von der KZV zu ziehenden Stichprobe. Für die Einleitung der Auffälligkeitsprüfung ist die Auswahl im gemeinsamen Ausschuss erforderlich. Durch Übersendung der Aufstellung der in der Zufälligkeits- und Auffälligkeitsprüfung ermittelten Vertragsärzte an die Prüfungsstelle wird das Prüfverfahren eingeleitet (§ 5 Abs. 4 S. 1 PV). Fristen hierfür nennt die PV nicht, weder für die Auswahl durch den gemeinsamen Ausschuss noch für die Übersendung der Aufstellung. Verlangt wird lediglich, dass der betroffene Vertragszahnarzt, die Krankenkassen sowie die KZV Hessen über die Einleitung des Prüfverfahrens informiert werden (§ 5 Abs. 4 S. 2 PV). Darüber hinaus besteht ein Antragsrecht der KZV Hessen, einer Krankenkasse oder ihres Verbands bezogen auf einzelne Behandlungsfälle, zahnärztlich verordnete/veranlasste Leistungen, sonstige Schäden und als Folge einer Überprüfung nach § 106a SGB V (§ 5 Abs. 5 S. 1 PV) und auf Prüfung der Wirtschaftlichkeit i. S. von § 106 Abs. 3 S. 3 1. Alternative SGB V und als Folge einer Überprüfung nach § 106a SGB V (§ 5 Abs. 6 S. 1 PV). § 5 Abs. 6 S. 1 PV nennt nicht ausdrücklich die Antragsbefugten, bezieht sich insofern aber offensichtlich auf die in Abs. 5 Genannten. Die PV unterscheidet damit zwischen dem "regulären", von Amts wegen, d. h. aufgrund der Stichprobe und der Auswahl des gemeinsamen Ausschusses durchzuführenden Prüfverfahren, und dem besonderen, auf Antrag der in Abs. 5 genannten Antragsbefugten. Nur für das Antragsverfahren nach § 5 Abs. 6 S. 1 PV wird eine Frist aufgestellt. Anträge nach § 5 Abs. 6 S. 1 PV können nur bis zum Ablauf des 4. Kalendermonats nach Übersendung sowohl der Quartalsrechnungen als auch der Statistiken schriftlich gestellt werden.

Bereits aus der PV folgt daher, dass Fristen für die Einleitung einer Auffälligkeitsprüfung durch den gemeinsamen Ausschuss nicht bestehen. Von daher kann die Frage dahinstehen, ob solche Fristen, die § 106 SGB V nicht vorsieht, zulässig wären und ob ein Vertragszahnarzt sich auf die Einhaltung einer solchen Frist berufen könnte (vgl. hierzu BSG, Urt. v. 27.06.2001 - B 6 KA 66/00 R - SozR 3-2500 § 106 Nr. 53 = Breith 2002, 102 = NZS 2002, 330 = USK 2001-181, juris Rdnr. 20 ff.; Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Gesetzliche Krankenversicherung, Loseblattausgabe, § 106, Rdnr. 438 ff.).

Der Bescheid der Prüfungsstelle ist auch innerhalb der Ausschlussfrist von vier Jahren ergangen.

Der Beklagte hat in allen streitbefangenen Quartalen im KCH-Bereich eine repräsentative Einzelfallprüfung mit Hochrechnung vorgenommen. Dies setzt voraus, dass, um eine mathematisch-statistisch verwertbare Aussage über die gleichgelagerte Verhaltensweise des Arztes zu erhalten, pro Quartal und Kassenbereich ein prozentualer Anteil von mindestens 20% der abgerechneten Fälle, der jedoch zugleich mindestens 100 Behandlungsfälle umfassen muss, überprüft wird. Es muss dabei sichergestellt sein, dass die so zu prüfenden Einzelfälle nach generellen Kriterien ermittelt werden (vgl. BSG, Urt. v. 08.04.1992 - 6 RKa 27/90 - BSGE 70, 246 = NZS 1992, 113 = NJW 1993, 1549 = USK 92154, juris Rdnr. 40; BSG, Urt. v. 13.08.2014 - B 6 KA 41/13 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 46 = MedR 2015, 454 = USK 2014-68, juris Rdnr.18). Der Kläger hat in allen Quartalen 110 bis 152 Fälle abgerechnet. Die repräsentative Einzelfallprüfung mit Hochrechnung setzt daher die Prüfung von 100 Behandlungsfällen in jedem Quartal voraus. Um diese Mindestgröße zu erhalten, hat der Beklagte weitere Behandlungsausweise angefordert, die ihm aber vom Kläger nicht übersandt worden sind. Der Kläger hat dies nur allgemein durch seinen Prozessbevollmächtigten bestritten, ohne einen Nachweis über die Übersendung einzureichen. Insofern fehlt es schon an einer substantiierten Behauptung über eine Übersendung der angeforderten Unterlagen. Von daher war der Beklagte nicht in der Lage, jeweils mindestens 100 Behandlungsfälle in die Prüfung einzubeziehen. Ein Abweichen von der 20 %-Quote kommt jedenfalls dann in Betracht, wenn die Gründe für deren Unterschreitung zumindest auch in der Sphäre des Arztes liegen und er seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkommt (vgl. BSG, Urt. v. 13.08.2014 - B 6 KA 41/13 R - a.a.O., Rdnr. 21 f.). Dies muss aber auch für das Nichterreichen der Mindestzahl von 100 Behandlungsfällen gelten. Verletzt der Vertrags(zahn)arzt seine Mitwirkungspflicht, so können die Prüfgremien auf den ihn vorliegenden und erreichbaren Unterlagen die Prüfung vornehmen und auf dieser Grundlage die Schätzung der Unwirtschaftlichkeit vornehmen. Andernfalls hätte es der Vertrags(zahn)arzt in der Hand, durch Verletzung seiner Mitwirkungspflicht u. U. eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit seiner Behandlungsweise zu verhindern. Daraus folgt jedenfalls, dass eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids bzgl. der repräsentativen Einzelfallprüfung mit Hochrechnung nicht vorliegt, soweit der Beklagte die Hochrechnung auf ca. 25 % des Abrechnungsvolumens stützt.

Praxisbesonderheiten sind, soweit sie bei einer repräsentative Einzelfallprüfung mit Hochrechnung überhaupt von Bedeutung sind, anhand der im Einzelnen geprüften Fälle deutlich zu machen. Der Kläger hat sich jedoch mit keinem der geprüften Fälle konkret auseinandergesetzt. Gleichfalls ist nicht ersichtlich, weshalb die verschiedenen Statistiken vom Kläger benötigt werden, da kein statistischer Kostenvergleich durchgeführt wurde.

Die sachlich-rechnerische Berichtigung und die Prüfung des PAR-Falls werden nicht angegriffen. Fehler sind auch nicht zu erkennen.

Nach allem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung in § 155 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der unterliegende Teil hat die Verfahrenskosten zu tragen.
Rechtskraft
Aus
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