L 16 RA 85/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 3 RA 1055/99-14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 RA 85/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Juni 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Neufeststellung seiner Regelaltersrente unter Berücksichtigung weiterer Beitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG).

Der 1921 in C / Rumänien geborene, im Jahr 1948 nach Israel ausgewanderte und seit dem 2. Januar 1958 in den Vereinigten Staaten von Amerika lebende Kläger gehört zum Personenkreis der vom Nationalsozialismus Verfolgten. Er beantragte bei der Beklagten im Januar 1997 u.a. die Gewährung von Regelaltersrente.

Nach Beiziehung der Entschädigungsakten des Amtes für Wiedergutmachung in S (VA-Nr. ) gewährte die Beklagte dem Kläger nach Zulassung zur Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen nach Nr. 8 des Schlussprotokolls (SP) zum deutsch-amerikanischen Sozialversicherungsabkommen (DASVA) für die Zeit ab 1. Juli 1990 Regelaltersrente (Bescheid vom 30. Oktober 1998; Zahlbetrag ab 1. Januar 1999 = monatlich 228,06 DM). In Anlage 10 des Bescheides lehnte die Beklagte die Berücksichtigung der von dem Kläger geltend gemachten Beitrags- bzw. Beschäftigungszeit nach dem FRG vom 1. Juli 1937 bis 30. Juni 1941 als nicht nachgewiesen bzw. nicht ausreichend glaubhaft ab. Der Kläger hatte zuvor erklärt, in dem genannten Zeitraum als Buchhalter in der Lebensmittel- und Delikatessenhandlung M S in C versicherungspflichtig beschäftigt gewesen zu sein und Beiträge zur Sozialversicherung entrichtet zu haben. Zum Nachweis hatte er eine schriftliche Erklärung der K S vom 27. Juni 1995 vorgelegt, auf die Bezug genommen wird. Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1999 wies die Beklagte den auf Berücksichtigung einer Beitrags- bzw. Beschäftigungszeit nach dem FRG von Juli 1937 bis Juni 1941 gerichteten Widerspruch, mit dem der Kläger noch eine schriftliche Erklärung der B R vom 18. Mai 1998 eingereicht hatte, zurück.

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Berlin im Wege der Rechtshilfe das zuständige Gericht des Staates Israel bzw. das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in M um die uneidliche Vernehmung der Zeuginnen S und R ersucht. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Vernehmungsprotokoll des Amtsgerichts in T A vom 29. März 2000 und das Protokoll des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland M vom 22. März 2000 Bezug genommen.

Mit Urteil vom 16. Juni 2003 hat das SG die auf Neufeststellung der Regelaltersrente unter Berücksichtigung einer Beitragszeit nach dem FRG vom 1. Juli 1937 bis 30. Juni 1941 gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Neuberechnung seiner Regelaltersrente unter Anerkennung der Zeit vom 1. Juli 1937 bis 30. Juni 1941 als Fremdbeitragszeit. Die in Rede stehende Zeit sei weder als Beitrags- noch als Beschäftigungszeit nach den §§ 15, 16 FRG nachgewiesen bzw. glaubhaft gemacht. Nach dem eigenen Vorbringen des Klägers bestünden erhebliche Zweifel am Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses in der streitigen Zeit. Denn der Kläger habe im Entschädigungsverfahren zeitnah und mehrfach erklärt, in der Zeit von 1935 bis 1938 eine Schlosserlehre absolviert zu haben und nachher selbständig als Inhaber einer Kunstschlosserei tätig gewesen zu sein, die ihm sein Vater eingerichtet habe. Die jetzt behauptete Beschäftigung als Buchhalter in der Delikatessenhandlung M S sei mit diesem Vorbringen im Entschädigungsverfahren nicht in Einklang zu bringen. Auch die Erklärungen des Klägers zu seinem widersprüchlichen Vorbringen würden nicht überzeugen. Angesichts der Unstimmigkeiten in den Aussagen der gehörten Zeuginnen S und R sei auch insoweit eine Glaubhaftmachung nicht gelungen. Im Übrigen sei der Kläger auch in der Aufenthaltsbescheinigung des Internationalen Roten Kreuzes aus dem Jahr 1961 als "Arbeiter" verzeichnet, was dem Beruf des Buchhalters nicht entspreche.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor: Das SG habe die Aussagen der Zeuginnen S und R nicht zutreffend gewürdigt. Diesen Aussagen sei zweifelsfrei zu entnehmen, dass er - der Kläger - von 1937 bis 1941 als Buchhalter in der Delikatessenhandlung M S versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Dabei komme der Aussage der Zeugin S deshalb besonderes Gewicht zu, weil sie seinerzeit seine Chefin gewesen sei. Die Angaben im Entschädigungsverfahren beruhten auf einem Missverständnis. Sein Vater habe zwar 1938 tatsächlich eine Kunstschlosserei eingerichtet und dort seien auch zwei Arbeiter beschäftigt gewesen, aber nicht er selbst. Im Übrigen sei in Rumänien jeder Arbeitnehmer sozialversichert gewesen.

