L 2 KN 108/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 31 (24) KN 120/96
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 KN 108/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 KN 7/04 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 19.06.2000 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine außergerichtichen Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung des Betrages, den sie aufgrund einer Pfändungsverfügung der Beigeladenen an seiner Regelaltersrente gekürzt und an die Beigeladene ausgezahlt hat (DM 9131,50 entsprechender Betrag in Euro).

Dem am 00.00.1930 geborenen, keiner Person zum Unterhalt verpflichteten Kläger gewährt die Beklagte seit dem 01.09.1995 Regelaltersrente (monatlicher Rentenzahlbetrag ab 01.09.1995 zunächst DM 1.368,99, Bescheid vom 25.09.1995). Den Rentenzahlbetrag passte die Beklagte jährlich an. Die Beigeladene machte gegen den Kläger aus nach ihrem Vorbringen bestandskräftigen Steuerbescheiden für die Jahre 1982 bis 1986 rückständige Gewerbesteuer zuzüglich Gebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt DM 15.627,00 geltend. Mit der Beklagten am 22.09.1995 zugestellter Pfändungsverfügung vom 21.09.1995 pfändete die Gemeindekasse der Beigeladenen wegen des Gesamtbetrages den dem Kläger gegen die Beklagte zustehenden Anspruch auf Regelaltersrente, untersagte der Beklagten die Zahlung der Rente in Höhe des gepfändeten Betrages an den Kläger und forderte die Beklagte auf, die gepfändeten Beträge bei Fälligkeit der Beigeladenen zu zahlen. Die Beklagte erkannte gegenüber der Beigeladenen deren Forderung an (02.10.1995). Sie behielt unter Berücksichtigung der jeweiligen Freigrenzen nach § 850 c Zivilprozessordnung (ZPO) für die Zeiträume von September 1995 bis Juni 1996 monatlich DM 105,70, von Juli 1996 bis Juni 1997 monatlich DM 119,70, von Juli 1997 bis Juni 1998 monatlich DM 133,70, von Juli 1998 bis Juni 1999 monatlich DM 133,70, von Juli 1999 bis März 2000 monatlich DM 147,70 (insgesamt DM 7.031,50) ein. Auf Anregung der Beklagten verringerte die Beigeladene den gepfänderten Betrag nach § 850 f Abs. 1 ZPO (09.03.2000). Deshalb behielt die Beklagte für die Zeit von April 2000 bis Dezember 2001 monatlich nur noch DM 100,00 ein, insgesamt DM 2.100,00. Aufgrund der geänderten Freibeträge nach § 850 c ZPO zahlt die Beklagte seit dem 01.01.2002 an den Kläger den vollen Rentenzahlbetrag.

Mit seiner Klage zum Sozialgericht (SG) Dortmund hat der Kläger begehrt, den ungekürzten monatlichen Rentenzahlbetrag zu erhalten. Er hat vorgetragen, er werde durch die Pfändung sozialhilfebedürftig. Ihm sei die Pfändungsverfügung der Beigeladenen nicht zugestellt worden.

Die Beklagte hat erwidert, die Höhe des pfändbaren Betrages ergebe sich aus § 850 c ZPO. Als Drittschulderin habe sie lediglich die Pfändungsverfügung der Beigeladenen auszuführen.

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 19.06.2000). Es hat ausgeführt, die Einbehaltungen von dem monatlichen Rentenzahlbetrag seien rechtmäßig. Die Beklagte als Drittschuldnerin habe die Rechtmäßigkeit der Pfändung der Regelaltersrente nicht zu prüfen. Der Kläger könne seine Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Pfändung nur in einem eigenständigen Streit gegen die Beigeladene geltend machen.

Zur Begründung seiner Berufung wiederholt der Kläger sein Vorbringen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 19.06.2000 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Regelaltersrente ab September 1995 bis Dezember 2001 ohne Kürzung des monatichen Zahlbetrages an ihn, den Kläger, vollständig auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die zum Termin nicht erschienene Beigeladene hat schriftlich keinen Antrag gestellt.

Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Beigeladenen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Aufgrund des entsprechenden Hinweises in der Terminsmitteilung konnte der Senat verhandeln und entscheiden, obwohl für die Beigeladene niemand zum Termin erschienen ist.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte darauf, ihm einen Betrag in Höhe des Wertes von 9.131,50 DM in Euro als offenstehenden Restbetrag der Regelaltersrente für den Zeitraum vom 01.09.1995 bis zum 31.12.2001 auszuzahlen. Die Klage ist als reine Leistungsklage zulässig (§ 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz [SGG]; BSG, SozR 1200 § 54 SGB I Nr 5 mwN). Vor Erhebung der Klage auf Zahlung des gepfändeten Betrages einer bewilligten Sozialleistung nach § 54 Abs 5 SGG bedarf es keines Vorverfahrens (vgl ebenda, mwN). Zu Recht hat die Beklagte die Pfändung des Anspruchs auf Regelaltersrente durch die Beigeladene beachtet und die pfändbaren Beträge an die Beigeladene abgeführt. Die Zwangsvollstreckung richtet sich grundsätzlich nach den Vorschriften, die für das jeweilige Vollstreckungsgericht bzw. die Vollstreckungsbehörde vorgesehen sind (vgl BSG, ebenda). Die Beigeladene hat die Zwangsvollstreckung wegen rückständiger Gewerbesteuer, Gebühren und Auslagen im Sinne der Kostenordnung NW aufgrund vollstreckbarer Gewerbesteuerbescheide betrieben. Die Vollstreckung richtet sich folglich nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz Nordrhein-Westfalen. Gemäß Art 108 Abs 2 Grundgesetz [GG] obliegt die Verwaltung der "übrigen" - nicht in Abs 1 aufgeführten - Steuern, zu denen u.a. als Realsteuer die Gewerbesteuer zählt (§ 3 Abs. 2 Abgabenordnung [AO]) den Landesfinanzbehörden. Für die den Gemeinden allein zufließenden Steuern - wie die Gewerbesteuer (vgl Art 106 Abs 6 GG) - kann gemäß Art 108 Abs 4 Satz 2 GG die den Landesfinanzbehörden zustehende Verwaltung durch die Länder ganz oder zum Teil den Gemeinden übertragen werden. Diese Delegation erfordert ein förmliches nachkonstitutionelles Landesgesetz (vgl BVerwG, Urteil vom 29.09.1982, 8 C 48.82, Buchholz, 401.0 § 227 AO Nr 6). Nach § 1 des Gesetzes über die Zuständigkeit für die Festsetzung und Erhebung der Realsteuern (Gesetz vom 16.12.1981, GVBl. NW 732) sind für die Festsetzung und die Erhebung der Realsteuern die hebeberechtigten Gemeinden zuständig. Unter Berücksichtigung von §§ 1, 2, 3, 12 Kommunalabgabengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (Gesetz vom 21.10.1969, GVBl. NW 712, zuletzt geändert durch Art III Gesetz vom 17.12.1999, GVBl. NW 718) handelt es sich mithin um Geldforderungen der Gemeinde, die öffentlich-rechtlicher Natur sind und folglich nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen im Verwaltungswege vollstreckt werden (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen [VwVG NW], zuletzt bekannt gemacht in der Fassung vom 19.02.2003, GVBl. NW 156). Die Pfändung des Anspruchs auf Regelaltersrente des Klägers richtet sich somit nach den §§ 40 ff VwVG NW, soweit die Pfändung von Regelaltersrente zugelassen ist. Ansprüche auf laufende Geldleistungen, zu denen der Anspruch auf Regelaltersrente gehört, können nach näherer Maßgabe des § 54 Abs 4 Erstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB I] wie Arbeitseinkommen gepfändet werden, soweit es nicht sich um unpfändbare Ansprüche im Sinne von § 54 Abs. 3 SGB I handelt. Zu diesen unpfändbaren Ansprüchen wie Erziehungsgeld, Mutterschaftsgeld oder Geldleistungen, die dafür bestimmt sind, den durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen, gehört die Regelaltersrente nicht. Das Pfandrecht, das durch die Pfändung einer dieser Vorschrift des § 54 Abs 4 SGB I unterfallenden Sozialleistung erworben wird, ergreift die laufende Geldleistung in dem gleichen Maße, in dem Arbeitseinkommen von einer Pfändung erfasst wird. Das steht mit § 48 Abs 1 Satz 1 und 2 VwVG NW in Einklang. Danach gelten Beschränkungen und Verbote, die nach den §§ 850 bis 852 der Zivilprozessordnung [ZPO] und anderen gesetzlichen Bestimmungen für die Pfändung von Forderungen und Ansprüchen bestehen, auch für das Zwangsverfahren. § 850 h der ZPO findet Anwendung. Zu Recht ist die Beklagte als Drittschuldnerin davon ausgegangen, sie habe sich grundsätzlich auf die Prüfung zu beschränken, ob der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wirksam ist. Demgegenüber ist sie nicht befugt, über die in § 54 Abs 3, 4 SGB I genannten Pfändungsvoraussetzungen selbst zu entscheiden. Insofern unterscheidet sich ihre Stellung als Drittschuldnerin in nichts von der anderer Drittschuldner (vgl BSG, SozR 3 - 1200 § 54 SGB I Nr 1, mwN). Die Wirkung der Pfändung und der Erklärung, dass der Vollstreckungsgläubiger der Forderung einziehen könne, gelten, auch wenn sie zu Unrecht erfolgt sind, zugunsten des Drittschuldners dem Schuldner gegenüber solange als rechtsbeständig, bis sie aufgehoben sind und der Drittschuldner die Aufhebung erfährt (§ 44 Abs 1 Satz 3 VwVG NW). Zutreffend ist die Beklagte davon ausgegangen, die Pfändung und die Erklärung, dass der Vollstreckungsgläubiger die Forderung einziehen könne, seien ihr gegenüber rechtsbeständig. Soll eine Geldforderung gepfändet werden, so hat nach § 40 Abs 1 Satz 1 VwVG NW die Vollstreckungsbehörde dem Drittschuldner schriftlich zu verbieten, an den Schuldner zu zahlen, und dem Schuldner schriftlich zu gebieten, sich jeder Verfügung über die Forderung, insbesondere ihrer Einziehung, zu enthalten. In der Verfügung ist auszusprechen, dass der Vollstreckungsgläubiger, für den gepfändet ist, die Forderung einziehen kann (Satz 2, ebenda). Die Pfändung ist bewirkt, wenn die Verfügung dem Drittschuldner zugestellt ist (Satz 3). Die an den Drittschuldner zuzustellende Pfändungsverfügung soll den beizutreibenden Geldbetrag in einer Summe ohne Angabe des Schuldgrundes bezeichnen (Satz 5). Nach § 43 Abs 1 VwVG NW erstreckt sich das Pfandrecht, das durch die Pfändung einer Gehaltsforderung oder einer ähnlichen in fortlaufenden Bezügen bestehenden Forderung erworben wird, auch auf die Beträge, die später fällig werden. Diese rechtlichen Vorgaben haben Beachtung gefunden. Die Gemeindekasse Wenden hat als Vollstreckungsbehörde (§ 2 Abs 1 Satz 2 Nr 2 VwVG NW) mit der Beklagten als Drittschuldnerin am 22.09.1995 durch Postzustellungsurkunde zugestellter Pfändungsverfügung vom 21.09.1995 wegen des Gesamtbetrages von 15.627,00 DM (Gewerbesteuer 15.432,00 DM; Gebühren im Sinne der Kostenordnung NW 173,00 DM; Auslagen im Sinne der Kostenordnung NW 22,- DM) die Forderung, die dem Kläger als Vollstreckungsschuldner gegen die Beklagte zustand und künftig zustehen werde aus "der Rentenversicherung (Regelaltersrente), Versicherungsnummer 000" gepfändet. Sie hat die Beklagte aufgefordert, in Höhe des gepfändeten Betrages an den Vollstreckungsschuldner, den Kläger, nicht mehr zu zahlen und gebeten, die gepfändeten Beträge bei Fälligkeit mit Angabe des Aktenzeichens an die Gemeindekasse Wenden (genaue Kontonummer) zu zahlen. Ungeachtet der Frage, inwieweit die Beklagte dazu verpflichtet war, hat sie darüber hinaus bei der Beigeladenen, die hierfür zuständig ist (§ 48 Abs 2 VwVG NW), angeregt, Pfändungsschutz nach § 850 f Abs 1 ZPO in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVG NW zu gewähren. Dementsprechend hat die Beigeladene Pfändungsschutz gewährt. Zutreffend hat die Beklagte auch den pfändbaren Betrag nach § 850 c ZPO für einen Schuldner ohne unterhaltsberechtigte Personen entsprechend der Tabelle mit monatlich DM 1.209,00 zugrunde gelegt (Zeitraum 01.09.1995 bis 31.12.2001; zusätzlich Beachtung der Entscheidung der Beigeladenen über Vollstreckungsschutz (09.03.2000) ab 01.04.2000 bis 31.12.2001).