Der Kläger beantragt nach seinem Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Juni 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 30. Oktober 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 1999 zu verurteilen, seine Regelaltersrente für die Zeit ab 1. Juli 1990 neu zu berechnen und dabei eine glaubhaft gemachte Beitragszeit im Sinne von § 15 Fremdrentengesetz vom 1. Juli 1937 bis 30. Juni 1941 zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Akte der Beklagten, die Entschädigungsakte des Amts für Wiedergutmachung in S (VA-Nr. ) und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter an Stelle des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Neuberechnung seiner Regelaltersrente für die Zeit ab 1. Juli 1990 unter Berücksichtigung einer glaubhaft gemachten Beitragszeit im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 FRG vom 1. Juli 1937 bis 30. Juni 1941.

Der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch richtet sich noch nach den bis 31. Dezember 1991 geltenden Vorschriften des § 25 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 3 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG). Der Kläger hatte seinen Rentenantrag zwar erst im Januar 1997 gestellt. Im Hinblick auf die seinerzeit beantragte und bereits durchgeführte Nachentrichtung nach Nr. 8 SP-DASVA ist die Rente aber bereits ab 1. Juli 1990 zu gewähren (vgl. Nr. 8 Buchst. i Satz 2 SP-DASVA).

Ein Anspruch des Klägers auf Neuberechnung seiner Regelaltersrente unter Berücksichtigung der in Rede stehenden Beitragszeit vom 1. Juli 1937 bis 30. Juni 1941 besteht nicht, weil diese Zeit weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht ist, und zwar auch nicht als Beschäftigungszeit im Sinne von § 16 Abs. 1 FRG. Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen zurückgelegt sind, stehen den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich (§ 15 Abs. 1 Satz 1 FRG). Ungeachtet dessen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 20 Abs. 1 und Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG), 17a FRG in der Person des Klägers, der nicht zu dem Personenkreis des § 1 FRG zu zählen ist, erfüllt sind, ist ein entgeltliches und damit versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis des Klägers in dem in Rede stehenden Zeitraum, für das Beiträge zu einem Sozialversicherungsträger abgeführt wurden, nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist das Vorliegen der Voraussetzungen der geltend gemachten Beitragszeiten nicht überwiegend wahrscheinlich. Nichts anderes gilt für das Vorliegen von Beschäftigungszeiten im Sinne von § 16 Abs. 1 FRG.

Beitragsnachweise für den streitigen Zeitraum liegen nicht vor. Auch die Glaubhaftmachung von Beitragszeiten ist nicht gelungen. Denn die Entrichtung von Pflichtbeiträgen zur rumänischen Sozialversicherung oder der Abzug eines Beitragsanteiles vom Gehalt ist jedenfalls nicht überwiegend wahrscheinlich (vgl. § 4 Abs. 1 FRG). Es lässt sich mit der erforderlichen Sicherheit bereits nicht feststellen, ob der Kläger in dem hier streitigen Zeitraum überhaupt einer abhängigen und entgeltlichen und damit versicherungspflichtigen Beschäftigung nachging. Eine Glaubhaftmachung scheitert im Wesentlichen schon an dem widersprüchlichen Gesamtvorbringen des Klägers. Dieses kann grundsätzlich nur dann Grundlage einer Glaubhaftmachung sein, wenn es widerspruchsfrei und in sich sowie im Hinblick auf die besonderen historischen Zeitumstände schlüssig ist. Dies erfordert ein durchgängig stimmiges eigenes Vorbringen, beginnend mit den ersten festgehaltenen Angaben noch in der Kriegszeit und der frühen Nachkriegszeit, insbesondere im Entschädigungsverfahren. Vorliegend sind die Widersprüche im Gesamtvorbringen des Klägers unauflösbar. Im Entschädigungsverfahren hatte der Kläger in seinem Antrag auf Wiedergutmachung von Schaden an Körper oder Gesundheit am 2. November 1966 erklärt, vor der Verfolgung keiner Krankenkasse angehört zu haben und in C Inhaber einer eigenen Kunstschlosser-Werkstätte gewesen zu sein. Diese habe er Ende 1938 eröffnet und nach kurzer Zeit zwei Arbeiter beschäftigt, wobei sein monatlicher "Reinverdienst" etwa 5.000,00 Lei betragen habe. Dieselben Angaben finden sich in dem vom Kläger am 21. Mai 1973 unterzeichneten Formular mit Angaben für die Feststellung seiner Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis. In seiner eidesstattlichen Erklärung vom November 1966 hatte der Kläger zudem detailliert und im Hinblick auf die von ihm geschilderte Berufsausbildung schlüssig ausgeführt, dass ihm sein Vater, der ein Kolonialwarengeschäft en-gros geführt habe und sehr vermögend gewesen sei, auf seinen Wunsch im Jahr 1938 nach Beendigung des Technikums und seiner praktischen Ausbildung eine Kunstschlosserei eingerichtet habe. Die Werkstatt habe somit in seinem Eigentum gestanden und sei unter seinem Namen, d.h. dem Namen des Klägers, gelaufen. Hinweise auf die jetzt im Rentenverfahren behauptete Beschäftigung als Buchhalter im Delikatessengeschäft M S in C finden sich im Entschädigungsverfahren an keiner Stelle. Abgesehen davon, dass die Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren im historischen Umfeld und infolge ihrer Zeitnähe durchaus als glaubhaft anzusehen sind, sind keine tatsächlichen Anhaltspunkte erkennbar, weshalb der jetzigen Version des Klägers mehr Glauben geschenkt werden sollte. Dass die Einlassungen im Entschädigungsverfahren - wie der Kläger nunmehr vorträgt - lediglich auf einem Missverständnis beruhen, ist als Schutzbehauptung zu werten. Denn der Kläger hat dieses Vorbringen im Entschädigungsverfahren über viele Jahre hinweg, bei verschiedenen Stellen und in unterschiedlichem Zusammenhang wiederholt und widerspruchsfrei aufrechterhalten. Dass er nunmehr in seinem Schriftsatz vom 31. Oktober 2003 einräumt, früher vielleicht "törichte Angaben" gemacht zu haben, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn der Kläger war sowohl im seinerzeitigen Entschädigungsverfahren als auch im jetzigen Rentenverfahren unmissverständlich darauf hingewiesen worden, wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Weshalb die jetzigen Angaben "richtig" sein sollen, ist nicht ersichtlich. Es ist nämlich in gleichem Maße auch jetzt nicht auszuschließen, dass der Kläger - wie er es für das Entschädigungsverfahren ja letztlich eingestanden hat - erneut ausschließlich zweckgerichtete Angaben gemacht hat.

Keine andere Beurteilung folgt auch aus den jetzt anlässlich ihrer persönlichen Vernehmung gemachten Aussagen der Zeuginnen S und R. Beide Zeuginnen haben zwar bestätigt, dass der Kläger in dem streitigen Zeitraum (Zeugin R) bzw. bis etwa 1940 (Zeugin S) in dem Delikatessengeschäft M S beschäftigt gewesen sei. Angaben über eine etwaige Abführung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung haben jedoch beide Zeuginnen nicht machen können. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, woher die Zeugin R ihr Wissen bezogen hat. Sie hat hierzu lediglich ausgeführt, zu den angegebenen Zeiten wie der Kläger in Rumänien gewohnt zu haben, wo es allgemein üblich und bekannt gewesen sei, dass Arbeitnehmer renten- und krankenversichert hätten sein müssen. Hieraus erhellt, dass die Einlassungen der Zeugin R zu der angeblichen Beschäftigung des Klägers als Buchhalter bei dem Delikatessengeschäft M S nicht auf eigenem unmittelbarem, sondern auf erworbenem Wissen beruhen. Hinsichtlich der Aussage der Zeugin S fällt zudem auf, dass ihre Angaben anlässlich der persönlichen Vernehmung weit unbestimmter und undetaillierter waren als in ihrer schriftlichen Erklärung vom 27. Juni 1995. Dort hatte sie noch detaillierte Angaben zu Beginn und Ende sowie zum Inhalt des in Rede stehenden Beschäftigungsverhältnisses wie auch zur Berufsausbildung des Klägers gemacht. Bei der erforderlichen Gesamtschau gilt im Übrigen auch hier, dass die Aussagen der Zeuginnen nicht geeignet sind, die Widersprüche im Vorbringen des Klägers auszuräumen. Setzt nämlich ein Antragsteller - wie hier der Kläger - bereits mit seinem Gesamtvorbringen Widersprüche, die praktisch nicht auflösbar sind, dann lässt sich auch durch Zeugenerklärungen regelmäßig nicht zweifelsfrei feststellen, ob nun die im Rentenverfahren gemachte oder die gegenteilige Version im Entschädigungsverfahren überwiegend wahrscheinlich ist. Ein beweisrechtlich relevantes Überwiegen ist in diesem Fall schon aus in der Person des Klägers bzw. Antragstellers liegenden Gründen ausgeschlossen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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