Die Einwendungen des Klägers greifen nicht durch. Wie dargelegt, ist es nicht Aufgabe der Beklagten als Drittschuldnerin, über die in § 54 Abs 3, 4 SGB I genannten Pfändungsvoraussetungen selbst zu entscheiden. Schon deshalb kann der Kläger mit seinem Vorbringen keinen Erfolg haben, er sei durch die Pfändung sozialhilfebedürftig geworden. Hinzu kommt, dass § 54 SGB I durch das 2. Gesetz zu Änderung des Sozialgesetzbuchs [SGBÄndG 2] vom 13.06.1994, BGBl. I, 1229; in Kraft getreten ab 18.06.1994, dahingehend geändert worden ist, dass es auf die Hilfebedürftigkeit im Sinne der Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes für die Pfändung von Ansprüchen auf laufende Geldleistungen nicht mehr ankommt, vgl oben. Unerheblich ist auch das Vorbringen des Klägers, die Gewerbesteuerforderung sei zu Unrecht erhoben. Die Beklagte kann sich - wie dargelegt - auf die Prüfung der Wirksamkeit der Pfändung und Einziehungserklärung beschränken. Schließlich ist - wie dargelegt - für die Bewirkung der Einziehungserklärung nicht erforderlich, dass die Pfändungsverfügung dem Kläger als Schuldner zugestellt wird. Die nach § 40 Abs 1 Satz 4 VwVG NW vorgesehene Mitteilung an den Vollstreckungsschuldner ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Pfändungsverfügung. In diesem Sinne ist unschädlich, dass der Kläger nach seinem Vorbringen erst 1996 durch das Gerichtsverfahren Kenntnis von der Pfändungsverfügung erlangt hat.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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